Kurzgeschichten-Stories
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2xhab ich gern gelesen
geschrieben 2018 von GeschtenMaus.
Veröffentlicht: 12.11.2018. Rubrik: Menschliches


Shotgun Jane

Calamity Jane (eng. „Katastrophen-Jane“), eigentlich Martha Jane Cannary Burke, (* vermutlich 1856 in Princeton, Missouri † 1. August 1903 in Terry bei Deadwood, South Dakota) war eine US -amerikanische Wild-West-Heldin.


- Quelle: Wikipedia

Shotgun Jane

1
„Ich weiß, die Cowboys würden es nie verstehen, eben so wenig wie die Sheriffs und die ganzen feinen Damen. Es ist nicht leicht als Frau im Westen sich den umbarmherzigen Regeln der Zeit zu unterwerfen. Als Mann, ja, da hat man es leichter. Das weiß auch Calamity Jane.“

Die Worte, die sie zu Papier bringt, kommen aus dem tiefsten Winkel ihres Herzens, doch würde sie es nie wagen, das zu tun, was Calamity Jane tut. Sie würde es niemals wagen in Männerkleidern in einen Saloon zu gehen und sich zu betrinken, zu rauchen oder auch nur einen Fluch auszusprechen. Sie sitzt in ihrem Haus und träumt, ja, hier ist alles in Ordnung, wenn sie alleine vor dem Spiegel steht in ihrer Wildlederjacke, ihren Stiefeln und ihrem Hut und unaufhörlich den Umgang mit dem Gewehr übt. Mit den Sachen, die ihrem Vater einst gehört hatten. Ja, das ist in Ordnung, aber draußen, in der echten Welt …
Ihr fällt ein, dass sie noch einkaufen muss und all die Dinge tun muß, die man zu erledigen hat. Also raus auf die Straße, um sich den Pflichten zu widmen, um die man nicht herumkommt.

„Guten Tag Ma’am“, sagt die Verkäuferin.
„Oh, guten Tag“, antwortet man wohlerzogen, „ein herrlicher Tag heute, was?“
„Ja, heute scheint endlich mal die Sonne, hätten Sie zufällig…“
„Ma’am?“ sagt ein Cowboy beim Vorbeigehen und steuert einen Saloon an. Aber was wäre, wenn…? Was wäre, wenn sie in den Saloon gehen würde? Sie bezahlt und steht schließlich vor der Schwingtür, sie hört Musik und Gelächter.
„Hey, was ist denn jetzt?“, sagt eine Stimme hinter ihr, „wollen Sie rein?“ Sie fährt zusammen und dreht sich zu der Stimme um. Sie sieht einen großen Kerl mit Revolver an der Hüfte. Sie entschließt sich dazu, solche Träume in Zukunft nur noch in ihren eigenen vier Wänden auszuleben und flüchtet. Sie sieht nicht, dass der Cowboy ihr kopfschüttelnd nachschaut.

„Aber es ist nicht die ganze Wahrheit über sie…“ Nein, ist es nicht. Sie ist ein Mythos, das ist auch nicht die ganze Wahrheit, aber spielt das eine Rolle, wenn sie einen Teil, und sei es auch nur ein ganz kleiner, dessen verkörpert, was sie gerne wäre? Und überhaupt, wozu schreibt sie das alles? Draußen wird es laut.
„Komm doch her wenn du dich traust!“, ruft eine betrunkene Stimme, „wir regeln dass gleich hier!“
„Du bist betrunken, Earl!“, ruft eine andere. Dann fällt ein Schuss, nach einer Pause folgt ein zweiter. Danach kehrt wieder Ruhe ein. Im Grunde ist es wahr: niemand würde sie verstehen, wer will schon zu so einer Bande gehören wollen? Und das auch noch freiwillig? Sie erinnert sich daran, daß eine Bande Gesetzloser schon seit geraumer Zeit den Westen unsicher macht, die Clarance Bande. Doch es sollte noch Jahre dauern, bis sie ihre Chance bekommen würde.


2

Es ist ein Tag wie jeder andere, nur das es diesmal sehr regnerisch ist. Sie erledigt die Dinge, die manche als Alltag und andere als eintönige, deprimierende Routine betrachten: in der Stadt einkaufen, Freunde treffen und sich über Gott und die Welt unterhalten und den üblichen Tratsch mitbekommen, den sich die Leute so erzählen. Jetzt steht sie bei zugezogenen Vorhängen wieder vor dem Spiegel und übt. Inzwischen beherrscht sie den Umgang mit dem Gewehr wie ein Mann.
Sie hört draußen auf der Straße heraneilende Reiter, Rufe und Schüsse. Sie späht nach draußen und sieht fünf Cowboys an ihrem Fenster vorbeireiten und weiß sofort, daß es die gefürchteten Banditen sind, von denen die ganze Stadt spricht. Nur wo wollen sie hin? Was machen sie hier und warum sollten sie ausgerechnet ihr zuhören? Vielleicht weil ich überzeugend rüberkomme, überlegt sie. Ja, das tut sie.
Sie muss daran denken, daß ihr Vater, der leider im Duell gestorben war, sie oft hatte auf seinem Pferd reiten lassen, als sie noch ein kleinen Mädchen war. Später, als sie größer wurde, hatte sie von ihm Schießunterricht erhalten. Doch reicht das aus, um fünf hart gesottene Kerle, die wahrscheinlich nichts anderes als Morden und Davonlaufen kannten, zu beeindrucken? Wohl kaum. Sie beginnt allmählich zu glauben, daß es keine Möglichkeit gibt, ihren Traum von einem freien Leben, wie auch immer es aussehen mochte, zu leben.
Was hätte Calamity Jane an ihrer Stelle getan? Sie beschließt ihrem Beispiel zu folgen und in den Saloon zu stürmen, in dem die Bande sitzt, wenn sie nicht auf der Durchreise ist.
Sie, die einst Mary Jane Thomson war, ist fest entschlossen, die Männer zu finden, die als die berüchtigtsten Räuber des Westens gelten.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie den Saloon findet, in dem die fünf Männer sich aufhalten, trinken und spielen, aber keine zehn Sekunden, bis die Männer den seltsam aussehenden Cowboy entdeckten, der sich von hinten anzuschleichen versucht. Einer der Männer springt auf und will schon seinen Colt ziehen, doch sie kommt ihm zuvor.
„Wer bist du?“, fragt er.
„Unwichtig“, entgegnet sie. Der Kerl, der aufgesprungen ist, fängt an zu grinsen.
„Das ist saudämlich“, sagt er, „du bist ein…“
„Ein was!?“, ruft sie, „sag’s mir ins Gesicht, wenn du dich traust!“
Die anderen im Saloon sind inzwischen aufgestanden, es herrscht Totenstille.
„Willst du mich erschießen?“
„Willst du es herausfinden? Dann komm nur“, fordert sie ihn auf.
„Na los doch, drück ab“, sagt er, „aber dann hast du keine Minute Ruhe mehr! Das garantiere ich dir!“
„Ich bin nicht hier um mir Drohungen anzuhören“, zischt sie.
„Weshalb dann?“
„Weil ich keine Lust mehr auf diese Stadt und ihre Leute habe. Ich habe es satt, nur eine Frau zu sein, und wenn ihr Kerle nach Verstärkung sucht, hier bin ich! Und wenn nicht, dann entschuldige ich mich für mein Verhalten.“
Der Mann schaut sich um.
„Du hast keine Angst von allen gehört zu werden, oder?“
Darauf folgt ein einziges „Nein.“ Und dann: „Also, wenn ihr von hier fortgeht, werde ich am Ende der Stadt warten. Ich werde nicht bis ans Ende meiner Tage hierbleiben. Die einzigen Orte, an denen ich sterben werde, ist der Galgen oder die Prärie und ich würde die Prärie vorziehen, wenn ich die Wahl hätte.“
Damit legt sie ihre Waffe auf den Tisch und lässt fünf verdutzte Männer und einen Saloon zurück, in dem es stiller ist als in einem Grab.

Es ist Nacht, als sie den Saloon verlassen und zu Ihren Pferden gehen.
„Ok, können wir?“
„Nein.“
„Warum nicht? Was ist?“
„Sie.“
„Was ist mit ihr?“
„Wir könnten noch jemanden gebrauchen.“ Ein Seufzen.
„Herr Gott, Bill, wir wissen doch gar nicht, ob wir ihr vertrauen können.“
„Können wir.“
„Und was macht dich da so sicher?“ Es klingt etwas gereizt.
„Du hast sie doch erlebt, Jeff“, entgegnet Bill.
„Ja, nein … Können wir das nicht woanders klären?“
„Gut.“ Bill schwingt sich auf sein Pferd, die anderen folgen seinem Beispiel.„Denk doch mal nach!“, ruft Bill. Sie müssen laut reden, weil sie im Galopp reiten.
„Mit diesem Selbstvertrauen und diesem Mut, den sie gehabt hat, als sie zu uns kam… Du kannst mir nicht erzählen, daß dich das nicht auch etwas beeindruckt hat!“
„Na gut, aber die Verantwortung trägst du, Bill!“
„Damit kann ich leben!“ Sie reiten dem Ende der Stadt entgegen.
Wie versprochen wartet sie dort auf die fünf Männer, die jetzt auf sie zugeritten kommen.
„Du willst also mit uns reiten?“, fragt der eine Reiter, der neben ihr angehalten hat. Seine Kumpane zügeln ebenfalls ihre Pferde.
„Ja“, sagt sie lächelnd.
„Nun gut. Ich hoffe, du hast auch so viel Selbstbewusstsein, wenn es drauf ankommt“, sagt der andere, es klingt skeptisch.
„Und du?“
„Ich hab was für dich.“ Derjenige, der als erster gesprochen hat, gibt ihr das Gewehr zurück, das sie im Saloon gelassen hatte.
„Wie heißt du überhaupt?“
„Calamity Jane“, erwidert sie immer noch lächelnd.
„Also gut, Calamity Jane, steig auf.“
Ab jetzt würden sie zu sechst über die Prärie reiten, auf Beutezug gehen und auf jeden schießen, der sich ihnen in den Weg stellt.

3

„Wir kommen ursprünglich aus Kentucky, aber man sucht uns dort und deshalb sind wir hier nach Texas gekommen.“ Sie sitzen um ein
Lagerfeuer und lassen den Whiskey herumgehen. Zwei von ihnen halten Wache.
„Darf ich dich mal was fragen?“ sagt Bill, „wieso brennt ein
Mädchen wie du ausgerechnet mit so Schurken wie uns durch?“
„Vielleicht weil das Mädchen nicht diejenige ist, für die es alle halten.“
„Für wen hält man sie denn?“ Bill schaut sie im Schein des Feuers an.
„Ich stamme aus einer guten, aus einer hoch geachteten Familie“, beginnt sie. „Ich hatte alles was man sich wünscht. Eltern die mich liebten, ein schönes Haus, eine gute Kindheit…“
„Und dann ist es dir zu viel geworden?“
„Ich war schon ein Teenager, als mein Vater starb. Ja, es wurde mir zu viel.“ Sie sieht zu Boden. Dann, nach einer Pause: “Ich heiße Mary Jane Thomson.“
„Mary!“, ruft Jeff, „nein, nein, nein. Mary klingt nicht gut!“ Sie sieht auf ihre Waffe, die sie in der Hand hält.
„Shotgun Jane?“ fragt sie.
„Schon besser, ich heiße übrigens Bill, und dass sind Jeff, Jim, Dexter und Parker.“
Am folgenden Tag reiten sie in Richtung Norden. Bill Clarence schlägt vor in die nächste Stadt zu reiten, um ihr ein Pferd zu besorgen.
„Kannst du reiten?“ fragt Parker.
„Ja, etwas!“, erwidert sie, „mein Vater hat mich als oft Kind reiten lassen. Nicht sehr überzeugend, ich weiß!“
„Aber du hast Erfahrung!“
„Ja!“
„Hör zu, Calamity Shotgun Jane, die nächste Stadt ist noch weit entfernt und wir werden wohl nicht vor morgen da sein! Hältst du es solange bei Bill aus?“, fragt Parker.
„Ich leg’ dich gleich um!“, warnt Bill scherzhaft, und dann zu Shotgun Jane: „weißt du, so sind die älteren Brüder, nehmen einen nicht ernst. Hast du Geschwister?“
„Nein!“
„Dann sei froh!“
Sie lacht. „Ja, aber es ist auch verdammt einsam!“
„Also eins ist klar!“ meint Bill, „obwohl mein Bruder so eine traurige Figur abgibt, hab ich ihn doch verdammt gern!“


Den Rest des Tages sagen sie fast nichts mehr. Ab und zu erlegen sie etwas Wild, von dem sie sich bei einer kurzen Rast stärken. Den Rest nehmen sie mit, kalt schmeckt es ebenso gut wie warm. Als es Abend wird reiten sie langsamer, dann, als die Nacht über sie hereinbricht, machen sie eine erneute Rast. Wieder mit Lagerfeuer, Wache und Whiskey.
„Wieso wart ihr solange in diesem Saloon ohne geschnappt worden zu sein?“ fragt sie.
„Weil ein alter Freund von uns dort Sheriff ist.“ Das ist Dexter, der antwortet.
„Und dass geht so einfach?“
„Wenn man der Schrecken des Westens ist schon“, lachen sie.
„Habt ihr keine Angst, daß sie euch erwischen?“
„Männer wie wir erwarten den Tod an jeder Ecke. Wir wollen nicht sterben, aber es macht uns auch keine Angst, wenn wir es doch tun.“ Sagt Bill.
„Wer Angst hat“, sagt Jim, „sollte lieber zuhause bleiben. Hast du Angst?“ Er reicht die Flasche an Jane weiter.
„Nein“, diese Antwort kommt ohne ein Zögern, „hatte ich nie. Noch nicht mal im Saloon!“ Sie trinkt einen Schluck und gibt die Flasche an Jim zurück.
„Wenn wir morgen da sind“, unterbricht Parker das Gespräch, „müssen wir schnell sein, Jane, du bleibst vorerst noch aussen vor.“
„Ich will helfen!“
„Gut, du und Bill, ihr steht Schmiere. Ich, Jim Dexter und Jeff besorgen das Pferd. Sobald wir rauskommen, sind wir weg.“
„Und wie kommen wir rein?“ fragt Jane.
„Wie immer“, entgegnet Parker, „wer sich uns in den Weg stellt, wird platt gemacht.“

Jim erinnert sich daran, dass es in der Nähe eine Eisenbahnlinie gibt. Er meint, wenn sie ihr folgen, würden sie irgendwann in die nächste Stadt kommen. Obwohl es ein gefährlichen Unterfangen ist, stimmen sie schließlich zu und am selben Abend machen sie sich auf den Weg.

