Veröffentlicht: 13.04.2020. Rubrik: Historisches
Matzes Wandertag
Diese Geschichte gehört zu einem Geschichtenkranz rund um "Matze, das Findelkind" (nicht chronologisch geschrieben. Matze taucht als Baby und als Jugendlicher auf sowie handeln einige Geschichten von seinen Adoptiveltern, noch ehe sie ihn bei sich aufnehmen):
Dazu gehören folgende, auch hier eingestellte Geschichten:
Matzes Mutter
Das Findelkind
Brigitte
Ergebnisse liegen vor
Hugos Freundin
Matze verliebt sich
April 1977
Der Frühling hatte Einzug gehalten. Aus dem Klassenzimmerfenster sah man auf den dahin plätschernden Fluss und die an seinem Wegesrand blühenden gelben und blauen Blumen, von denen Matze nicht wusste, wie sie hießen, die ihm aber gefielen. Manchmal stellte er sich vor, er würde einen Strauß pflücken und ihn Elke überreichen. Dann würde sie ihm um den Hals fallen und dann.... Aber natürlich würde er sich das niemals trauen. Und vielleicht würde sie ihn nur auslachen.
Seit Silvester hatte er nichts mehr von Hugo gehört, der ihn damals darum gebeten hatte, sich um seine Freundin Elke zu kümmern, da Hugo "verschwinden" musste und auch mit Elke hatte er seitdem nicht mehr gesprochen. Manchmal sah er sie von weitem auf dem Schulhof, immer umringt von Freundinnen, und auch auf dem Weg zur Schule oder nach Hause war Elke nie allein, mindestens eine Freundin ging neben ihr. Sie hatte Matze ab und zu bemerkt und flüchtig gegrüßt; Matze grüßte ebenso flüchtig zurück, und weiter war nichts passiert. Es schien ihr wohl gut zu gehen, sie lachte oft mit ihren Freundinnen. Also bestand kein Grund, zu ihr zu gehen und ihr Hilfe wobei auch immer anzubieten. Matze begnügte sich damit, sie aus der Ferne zu betrachten. Das war immer noch besser als gar nichts.
An diesem Morgen verkündete Herr Brünn, Matzes Deutsch- und zugleich Klassenlehrer, seinen Schülern eine Neuigkeit.
„An unserem Wandertag morgen wird auch die 8 B teilnehmen. Frau Lieschen ist krank geworden und hat mich gebeten, ihre Klasse mitzunehmen."
„Schaffen Sie das denn mit so vielen Schülern, Herr Brünn?" warf Bruno, der immer den Klassenkaspar spielen musste, keck ein und die Klasse johlte laut los.
„Mach dir nur keine Sorgen, Bruno", antwortete Herr Brünn gelassen. „Meine Frau kommt auch mit." Frau Brünn war ebenfalls Lehrerin an der Realschule. Sie unterrichtete Mathematik sowie Erdkunde und war um einiges strenger als ihr Mann. Ein paar langgezogene „Oh"'s und „Ah"'s waren zu hören, auf die Herr Brünn nicht einging. „Wir schauen uns jetzt noch einmal die Frühlingsgedichte einiger unserer großen Dichter an", sagte er stattdessen und wandte sich der Tafel zu.
Matze saß wie vom Blitz getroffen auf seinem Stuhl. Die 8 B war Elkes Klasse. Auf den Unterricht konnte er sich nun nicht mehr konzentrieren und hielt es vor Unruhe kaum noch auf seinem Platz aus.
„Ich freu mich schon auf die heißen Miezen morgen", flüsterte sein Sitznachbar Karl-Heinz, der ein Jahr älter war als er und auch zu Hugos Clique zählte, ihm grinsend zu. „Ist nicht auch die Alte von Hugo in der 8 B?"
„Keine Ahnung. Ist mir auch egal", gab Matze zurück. „Und heiß finde ich von denen gar keine."
„Stimmt, du hast davon ja keine Ahnung. Bist ja sicher noch Jungfrau", zog Karl-Heinz ihn auf.
„Ich hab eine Freundin!" Matze wusste selbst nicht, warum ihm diese Lüge rausrutschte.
„Na, die hast du aber gut versteckt. Ich hab dich jedenfalls noch nie mit einer gesehen."
„Na und? Geht dich ja auch überhaupt nichts an..... "
„Matze, Karl-Heinz, Ruhe dahinten!" Herr Brünn klopfte mit den Fingern auf das Pult. „Ihr könnt euch nach dem Unterricht unterhalten."
Doch danach stand Matze der Sinn wirklich nicht, auch wenn Karl-Heinz später einlenken wollte.
„He, Roter, ich hab's vorhin nicht so gemeint. Ist ja schön für dich, wenn du eine Freundin hast."
