Veröffentlicht: 04.05.2020. Rubrik: Unsortiert
Ein Spiel
Dietmar Schröder warf die Haustür hinter sich ins Schloss und atmete tief durch. Endlich Feierabend! Jetzt konnte das Spiel beginnen, dem er den ganzen Tag entgegen gefiebert hatte. Hastig machte er sich ein Schinkenbrot, setzte sich damit vor seinen PC und war in seinem Lieblings-Diskussionsforum als „Kesselchen" eingeloggt, noch ehe er den letzten Bissen verschlungen hatte. Jessie war auch schon da, ihr Nick war mit einem leuchtend grünen Kästchen versehen, was signalisierte, dass sie gerade online war. Super! Er schrieb einen kurzen Gruss und wartete auf ihre Antwort, die rasch erfolgte, ehe er richtig loslegte.
„Hi Jessie,
wie es mir wohl geht..... Du weißt ja, was bei uns los ist, mit drei Kindern, da hat man immer was zu tun. Ich versteh Nina ja, dass sie sich um die Kinder kümmern muss, aber dass ich deswegen völlig auf der Strecke bleibe, habe ich allmählich satt. Habe ich dir zwar schon erzählt, aber es wird immer schlimmer. Sex läuft so gut wie gar nicht mehr..... "
In diesem Stil schrieb er weiter und danach blieben Jessie und er beim Thema Sex hängen, was ihm enormen Spaß machte. Schließlich war er es leid, den sexlosen Familienvater zu spielen und wünschte Jessie mit dem Hinweis, er müsse früh raus, eine gute Nacht.
Danach loggte er sich als „Kesselchen" aus, wechselte den Browser und loggte sich als „Womanizer14" wieder ein. Eine Mail von Udo war schon da. Er fragte, wie das gestrige Rendezvous mit seiner neuen Flamme gewesen sei, und Schröder legte direkt los. Er schilderte den unglaublichsten Sex, den er je gehabt habe und wie scharf die Braut auf ihn gewesen sei. Beim Abschicken der Mail war er sicher, dass Udo vor Neid grün werden würde und das wurde bestätigt, als Udo ihm schrieb, was für ein tolles Leben er als Single doch hatte, während er, Udo, ständig von seiner Frau ausgebremst werde. Schröder grinste vor sich hin, schrieb, dass er aufhören müsse, weil er auf einen Anruf wartete und loggte sich aus.
Kurz danach loggte er sich als „Tante Sigrid" ein und war mal wieder erstaunt, wieviel Mails in seinem Postfach waren. Die User schienen „Tante Sigrid" wirklich für eine nette Tante zu halten, der man sein Herz ausschütten könnte. So ähnlich hatte sich Schröder auch in diesem Profil vorgestellt. Aber eigentlich hatte er auf diese Briefe gar keinen Bock. Er wollte nur mal wissen, wie naiv die Leute waren und sah sich bestätigt.
Inzwischen war es fast Mitternacht und er beschloss, ins Bett zu gehen.
Was für ein erfolgreicher Abend. Wer brauchte schon echte Menschen um sich herum?