Es dauert eine ganze Weile, bis sie die Bahnlinie finden. Jetzt folgen sie der Eisenbahn. Weil es natürlich gefährlich ist, sich zu dicht an den Schienen zu bewegen, halten sie einen gewissen Sicherheitsabstand, der gerade noch ausreicht, um die Bahnlinie im Auge zu haben. Immer bereit zu fliehen oder zu schießen.
„Ja, aber ich sag’ euch was. Die Zeiten mögen sich verändern, aber einige werden immer noch die alten bleiben!“ Sie waren gerade in einer hitzigen Debatte.
„Menschen, die sich anpassen können, haben es aber am Ende immer leichter!“ sagt Jane.
„Aber Dex hat recht!“ fügt Jeff hinzu, „einige sind nicht dazu gemacht sich…“
„Jetzt hör aber auf!“ ruft Parker.
„Okay, wie ist es denn mit dir?“ fragt Jeff, „kannst du’s?“ Stille. „Also nicht. Wenn Jane dass kann, okay. Aber du könntet dich genauso wenig anpassen wie ich.“
„Ich hab nicht gesagt dass ich das kann. Ich meinte bloß, dass es Menschen leichter haben die sich anpassen können!“
Es wird bereits hell als Dexter ruft: „Da ist die Stadt!“ Er zeigt geradeaus.
Der Rest geht schnell und eine halbe Stunde später sind sie um ein paar hundert Dollar, eine Satteltasche voller Proviant und ein Pferd reicher.


4

Es verging ein weiterer Tag, zwei und schließlich eine Woche. In dieser Woche sind sie nur dreimal knapp mit dem Leben davongekommen, es läuft also gut.
Jetzt sitzen die bei einem regnerischem Sonnenuntergang zwischen Felsen und lassen die letzte Hälfte von ihrem Whiskey herumgehen. Wieder wurden Wachen aufgestellt.
„Du schlägst dich gut“, bemerkt Parker, diese Bemerkung hat er an Jane gerichtet.
„Ich wollte immer frei leben, wie ihr.“
„Das hast du geschafft.“ Eine lange Pause entsteht.
„Parker?“
„Ja?“
„Bill sagte, ihr kommt aus Kentucky. Wie ist es da?“
„Schön“, sagt Parker, „sogar sehr schön. Wenn man nicht in der Stadt lebt. Das einzige Problem war, daß man nicht viele Chancen hat etwas zu machen.“
„Wir mussten uns entscheiden zwischen Kohlemine oder abhauen. Aber wohin?“, fügt Jeff hinzu, „und was konnten fünf Landeier aus dem Süden schon machen?“
„Und dann habt ihr angefangen zu stehlen?“
„Ja“, sagt Jeff.
„Glaubst du, die Veränderungen, die in diesem Land stattfinden, können uns was anhaben?“ fragt Jane.
„Weiß nicht“, erwidert Jeff, „vielleicht.“
„Klar“, meint Dexter, der zusammen mit Bill Wache schiebt, „alles ändert sich, und am Ende überleben die, die sich anpassen.“
„Macht dir das Angst?“ Das ist Jane.
„Man soll sich nicht…“
„Sie hat gefragt, ob es dir Angst macht, Dex!“ Dexter funkelt Parker ein Moment lang zornig an.
„Ja“, sagt er schließlich, „tut es.“

Sie lassen ihre Pferde gesattelt, daß tun sie immer für den Fall, dass sie fliehen müssen. Es ist Bill, der das Unheil als erster kommen sieht.
„Auf die Pferde!“, ruft er.
„Was ist denn los?“ fragt Dexter.
„Frag nicht, los jetzt!“
Als die Schüsse fallen schwingen sie sich auf die Pferde. Eine Kugel trifft Dexter in den Rücken. Er schreit. Bill dreht sich um und will hinrennen aber Jane hält ihn zurück .
„Lass mich los!“ schreit Bill, die anderen kommen ihr zu Hilfe.
„Er ist tot!“
„Lass mich los!“
Der nächste Schuss bewegt Bill nun doch dazu, auf das Pferd zu steigen. Eine halbe Minute später sind sie wieder auf der Flucht, hinter ihnen die immer weniger werdenden Verfolger. Schließlich sind sie den Männern doch noch mit knapper Not entkommen. Bill laufen Tränen über das Gesicht, die anderen sind nicht weniger geschockt. Aber dafür ist keine Zeit, und das wissen sie alle. Sie fliehen durch die mittlerweile stockfinstere Nacht und können keinen klaren Gedanken fassen.

Die nächste Rast verläuft dann doch ruhig. Es ist diesmal die offene Prärie, die ihr Nachtlager wird. Bill, der nicht aufhören kann zu weinen, ist von den anderen abgerückt und will mit niemandem sprechen. Jim und Jane halten diesmal Wache.
„Sie standen sich sehr nahe“, flüstert Jim, der ebenfalls den Tränen nahe ist.
„Ich bring' die Kerle um, ich schwör’s“, schluchzt Bill, „wir haben…“, er schnieft, „..sie nicht alle erwischt.“
„Ich hab mit ihm doch eben noch…“, Jane verstummt.
„Ja“, flüstert Jim, „ich weiß.“
„Wir müssen zurück!“
„Pst, nicht so laut, Bill.“
„Wir müssen ihm doch beerdigen“, schluchzt er, „das müssen wir doch.“ Bills Lippen zittern und ihm hängt ein Speichelfaden aus dem Mund.
„Aber wir müssen“, flüstert er halb wahnsinnig vor Trauer und Wut.
„Jane?“ Ihr laufen auch schon die Tränen über das Gesicht.
„Jim?“ Jim sitzt auf den staubigen Boden und starrt auf seine Stiefel.
„Jeff?“ Jeff widersteht als einziger seinem Blick. „Bitte“, es ist nicht mehr als ein Wimmern und dann: „Wo ist die Flasche?“
„Die mussten wir zurücklassen“, sagt Jeff. Bill flüstert etwas.
„Was?“ fragt Jim.
„Wie Dex! Genau wie Dex!“ Nun weint auch Jeff, leiser als Bill, ruhiger, aber er weint.

Sie beschließen, trotz des Risikos sich ein wenig auszuruhen und es dauert auch nicht lange, bis sie durch mehrere Schüsse unsanft geweckt werden. Jeff ist sofort auf den Beinen, an seiner Seite steht Jane und beide feuern sofort zurück. Bill, der ein wenig braucht um zu bergreifen, was los ist, springt
auf und zieht seinen Revolver und ruft den Angreifern entgegen: „Kommt nur her!“
„Bill!“, Parker hält ihn zurück, Jim kommt ihm zu Hilfe.
„Lasst mich sofort los!“ Unterdessen feuern Jeff und Jane weiter.
„Ich brauche hier etwas Hilfe!“ ruft Jane auf einmal, „mir geht die Munition aus!“
„Keine Angst, Parker hat noch welche. Warte!“ ruft Jim und rennt zu Parker. Auf halbem Weg dreht er sich noch einmal um uns gibt zwei Schüsse ab.
„Hilf Jane, ich mach’ das schon!“
„Komm schon Bill, wir müssen los!“ ruft Jeff, während hinter ihm weitere Schüsse fallen, „ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber ich werde nicht hier sterben, also reiß dich zusammen!“
Das ganze dauert nicht mehr als fünf Minuten. Als sie ihre Widersacher getötet und ihre Pferde, die glücklicherweise nicht sehr weit waren, wieder eingefangen haben beschliessen sie in die Stadt zurückzureiten, in der sie eine gute Beziehung mit dem Sheriff pflegen.

Bis zur Stadt brauchen sie über drei Wochen. Wochen, in denen Bill kaum ein Wort sagt und alle sehen, dass er am meisten unter dem Tod seines Bruders leidet. Diese Zeit bereitet ihnen wenig Probleme mit Angreifern, es ist mehr die aufgeheizte Stimmung, die sich zwischen ihnen entwickelt.
Dann, es graut bereits der Morgen, erreichen sie endlich die Stadt. Im Haus des Sheriffs brennt Licht, das ist ein gutes Zeichen. Sie binden ihre Pferde an eine Holzlatte und klopfen an die Tür.
„Ja?“ ruft eine Stimme von innen.
„Jack“, zischt Parker, „wir sind’s, die Clarence.“
Er blickt sich um. Die Leute, die unterwegs sind, sehen sie an, trauen sich aber nicht zu ihnen hinüberzugehen. Nach einer Weile geht die Tür auf.
„Parker!“
„Lass uns rein.“ Die Tür geht auf und sie treten ein .
„Wo ist…?“ beginnt Jack aber Parker bringt ihm mit einem Blick zum Schweigen und schüttelt nur den Kopf. „Oh Scheiße, tut mir leid. Und wer ist das?“ fragt er mit einem Blick auf Jane.
„Mary Jane“, antwortet sie, „oder einfach nur Jane. Das ist mir lieber.“
Einen Augenblick später sitzen sie alle im Wohnzimmer bei Whiskey um einen kleinen, runden Tisch, im Kamin brennt Feuer.
„Die haben euch ja ganz schön zugesetzt“, meint Jack, nachdem er die ganze Geschichte gehört hat.
„Bill ist am Ende“, sagt Jeff. Jack nickt nur.
„Hört zu, ihr wisst doch, daß ich sehr eng mit Richter Ramsay befreundet bin. Ich verbringe jedes Jahr die Weihnachtstage mit ihm und seiner Familie.“
„Ja“, sagt Jeff.
„Ich könnte mit ihm reden, es kostet mich nur einen Besuch und vielleicht auch ein paar Dollar extra. Aber danach wäret ihr frei und keiner könnte euch mehr was anhaben.“
„Man ist nie frei, jedenfalls nicht Männer wie wir“, meint Jim.
„Leute“, verbessert ihn Parker.
„Ihr wollt nicht?“
„Tut uns leid Jack, das Angebot klingt gut, echt. Aber ich glaube Ruhe hätten wir auch dann nicht, wenn wir als freie Leute gelten.“
„Ich hab mein Leben nicht aufgeben, um wieder dasselbe Leben zu leben, das ich zurückgelassen habe“, fügt Jane hinzu.
„Na gut, verstehe“, sagt Jack, „duscht erst mal und zieht euch um, ihr riecht ja wie der ganze Mist, den ihr mir erzählt habt.“

„Seht mal her“, sagt Jack als sie alle wieder im Wohnzimmer sitzen, „das ist die Zeitung von heute. Da steht, man weiß nicht genau wo ihr seid. Zuletzt wurdet ihr in einer kleinen Stadt nördlich von hier gesichtet. Dort habt ihr ein Pferd gestohlen?“
„Für sie“, sagt Bill, das ist sein erster Satz seit zwei Tagen.
„Aha“, macht Jack. „Und was habt ihr jetzt vor?“
„Keine Ahnung“, sagt Parker, „wir hatten gehofft, hier eine paar Tage bleiben zu können.“
„Bei mir?“
„Na ja, vielleicht auch irgendwo anders, aber erst mal irgendwo wo es sicher ist“, entgegnet Bill.
„Ruht euch erst mal aus“, sagt Jack.
„Danke“, Parker schaut ihn an.
„Tja, nach dieser Nacht bin ich erledigt“, sagt Jack.
„Dann gehen wir besser.“
„Nein, ich lass euch nicht gehen.“
„Aber…“
„Keine Widerrede!“
„Jack“, sagt Parker. „Wenn wir das irgendwie überleben, wir alle, werde ich mich revanchieren.“

Aber zuerst müssen andere Dinge geklärt werden. Jeff kommt sofort zur Sache, während Parker am Fenster steht und hinaus späht. „Wie sieht’s aus? Was sagt das Gesetz?“
„Daß ich euch sofort rausschmeißen müsste.“
„Und hier so?“
„Die Menschen sind aufgebracht, sie würden euch am liebsten tot sehen.“
„Alle?“
„Viele.“
Jeff nimmt den Hut ab und rauft sie die Haare. „Na? Was zu sehen, Parker?“ fragt er und setzt ihn wieder auf.
„Noch nicht, aber die Leute gucken schon.“
„Es wird doch keine Schießerei geben?“ fragt Jack.
„Hoffentlich nicht“, antwortet Jeff, „aber es ist nicht auszuschließen.“
In dieser Nacht schlafen sie alle im Wohnzimmer, während Parker und Bill Wache halten. Bill gießt sich erneut einen Whiskey ein als Parker sagt: „Du Bill, hör mal…“
„Was ist?“ Bill kommt ans Fenster zurück und nippt an seinem Glas. Sie sehen sich an. „Das was…“
„Was?“ im Flüsterton.
„was ich auf dem Weg hierher gesagt habe, daß du dich endlich zusammenreißen sollst, weil du nicht der einzige bist, der einen Bruder verloren hat…“ Er kann Bills Blick nicht mehr widerstehen und sieht zu Boden. „Ich habe mich wirklich mies gefühlt, daß ich das gesagt habe.“
Eine Pause.
„Schon gut.“
„Ich habe mich nicht früher entschuldigt, weil ich mich anschließend schlecht gefühlt habe.“
„Schon gut, ich verzeihe dir.“
Das ist das einzige Gespräch dass sie führen.

