Veröffentlicht: 03.01.2020. Rubrik: Satirisches
Teuflische Träume
Der Mond schien auf das kleine Bettchen, die blonden Zöpfe des schlafenden Mädchens glitzerten im sanften Licht. Ihren flauschigen Schmusehasen Konrad im Arm, begann sie zu träumen. Mit einem leisen Seufzen bewegte sie den Kopf und ein glückliches Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht. In ihrem Traum lief sie zu der großen Schaukel auf dem riesigen Spielplatz und Mama stieß sie sanft an. Immer höher und höher schwang sie und genoss das lustige Kribbeln in ihrem Bauch. Das Mädchen gluckste fröhlich, kuschelte sich zufrieden in das blütenweiße Kissen und drückte Konrad noch etwas fester an sich. Mit gleichmäßigen Atemzügen schlief sie tief und friedlich weiter... mit einem heiseren Schrei wachte Krabbacouk auf.
Schwer atmend stemmte der Dämon sich auf dem morschen Knochenhaufen, der ihm als Schlafstätte diente, hoch. Bei allen Teufeln, diese schrecklichen Alpträume wurden ja immer schlimmer. Krabbacouk fuhr sich mit seinen sechs Klauenfingern durch das hässliche Reptiliengesicht. Jetzt verfolgten ihn schon glückliche kleine Mädchen im Schlaf, was kam denn noch? Ein Schauder lief durch Krabbacouks aufgedunsenen Leib und ätzender Schweiß spritzte von seinen ledrigen Schwingen und klatschte in dicken Tropfen an die Höhlenwand hinter ihm. Er schüttelte stöhnend seinen gehörnten Schädel. Nacht für Nacht diese grauenhaften Träume, wie hatte es nur so weit kommen können?
Krabbacouk, Abteilungsleiter im Alptraumministerium des dritten Höllenkreises, hatte sich vom kleinen Brusthocker, einem Nachtmahr im Außendienst, unerbittlich und unaufhaltsam nach oben gearbeitet. Vor seinen Alpträumen war niemand sicher gewesen. Krabbacouk hatte selbst die schlimmsten der Schlimmen klein gekriegt und galt schon bald, als der Spezialist für die richtig schwierigen Fälle. Zu recht!
Wenn er den Menschen Alpträume brachte, bekamen Werbefachleute vom lügen nässenden Ausschlag im Gesicht, Generäle wurden von weißen Tauben zu Tode gehackt, Populisten hörte niemand - ganz egal, wie dumm, oder besoffen er auch war – mehr zu, Finanzbeamte mussten eine Rückzahlung nach der anderen anweisen, bevor sie lebendig unter einem Berg vollkommen korrekt ausgefüllter Steuererklärungen begraben wurden. Politessen liefen sich die Füße blutig, weil sie dort, wo sie sich ausruhen wollten, nicht halten durften. Den Vorstandsvorsitzenden eines Rüstungskonzerns hatte er mit nächtlichen Visionen von immer währendem Weltfrieden fast in den Selbstmord getrieben.
Aber das war einmal. Es war vorbei und diese glanzvollen Zeiten lagen weit zurück. Inzwischen erstickte Krabbacouk selbst unter einer Lawine aus Anträgen, Dienstanweisungen und Geschäftsberichten. Autoritär formulierte Dekrete hetzten ihn gnadenlos zwischen Konferenzen, Tagungen, Personalgesprächen, und völlig sinnlosen Arbeitsgruppen hin und her. Inzwischen war jeder einzelne Arbeitstag ein endloser, sich aber trotzdem immer wiederholender, Albtraum für ihn!
Verzweifelt heulte Krabbacouk auf und giftgrüne Tränen rannen seine schuppigen Wangen herab. Es wurde einfach alles zu viel, diese ganze Verantwortung erdrückte ihn. Die Amtsleitung forderte inzwischen in seinem Zuständigkeitsbereich eine Marge von sechshundertsechsundsechzig Litern Angstschweiß. Pro Nacht, wohlgemerkt! Das war einfach nicht mehr zu schaffen. Krabbacouk fühlte sich völlig leer und ausgebrannt, ihm fiel einfach nichts neues mehr ein. Er würde erbärmlich versagen und sie würden ihn rausschmeißen! Aber nicht sofort, natürlich. Ganz langsam würde er degradiert werden, bis er höchstens noch zum Mindestlohn als unbedeutender Kitzler und Piekser in der Abteilung für Kleinstsünder und Eierdiebe arbeiten konnte. Seine schöne Höhle würde er verlieren und das nächste Hufballspiel in der Orkus-Arena würde er bestenfalls von einem Stehplatz aus ansehen können, denn seine schöne Loge könnte er sich dann natürlich nicht mehr leisten. Oh, wie würden sie ihn auslachen und hinter seinem Rücken tuscheln und kichern. Krabbacouk heulte erneut verzweifelt auf, als er an die heutige Vorstandsitzung dachte, denn seine Zahlen waren lausig. Oh, Satan, wie würden sie über ihn herfallen! Er vergrub sein Gesicht in den stinkenden Knochen und begann ganz erbärmlich zu schluchzen.
Mit einem lauten Aufschrei erwachte Krabbacouk nun wirklich und riss die Augen auf. Bei allen Teufeln, was für ein furchtbarer Traum. Er setzte sich heiser hechelnd auf und leckte sich mit der gespaltenen Zunge über die dünnen Lippen. Ja, gelegentlich hatte er wirklich viel zu tun und die Anforderungen stiegen immer weiter an, aber musste er wirklich Angst haben, dass ihm die Ideen ausgingen und er seine Kreativität verlor?
Ächzend erhob sich Krabbacouk von seinem Knochenhaufen, streifte seinen Morgenrock aus feinster Babyhaut über und schlurfte in seine Wohnhöhle. Die Dienstkobolde hatten den Frühstückstisch wie üblich schon gedeckt und die Morgenzeitung bereitgelegt. Beim Anblick der noch dampfenden Welpeninnereien hellte sich Krabbacouks Stimmung etwas auf. Er nahm Platz, goss sich saure Milch in den kalten Kaffee und löffelte Salz hinein. Ja, sein Job war schwer und verantwortungsvoll, aber hatte nicht jeder sein umgedrehtes Kreuz zu tragen?
Während er so schlürfte und schmatzte, blätterte er nachdenklich durch die Erden-Zeitung. Mit jeder einzelnen Schlagzeile wurde sein Lächeln etwas breiter, bis es drei Reihen spitzer Zähne enthüllte.
Nein, Krabbacouk musste sich wirklich keine Sorgen machen, soviel war sicher. Es gab immer reichlich Material für schlimme Träume und er würde noch für zahllose schreckliche Nächte sorgen, denn es mangelte den Menschen gewiss an vielen Dingen, aber Angst gehörte sicherlich nicht dazu.