Veröffentlicht: 19.01.2020. Rubrik: Satirisches
Dudenverfolgung
General Kraft von den Substantiv-Sturmtruppen, den SS, legte mit einem Grinsen einen Stapel von Marschbefehlen auf seinen Schreibtisch, als es an der Bürotür klopfte.
„Heil Hauptwort, Herr General!“, grüßte Oberst Stein, trat ein und nahm Haltung an.
„Heil Hauptwort, Herr Oberst! Haben sie alle Adjektive erwischt?“
„Jawohl, Herr General! Einige von ihnen haben zwar noch versucht sich in Kellern, oder auf Dachböden zu verstecken, aber wir konnten sie fassen und mit ihrer Deportation beginnen.“
„Also sind die Adjektive nun auf dem Weg in die Lager?“, versicherte sich der General.
„Jawohl, Herr General Kraft.“
„Dann sind wir diese Unterworte also los? Das wurde aber auch Zeit!“
„Jawohl, Herr General, die Reinheit der Sprache ist nicht mehr in Gefahr“, nickte Stein.
„Die Reinheit der Sprache ist zu jeder Zeit in Gefahr, Herr Oberst!“ Kraft warf sich in die Brust.
„Dann kommen Montag mit Sicherheit die Verben an die Reihe, oder Herr General?“, tippte Stein.
„Nein, Oberst, denn zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass wir die Verben brauchen, auch wenn dieses Eingeständnis mein Herz mit Scham erfüllt!“
„Aber wozu brauchen wir die Verben denn, Herr General? Wir Substantive sind doch die Herrenworte in dieser Sprache.“
„Da sprechen sie die Wahrheit, Oberst, der Beweis dafür ist ja schon unsere Großschreibung, oder nicht? Verben sind in der Tat nur Unterworte, aber sie sind trotz ihrer Minderwertigkeit von Nutzen für uns.“
„Was denn für ein Nutzen, Herr General?“
„Denken sie doch mal nach, Oberst! Wie nennen die Kinder in der Grundschule die Verben?“ Der General stierte Stein an.
„Ähh... Tu-Worte, Herr General?“ Unsicherheit lag in seiner Stimme.
„Und warum ist das so?“, brüllte General Kraft und schlug auf seinen Schreibtisch.
„Also, ich denke weil...“, der Oberst stockte.
„Na, weil die Verben etwas tun, Oberst, verstehen sie das denn nicht? Sie sind Arbeiter, die mit Tatkraft und Fleiß Dinge verrichten und Taten vollbringen. Ihre Wichtigkeit besteht darin etwas in Bewegung zu setzen. Selbst wir, die Substantive, also die Elite der Worte, die Goldmünzen im Wortschatz, sind auf die Verben angewiesen.“, belehrte ihn Kraft.
„Aber auf die Adjektive nicht?“, der Oberst runzelte die Stirn.
„Nein, das versuche ich ihnen ja zu erklären! Ganz im Gegenteil, ging von den Adjektiven zu jeder Zeit sogar eine Gefahr aus! Diese Sprachschädlinge sind ein Übel, dessen Wurzel wir mit aller Härte ausreißen müssen!“, schrie der General.
„Weil die Adjektive...“, setzte Stein an.
„Weil die Adjektive einer Ausschmückung der Sprache dienen, die wir nicht tolerieren dürfen, Herr Oberst! Wo kämen wir denn hin, wenn jeder so sprechen und schreiben dürfte, wie ihm der Schnabel gewachsen ist? Am Ende noch so wie einer dieser Maler, die ihre Farben mischen und ihren Motiven Formen wider ihrer Natur geben, weil sie meinen etwas aussagen zu müssen, was? Wissen sie wie man so ein Verhalten nennt? Man nennt es Individualität und die Individualität...“ Der General nutzte die Kunstpause um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
„Die Individualität...“, versuchte Stein dem General auf die Sprünge zu helfen.
„...ist der Feind!“, schrie der General.