Um halb vier Uhr morgens werden sie von Bill geweckt. „Kommt schnell, beeilt euch!“
„Was ist los?“ fragt Jim noch halb verschlafen.
„Wir werden bald Ärger bekommen.“
„Wie spät ist es?“
„Halb vier morgens“, Jim sieht ihn an.
„Ärger?“
„Verdammten Ärger!“ Jim steht auf und geht zum Fenster.
„Die meisten da draußen wissen vielleicht nicht wo wir sind, aber die hier schon!“ Er zeigt auf eine größere Gruppe bewaffneter Männer.
„Alles fing an, als ihr neulich hier durchgekommen seid“, sagt Jack. Sie sehen sich um.
„Habt ihr noch Munition?“
„Nicht viel, wir könnten welche brauchen.“ Jack verlässt den Raum.
„Aber beeile dich“, ruft Jim ihm nach. Inzwischen sind sie alle auf den Beinen. Da sie in ihren Klamotten geschlafen haben, sind sie sofort einsatzbereit.
„Was machen wir jetzt?“ fragt Jeff.
„Ich gehe raus“, sagt Jack, der gerade mit der Munition zurück kommt.
Jeff nimmt die Päckchen Munition entgegen und steckt sie ein.
„Nein.“
„Sie wollen euch töten, mich können sie nur abwählen, ich geh’ raus.“ Damit tritt er nach draußen.
„Sheriff Clancy!“, ruft jemand, „wo sind Ihre Freunde? Im Haus, hab ich recht? Sie korrupter Scheißkerl!“
Jack zieht die Waffe. Jim, der am Fenster steht steht, sagt: „Was macht er denn da?“
„Und jetzt? Erschießen Sie mich wie einen räudigen Hund?“
„Nimm deine Bande und verschwinde, Terence!“
„Er schafft es nicht“, meint Bill, „kommt.“
Keine Minute später geht die Tür auf und die Clarence Bande steht mit gezückten Waffen neben Jack.
„Was…“, beginnt Jack und schweigt dann doch.
„Erschießen Sie uns, Terence?“ fragt Jane, „oder gibt es vorher noch einen fairen Prozess?“
„Erschieß sie, Terence!“ ruft jemand aus der Menge.
„Das werde ich!“ lautet Terence Antwort. Er richtet seine Waffe auf Jane. "Wenn dieser Bastard von einem Sheriff nichts tut, werden wir euch persönlich das Handwerk legen!“
„Noch sind wir nicht tot“, meint Jim
„Aber so gut wie“, antwortet ein anderer. Jim wirft seinen Colt auf den Boden. „Dann tötet mich.“
Die anderen stecken ihre Waffen weg. dann gehen sie zu ihren Pferden und steigen auf.
„Kommst du, Jim?“ fragt Bill.
Jim hebt seinen Colt wieder auf. Er dreht sich um und steigt ebenfalls auf sein Pferd. Nun sitzen sie auf ihren Tieren und blicken auf die Gruppe bewaffneter Männer. Plötzlich ruft Jane, ohne zu wissen, daß sie das überhaupt vorhatte: „Ich bin Shotgun Jane!“
Dann reiten sie weg.


5


Es ist mittlerweile Herbst. Seit dem Tag bei Sheriff Clancy ist etwas mehr als ein Monat vergangen. Sie waren mittlerweile noch berühmter geworden und Jane kannte man jetzt als „Shotgun Jane.“
Sie hatten die Grenze von Texas hinter sich gelassen und sind jetzt in einer kleinen Gaststätte in Oklahoma. Nachdem sie dem Besitzer eine großzügige Summe Geld aus ihren vergangenen Überfällen in die Hand gedrückt haben, verspricht dieser, nichts zu sagen, falls jemand fragen sollte. Jetzt sitzen sie im Saloon und lassen es sich gut gehen.
„Die Drinks gehen auf uns.“ lallt Jeff.
Um drei Uhr morgens kriechen sie fast auf allen Vieren ins Bett und kommen bis fünf Uhr am Nachmittag nicht mehr heraus, außer um das ganze Bier, den Whiskey und das Essen vom vorigen Tag los zu werden. Sie quälen sich herunter, um einen Kaffee zu sich zunehmen.
„Guten Morgen“, grüßt sie der Wirt, der auch der Besitzer der Gaststätte ist. „Was darf’s sein? Bestimmt keinen Whiskey.“
„Fünf mal Kaffee!“
„Nur Kaffee?“
„Ja.“
„Kriegt ihr den auch runter?“ Keine Antwort. „Kommt sofort!“ sagt der Wirt und macht sich daran den Kaffee zu kochen.
Doch sie sind Getriebene, die es nie lange an einem Ort aushalten. Sie verlassen sie die Stadt schon nach dem dritten Tag und sind froh, wieder in der offenen Prärie zu sein und unter den Sternen zu schlafen.

Am späten Nachmittag machen sie eine Rast. Sie steigen ab, um sich die Beine zu vertreten und staunen über die weite Landschaft.
„Wie lange werden wir das wohl noch zu Gesicht bekommen?“ fragt Parker mehr zu sich selbst.
Gegen Abend reiten sie weiter und als die Nacht hereinbricht machen sie ein Lagerfeuer. Diesmal sind Jane und Jeff mit der Wache dran, während die anderen Bohnen und Speck in einer Pfanne braten und Whiskey trinken. Sachen, die sie aus der Gaststätte mitgenommen haben. Sie verbringen die Nacht mit Gesprächen darüber, was sie tun würden, wenn sie nicht durchgebrannt wären.
„Also, mich hätte nichts in die Kohleminen gekriegt“, meint Jeff von seinem Posten aus, „da wäre ich lieber zur Army gegangen.“
Bill dreht sich zu ihm um. „Du? Zur Army?“, Jeff schaut ihn an.
„Ja. Und du, Bill?“
„Ich wäre wahrscheinlich in den Minen“, antwortet Bill, während er die Flasche nimmt, die ihm jetzt von Jim hingehalten wird,
„Was ist mit dir, Jane?“
„Keine Ahnung, ich hätte wahrscheinlich so weitergelebt wie bisher.“
„Ich habe mich in der Gaststätte erkundigt“, sagt Jeff plötzlich, während er wieder geradeaus schaut, „bis zur nächsten Stadt sind es zwei Tage, einen davon sind wir schon geritten.“

Sie fallen in die Stadt ein wie ein Wirbelsturm. Drei Minuten später, haben sie die Bank der Stadt um mehrere hundert Dollar erleichtert, und eine weitere Minute später sind sie bereits wieder auf der Flucht. Unterwegs töten sie acht Menschen.

„Clarence-Überfälle gehen weiter: Gesetz machtlos!“ liest Jeff aus der Zeitung vor, die sie bei ihrem Überfall mitgenommen haben. Sie sitzen zwischen einer Gruppe Felsen und beobachten den Sonnenuntergang.
„Nach dem letzten Überfall der Clarence-Bande vor zwei Tagen sind die vier noch lebenden Brüder und ihre Begleiterin, ‚Shotgun Jane‘, immer noch auf freiem Fuß …“
Plötzlich hören sie Reiter, die sich nähern. Bill und Jim springen auf und ziehen ihre Revolver.
„Nicht schießen!“ ruft eine Stimme. Es sind vier Männer.
„Wer seid ihr?“ fragt Bill. Die Fremden zügeln ihre Pferde.
„Das, was ihr auch seid, schätze ich. Gesetzlose.“ Die Neuankömmling sind schmutzig und haben sich wahrscheinlich eine Woche nicht rasiert. Wenig später sitzen sie zusammen am Feuer.
„Ich bin Dick, und das hier sind meine Freunde John, Tell und Earl. Ihr seid die Clarence, ich weiß.“ Parker gibt Dick die Flasche. Dick trinkt einen großen Schluck.
„Woher kommt ihr?“ fragt Jim.
„Wir sind auf der Durchreise. Wir wollen nach New Mexico.“
„New Mexico“, wiederholt Parker.
„Ja. Haben Verwandte dort“, sagt Earl.
„Ihr seid also die berühmte Bande, von der alle sprechen“, sagt John.
„Tun das alle?“
„Allerdings“, John nickt.
„Dann sind wir das wohl“, wirft Jeff ein.
„Wohin wollt ihr?“ fragt John.
„Das wissen wir selbst noch nicht. Wir machen Überfälle, sonst nichts“, sagt Bill, der mittlerweile wieder im Besitz der Flasche ist.
„Da haben wir was gemeinsam“, sagt John und nimmt die Flasche von Bill an.
Nach einer Pause erklären die Outlaws, dass sie weiter müssten, weil man sie sonst finden könnte. John gibt Bill die Flasche zurück und sie steigen wieder auf ihre Pferde.
„Viel Glück“, sagt John und die vier reiten in die Dunkelheit davon. Wenig später macht sich auch die Clarence-Bande auf den Weg.

Seit achtundvierzig Stunden haben sie nichts anderes getan als reiten, jagen und rasten. Sie sind an einem kleinen Wäldchen mit einem Fluss in der Nähe angelangt, wo sie recht gut geschützt sind und von dem sie eine gute Sicht auf das offene Gelände haben. Müde vom Reiten beschließen sie nun wieder eine längere Ruhepause einzulegen. Das Wäldchen ist groß genug um
Schutz zu bieten und die Felsen drum herum geben ideale Aussichtsposten ab.
Es ist Tag und sie sitzen am Feuer zusammen und reden. Jeff hat nochmals in die Zeitung geschaut und sie stellen erleichtert fest, daß man nicht genau weiß, wo sie sich aufhalten. Parker und Jane beziehen ihre Position auf dem höheren Felsen, während die anderen ein Stück Wild aufs Feuer legen.
Am Abend sitzen sie um ihr Feuer rum, essen und trinken. Jim bringt Parker und Jane ein Stück Fleisch und gesellt sich wieder zu den anderen. Am nächsten Morgen kochen sie sich Kaffee aus der Gaststätte. Ihr erster Kaffee seit Wochen.
Nach drei Tagen räumen sie ihr Lager und ziehen weiter. Sie wissen nicht, was der nächste Tag bringt, oder ob sie den nächsten Sonnenaufgang erleben werden. Sie wissen nur, daß sie immer weiter reiten müssen. Jeder neue Tag ist voller Ungewissheit und sie können nie sicher sein, ob dies ihr letzter sein wird.


6


Sie reiten in die nächste Stadt. Aber nicht um sie auszurauben, sondern um in den Saloon zu gehen, zu trinken, zu spielen und um zu erfahren, was in der Stadt über sie geredet wird. Wie sich herausstellt, ist dieser Entschluss richtig gewesen. Es gibt Männer, die sie auf ein Drink einladen und andere, die sie auffordern mit ihnen zu pokern und sie wollen alle ihre Abenteuer hören, während sie zusammen trinken und lachen.
„Ach, Jeff übertreibt immer, wenn er einen zu viel hat“, sagt Parker.
„Nein, nein ehrlich. Das waren hunderte von Angreifern“, erwidert Jeff.
„Und wir… Was? Ach, na ja. Auf jeden Fall leben wir noch!“
„Neue Runde“, verkündet jemand, „he Barkeeper! Bring noch mal Whiskey für alle, ja?“
„Nein, wir bleiben nicht lange. Hey, Barkeeper, für mich einen Kaffee“, sagt Bill.
„Was…? Du…!“
„Jones, lass das!“ sagt ein anderer.
„Was sagt man hier so? Wie sind die Leute drauf?“ erkundigt sich Jim.
„In Bezug worauf?“
„In Bezug auf uns.“
„Oh“, gibt der Mann zurück, der neben ihm sitzt, „hier müsst ihr euch keine Sorgen machen, hier sind alle auf eurer Seite.“ Und dann in die Runde: „Mit Ausnahme vom Sheriffs, stimmt’s Jungs?“
„Der ist aber nicht hier“, antwortet ein anderer und alle lachen. Er prostet ihnen zu. Jim blickt in die Richtung, aus der die Stimme kommt.
„Hoffen wir dass es so bleibt.“
„… Na ja, und da stand ich dann und sah diesen Mistkerl direkt an, Auge um Auge, versteht ihr? Und dann … Peng! Liegt der da im Dreck, dieser Hurensohn!“
„Ritch hatte mit dem Kerl noch eine Rechnung offen“, erklärt jemand. Und dann: „Mann, es ist schön euch hier zu haben, da fühl’ ich mich gleich selbst wie ein Verbrecher!“
Eine halbe Stunde später verlassen sie den Saloon wieder und gehen zu ihren Pferden, als der Marshal vorbeikommt.
„Na, sieh mal an!“ sagt er. Jane krallt ihre Finger fester um ihr Gewehr und Jim umfasst den Griff seines Revolvers.
„Marshall?“ sagt ein Gast, der ihnen aus dem Saloon gefolgt ist. Die anderen kommen ebenfalls raus. Jim tritt vor den Saloon.
„Erwartet uns Ärger, Marshal?“ Er lächelt, dann binden sie ihre Pferde los und reiten in gestrecktem Galopp davon.

