Veröffentlicht: 22.07.2020. Rubrik: Unsortiert
Der Mann am Strand Teil 6
Lyon
Marcelina stand in der Diele vor dem Spiegel und probierte den schwarzen Hut mit Trauerflor noch einmal auf, den sie vorhin gekauft hatte. So recht wollte er nicht zu ihrem flammend roten Haar passen, das ihr lang den Rücken hinunterfloß und viel zu lebendig gegen das Schwarz wirkte. Immerhin wurde durch den Trauerflor ihr Gesicht verdeckt, was nur von Vorteil sein konnte. Sie seufzte tief auf.
Brian kam aus der Küche, trat hinter sie und streichelte ihr über den Rücken. „Du fliegst also morgen", sagte er leise. „Keine angenehme Aufgabe."
„Weiß Gott nicht." Marcelina drehte sich zu ihm um. „Aber das bin ich ihm schuldig. Außer mir hatte er ja niemanden mehr auf der Welt. Wer weiß, wohin meine nichtsnutzige Schwester seit einer Ewigkeit verschwunden ist."
„Sein Vater hat sich auch nicht gemeldet?"
Marcelina schüttelte den Kopf. „Sein Vater weiß vermutlich noch nicht mal, dass er einen Sohn hat... hatte. Madeline hat seinen Namen nie verraten. Ich fragte sie schließlich nicht mehr danach."
Sie schwiegen eine Weile, dann brach es aus Marcelina heraus.
„Warum ist dieser Trottel nur getrampt? Ich habe ihm gesagt, lass es sein, das ist zu gefährlich, jemand bringt dich wegen des Geldes noch um ....nimm den Flieger, innerhalb der EU darfst du 10.000 Euro im Handgepäck mitführen.... Aber er wollte ein richtiges Abenteuer erleben, so nach außen armer Schlucker, aber die Tasche voll Geld, wollte aber sehen, ob er auch ohne durchkommt. .. Und das kommt dabei heraus." Ihr stiegen die Tränen in die Augen.
„Hätte ich es nur verhindern können..."
Brian nahm seine Verlobte in die Arme. „Wie denn.... Jaques war volljährig. Du konntest ihm nichts mehr verbieten."
„Ich hätte es ihm ausreden sollen. Seit ich wusste, dass er sich mit soviel Geld auf den Weg machen wollte, hatte ich ein ungutes Gefühl."
„Wo hatte er das viele Geld eigentlich her?"
„Meine Mutter hatte Aktien und hat sie ihm in ihrem Testament vermacht. Das ist zwar jetzt schon über ein Jahr her. Aber erst vor zwei Monaten sind sie im Wert gestiegen und Jacques hat sie mit Gewinn verkauft."
„Das Geld hatte er nicht mehr bei sich?" vergewisserte sich Brian, der die Geschichte unglaublich fand. Und Marcelinas Neffen kreuzdämlich. Aber es ziemte sich in dieser Situation nicht, seine Gedanken auszusprechen.
„Sie haben gar nichts bei ihm gefunden."
Müde sah Marcelina ihn an. „Ein Wunder, dass sie ihm seine Klamotten gelassen haben."
„Glaubst du, es waren mehrere Täter?"
„Wer weiß das schon.... Dieser Kommissar war jedenfalls sehr zurückhaltend."
„Vielleicht erfährst du vor Ort morgen mehr", sagte Brian.
Im Fischerdorf an der Algarve
Mit klopfendem Herzen tippte Tamara die Nummer von Heikos Firma in ihr Handy. Hoffentlich kam Heiko nicht auf die Idee, sie hier, an einem nicht sehr belebten Strandstück, zu suchen. Er hatte sich nach einem ausgiebigen Mittagessen aufs Bett gelegt und war tatsächlich eingeschlafen. Das hatte Tamara ausgenutzt, um sich heimlich davon zu schleichen. Von ihrer Recherche musste er nichts wissen.
„Firma Taditeter und Partner", meldete sich eine fröhliche weibliche Stimme.
„Guten Tag, hier ist Tamara Diester. Könnte ich bitte Herrn Heiko Katter sprechen?"
„Wer ist da bitte?"
Tamara räusperte sich. Sogar in ihren Ohren hatte sich ihre Stimme krächzend angehört.
„Hier ist Tamara Diester."
„In welcher Angelegenheit möchten Sie Herrn Katter sprechen?"
„Ich... äh.... geschäftlich", stotterte Tamara, dann fing sie sich und sagte so forsch, wie sie nur konnte: „Ich wollte ihm einen Vorschlag machen. Ich kenne ihn und würde das lieber mit ihm persönlich besprechen."
„Herr Katter arbeitet leider nicht mehr bei uns", sagte die noch immer fröhliche Stimme.
„Ich kann Sie aber an seinen Nachfolger verweisen."
Tamara war einen Moment lang verblüfft. „Nein danke", sagte sie schließlich, „ich werde ihn dann unter seiner privaten Nummer anrufen."
„Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag! Auf Wiederhören!" Kurz bevor am anderen Ende aufgelegt wurde, schnappte Tamara noch die Worte: „Schon wieder einer... " auf. Was hatte das zu bedeuten?
Sie wählte die Festnetznummer von Heikos privater Adresse und war überrascht, als sich schon nach dem dritten Freizeichen eine Frau atemlos mit „Hallo?" meldete.
„Hallo", hier zog Tamara es vor, ihren Namen nicht zu nennen, „könnte ich bitte Heiko sprechen?"
„Wer ist da?"
„Charlotte. Ich bin eine Kollegin", log sie schnell.
Die Frau lachte. „Eine Kollegin? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Heiko hat keine Kollegen mehr. Sie lesen wohl keine Zeitung?" Mit diesen Worten legte sie auf.
Verdattert sah Tamara auf ihr Handy. Auf diese Sätze konnte sie sich keinen Reim machen. Es war wohl kaum Heikos Frau gewesen.... Aber warum war eine Frau in seiner Wohnung?
Verärgert steckte sie das Handy ein. Sie war keinen Schritt weitergekommen und würde sich jetzt beeilen müssen, um wieder im Hotel zu sein, ehe Heiko ihr Verschwinden bemerkte oder sie musste sich eine gute Ausrede einfallen lassen wie: „Ich war spazieren und wollte dich nicht wecken."
Sie machte ein paar Schritte In Richtung Hotel und fuhr erschrocken zusammen. Wie aus dem Boden gewachsen stand auf einmal Heiko vor ihr. Und sah sie keineswegs freundlich an.
„Hast du mich erschreckt! Ich habe dich gar nicht kommen sehen." Stand er etwa schon länger da?
„Was machst du hier hinter meinem Rücken?"
Tamara wich einen Schritt zurück. Was war mit ihm los? Das war nicht der Heiko, den sie kannte.
„Ich war spazieren..... "
„Dass ich nicht lache! Wen hast du angerufen?" Heiko sprang auf sie zu, hielt ihre Arme fest und zog das Handy aus ihrer Hosentasche.
„Heiko, spinnst du? Lass mich sofort los!"
Heiko lachte auf, aber es war nicht das Lachen, was sie von ihm gewohnt war, ein zärtliches, liebevolles Lachen, das sie gestern noch so glücklich gemacht hatte. Dieses Lachen ließ ihr Blut gefrieren. Eine eiskalte Hand legte sich um ihr Herz.
Lieber Gott, mach, dass das nicht wahr ist.
Fortsetzung folgt