Veröffentlicht: 10.07.2020. Rubrik: Unsortiert
Der Mann am Strand Teil 4
Miguel stand in seinem Garten und betrachtete den Teich, den er vor einigen Jahren angelegt hatte. Damals lebte seine Frau noch und er konnte sicher sein, dass sie ihm die Hölle heiß machen würde, wenn er sich nicht mindestens zweimal die Woche um die Pflege des Teichs kümmerte. Seit ihrem Tod hatte er dies ziemlich schleifen lassen; wen kümmerte es schon, wenn in dem Teich ein paar Algen mehr oder weniger schwammen und ein paar Schlingpflanzen ihr Dasein fristeten? Trotzdem musste er vor sich selbst zugeben, dass der Teich mittlerweile recht zugewuchert aussah. Algen und Schlingpflanzen breiteteten sich ungehindert aus. Es wäre einfacher gewesen, sie in Schach zu halten, wenn der Teich nicht über 1 m Tiefe hätte, dachte Miguel. Aber auch auf der Wassertiefe hatte seine Frau bestanden. Sie musste die Arbeit ja nicht machen...
Jedenfalls war das keine Arbeit mehr für ihn, er sollte jemanden damit beauftragen. Schade, dass Pedro sich nicht mehr blicken ließ. Sollte er Cristina fragen, wo er steckte?Wahrscheinlich wusste sie es auch nicht. Und so eilig war die Sache mit dem Teich ja auch wieder nicht. Erst einmal würde er sich etwas zum Abendessen kochen und sich dann auf seine Veranda verziehen. Er wollte sich schon abwenden, um ins Haus zu gehen, als er auf einen Gegenstand im Wasser aufmerksam wurde. Was hatte sich da zwischen den Algen und Schlingpflanzen verhakt? Er trat wieder näher und begutachtete die Sache.
Es war ein Rucksack, von undefinierbarer Farbe. Er hatte sicher schon länger als einen Tag im Wasser gelegen.
Unverschämtheit, dachte Miguel, die Leute laden einfach ihren Müll in meinem Teich ab. Er schnaufte empört. Der Teich lag hinter dem Haus; nur jemand, der sich auskannte, würde einfach dorthin laufen, um seinen Müll zu entsorgen, wahrscheinlich bei Nacht und Nebel. Was fiel demjenigen ein? Wütend ging er zum Gartenhäuschen, holte einen Kescher und fischte damit den Rucksack aus dem Wasser.
Giacomo saß an einem großen Tisch in Fernandes' Büro dem Kommissar gegenüber. Der Tisch war mit Akten beladen, eine kleine Fläche war von der Sekretärin eilig freigeräumt worden, auf der sie ein Tablett mit zwei Tassen, eine Kanne Kaffee sowie Milch und Zucker abgestellt hatte. Fernandes bemerkte, dass Giacomo sich trotz der Gastfreundlichkeit nicht besonders wohl zu fühlen schien. Er rutschte unruhig hin und her und war vermutlich heilfroh, wenn er sein Handy zurück bekam und aus dem Kommissariat verschwinden konnte.
„Nehmen Sie eigentlich öfters Anhalter mit?" fragte er in freundlichem Plauderton.
Giacomo nickte. „Es ist manchmal schon recht langweilig, so lange allein im LKW zu sitzen. Wenn ich dann jemanden sehe, von dem ich denke, hoppla, der kommt anders als mit Trampen sicher nicht weiter, ist das noch ein zusätzlicher Grund. Dieser Jaques sah jedenfalls nicht so aus, als könne er sich eine Reise an die Algarve mit dem eigenen Auto leisten. Oder mit dem Flugzeug."
„Sie sind also ein Menschenfreund." Fernandes lächelte entwaffnend.
„Kann man schon sagen, ja."
„Hat Jaques Ihnen erzählt, wo er hinwollte?"
„Er wollte an die Algarve, nach Albufeira."
„Um Urlaub zu machen? Im Hotel? Oder wollte er jemanden besuchen?"