Sie sind wieder in der Prärie und sitzen an einem regnerischen Spätnachmittag zusammen, während Jeff und Bill Wache halten. Sie haben ihren letzten Schluck bereits vor drei Tagen ausgetrunken.
„Habt ihr gesehen, wie groß die Stadt geworden ist?“ fragt Jim nach einer Weile.
„Nichts ist mehr so wie es war“, antwortet Jane.
„Wisst ihr was?“ Das ist Parker, „es läuft alles so schnell, dabei zählt nur das hier.“ Sie sehen ihn an.
„Der Regen und die Prärie, die Faszination an diesem Ort“, fügt Jim hinzu. „Dex hat das immer geliebt.“ Sie schweigen eine Zeit lang.
„Er fehlt mir“, sagt Bill von seinen Posten aus.
„Wie lange reiten wir jetzt schon zusammen? Ich meine wir vier?“ fragt Parker. Bei dem Wort vier zuckt Bill leicht zusammen.
„Etwas mehr als vier Jahre“, meint Jim, „dann bist du dazu gestoßen.“ Er schaut zu Jane: „Würdest du nicht lieber in dein altes Leben zurückkehren, wenn du könntest, Jane?“
„Nein. Ich hab’s euch schon damals im Saloon gesagt. Die einzigen Orte an denen ich sterben werde, sind der Galgen oder die Prärie.“
Sie reiten bis in die Nacht hinein und Dexter stirbt zum zweiten Mal in Bills Traum. Es ist die Tatsache, daß er nie wieder mit ihnen über die Prärie reiten wird, die ihm schmerzt, als er mitten in der Nacht schweißgebadet erwacht, während die anderen tief und fest schlafen. Ein Luxus, der ihm für den Rest der Nacht vergönnt bleiben wird.

„Wie weit ist es noch bis zur nächsten Stadt?“ fragt Jane. Sie sind den ganzen Tag über geritten. Einen Tag, an dem es nicht aufgehört hatte zu regnen. Nun ist es Abend und sie sitzen bei einer erneuten Rast wieder beisammen.
„Weiß nicht“, antwortet Jim. Er schaut zu Bill hinüber, der zusammen mit Parker Wache hält, dann sieht er wieder in die Runde. „Er ist schon den ganzen Tag so schweigsam“, zischt er.
„Beunruhigt dich das?“ erkundigt Jeff sich.
„Weiß nicht, es ist nur normalerweise nicht seine Art.“ Plötzlich steht Bill auf, und geht. Jim sieht ihn nach und will schon hinterher gehen, doch Jeff hält ihn zurück.
„Laß ihn“, sagt er, „er braucht eine Weile für sich, was immer seine Gründe sein mögen.“
„Schön“, antwortet Jim und setzt sich wieder.
„Vielleicht ist es die Anspannung“, meint Parker.
„Oder“, sagt Jane leise, „es ist Dexter. Seit seinem Tod ist er ganz durch den Wind, ich habe ihn beobachtet.“ Sie schweigen eine Weile.
„Manchmal bin ich auch kurz vor dem Durchdrehen“, sagt Parker.
„Kein Wunder“, meint Jeff, „kaum war er tot, hatten wir auch schon den nächste Scheiß am Hals.“
„Können wir bitte über was anderes reden?“ fragt Jeff.
„Hast du immer in Texas gelebt?“ Diese Frage richtet Parker an Jane.
„Ja“, antwortet sie, „ich bin nie woanders gewesen.“
„Ja, wir auch nicht“, sagt Parker. Es entsteht eine lange Pause, in der sie nur dem Regen lauschen, der kalt und unbarmherzig auf sie niederprasselt.
„Also los“, sagt Jim nach einer halben Ewigkeit. „Zeit aufzubrechen.“
„Ich hol’ Bill.“ Mit diesen Worten steht Parker auf und geht zu ihn. Er bleibt zwei Meter hinter ihm stehen. „Bill, wir müssen los.“
„Ich komme“, antwortet Bill mit tränenerstickter Stimme.
„Alles in Ordnung?“
„Ja, ich komme gleich.“
Nach fünf Minuten ziehen sie weiter.

Als sie drei Tage später wieder auf der Flucht sind, scheinen die ganzen Probleme vergessen zu sein. Während sie über die Steppe fliegen, fühlt sich jeder einzelne in irgendeiner Weise mit dieser Umgebung verbunden. Bill, der immer noch eine Gänsehaut bekommt, wenn er in die Ferne sieht, weiß daß dies der einzige Ort ist, an dem er wirklich sein möchte. Jim, normalerweise der rationalere Typ, ist der festen Überzeugung, daß er für dieses Leben bestimmt ist. Jane, die schon als kleines Mädchen von der Prärie geträumt hatte, denkt, ebenso wie Jim, daß dieses Leben auf sie gewartet hat. Parker, dessen Vorbild immer schon Billy the Kid gewesen ist, staunt jeden Tag über diese atemberaubende Landschaft, so als sehe er sie zum ersten Mal. Und Jeff, obwohl sonst eher gesellig, der nie viel von sich erzählt, ist der Meinung, daß sich für dieses Leben jede Minute des Wartens gelohnt hat. Dies würden sie aber niemals zugeben. Weder voreinander noch vor jemandem sonst.

Sie galoppieren über die Prärie und versuchen ihre Gegner abzuhängen, die ihnen schon seit einer halben Stunde auf den Fersen sind. Sie reiten nie gerade, um kein leichtes Ziel abzugeben. Jeff, der vorne weg reitet, schert nach links aus und feuert ein paar mal auf ihre Rivalen, dann stößt er wieder zur Gruppe auf. Augenblicke später wiederholt er dies. Das ist Jeffs Aufgabe. „Kommt schon!“ ruft Parker, der sich umschaut, „sind doch nur noch fünf!“
Er gibt seinem Pferd die Sporen und prescht zu Bill vor, der weit vorne reitet.
„Nur noch vier, yeah!“ ruft Parker, eine Kugel streift Jane am Arm, sie schert nach rechts aus, um aus der Schussbahn zu gelangen. „Noch einer weniger!“ verkündet Parker wieder.
„Willst du jetzt einen Preis!? Schieß einfach!“ ruft Jim ihm zu und schaut sich um. „Einer flieht!“
Nach ungefähr zwei Minuten ist auch der letzte Verfolger tot.

Am Morgen darauf sitzen sie alle bei einem Lagerfeuer zusammen, während die Wache diesmal von Jim und Jeff übernommen wird. Sie haben einen Vogel geschossen, während Bill Janes Wunde versorgt hat.
„Habt ihr gesehen, wir der Kerl geflüchtet ist?“ fragt Parker amüsiert.
„Ja, toll was?“, meint Bill.
Jim dreht sich um. „Ich unterbreche ja nur ungern’ eure Euphorie, aber…“
„Tust du aber gerade“, meint Bill. Er und Parker lachen.
„…Wir werden nicht immer so viel Glück haben.“
„Ok, hast ja recht“, erwidert Bill.
„So, alles auf die Pferde“, sagt Jim und sie reiten weiter.


7


Sie waren inzwischen in Kansas. Es ist nun schon ein Jahr vergangen und die Outlaws waren sehr oft bemüht gewesen am Leben zu bleiben. Sie können sich nun wieder recht gut auf das Wesentliche konzentrieren. Vor allem während der langen Tage und Nächte, die sie zusammen am Lagerfeuer verbringen und nichts weiter tuen als reden und trinken. Sie sind erst mal untergetaucht und haben jeden Tag woanders geschlafen. In dieser Zeit leben sie von der Jagt, doch nach acht Wochen haben sie genug vom Nichtstun und gehen wieder auf Raubzug. Es schneit an diesem Nachmittag und sie sind an einer kleinen Ortschaft angelangt.

Nachdem der Sheriff ordentlich bei ihnen abkassiert hat, läßt der er sie gewähren. Sie kommen gerade an einem Hurenhaus vorbei.
„Hey ihr, soll ich eure Geisel sein? Ich werde mich ergeben, nur für euch!“ ruft ihnen eine Prostituierte zu. Parker grinst Jeff an.
„Ich liebe diese Stadt“, meint er.
„Worauf wartest du noch? Attacke!“, sagt Jeff und Parker lässt sich nicht zweimal bitten. Während Parker in Richtung Bordell reitet, steuern die anderen den Saloon an. Es gibt einige Schwierigkeiten, aber nachdem mehrere Betrunkene, die sich für das Gesetz hielten, ihre Waffen zogen und ihr Leben verloren, wagt es keiner mehr, ihnen zu nahe zu kommen.
Sie setzen sich an einen der hinteren Tische, von wo aus sie den ganzen Saloon überblicken können. Eine halbe Stunde später kommt Jeff rein. Die anderen sind inzwischen schon bei der dritten Runde.
„Wusste ich’s doch, daß ihr hier seid! Hey Barkeeper, einen Whiskey!“ keucht er und setzt sich, mit dem Gesicht den Gästen zugewandt.
„Scheinst dich amüsiert zu haben“, sagt Jim.
„Allerdings“, entgegnet Parker, immer noch leicht ausser Atem. Wenig später bringt jemand den Whiskey.
„Wisst ihr was“, meint Jeff, „ich werd’ auch hingehen.“
„Nimm es dir solange du’s noch kannst“, antwortet Parker, und dann leicht amüsiert: „Tut mir leid, Jane!“
„Ach, schon gut. Ich bin mittlerweile Schlimmeres gewohnt.“
Nachdem sie den Saloon verlassen und nochmals das Freudenhaus aufgesucht haben, mieten sie sich ein Zimmer und ruhen sich aus, während zwei von ihnen wie üblich Wache halten.

Nach zwei Stunden kehren sie dem Ort den Rücken und nach drei weiteren machen sie erneut eine Rast.
„War ein nettes Örtchen“, sagt Parker.
„Das glaub’ ich dir“, lacht Bill, der mit Jeff Wache hält.
„Nein, das meine ich nicht. Ich meine es war so ruhig.“
„Weil wir auf der Durchreise waren“, bemerkt Jane. „Und keinen Ärger gemacht haben.“
„Ach ja, damit käme ich schon klar. Wer Ärger will, der soll nur kommen“, gibt Parker zurück.
„Wohin geht’s von hier aus, Bill?“, will Jane wissen.
„Ich denke, wir reiten nach Kentucky“, antwortet dieser.
„Kentucky?“, fragt Parker, „wieso?“
„Pst!“ macht Bill plötzlich.
„Was…?“ beginnt Jane.
„Ruhig!“ sie horchen alle in die Ferne. Bill und Jeff ziehen ihre Waffen. Plötzlich hören sie alle das Rascheln.
„Komm, wir sehen mal nach“, flüstert Jeff Bill zu. Sie schleichen auf das Geräusch zu. Alle halten den Atem an. Jane greift nach ihrem Gewehr und Jeff zieht ebenfalls den Revolver.
„He, seid vorsichtig“, flüstert Parker. Nach einer Weile kommen Bill und Jeff zurück, alle sehen sie neugierig an.
„Ein Vogel“, sagt Jeff und steckt seine Waffe wieder weg.

