Veröffentlicht: 25.02.2025. Rubrik: Menschliches
Der Sänger auf der Autobahn
Ich bin mit meinem Wagen auf der Autobahn unterwegs, als der Verkehr plötzlich ins Stocken gerät und schließlich komplett zum Stillstand kommt. Nichts geht mehr. Nach einigen Minuten höre ich von weitem ein Martinshorn. Aha, ein Unfall, überlege ich und öffne die Fenster meines Wagens komplett. Es ist ein warmer Tag und die Luft im Innenraum erhitzt sich schnell. Einige Autofahrer sind ausgestiegen. Manche zünden sich eine Zigarette an und starren missmutig vor sich hin. Andere kommen hitzig ins Gespräch und machen ihrem Unmut Luft. Sie ärgern sich über den Stau und dass sie nun zu spät ihr Ziel erreichen werden.
Auch der Fahrer vor mir hat sein Fahrzeug verlassen. Kurz betrachtet er die Fahrbahn in beide Richtungen. Autos, so weit das Auge reicht.
Dann bückt er sich und holt aus dem Fond seines Wagens eine Ukulele und einen kleinen roten, runden Gegenstand, den er sich auf die Nasenspitze drückt. Er steigt auf das Dach seines Wagens und lässt sich dort im Schneidersitz nie-der. Dann beginnt er das Lied `Don´t worry, be happy` von Bobby McFerrin zu singen, begleitet von der Ukulele. Immer und immer wie-der.
Die hitzigen Gespräche verstummen. Verwunderte Blicke treffen den Sänger. Die Gesichtszüge der Menschen entspannen sich langsam. Nun steigen auch andere aus ihren Fahrzeugen, um zu schauen, was da los ist. Viele beginnen zu lächeln und nach und nach stimmen immer mehr Menschen ein und singen mit. Konzentrische Kreise der Harmonie, Leichtigkeit und Lebensfreude, begleitet von Musik, strömen über die Autobahn, berühren die Wartenden.
Als sich der Stau nach einiger Zeit anfängt aufzulösen, erfahre ich von dem Sänger mit der roten Nase, dass er als Klinikclown arbeitet. Sein Tun hat mich tief berührt.
Beschwingt setze ich, leise vor mich hin summend, meine Fahrt fort. Das Lied ist ein echter Ohr-wurm! Ich bin erfüllt von diesem wundervollen Erlebnis. Was für ein Geschenk!
Zu Hause angekommen, erzähle ich nicht von einem Stau, in dem ich stundenlang genervt gestanden habe. Nein, ich berichte, mit vor Begeisterung strahlenden Augen, von dem Sänger auf dem Autodach, wie er die Menschen berühren konnte und welche Veränderung er dadurch bewirkte.
Meine Erzählung berührt nun auch die Zuhörer, lässt sie teilhaben an dieser wundervollen Begebenheit.
Ich denke, dass andere Autofahrer ähnlich gehandelt haben.
Zumindest hat das Geschehene ihre Herzen berührt.
Die konzentrischen Kreise konnten sich weiter ausbreiten und Freude, Leichtigkeit und Lebensfreude in die Welt tragen.
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Dies ist eine Geschichte aus dem Buch "Herzens-Begegnungen im Alltag", das überall im Buchhandel erhältlich ist.