„Ein Hotel konnte er sich bestimmt nicht leisten. Er wollte zu einem Mädchen dort, das er übers Internet kennengelernt hatte. Sie hatte ihn angeblich eingeladen." Giacomo starrte auf die Tischplatte. „Ich dachte noch, in dem Alter kommt er sicher überall ohne Geld durch. Die Fahrt umsonst, den Urlaub oder was immer er vorhatte, umsonst...."
„Hat er den Namen des Mädchens erwähnt?"
„Ja, Cristina. Mit ihr hat er ja auch so lange telefoniert. Mit meinem Handy."
Fernandes nickte. „Das ist ein guter Anhaltspunkt. Hat er etwas Wichtiges gesagt?"
„Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich weiß nur, dass er lange telefoniert hat. Hauptsächlich hat sie geredet. Das konnte ich natürlich nicht verstehen. Aber ich denke, die beiden hatten so etwas wie eine Beziehung. Oder bildeten sich das jedenfalls ein."
„Wie kann man sich eine Beziehung einbilden?"
Giacomo zuckte die Achseln. „Ich glaube nicht, dass sie sich schon jemals gesehen hatten. Wie denn auch, bei der Entfernung, einer in Frankreich, einer in Portugal. Auch wenn Jacques sich sehr auf sie gefreut hat."
Es klopfte an der Tür. Ein schlanker junger Mann mit Brille erschien und übergab Fernandes ein Schriftstück. Fernandes studierte es und nickte vor sich hin.
„Geben Sie Herrn Biancho das Handy zurück", wandte er sich anschließend an den jungen Mann.
„Ich bringe es sofort." Der junge Mann verließ das Zimmer.
„Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen." Giacomo saß nun kerzengerade auf seinem Stuhl. Wenn er das Handy hat, verschwindet er in Sekundenschnelle, dachte Fernandes.
„Ich glaube, Sie haben uns sehr geholfen", sagte er.
Die Handynummer gehörte einer Cristina Feirrera. Sie war leicht auf Facebook zu finden. Ihre Adresse zu ermitteln, war danach eine Kleinigkeit. Fernandes suchte sie noch am gleichen Tag mit seinem Kollegen Silva auf.
Zunächst öffnete niemand auf ihr Klingeln. Fernandes versuchte es noch einmal. Und noch einmal.
Beim dritten Mal rührte sich etwas hinter der Tür. Sie wurde langsam geöffnet und eine junge Frau stand vor ihnen. Fernandes sah auf den ersten Blick, dass sie geweint hatte.
„Entschuldigen Sie, Senhora. Wir sind von der Kriminalpolizei." Fernandes zückte seinen Ausweis. „Wir wollten zu Cristina Feirrera. Sind Sie das?"
Die junge Frau nickte. „Ich weiß schon, warum Sie hier sind."
Fernandes und Silva wechselten einen erstaunten Blick.
„Sie sind doch wegen Jaques hier? Er ist tot, ich habe es in der Zeitung gelesen.... " Unvermittelt begann sie zu weinen.
Fernandes räusperte sich. „Kannten Sie ihn gut?"
Cristina schluchzte wild auf. „Wir wollten zusammenziehen, vielleicht sogar heiraten. Er war meine große Liebe und nun...." Sie wurde von einem Weinkrampf geschüttelt.
Fernandes und Silva hatten bei den ersten Sätzen einen erstaunten Blick gewechselt.
„Wie lange kannten Sie sich denn schon?" hakte Fernandes nach. „Entschuldigung, dürfen wir vielleicht hineinkommen?"
Die immer noch schluchzende Cristina hielt Ihnen die Tür auf. Drinnen sah Fernandes sich um. Auf den ersten Blick entdeckte er, was er hatte feststellen wollen: Kein Foto von Jaques war zu sehen, weder im Rahmen auf dem Tisch noch an der Wand.
„Wie lange kannten Sie ihn denn schon?" fragte er noch einmal in behutsamem Ton, nachdem er und Silva Platz genommen hatten."
„Eine ganze Ewigkeit. Eigentlich mein halbes Leben.... " Und dann bekamen die beiden Beamten eine unglaubliche Geschichte zu hören.
Fortsetzung folgt