Sie reiten Richtung Osten weiter und obwohl Jeff der Auffassung ist, daß es zu gefährlich sei nach Kentucky zu reiten, hält Bill an seinem Vorhaben fest. Sie versuchen Bill mehrere Male darauf anzusprechen, dieser blockt aber immer wieder ab. Schließlich geben sie auf. Bei ihrer nächsten Rast geraten sie dann doch in Bedrängnis. Nur knapp können sie ihren Gegnern entkommen und reiten, bis es stockfinster geworden ist.
Erst am nächsten Abend, als sie beim Lagerfeuer zusammen sitzen, gesteht Bill ihnen, das er Dexters Tod immer noch nicht ganz überwunden hat. Sie lassen den Whiskey rumgehen, den sie aus dem Ort mitgenommen hatten.
„Hat die Sache mit Kentucky mit Dexter zu tun?“ wagt Jane einen erneuten Versuch. Parker und Jim halten Wache.
„Ja.“
„Ich weiß“, sagt Jeff, „du standest ihm immer näher als uns.“
„Das hat nichts…“, beginnt Bill.
„Schon gut, ich weiß“, erwidert Jeff, „wir werden hingehen und unsere Eltern ein paar Tage besuchen.“
Parker sieht ihn an, doch Jeff nickt nur, woraufhin Parker wieder nach vorne guckt.
„Ist das denn in Ordnung?“ fragt Jane, „sind sie euch nicht böse?“
„Sie finden es nicht richtig was wir tun, aber böse sind sie uns nicht.“

Sechs Tage und drei Überfälle später, es war Mittag, treffen sie auf eine Gruppe Gesetzloser, die ihr Lager etwas abseits des Weges aufgeschlagen haben. Nach anfänglichen Spannungen heißen die drei Männer sie dann doch willkommen und führen sie zu einer überdachten Feuerstelle. Es hat mittlerweile wieder angefangen zu schneien.
„Kaffee?“ fragt einer.
„Gerne“, entgegnet Parker.
„Ja, hat eine Ewigkeit gedauert den Scheiß ans laufen zu kriegen“, sagt er. Damit war wohl dass Feuer gemeint. Wenig später haben sie einander vorgestellt und sitzen jetzt bei Kaffee in einer Gruppe zusammen.
„Wie viel?“ fragt Jeff.
„Fünftausend“, antwortet der Typ namens Harry. Der erste, Wayne, zeigt ihnen eine Zeitung, nachdem er sich eine Zigarette angesteckt hat.
„Hier“, sagt er und zeigt auf den Artikel.
„Darf ich mal?“ fragt Parker.
„Klar, nimm", antwortet Wayne. Er gibt Parker die Zeitung. Nach einer Weile gibt er sie zurück.
„Fünftausend Dollar Kopfgeld“, sagt Parker, „ist ja allerhand.“
„Auch eine?“ fragt Wayne und hält ihnen die Zigaretten hin.
„Ja gerne“, Jim nimmt eine, steckt sie sich zwischen die Lippen und hält ihm den Kopf hin. Wayne steckt sie ihn an.
„Wohin wollt ihr?“ fragt er.
„Nach Kentucky“, antwortet Bill.
„Wir kommen ganz aus der Nähe“, sagt der Schweigsame, Pete. „Aus Virginia.“
„Ist ganz schön da“, meint Harry.
„Wenn man nicht gerade gejagt wird“, ergänzt Wayne.
Sie haben ihren Kaffee bereits ausgetrunken, und lassen sich von Wayne neuen einschenken.
„Ist es hier sicher?“ fragt Jeff.
„So sicher wie es unter diesen Umständen sein kann“, antwortet Harry, „uns ist seit gestern niemand mehr begegnet.“
Wayne holt ein Kartenspiel raus und sie pokern, bis Bill kein Geld mehr hat.
„Verdammt!“ flucht er.
„Den Ausdruck kenn’ ich“, sagt Jeff mit Blick auf Bill.
„Ja, der hat einem Mann mal das Leben gekostet!“ droht Bill, springt auf und zieht seinen Revolver. Wayne und seine Leute tuen das gleiche.
„He, Bill!“ ruft Jeff.
„Nicht!“, ruft Jane.
Bill spannt den Hahn, doch Parker stellt sich ihm in den Weg.
„Bill, lass doch den Scheiß!“, sagt er. Bill wirft ihn nieder und eine Sekunde später wälzen sie sich auf den Boden wie kleine Kinder. Bill schlägt Parker mit der Faust ins Gesicht.
„Bist du fertig!?“ fragt Jim an Bill gerichtet. Bill rappelt sich auf und hält Parker die Hand hin, er schlägt sie wütend beiseite, steht auf und wischt sich mit dem Handrücken das Blut von der Nase.
„Lass mich!“
„Kommt“, sagt Jane, „verschwinden wir.“
„Parker, ich weiß wirklich nicht was…“, setzt Bill an. Parker tritt ganz dicht vor ihm hin und funkelt ihn an.
„Lass mich“, zischt er. Bei ihrer nächsten Rast reden die beiden kein Wort miteinander.

Doch dieser Streit hat keinen Einfluss auf ihren nächsten Überfall. Alle sind so konzentriert wie immer und Parker wäre Bill jeder Zeit zu Hilfe geeilt, hätte dieser sich in Gefahr befunden. Er versteht aber nicht, was in seinen kleinen Bruder gefahren ist. Und Bill wiederum, den das Reiten schon immer beruhigt hat, aber immer große Schwierigkeiten damit hatte, sich zu entschuldigen, sieht diesen Aussraster allerdings als logische Konsequenz an, die auf den Tod seines Bruders zurückzuführen ist.
Bill ist schon immer sensibel gewesen und wäre es nach Jim gegangen, wäre Bill deswegen Zuhause geblieben. Es war Dexter, der ihn dabei haben wollte. Aus dem einfachen Grund, weil man sich auf ihm verlassen kann. Deshalb fallen die meisten Entscheidungen auch auf Bill, er hat ausserdem immer das Talent gehabt, Situationen richtig einzuschätzen. Wenn er sagt, daß es nicht sicher ist, stimmt es meistens auch.
Dexter wusste das. Er wusste aber auch, wie sensibel Bill war und hatte ihn immer als Kind unter seine Fittiche genommen, wenn seine Brüder ihn ärgerten. Und zwar solange, bis sie alle allmählich reifer wurden und Bill keinen Schutz mehr brauchte.
Dass alles ging Bill durch den Kopf. Es war auch der Grund, warum er diese Situation mit Waynes Männern provoziert hatte. Ja, einerseits war er sauer, sein ganzes Geld verzockt zu haben, doch in seine Wut mischte sich auch Trauer und Verzweiflung. Aber am Ende war er froh, daß Parker sich ihm in den Weg gestellt hatte und dadurch Schlimmeres verhindern konnte.
Das mit Parker war auch so eine Sache. Er hätte ihn niemals schlagen können und doch hatte er es getan. Er hofft, daß Parker nicht allzu lange sauer auf ihn sein wird, und daß er, Bill, sich zu einer Entschuldigung überwinden wird.
Diese Gelegenheit lässt nicht lange auf sich warten, als sie am Morgen danach zusammen sitzen. Es ist Jim der bemerkt, daß Bill immer nervöser wird.
„Was ist, Bill?“ fragt er. Bill schaut auf seine Stiefel und antwortet zunächst nicht.
„Komm, raus damit“, fordert Jane ihm auf.
„Parker…“, ringt Bill sich schließlich durch zu sagen, „ich…“
Parker erlöst ihn: „Schon gut.“
„Schon gut?“ fragt Bill und sieht ihn jetzt doch an.
„Ja“, antwortet Parker.
„Tut’s noch weh?“, erkundigt sich Bill.
„Ja, etwas.“

Sie reiten noch immer Richtung Kentucky. Der Vorfall mit Wayne scheint nach anderthalb Wochen schon vergessen. Sie meiden bewusst die Städte, da sich die Überfälle mit der Zeit als zu riskant erwiesen haben.
Bill hat sich inzwischen wieder gefangen. Er und Parker verstehen sich wie eh und je. In der zweiten Woche stehen sie auf einem Felsvorsprung und betrachten den Sonnenaufgang.
„Ist das schön“, ist dass einzige Wort, das von Jeff gesprochen wird.
In der dritten Woche knirscht es ein wenig zwischen ihnen. Aber nach ein paar Stunden hatten sich alle wieder beruhigt. Seit dieser Zeit hatten sie zwei von drei Wochen Schnee gehabt und sie sehnten sich nach einen warmen Unterschlupf.
In der siebten Woche sitzen sie zwischen Felsen zusammen. während der Schnee auf sie nieder rieselt.
Dann, nach einer halben Stunde, brechen sie auf.

Es mochte gefährlich sein große Städte zu überfallen. Das gilt aber nicht für die kleinen und abgelegenen Orte. In der achten Woche finden sie so eine Kleinstadt und fallen über sie her. Am Mittag des nächsten Tages sitzen sie zusammen und braten eines der wenigen Wildtiere über den Feuer, die noch dem Winter trotzen und das sich unglücklicherweise in ihrer Nähe befunden hatte.

8


Die Stadt in die sie einfallen, ist eine normale Stadt. Nach fast einem Jahr, in dem sie sich in Kansas weitgehend zurückgehalten haben, ist das ihre erste große Stadt seit Langem.
Sie sind gerade dabei, ein Lebensmittelgeschäft zu plündern.
„Na los“, sagt Jim, „immer schön rein damit.“ Der Verkäufer füllt die Lebensmittel in die Satteltasche, die vor ihm liegt. „Brauchen wir noch was, Bill?“ fragt Jeff.
„Vielleicht noch was zu rauchen.“
„Also“, sagt Jim zum Verkäufer, „mein Bruder hier möchte was zu rauchen.“ Draußen fallen Schüsse.
„He Jeff, kümmer’ dich um den Kerl da, ja?“ Mit diesen Worten rennt er nach draußen. „Parker, Jane, was ist los?“
Jane zeigt auf die beiden Leichen vor der Tür.
„Dachten wohl, wir sehen sie nicht“, grinst Parker.
„Los jetzt, nichts wie weg hier“, sagt Jeff und tritt in den Türrahmen. „Okay, haben wir alles?“
„Yep“, macht Bill. Sie verlassen rückwärts gehend den Laden und keine Minute später galoppieren sie gefolgt von Schüssen und Reitern aus der Stadt.

Sie reiten fast ohne eine Rast einzulegen bis in die Nacht hinein. Jetzt sitzen sie gemütlich am Lagerfeuer. Bill und Jeff halten Wache.
„Man, war das wieder eine Jagd!“ jubelt Parker.
"Habt ihr mal jemanden geliebt?“ fragt Jane auf einmal. Die vier sehen sie verwundert an.
„Nein“, antwortet Bill, „hatte noch keine Zeit gehabt mich zu verlieben, du?“
„Ja.“
„Was ist draus geworden?“ fragt Jeff.
„Ich konnte mir einfach kein normales Leben vorstellen, ihr wisst schon. Bis ans Ende meiner Tage mein Leben mit jemandem zu verbringen.“
„Du hast ihn verlassen.“
„Ja. Er ist mit Jungs wie euch los und wurde bei einem Streit erschossen.“
„Hmmm, ist die gut“, sagt Jim. Er hat sich mit einem Ast eine der geklauten Zigaretten angezündet und bald darauf rauchen sie alle.
„Nein“, sag er, als er Janes Blick begegnet und sieht, das sie was sagen will, „war ich nie. Wir alle nicht.“
Er erklärt, daß er die Vorstellung eine Ehe zu führen nie gemocht habe. Bill, Jeff und Parker stimmen zu.
„Deshalb hält es uns wohl auch nicht lange an einem Ort“, meint Bill.
„Warum habt ihr mich mitgenommen? Ihr habt mich gar nicht gekannt“, wechselt Jane das Thema.
„Es war Bill“, sagt Jeff. „Er wollte es.“
„Du hast ausgesehen, als wäre es dir ernst. Ich glaube, wenn du gewollt hättest, hättest du mich ohne zu Zögern umgelegt“, sagt Bill.
Sie hätte alles getan, um ihrem Leben zu entkommen.

Bei einem ihrer Überfälle wurde ein Albtraum wiederbelebt, der nie ganz vorüber war.
Zwei Wochen waren vergangen und sie sind wieder auf der Flucht. Ihre Verfolger haben sie längst abgehängt. Jane stößt zu Bill auf, der vorne reitet.
„Na!?“, sagt er.
„Hi!“, erwidert Jane.
„Du, sag mal, Bill!“ ruft Jeff.
„Ja?“
„Was hältst du von einer Rast!?“
„Wir sind noch nicht weit genug entfernt“, sagt Bill.
„Was!?“, Fragt Jeff
„Bill meint, wir sind noch nicht weit genug entfernt!“ ruft Jane zurück. Jeff reitet an Bill vorbei und bremst ihn aus.
„Die kriegen mich nicht nochmal“, zischt Bill.
„Die Zeit war scheiße und ja, du hast gelitten. Aber wir sind weit genug von ihnen entfernt.“
„Was ist denn überhaupt los?“ fragt Jane.

Am selben Abend sitzen sie am Lagerfeuer.
„Bei unserem Überfall“, sagt Bill, „da hab ich ihn gesehen.“
„Wen?“ fragt Jane.
„Den Sheriff, der seine Hilfssheriffs geschickt hat, um mich jeden Tag in meiner Zelle zu besuchen.“
„Um ihm zu verdreschen“, fügt Jim hinzu, der sofort von Parker einen tadelnden Blick erntet.
„Du warst schon mal im Gefängnis?“ fragt Jane.
„Wir haben Vieh geklaut. Sie kamen jedes mal, sie schlugen hart zu, oft mit ihren Gürteln.“
Bill fängt bei dieser Erinnerung an zu zittern. „Sie hielten mir den Revolver an die Schläfe, ich hab mehrere Male gedacht, ich müsste sterben. Aber es fiel nie ein Schuss, es machte immer nur ‚klick‘ als sie abdrückten.
Es herrschte Schweigen.
„Ich dachte, ich hätte es hinter mir“, setzt Bill schließlich wieder an.
„Es ist nie vorbei“, sagt Jeff von seinen Posten aus.

