Veröffentlicht: 23.11.2019. Rubrik: Fantastisches
Die Klopatrouille - K(l)eine Geschichte für Kinder
Es war so grauenhaft, noch nie hatte Max etwas schlimmeres erlebt. Was sich hier im Badezimmer zugetragen hatte war das absolute Grauen. Die brutale Wahrheit war wie eisiges Wasser in sein Gehirn gesickert und erreichte mit lähmender Unerbittlichkeit sein Herz, das sich anfühlte, als würde es von einer stählernen Faust zusammengepresst. Man hatte ihn zum schlimmsten gezwungen, was es überhaupt gab. Er hatte sich solange schützen können, hatte Ausreden erfunden, sich gewunden, gebettelt und gefleht, aber es war endgültig vorbei. Sein eigener Vater hatte zum Äußersten gegriffen und ihm sein Töpfchen weggenommen.
Wie gelähmt hatte Max auf dieses furchtbare Klo gestarrt. Drei Tage hatte er eingehalten, aber schließlich war alles vorbei, es gab kein Entkommen mehr. Seine Knie drohten nachzugeben und zitterten so unkontrollierbar, dass er sich kaum hinsetzen konnte. Die ganze Zeit hatte er durch seine Beine in dieses unheimliche Loch gestarrt und wäre fast von der Toilette gefallen, weil er am gesamten Körper schlotterte. Hier würde er also sterben, es gab keine Hoffnung mehr. Das furchtbare Klomonster würde ihn bestimmt jeden Moment Packen und in die unergründlichen kalten Tiefen ziehen, um ihn genüsslich zu fressen. Nie mehr würde er mit Nina zusammen spielen können, obwohl er sie doch so sehr mochte.
Dann, als der Druck am höchsten und nicht mehr auszuhalten war, spürte er einen eisernen Willen in sich aufkeimen.Ganz tief hatte er eingeatmet und sich vorgestellt er säße auf seinem guten, alten Töpfchen. Wie ein mutiger Held beim Angriff hatte er entschlossen geknurrt und seiner Angst getrotzt. Sollte dieses blöde Klomonster nur kommen. Er war ein großer Junge und würde tun, was getan werden musste! Plötzlich hatte es leise Platsch gemacht und Max reckte triumphierend seine Arme nach oben. Ein kleines Platsch für die Menschheit, ein großer Sieg für Max.
Nun saß er in der Badewanne und fühlte sich federleicht. Nicht nur im Bauch, sondern vor allem in seinem Herzen. So lange hatte die Furcht ihre kalte Hand darum gekrallt, aber jetzt war es frei. Nie, nie mehr würde er Angst vor der Toilette haben und vor anderen Dingen schon mal gar nicht! Er wusste es jetzt ganz genau, es gab keine Monster im Klo! Genauso wenig, wie es ja auch keine Monster im Kleiderschrank, oder unter dem Bett gab. Er war jetzt Max der Held, ein ganzer Kerl und jeder Herausforderung gewachsen. Er konnte es kaum erwarten seiner Freundin Nina davon zu erzählen, denn sie ging schon einige Monate nicht mehr aufs Töpfchen und jetzt konnten sie endlich richtige Heldenfreunde sein.
Max spürte plötzlich ein Prickeln an seinen Füßen und viele kleine Luftblasen stiegen auf. Ein winziges Periskop schob sich mit einem Surren aus dem Wasser und schwenkte langsam hin und her. Es drehte sich nach rechts, verharrte dann kurz, richtete sich ruckartig wieder nach links und verharrte auf Max. Begleitet von noch mehr Blasen stieß ein U-Boot von der Größe eines Schuhs an die Oberfläche des schaumigen Badewassers.
Mit einem leisen Pling wurde eine Luke aufgestoßen und ein kleines Männlein mit einer schicken Uniform hievte sich ächzend an Deck. Es sah sich erstaunt um, dann seufzte es verzagt auf und brüllte los.
„Dannewitz!!!“
„Was gibt es denn, Kapitän?“ Ein zweites Männlein schob sich aus der Luke. Es trug einen Matrosenanzug und eine viel zu große Pudelmütze.
„Sagen sie mal Dannewitz, könnte es ganz eventuell sein, dass sie vielleicht ein klein wenig falsch abgebogen sind? Ich frage einfach mal so“, erkundigte sich der Kapitän lauernd.
„Wie kommen sie denn da drauf, Kapitän?“
„Weil das hier so gar nicht nach einer Toilette aussieht, Dannewitz.“
„Ähh, die Toilette ist da...“, sagte Max vorsichtig und zeigte nach rechts.
Der Kapitän reckte den Hals um über den Wannenrand blicken zu können.
„Mannomann Dannewitz, wo haben sie eigentlich navigieren gelernt?“
„Kapitän, ich könnte schwören, dass...“, setzte Dannewitz zu einer Erklärung an.
„Und ich könnte schwören, dass sie die größte Pfeife der gesamten Truppe sind, Dannewitz!“
„Was machen sie denn hier?“, wollte Max wissen.
