Veröffentlicht: 20.10.2017. Rubrik: Persönliches
Post von der Knef.
Post von der Knef.
Es war die Entwicklungsphase, als man allmählich in das Stadium der Halbwüchsigkeit kam. Die Zeit, als wir auf freien Plätzen unsere Ballspiele absolvierten, war vorbei. Die Spiele, "Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer und Bettelmann" waren nicht mehr aktuell. Da stellte sich jeder in einen Kreis, den man um sich herum aufgezeichnet hatte. Wer zu spät den begehrten, höheren Namen rief, musste zu guterletzt als Bettelmann in seinen Kreis hinein. Man versuchte, mit geschickten Ballwürfen den Konkurenten aus seinem Kreis zu bewegen, denn es war Ziel, den Ball wieder an sich zu nehmen. Befand sich derjenige gerade ausserhalb seines Kreises, versuchte man schnell diesen besseren Standort einzunehmen. Nun hingegen hatten sich aber einige Dinge geändert. Ein Spiegel wurde immer wieder mal gerne zu Rate gezogen, ob die Frisur auch korrekt war, ob der Scheitel akkurat gezogen war. Man achtete auf gewisse Dinge, die bislang überhaupt nicht von Bedeutung waren. In der Schulklasse wurden immer öfter die Namen von Filmstars, von Leinwandgrössen erwähnt. Mir waren einige dieser Namen auch geläufig, denn zu dieser Zeit waren Kinobesuche schon angesagt. Es waren
jedoch immer nur die Vorstellungen am Nachmittag. Abends wurden häufig Filme gezeigt, die meiner Altersgruppe noch verwehrt waren. So stand man eben vor den Schaukästen, in denen diese, noch unerlaubten Filme als Vorschau angezeigt waren, um sich die Nase daran platt zu drücken. Der Weg zur Schule führte morgens in der Regel immer am Kino vorbei, besonders an den Tagen, wenn es einen Programmwechsel gab. Unsere Diskussionen darüber, wie man sich hätte älter machen können, scheiterten immer wieder an der Tatsache, ...dass man in einer kleinen Stadt lebte, und Erna Pfau, die Dame, die am Eingang zum Kinosaal die Eintrittskarten kontrollierte, einfach jeden von uns kannte. Es war Anfang der 50iger Jahre, als der Film "Die Sünderin" in die Kinos kam. Es war Hildergard Knef, die uns Jungen in ihren Bann zog. Die Begleithefte zu diesem Film konnten wir für einen Groschen an der Kinokasse immerhin erwerben. Die weithin erfolgten Skandalberichte in dieser Zeit zu diesem Film, machten alles noch reizvoller. Einige wenige Mitschüler, konnten sich sogar damit hervorheben, indem sie ein Adressbüchlein angelegt hatten, worin die Anschriften von zahlreichen Filmstars verzeichnet waren. Woher sie jedoch diese Adressen hatten, das war mir immer unerklärlich. Auffallend war allerdings, dass alle italienischen Stars immer in Cinecitta oder Via Appia in Rom wohnten. Eines Tages bot ich morgens vor Unterrichtsbeginn solch einem Adressenbesitzer, grosszügig die Lösung der Rechenaufgaben an, aber als Gegenleistung sollte er mir die Adresse von der Knef geben. Ich war fest entschlossen, an den Leinwandstar zu schreiben, um ein Foto mit Unterschrift zu erhalten, um ein Autogramm zu bitten. Es dauerte einige Zeit, denn bislang hatte ich nicht einmal Kenntnisse, wie ich mich in solch einem Fall in einem Anschreiben formulieren sollte. Durfte ich vielleicht "Liebe Frau Knef " schreiben? Nein, das war sicher nicht passend, dachte ich mir. Es war wohl angebracht, mit "Sehr geehrte... zu beginnen. Immer wieder wurde ich gefragt, ob ich denn schon geschrieben habe, bis ich eines Tages den Brief an die Knef abgesandt hatte. Es bedurfte allerdings einiger Aufwendungen, um ein korrektes Stück Papier zu erstellen. Das begann damit, zunächst einmal zahlreiche Schriftproben zu fertigen, denn was ich aus meinem Füllfederhalter heraus brachte, das war ein übermässig gekünstelt wirkender Versuch der Schönschrift. Dabei wurde mein Schreibheft mit den vorgezeichneten Linien, bei jedem neuen Versuch zunehmend schmaler, wenn ich wieder eine neue Seite heraustrennte. Meine Verehrung der künstlerischen Leistung konnte ich aber nur auf einen anderen Filmstreifen begründen, der eben auch als jugendfrei deklariert war. Es war der DEFA-Film, ..Die Mörder sind unter uns. Nachdem der Briefumschlag mit der Anschrift versehen war, ging die Postille auf den Weg nach Potsdam-Babelsberg. Von nun an brachten mir die anderen interessierten Mitschüler täglich erneut besondere Aufmerksamkeit entgegen, denn ich hatte ja an einen Filmstar geschrieben. Es verging einige Zeit, doch schon die nächsten Tage liessen mich gleich nach Schulschluss mit dem Schlüssel zum Postkasten gehen, um erwartungsvoll in einen jedoch immer noch leeren Briefkasten zu schauen. Eines schönen Tages konnte ich aber schon aus der Entfernung erkennen, dass durch die Schlitze im Briefkasten etwas zu sehen war. Ich sah zum ersten Mal meinen Namen geschrieben, auf einem Briefumschlag. Ich Moment spürte ich deutliches Herzklopfen, denn das war ein Brief in Handschrift gehalten, der an mich adressiert war. In grosser Anspannung zog ich mich an einen stillen Ort zurück und öffnete den Umschlag. Ich hielt nun tatsächlich ein Foto in Postkartengrösse von Hildegard Knef in meinen Händen. Es war offenbar ein Foto, dass nicht aus einem ihrer Filme übernommen war, sondern irgendwie extra für solche Autogrammwünsche hergestellt worden ist. Das Wertvollste war jedoch, die eigene originale Handschrift, mit lieben Grüssen, und dann folgte der Namenszug. Es war freilich eine ausgeschriebene Handschrift, aber immerhin doch gut lesbar. Der nächste Schultag war dann die Krönung, als ich mit dem Bild der Knef
aufwarten konnte. Das Foto ging buchstäblich durch alle Hände, begleitet von Äusserungen des Erstaunens, bis hin zu den Worten, dass hätte man nun doch nicht erwartet. In den folgenden Jahren liess die Verehrung der Filmstars aber deutlich nach, es waren andere Dinge des Lebens, die zu meistern waren. Ich bin nicht mehr im Besitz dieser Autogrammkarte, obwohl es heute möglicherweise einen erheblichen Sammlerwert bedeuten könnte.
Aber dennoch, ich hatte Post von der Knef.
Ende