Am nächsten Morgen reiten sie weiter, Parker und Jane hatten sich etwas zurückfallen lassen.
„Bevor wir Städte ausraubten, waren wir Viehdiebe“, sagt Parker. „Wir kamen an einer Stadt vorbei, die von gestern. Da haben sie Bill geschnappt“, eine Pause. „Als wir die Kaution zusammen hatten, sind wir zu Sheriff Bexter, um Bill rauszuholen. Sein Gesicht war noch angeschwollen und man hat ihm zwei Zähne ausgeschlagen“, noch eine Pause, „er ist mir in die Arme gestolpert, er war am Ende. Man sieht noch immer seine Narben.“
„He Leute, diese Tiere können auch schneller reiten!“ ruft Jeff. Jane und Parker stoßen wieder zu den anderen auf.

9

Es ist schon Nachmittag und nach einer kurzen Essensrast, schwingen sie sich wieder in den Sattel. Keiner sagt ein Wort.
„Alles klar?“ fragt Jeff, der jetzt neben Jane reitet, nach einer Weile.
"Ja.“ Sie sieht ihn an.
„Ich wollte nur sichergehen, daß unser Parker dir nicht den Tag verdorben hat.“ Er schaut zu Parker rüber.
„Na ja, ein bisschen schon“, sagt Jane und lacht nervös.
„Tja, jeder hat seine Geschichte“, sagt Jeff.
„Und du?“ fragt Jane, „hast du eine?“
„Männer, die da draußen das große Abenteuer suchen, haben immer welche“, gibt er zurück.
Jane sieht ihn fragend an. „Aha?“
„Hat unsere Mutter immer gesagt“, sagt Jeff.

Zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit sich Jane den Männern angeschlossen hat. Sie befinden sich weit abgelegen von jeder Form der Zivilisation. Sie kommen auf das Thema Schießen zu sprechen und Jeff meint, daß ihm niemand in dieser Disziplin schlagen könne, woraufhin Parker ihm einen furchtbaren Angeber nennt. Um das Thema zu klären, beschließen sie kurzerhand, ein Schießwettbewerb auszutragen und obwohl ihnen seit Tagen niemand mehr begegnet ist, stellen sie doch eine Wache auf.
„Das war nur Glück, sonst nichts“, neckt Parker Jeff nach der letzten Runde, „ich will eine Revanche.“
„Schön, wenn du wieder verlieren willst…“
Sie haben sieben Steine als Ziele. Jeder schießt vier mal, immer abwechselnd. Bill, der den Schiedsrichter macht, stellt neue Steine auf, die sie vorher gesammelt haben.
Jim war die Aufgabe als Wachposten aufgedrückt worden. Sie machen sechs Durchgänge und als alle Steine wieder aufgestellt sind, tritt Parker an die Markierungslinie. Er trifft vier von sechs, Jeff fünf.
„Fünf“, meint er.
„Das letzte Mal waren es noch sechs“, sagt Parker.
„Abwarten!“
Danach tritt Parker wieder an. Bill, der den letzten Stein wieder aufgestellt hat, geht schnell in Deckung. Parker setzt an, zielt und trifft, dann
trifft er auch die fünf anderen. Beim nächsten Durchgang treffen beide sechs Steine und am Ende geht das Rennen nur ganz knapp an Jeff. Er baut sich demonstrativ vor Parker auf und spuckt auf den Boden.
„Ich will auch“, sagt Jane auf einmal.
„Gegen wen?“ fragt Parker.
„Alleine“, antwortet sie.
Bill stellt neue Steine auf, Jane legt ihr Gewehr an und trifft sie alle.
„Was war denn das?“ ruft Bill.
Statt zu antworten, fragt Jane: „Jim, willst du auch mal?“
Jim dreht sich um. „Ja.“
Er trifft vier Steine. Sie gehen zu ihren Pferden.
„Ja, ja, schon gut, du bist unschlagbar“, sagt Parker. Sie schwingen sich in ihre Sättel und reiten weiter.
„Hast uns ja auch oft aus der Klemme geholfen, wenn es brenzlig geworden ist“, sagt Jim, „und es wird oft brenzlig.“
„Oft?“ fragt Jeff, „es wird immer gefährlicher. Vielleicht sollten wir aus diesem Staat raus, um irgendwo anders richtig abzutauchen.“
„Aber erst müssen wir hier lebend raus“, antwortet Parker.

Am späten Mittag erblicken sie einen Kojoten und machen halt.
„Jane“, flüstert Bill, „gib mir dein Gewehr.“ Jane gibt es ihn. Bill zielt und schießt.
„Treffer!“ ruft er, dann laufen sie hin, und Bill versetzt den Kojoten den Gnadenschuss. „Hier“, sagt er und gibt Jane das Gewehr zurück.
Am Abend sitzen sie beim Feuer zusammen, verspeisen den Kojoten und trinken den erbeuteten Whiskey.
„Glaubt ihr… Na ja, glaubt ihr, wir sind schon so was wie Legenden?“ fragt Bill. Jeff verschluckt sich am Whiskey
„Wie kommst du darauf?“ fragt er hustend.
„Weil sie“, er zeigt auf Jane, „schon als Shotgun Jane betitelt wird.“
„Schon möglich“, meint Jeff. Dann sitzen sie einfach nur schweigend da und lauschen in die Ferne. Parker, der Wache hält, dreht sich zu den anderen um. „Darf ich?“ fragt er und streckt die Hand nach der Flasche aus. Jeff gibt sie ihm. Nach einem Schluck hält er sie Jim hin, der mit ihm Wache hält.
Am nächsten Morgen packen sie ihre Sachen zusammen und reiten weiter. Mittags machen die Outlaws eine Rast und abends sehen sie in weiter Ferne eine Stadt.
"Wir reiten hin", meint Bill, zieht seine Waffe und geht in einen Galopp über, die anderen folgen ihm. Sie ziehen ebenfalls ihre Waffen.

Es ist still, als sie die Hauptstraße entlang reiten. Vor dem Gefängnis, steht ein fast fertiger Galgen.
"Haltet die Augen offen!" ruft Parker den anderen zu und vergewissert sich kurz, daß sie niemand von hinten überrascht. Sie alle halten ihre Revolver in der rechten Hand und reiten recht zusammengedrängt. Immer bereit feuern zu müssen. Zwanzig Minuten später sind sie wieder in der Prärie. Jane weiß, daß ihr Vater sich im Grab herumdrehen würde, wenn er sie jetzt sehen könnte. Sie weiß aber auch, daß man keine Entscheidung treffen kann, ohne jemanden dabei zu verletzen.
"Tut mir leid, Dad!" ruft sie in den Morgenhimmel. Parker blickt irritiert zu ihr hinüber.

10

Wenn die Clarence-Brüder eine Stadt überfallen sind alle konzentriert. Wenn eine Stadt von den Clarence-Brüdern überfallen wird, gehen alle in Deckung. So auch dieses mal. Die einzigen, die nicht in Deckung gehen sind diejenigen, die das Gesetz vertreten und diejenigen, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Dennoch gilt für alle die gleiche Regel. Keiner weiß, ob er den Tag überleben wird.
Die Brüder scheuchen ihre Pferde durch die Stadt, springen aus dem Sattel, nehmen sich, was sie brauchen und verschwinden wieder. Sie morden, um nicht selbst getötet zu werden und stehlen, um zu überleben.

Der wilde Westen hat schon immer diejenigen angezogen, die das Abenteuer suchen. Doch verdammt wären diejenigen unter ihnen, die steif und fest behaupten, sie würden nicht vor etwas davonlaufen. Denn das Herz eines Mannes steckt voller Geheimnisse und manchmal ist es auch das Herz einer Frau.
Die Clarence-Brüder und Shotgun Jane flüchten durch diese einsame Landschaft und fühlen den Wind auf ihrer Haut mit der Gewissheit, dem Tod noch einmal entkommen zu sein.

Wenn Jim und Parker mit jeweils einer Whiskeyflasche in der Hand wie Indianer um das Lagerfeuer tanzen, und Jane, Jeff und Bill wie ausgelassen singen, dabei allerdings keinen Ton treffen, dann lassen sie die Anspannung der letzten Monate heraus. Bill war der Meinung, dass es eine Zeit gäbe, um auch mal abzuschalten. Parker allerdings nannte das ganze ein Spiel mit dem Feuer, und Jim, der sich noch drastischer ausdrückte, nannte es Tango mit dem Tod, woraufhin Bill nur meinte: "Dann spielen wir halt mit dem Feuer und tanzen Tango mit dem Tod", und genau das tun sie jetzt bis tief in die Nacht hinein. Am nächsten Morgen ziehen sie dann leicht verkatert weiter.

Am Mittag sitzen sie zusammen.
„Mann, war das ein Abend gestern", meint Bill.
„Ja", stimmt Jeff zu, "vor allem mit unserer Ausgabe von Crazy Hourse und unserem Sittin' Bull hier.“
"Tango mit dem Tod, von wegen", sagt Parker.
"Jane, was hast du gestern gesagt, bei unserer Flucht?" wechselt Bill das Thema.“
„Ich dachte nur daran, wie sehr es mein Vater gehasst hätte mich hier zu sehen.“
„Hätte?" fragt Parker.
„Er lebt nicht mehr.“

Sie fallen in die nächste Stadt ein und nehmen mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Dann sind sie wieder weg. Auf halben Weg während ihrer Flucht fällt Jeff auf, daß Parker sich kaum noch im Sattel halten kann. Jeff lenkt sein Pferd neben Parker, während um sie herum die Schüsse kreuz und quer einschlagen und kniet sich auf sein eigenes Tier.
„Was zum Teufel machst du da!?“ fragt Jim.
Jeff achtet nicht auf ihn. Er schwingt sich auf Parkers Pferd, schlingt einen Arm um ihn und ergreift mit der freien linken Hand die Zügel. Parker wurde in den Rücken getroffen. Als endlich Ruhe herrscht, hält Jeff an.
„Halt!" ruft er. "Parker hat's erwischt!"
Die anderen bleiben augenblicklich stehen. Jim macht kehrt und kommt neben Jeff zum halten. "Was?"
„Komm", sagt Jeff, "hilf mir ihm abzusetzen."
Parker lässt ein Stöhnen hören, als sie ihm vom Pferd hieven, woraufhin Jeff ihm sofort in die Arme schließt.
"Parker? Hörst du mich?"
Ein weiteres Stöhnen.
„Ganz ruhig", sagt Jeff sanft.
"Jeff", flüstert Parker mit schwacher Stimme, "alles gut… Es tut nicht weh.“ Dann kippt sein Kopf zur Seite, die anderen nehmen ihre Hüte ab.
"Leb wohl, Bruder", sagt Jeff mit brüchiger Stimme und küsst ihn auf die Stirn. Ihm laufen Tränen übers Gesicht, dann sieht er zu den anderen auf. "Gehen wir", sagt er mit nun tränenerstickter Stimme, doch er sitzt weiterhin auf den Boden, seinen toten Bruder in den Armen. Eine Träne fällt auf Parkers Wange.
"Jeff", sagt Bill, "wir können … Wir können nichts mehr für ihm tun.“
Das Wort tun ist kaum zu vernehmen. Jeff nickt und erhebt sich schließlich. Da die Verfolger in jedem Moment auftauchen können, müssen sie ihren Bruder zurücklassen. Sie setzen ihre Hüte wieder auf, als sie zu ihren Pferden zurück gehen. Keiner sagt ein Wort.

Am Abend sitzen sie wieder um ihr Feuer. Jim sagt das einzige Wort des Abends, das allen aus der Seele spricht.
"Warum?" fragt er in die Runde, "warum?"

11


Jeff ist ausser sich vor Wut. Sie hatten sich in einer Stadt eine Zeitung besorgt und sitzen in der Mittagsstunde zusammen. Sie verzehren ein Stück Wild, das sie erlegt und über dem Feuer gebraten haben.
"Da vergeht mir ja der Appetit!" schimpft er, "wenn wir ihn hätten zurücklassen wollen, hätte ich mich nicht auf sein Pferd gesetzt! Ich hab sein Blut an meiner Kleidung!"
Jim reißt ihm die Zeitung aus der Hand und guckt selbst darauf.
"Die stellen das so da, als hätte es uns nichts ausgemacht", sagt er empört.
„Ha!" ruft Jeff, "ich weiß, was die behaupten!"
„Sie wollen uns schaden", sagt Bill. "Sie wollen ihre Sensation.“
„Sie werden nicht aufhören bis wir tot sind.“
„Selbst dann würden nicht aufhören", sagt Jeff, "wenn sich das da …“ Er deutet auf die Zeitung, die Jim in der Hand hält, "erst mal verbreitet hat, bleiben die Geschichten erhalten, auch über unseren Tod hinaus.“

Es graut bereits der Morgen, aber sie sitzen immer noch beim Schein des Feuers da.
„Tja, jetzt auch noch Parker", seufzt Bill.
„Glaubt ihr, er sieht uns von da oben?“ fragt Jane.
"Ich hoffe nicht", antwortet Jim, "es hätte ihn fertig gemacht, uns so zu sehen.“
Bei den letzten drei Worten fängt er zu weinen an. Jane, die neben ihm sitzt, nimmt ihn in den Arm und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht.
"Auf Parker", sagt Bill. Er hebt die Flasche, trinkt einen Schluck und gibt sie an Jane weiter. Sie trinkt ebenfalls und gibt den Whiskey dann Jim, er gibt ihn anschließend an Jeff weiter. Als es heller wird, machen sie sich wieder auf.