„Wie jetzt, was wir hier machen? Wir sind von der Klopatrouille, wurden wir denn nicht angekündigt?“
„Nein... und warum sind sie dann in unserer Badewanne?“
„Also meiner Meinung nach, weil die Eltern von Dannewitz Geschwister waren. Ist aber nur so eine Theorie von mir. Nichts für ungut, Junge, wir fahren dann mal rüber zum Klo, sollte Dannewitz heute noch den richtigen Weg finden.“ Der Kapitän schüttelte resigniert den Kopf und wandte sich zur Luke um.
„Ich saß da vorhin drauf“, verkündete Max stolz. Der Kapitän erstarrte mitten in der Bewegung und fuhr dann erschrocken herum.
„Du hast dich auf die Toilette gesetzt, Junge?!“, fragte er mit weit aufgerissen Augen.
„Na klar, ist doch ganz normal“, gab Max ein bisschen an.
„Bist du denn vollkommen wahnsinnig, Junge? Dannewitz, haben sie das gehört?“
„Unfassbar, Kapitän! Dannewitz schüttelte den Kopf.
„Was ist denn schon dabei? Das ist doch kinderleicht.“ Max warf sich in die Brust.
„Mein Junge, hier im Haus treibt ein Klokraken sein Unwesen“, der Kapitän hob warnend den Zeigefinger.
„Ein Klokraken? Was ist denn das?“ Max machte große Augen.
„Du kennst keine Klokraken, Junge? Calamari Tubus Fäkalis, wie wir Fachmänner sagen? Gemeine Mistviecher! Die warten nur darauf, dass jemand dumm genug ist seinen Hintern auf ein Klo zu schwingen und dann Zack!, weg ist er. Die sind sehr hungrig, diese Klokraken, weißt du?“
„Meine Freundin Nina geht schon lange aufs Klo, aber davon hat sie mir noch nie erzählt“, entgegnete Max misstrauisch. Dennoch blickte er etwas besorgt zur Toilette.
„Sag mal, Junge, diese Nina... wohnt die zwei Stockwerke höher?“, fragte der Kapitän vorsichtig.
„Ja... schon“, stutzte Max.
„Blonde Haare mit bunter Schleife und so?“, vergewisserte sich das Männlein weiter.
„Ja...“
„Mensch Kapitän, das klingt ja nach der Leich...“, rief Dannewitz aus, wurde aber vom Kapitän unterbrochen.
„Schnauze Dannewitz, haben sie denn überhaupt kein Feingefühl? Lassen sie lieber mich das machen.“
„Klingt jedenfalls ganz nach dem, was wir da im Wasser gefunden haben.“ Dannewitz zwinkerte dem Kapitän verschwörerisch zu.
„Tja, da habe ich jetzt eher schlechte Nachrichten für dich, mein Junge... die Nina, die...ist umgezogen...für immer. Schade, aber was will man machen, was?“, der Kapitän wechselte noch einen beklommenen Blick mit Dannewitz, als es plötzlich in der Toilette zu blubbern begann. Max starrte hinüber und spürte sofort wieder ein Kneifen im Bauch. Etwas kam da im Klo nach oben! Das Blubbern wurde lauter und langsam streckten sich vier dicke grüne Tentakel empor. Das Badewasser wurde untenrum etwas wärmer und gelber.
„Da! Da bläst er, Kapitän!“, schrie Dannewitz.
„Worauf warten sie dann noch, Dannewitz? Hinterher!“ Die Beiden Männchen sprangen durch die Luke und knallten sie zu.
Unruhig zuckend tasteten die schleimigen Fangarme, an denen hie und da weiße Klopapierfetzen hingen, über den Toilettensitz. Nach einigen endlosen Momenten zogen sie sich zurück und verschwanden mit einem erneuten Blubbern in den Tiefen des Abwasserrohres.
„Was...?“ hauchte Max mit erstickter Stimme und wollte sich wieder an die beiden U-Bootfahrer wenden, sah aber nur noch einige Luftblasen aufsteigen. Die Klopatrouille war verschwunden.
Max stieg steif aus der Wanne und wankte wie in Trance in sein Kinderzimmer. Er plumpste mit starrem Blick aufs Bett, der kalte Schweiß brach ihm aus und er begann zu zittern, als ein weiteres Männlein auf seine Matratze hüpfte und grüßend die Hand hob. Es trug eine Soldatenuniform, einen Helm mit Stirnlampe und schulterte ein winziges Gewehr.
„Mahlzeit Junge, schön dass ich dich noch erwische. Hör mal, ich mache jetzt Feierabend, aber ich kümmere mich morgen um das Wollmauskrokodil da unten, okay? Den Kinderfresser im Kleiderschrank übernimmt dann nächste Woche mein Kollege, wird schon nichts passieren. Gute Nacht Kleiner, schlaf schön!“
Max rollte sich zu einer Kugeln zusammen, steckte die Faust in den Mund und begann leise zu wimmern.