„Ja, sie ist echt toll." Ehe Karl-Heinz weitere Fragen stellen konnte, machte er sich nach der Schule so schnell wie möglich aus dem Staub.
Beinahe hätte Matze am nächsten Tag verschlafen. Erschrocken sprang er aus dem Bett, als seine Mutter um halb acht an seine Zimmertür klopfte.
„Wo bleibst du denn? Es ist schon spät, ihr habt doch Wandertag! Nicht dass die ohne dich gehen!"
„Ich beeil mich!" In rasender Eile putzte er sich die Zähne, zog sich an und fuhr sich mit dem Kamm durch das rote Haar. Dann stürzte er aus dem Haus und kam gerade noch rechtzeitig zum vereinbarten Treffpunkt. Alle anderen sowie die beiden Lehrer waren bereits da.
„Da bist du ja endlich, Matze", empfing Frau Brünn ihn ungnädig. „Wir warten nur auf dich."
„Es ist doch gerade erst zwei Minuten vor acht", mischte sich eine helle Mädchenstimme ein. Matze drehte sich um und sah Elke geradewegs ins Gesicht. Sie lächelte ihn an und ehe er selbst wusste, was er tat, ging er auf sie zu und stellte sich wie selbstverständlich neben sie. Karl-Heinz, der weiter weg stand und ihn winkend zu sich dirigieren wollte, übersah er geflissentlich.
„So, seid ihr dann endlich alle soweit? Ich zähle mal durch", war Frau Brünns Stimme zu hören. Sie zählte laut insgesamt 51 Schülerinnen und Schüler und dann setzten sich alle in Marsch. Es ging durch Wald und Wiesen und Matze konnte sein Glück kaum fassen - er war tatsächlich an Elkes Seite!
„Was hast du eigentlich so getrieben seit Silvester?" fragte sie ihn.
„Nicht viel", antwortete er, eine ziemlich lahme Antwort, wie er selbst fand.
„Warum bist du nicht mal vorbei gekommen? Hugo hat doch gesagt, du solltest dich um mich kümmern." Sie lachte.
„Naja, ich wusste nicht.... Ich dachte, du würdest mir dann Bescheid sagen. Was macht Hugo eigentlich? Hast du was gehört?"
„Ich glaube, er ist in Amsterdam. Aber genau weiß ich es nicht. Ich habe nur ein paarmal mit ihm telefoniert. Eigentlich ist das alles ziemlich anstrengend und ich sehe ihn so gut wie nie ..." Elke hob die Arme hoch und ließ sie wieder fallen. „Vielleicht sollte ich besser mit ihm Schluss machen."
Matzes Herz tat einen Sprung. Hing Elke doch nicht so sehr an Hugo, wie er gedacht hatte?
„Ach, ist auch egal, muss dich ja nicht kümmern." Jetzt strahlte Elke ihn geradezu an. „Aber ich wollte dich noch was anderes fragen. Bist du gut in Mathe?"
„Auf jeden Fall besser als in Englisch." Matze lachte.
„Wir schreiben nächste Woche eine Klassenarbeit. Könntest du dafür mit mir lernen?"
„Klar!"
Während des Gesprächs waren sie hinter die anderen Schüler zurückgefallen. In einiger Entfernung waren sie noch zu sehen, an der Spitze Herr und Frau Brünn. Keiner sah zu ihnen hin. Matze blickte sich um: Auf der Wiese blühten Blumen. Blitzschnell bückte er sich, pflückte einen kleinen Strauß und überreichte ihn Elke. Sie nahm ihn erfreut an. „Danke, die sind hübsch!"
Dann herrschte Schweigen, bis Elke wieder sprach.
„Matze..... bist du in mich verliebt?"
Matze schaute betreten auf den Boden. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Auf einmal spürte er, wie sein Gesicht angehoben wurde und dann spürte er einen leichten Kuss auf seinen Lippen.
„Ich mag dich auch", sagte Elke und ehe er noch antworten konnte, hörten beide lautes Rufen: „Matze! Elke! Wo seid ihr?"
Elke formte die Hände vor ihrem Mund zu einem Trichter und rief hinein. „Wir kommen!" Dann zog sie Matze an der Hand. „Los, ehe die noch einen Suchtrupp nach uns schicken!"
Hand in Hand liefen sie los. Erst als sie die anderen fast eingeholt hatten, ließ Elke Matzes Hand los.
„Wie war der Wandertag?" fragte Matzes Mutter am Abend.
„Ach, wie immer...ziemlich langweilig." Matze hatte nicht vor, sein wunderbares Geheimnis zu teilen.
Brigitte strich ihrem Sohn übers Haar.
„Langweilig? Ja, das sind Wandertage meistens."