"Jane", flüstert Jeff. "Bist du wach?" Sie hatten sich am frühen Morgen an dem Weg, den sie entlang ritten, hingelegt und waren eingeschlafen.
Jane schreckt hoch und greift nach ihrem Gewehr. „Was ist los?"
„Ich kann nicht schlafen“, sagt Jeff.
Jane ist erleichtert, das nichts Schlimmes passiert ist.
"Wollen wir ein Stückchen gehen?"
Sie verlassen die anderen und setzten sich an eine abgelegene Stelle.
"Ich habe einen Mann erschossen.“
„Ich auch.“
Jeff lächelt schwach. „Aber nicht so." Jane sieht ihn an.
„Es war in einer Stadt", sagt Jeff. "Wir waren jung und hatten alle zu viel getrunken. Ich ging raus um frische Luft zu schnappen … Ich hatte meine Waffe neu - wir alle - und da war dieser Typ, Jane. Er war jung. Junge Männer, die zu viel getrunken und ihren allerersten Revolver haben, sind dumm … Ich drückte ab. Die anderen kamen rausgerannt uns sahen mich mit dem Revolver in der Hand und dem Toten vor dem Saloon. Danach haben wir nie wieder Vieh gestohlen."
"Das ist keine Geschichte … die man einfach so erzählt,“ sagt Jane nach einer Weile.
„Deshalb bist du die erste Außenstehende, der ich sie erzähle.“
"Wieso?"
Jeff guckt zu Boden. "Parker zurücklassen zu müssen, und Dex… Ich dachte genau wie Bill, es würde mich umbringen. Aber dann halt' ich inne und erinnere ich mich daran, daß das, was ich getan habe, genauso schlimm war.“

Es ist das Versprechen auf Reichtum, dass die Menschen in den Westen zieht, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und das Abenteuer. Doch die Geschichte hatte schon immer drei Seiten: Die gute, die böse und das dazwischen. Nach so langer Zeit jedoch, die man mit Gesetzlosen zusammen reist, scheinen die Grenzen ineinander zu laufen. Was gut ist, wird böse, was böse schien wird gut und was dazwischen war, existiert nicht mehr. Aber wurde uns nicht beigebracht, daß das Böse schlecht und das Gute richtig ist? Was ist mit dem, was dazwischen liegt? Janes Vater vertrat den Standpunkt, dass gut gut und böse böse sei, ebenso ihre Mutter. Sie hat schon früh gewusst, daß da noch mehr sein mußte. Hat immer gespürt, daß da mehr war als das, was man ihr beigebracht hat. Es hat Jahre gedauert, bis sie die Gelegenheit bekam, dieses Gefühl unter Beweis zu stellen und nochmals Jahre, bis sie wusste, wo sie hingehört und wer sie ist. Sie hatte den Namen Mary abgelegt und sich von einer Welt frei gemacht, die für sie niemals existiert hat.

An einem regnerischen Spätnachmittag wurden sie zu einer Rast gezwungen, weil Jim bei ihrer Flucht am Mittag angeschossen wurde. Bill, der ihm den Ärmel aufgerissen hatte, begutachtet die Wunde.
„Kein Durchschuss", sagt er, "das hab ich schon festgestellt.“
Dann gibt er Jim die Flasche. „Trink einen Schluck", sagt Bill.
Nachdem Jim getrunken hat, kippt er den Rest des Inhaltes über die Wunde, dann zerschlägt er die Flasche an einem Felsen und nimmt die größte der Scherben.
"Zähne zusammenbeißen", sagt er nur. Dann setzt er zum Schnitt an. Er vergrößert die Wunde, um so die Kugel herauszuholen, die in Jims Arm steckt. Jeff guckt ihn an.
"Mir geht es gut", sagt Jim mit gepresster Stimme.
„Wir haben's gleich", sagt Bill.
„Kein Stress, Bill. Lass dir Zeit", Jim lächelt gequält.
„Da ist sie", sagt er nach ein paar Minuten.
„Du hast doch wohl die Scherbe nicht abgebrochen, während du mir im Arm rum gesäbelt hast?" fragt Jim, immer noch mit gepresster Stimme.
„Keine Angst, hab ich nicht.“ Bill verbindet ihm den Arm mit seinem Halstuch. Einen Augenblick später jagen sie durch den mittlerweile strömenden Regen.

"Guten Tag, Ladies and Gentlemen, das ist ein Überfall! Seien Sie artig, machen Sie keine Faxen und kommen Sie nicht auf die Idee, den Helden zu spielen, klar?", sagt Bill. Jim und Jeff machen sich sofort dran, zum Schalter zu gehen. Dort steht ein Mann, der Geld abheben will, Jim packt ihm und schiebt ihm zur Seite.
„Hi", sagt er, "darf ich bitten?" Er hält dem Angestellten den Revolver vor die Nase, der sofort beginnt, das Geld in eine Tasche zu legen, während Bill die Situation von der Eingangstür aus überwacht. Jeff kümmert sich um den anderen Bankschalter.
„Hab alles zusammen", sagt Jim nach einer Weile zu Bill, dann lächelt er den Bankangestellten an. „Danke vielmals", sagt er und geht rückwärts zu Bill, während er sich dabei umsieht, um zu verhindern, daß er jemanden anrempelt. Wenig später kommt auch Jeff, sie holen Jane ab, die vor der Tür Wache hält, und flüchten.

Der Banküberfall liegt schon etwas zurück und Jim, Jane, Bill und Jeff machen an diesem Abend in der offenen Steppe halt. Während Bill und Jeff nach Wild Ausschau halten, dass sie jagen können, suchen Jane und Jim nach Feuerholz.
"Bill hatte schon immer das Talent Dinge richtig einzuschätzen. Er war es, der dich dabei haben wollte", sagt Jim.
Jane hebt ein neues Stück Holz auf. „Er entscheidet viel, stimmt's?"
„Es gab eine Zeit, da hat er alles entschieden.“
„Gab?"
„Er hat das Sagen, aber irgendwann wollen die anderen auch mal an der Reihe sein. Komm, wir gehen zurück. Wir haben genug.“
Sie machen sich auf den Rückweg.
Nach einer Weile fragt Jane: „Und Jeff?"
„Aus ihm ist nicht viel rauszuholen. Wenn es um ihn selbst geht, wenn man ihn besser kennt, dann merkt man allerdings, das er seine Gründe hat.“
„Die hätte ich auch bei so einer Geschichte.“
Jim sieht sie überrascht an. „Hat er die von dem Saloon erzählt?"
Jane nickt. "Es war kurz nach der Sache mit Parker.“
„Er erzählt es nicht gerne", sagt Jim.
„Wundert mich nicht", antwortet sie, "würde ich auch nicht tun." Dann sieht sie Jim an. „Und was ist mit dir?"
„Ich beruhige die Gemüter, wenn es zwischen allen kracht. Nicht immer bin ich es, der dafür sorgt, dass sich alles wieder beruhigt, aber oft.“
„Muß schwer sein.“
„Sie sind alle sehr willensstark und stur, aber es könnte schlimmer sein"
Als sie an der Stelle ankommen, an der sie geplant hatten Halt zu machen, werden sie bereits von Jeff und Bill erwartet.
„Da seid ihr ja endlich", sagt Bill, "wir hätten den Wapiti beinahe schon roh gegessen, so sehr knurrt uns der Magen.“
„Herrlich, Hirsch!", jubelt Jim, während sie auf die anderen zugehen. „Was für ein Fest! Hier, hilf mir mal das Feuer in Gang zu bringen.“
Er wirft Bill das Holz vor die Füße und ein paar Stunden später lassen sie sich den Hirsch schmecken.

Sie haben fertig gegessen und sitzen jetzt einfach nur da und reden, während die Sonne im Westen untergeht.
"Wo sind wir jetzt, Jim?" fragt Jeff, „schon an der Grenze?"
„Sicher nahe dran", antwortet Jim
„Schlafen wir diese Nacht hier, oder ziehen wir weiter?" fragt Jane.
"Nein, wir ziehen weiter", meint Bill, "oder?"
„Ja. Letztens sind wir nur mit knapper Not davongekommen. Wir ziehen weiter."
"Gut", sagt Jeff, "dann ziehen wir weiter.“
Sie nehmen einen Teil des Hirsches mit und verschwinden im Licht des ausklingenden Tages.

12

Als es so dunkel ist und sie nichts mehr sehen können, schlagen sie ihr Nachtlager auf. Beim ersten Sonnenstrahl reiten sie weiter. In den Jahren, in denen sie auf der Flucht sind, auch schon zu der Zeit, bevor Jane zu ihnen gestoßen ist, haben sie es sich angewöhnt, nie lange durchzuschlafen und nie lange an einer Stelle zu verbringen, was unter diesen Umständen wohl verständlich ist. Als Jane dazukam, hatte sie das erst lernen müssen, was ihr aber nicht besonders schwer gefallen ist.
Sie reiten in Richtung Kentucky weiter. In einer Stadt sagte man ihnen, es sei der letzte Ort vor der Grenze und ging dann schnell wieder seinen Tätigkeiten nach, während man hoffte, daß sie nur durchreiten würden, was sie auch taten.
Dann kamen sie nach Kentucky. Nach drei Tagen erreichen sie erste Stadt und machen sich über sie her. Jeff kokettiert gerne damit, daß Männer wie sie einsame Reiter in den Weiten der Prärie sind, aber Bill und die anderen wissen, daß es nur Spaß ist. So sitzen sie eines Abends zusammen, lassen geraubten Whiskey rumgehen und reden wie schon an so vielen Abenden zuvor.
„… aber nur weil wir zusammen sind", sagt Jeff gerade. „Könnt ihr euch so ein Leben alleine vorstellen? Ganz allein?"
Konnten sie nicht.
"Wieso zum Teufel reden wir darüber?" Bill gibt die Flasche an Jim weiter.
„Genau Bruder, warum?" fragt dieser. Danach reden sie über Veränderungen.
"Ich glaube, jeder Mensch hat seine Zeit. Veränderungen gehören zu dieser Zeit. Daran wachsen wir. Aber ich muß sie nicht erleben", sagt Jane und trinkt einen Schluck.
„Was macht dir daran Angst?" fragt Bill.
„Das hier zu verlieren.“ Sie zeigt in die Ferne. "Und die Kerle, die sich für Revolverhelden halten."
"Aha?" Jeff streckt die Hand nach der Flasche aus.
Jane gibt sie ihm. "Macht euch das keine Angst?"

Am nächsten Morgen reiten sie weiter. Sie wechseln kaum ein Wort. Ab und zu halten sie an, um sich zu stärken. Dann geht es weiter, durch Städte und eine scheinbar nie enden wollende Landschaft. Mit Verfolgern im Nacken und dem stetigen Gefühl, der Tod liege wieder auf der Lauer und er lechzt danach, einen von ihnen zu sich zu holen.
Sie reiten bereits mehrere Wochen, ohne ernsthaft in Gefahr geraten zu sein. Am Ziel ihrer Kentuckyreise jedoch werden Bill und Jeff nach einem Überfall schwer verletzt.
"Jane", sagt Jim, "kümmer' dich um die beiden." Bill und Jeff klammern sich derweil mit letzter Kraft an ihre Pferde.
"Bill!", ruft Jane, "kannst du dich noch halten?"
"Ja", gequält, gepresst aber deutlich.
"Jeff?"
"Geht schon!"

„Legen wir sie hin", sagt Jane, als sie anhalten, um sie notdürftig zu versorgen und die Verletzungen zu untersuchen. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden kaum noch bei Bewusstsein.
„Gib mir dein Halstuch, Jim.“ Jim gibt es ihr.
„Du brauchst vielleicht auch das hier.“ Er zieht sein Hem aus. „Press das vor die Wunde und binde dann das Tuch drum, ich mache das gleiche bei Jim.“
„Womit?", fragt sie, während sie sich an die Arbeit macht, und dann: „Hilfst du mir mal ihn hochzuheben?"
Nach zehn Minuten ist alles verbunden, als zweiter Verband wurde Bills Halstuch benutzt. Jim beugt sich ganz nah über Jeffs Gesicht und haut im auf die Wange.
"Jeff!?" sagt er mit lauter Stimme. Jeff murmelt etwas.
"Bill, hey, Bill!" ruft Jim, Jane tätschelt Bill ebenfalls auf die Wange.
„Laß“, sagt Jim, "wir müssen sie so auf die Pferde kriegen."
Es dauert, bis sie die beiden in die Sättel gehievt haben. Sie halten immer wieder nach Verfolgern Ausschau. Eine halbe Stunde später reiten sie weiter, während Bill und Jeff wie tot quer auf ihren eigenen Pferden liegen. Jim und Jane führen die beiden Tiere am Halfter.
„Und wohin jetzt? fragt Jane.
„Wir reiten in der nächsten Stadt und lassen sie da versorgen", sagt Jim. Jede halbe Stunde machen sie Rast, um den Puls der beiden Verletzten zu fühlen.
„Sie werden uns festsetzen", bemerkt Jane.
„Dann sollen sie nur kommen", gibt Jim zurück.
Ihre Patienten haben noch Puls, wenn auch schwächer als zuvor, als sie gegen Nachmittag in eine Stadt kommen.
„Wir brauchen Hilfe!" ruft Jim, als sie in die Stadt reiten, "bitte, kann uns irgend jemand helfen!?"
"Sie sind verletzt!" ergänzt Jane. „Wir brauchen einen Arzt!"
„Da hinten", sagt jemand und zeigt gerade aus, "kommt, ich bring euch hin." Er führt sie die Hauptstraße entlang und bleibt vor einem einfachen Haus stehen.
"Da wohnt die Familie Johnson, fragt da mal nach."
Sie steigen ab, binden die Pferde an und Jim klopft an die Tür. Die Tür geht auf und wäre auch wieder ins Schloss gefallen, würde Jim nicht seinen Fuß dazwischen stellen.
"Bitte", sagt er, "wir haben zwei Schwerverletzte dabei.“
„Wir bleiben nur solange, bis es ihnen besser geht", fügt Jane hinzu. Dann geht die Tür auf und vier Leute, drei Männer und eine Frau, erscheinen und bringen Bill und Jeff ins Haus. Wenig später sitzen sie alle im Wohnzimmer auf zwei Sofas in einen Sicherheitsabstand zueinander.
„Die Wunden sind erstmal versorgt", sagt der Mann, der jetzt ins Zimmer kommt. „Alles andere muss man abwarten.“
„Wie geht es ihnen?" fragt Jim.
„Sie haben viel Blut verloren. Ich gebe Ihnen erstmal etwas zum anziehen.“ Mit diesen Worten verschwindet er.
"Wenn Sie dafür sorgen, daß uns niemand hier stellt, versprechen wir Ihnen, daß wir Ihnen keinen Ärger machen", sagt Jane, "ich hab 'ne Zeit lang für mich selber gekocht, ich kann das.“
„Hören Sie mal, Miss", sagt der Älteste der vier, "wir machen hier nur unsere Arbeit. Wir werden dafür sorgen, daß alles klappt, aber damit endet unsere Pflicht. Wie Sie danach hier raus spazieren, ist Ihre Sache.“
„Einverstanden", sagt Jim. Der Mann kommt mit einem neuen Hemd zurück. Jim zieht es sich an.
„Ich bin Will,“ stellt sich der Älteste vor.
"Jane", sagt Jane.
"Jim.“
„Ich mach' uns etwas zu essen", sagt die Frau und verschwindet in der Küche. Keine Minute später ist ein Scheppern und Poltern zu hören.
"Magdalena?" sagt der Mann und eilt in die Küche, "alles in Ordnung, Liebes?"
„Ja", ist von dem angrenzenden Raum zu vernehmen, "ja, alles gut, ich bin nur etwas angespannt.“
„Komm, lass mich das machen", sagt der Mann. Magdalena erscheint wieder im Wohnzimmer und setzt sich zu ihrer Familie. Bei ihm läuft es zwar wesentlich besser als bei ihr, aber auch er scheint seine Nerven nicht im Griff zu haben. Jane steht auf und geht zur Küche.
„Hey, lassen Sie mich was kochen.“
Der Mann fährt herum und guckt sie an, als wäre sie ein Gespenst. Jane geht langsam durch die kleine Küche auf ihn zu. „Ich tue Ihnen nichts.“
Jim ist Jane in die Küche gefolgt.
"Dann gib mir besser erst einmal das da", er zeigt auf ihr Gewehr. Jane gibt es ihm.
„Wie heißen Sie?" fragt Jim, um ihm etwas zu beruhigen.
"Ted… Ted Johnson.“
Jim steht neben der Küche, um beide Räume im Auge zu haben und hält das Gewehr mit dem Lauf nach unten gerichtet, während Jane sich ans Kochen macht.
„Wo sind die Gewürze?" fragt Jane. Teds Blick ist auf das Gewehr fixiert .
“Ted?" Jane dreht sich um.
„Äh… was?" fragt Ted.
„Die Gewürze!“
"Da.“ Ted öffnet einen Schrank und dreht sich sofort wieder zu Jim um.
"Wir haben das gleiche Problem wie ihr", sagt Jim, "wir müssen euch trauen, ob wir wollen oder nicht.“
„Nur ihr habt Waffen", antwortet die Frau, "werdet ihr sie benutzen?"
„Noch gibt es keinen Grund dafür", sagt Jim
„Das ist sehr ehrlich.“
„Wie heißt du?"
"Alice.“
„Keine Angst Alice, es wird keine Toten geben", versichert Jim ihr.

Nach dem Essen gehen Jim und Jane für ein paar Minuten zu Bill und Jeff, die in einem Zimmer liegen. Ihre Revolver und Hüte liegen auf dem Nachttisch neben ihren Betten. Jim nimmt die Revolver und steckt sie sich in den Gürtel.
"Wie geht es dir, Bill?" fragt Jim.
„Es geht.“ Bill sieht Jane an. „Hey, Jane.“
„Hey", antwortet sie.
„Was ist mit Jeff?" fragt Jim. Jeff regt sich gerade, hat aber noch die Augen geschlossen.
„Ist noch nicht ansprechbar", sagt Bill, "ich hab's versucht. Aber es wird schon."
Ted kommt rein. „Kommt", sagt er.
„Geht schon", sagt Bill, "wir hauen nicht ab.“
„Wir kommen später noch einmal vorbei", sagt Jane.
„Macht das, bis dahin ist Jeff bestimmt auch schon wach."
Jim und Jane verlassen das Zimmer. Plötzlich klopft es, Ted geht zur Tür und öffnet sie.
"Sheriff?" Jim und Jane ziehen sich ins Krankenzimmer zurück. "Sie haben ein paar sehr gefährliche Leute in ihrem Haus, Mister Johnson", hören sie den Sheriff sagen.
"Sir, zwei von ihnen sind verletzt. Ich übergebe sie Ihnen, sobald sie wieder gesund sind. Die laufen nicht weg, und die zwei anderen auch nicht."
"Ich nehme Sie beim Wort. Sir?" sagt der Sheriff und geht wieder. Jim und Jeff kommen raus. Sie sehen Ted an. Ted geht ins angrenzende Wohnzimmer zurück, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.

Sie sitzen im Wohnzimmer und beäugen sich misstrauisch.
"Es wird Tote geben, oder?" fragt Will.
Jim nimmt den Hut ab. „Das kann ich jetzt nicht beantworten."
"Erzählt was", fordert Alice die Anwesenden auf, "die Spannung hier hält ja keiner aus.“
„Habt ihr einen Drink?" fragt Jane.
"Whiskey?" fragt der junge Mann mit dem adretten Aussehen.
„Ja, gerne", antwortet Jim.
„Die anderen auch?"
„Bring' doch gleich die ganze Flasche, Ben. Dann kann sich jeder was einschenken.“
Ben geht zu einem Schrank und holt eine Flasche. Er stellt sie auf den Tisch, dann holt er Gläser aus der Küche.
"Könnten Sie bitte Ihr Gewehr nicht so halten? Mir kommt es vor, als wollten Sie gleich jemanden erschießen", sagt Ted zu Jane, die wieder ihre Waffe in der Hand hat. Sie legt das Gewehr auf den Schoß. Immer bereit, es schnell an sich zu nehmen. Wenig später kommt Ben mit den Gläsern zurück und alle schenken sich ein, es wird natürlich nicht angestoßen.
"Wir müssen den beiden etwas zu essen bringen. Ben? Kommst du?" sagt Alice.
„Entschuldigt uns", sagt Ben ohne zu wissen, ob er damit auch seine ungebetenen Gäste meint. Sie verlassen gemeinsam den Raum.

Am frühen Abend statten sie Bill und Jeff wieder einen Besuch ab.
Mit dem Blick zur Zimmertür gerichtet, fragt Jeff leise: "Jim? Jane?"
"Jeff, da bist du ja", sagt Jane.
"Läuft es da drüben?" fragt Bill.
„Wir geben uns Mühe", antwortet Jane.
"Wenn es zum Äußersten kommen sollte", sagt Jim "wird einer von uns - von uns allen - das nicht überleben.“
„Sie ahnen, daß es ein unschönes Ende nehmen kann", sagt Jane ernst.
In dieser Nacht schlafen sie alle zusammen. Wieder bereit, sich zu verteidigen, sollte es zu einer unverhofften Wendung kommen.
Nachdem sie am nächsten Morgen gefrühstückt und auch Bill und Jeff etwas gegessen haben, sitzen sie alle im Wohnzimmer.
"Ihr habt recht", unterbricht der dritte der Männer das Schweigen, "wir ahnen, daß was kommt, ich meine wir spüren es doch alle.“
„Wie heißt du?" fragt Jane.
"Thomas", entgegnet der junge Mann, "also, warum bringen wir es nicht jetzt gleich zu Ende?" Er springt auf, Jane, die ebenfalls aufsteht, hält ihr Gewehr vor sich wie ein Jäger auf der Pirsch.
„Sei kein Narr, Thomas", sagt Ted.
"Vorsicht", warnt Jane.
„Hey Leute, ganz ruhig.“ Jim steht auf und legt eine Hand auf Janes Gewehr, er drückt es vorsichtig herunter und sie lässt es geschehen. Sie setzt sich wieder, ohne Thomas dabei aus den Augen zu lassen. Thomas und Jim tun dasselbe.
"Na schön", zischt Thomas, "ganz wie ihr wollt. Aber wundert euch nicht, wenn's am Ende Tote gibt. Allerdings lassen wir unsere Toten nicht im Dreck verrotten!"
Jim zieht den Revolver und schiebt Jane, die ihn aufhalten will, unsanft beiseite. Er stürzt sich auf Thomas, packt ihm, zerrt ihm vom Sofa und hält ihm den Revolver an den Kopf. Alice schlägt die Hände vor das Gesicht und stößt einen Schrei aus.
"Ich sollte dich auf der Stelle umlegen! Sag' das noch mal.“ Jim spannt den Hahn. „Sag' das noch mal!!" brüllt er ihn an.
Jane, die sich inzwischen aufgerappelt hat, drängt sich zwischen die Männer und hält Jim zurück.
„Hört auf", sagt sie, „alle beide!“ Jim wirft sich in sie hinein, scheint jedoch gegen eine Wand zu laufen. „Sei doch vernünftig, Jim", sagt sie.
Einen Augenblick lang funkelt er sie an, als wolle er sie mit seinen Blick töten, dann dampft er ab. Jane, die wieder einen Sicherheitsabstand zwischen sich und denn anderen geschaffen hat, sieht Thomas an.
„War das wirklich nötig?" fragt sie und verlässt ebenfalls den Raum.
„Ich brauch' ein Drink.“ Thomas geht in die Küche.
„Was sollte das?" fragt Ted, "willst du dich umbringen?"
"Oder uns?" ergänzt Alice.
"Thomas …“ Ted wirkt ungeduldig.
„Lassen Sie, selbst wenn er es erklären würde, Freunde werden die zwei nicht mehr", sagt Jane die wieder dazu gestossen ist. Alle schauen sich zu ihr um. "Und wir zwei auch nicht, nur hab ich dir gerade den Kopf gerettet.“
„Aha", meint Thomas nur, "soll ich mich jetzt bedanken?“
„Ach was, schon gut.“ Jane geht ebenfalls in die Küche und nimmt sich ein Glas, dann geht sie zum Schrank und gießt sich Whiskey ein. Sie setzt sich wieder auf das freie Sofa.
„Würdest du jemanden zurücklassen, Thomas? So was macht man nicht freiwillig, dazu gehört sehr viel Kaltblütigkeit. Wir mögen vielleicht Mörder sein, aber wir sind nicht kaltblütig.“ Jane trinkt ein Schluck.
„Ich weiß nicht was ihr seid.“
„Nein", stimmt Jane zu, "aber du weißt, daß ich ihn nicht hätte daran hindern müssen, dich zu erschießen. Glaubst du, wir wären ein solches Risiko eingegangen, wenn wir eine andere Wahl gehabt hätten? Wenn wir sie hätten zurücklassen wollen?"
"Schluss jetzt", unterbricht sie Magdalena, "ich will nichts mehr davon hören. Das gerade eben war ja wohl Aufregung genug.“
Jane lässt das volle Glas stehen und verlässt das Wohnzimmer.

Eine Minuten später ist Jane in Bills und Jeffs Zimmer. Jim sitzt auf dem Rand von Bills Bett und hält seinen Hut in der Hand. Jane schließt die Tür, setzt sich vor Jim auf den Boden und nimmt auch ihren ab.
„Verdammt", sagt Jim.
„Wieder besser?" fragt Jane.
„Ruhiger", sagt er, "ich hätte ihn… Ich hätte diesen…" Er sieht zu Boden und atmet tief durch.
"Jim…?"
"Jane, lass", unterbricht Jim sie. Und dann nach einer Weile: "Okay, alles okay.“
„Sicher?" fragt Bill.
„Ja"
"Leute", meldet sich Jeff zu Wort, "ich weiß, es ist schwer. Aber wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren.“
„Du hast recht.“ Jim wischt sich mit dem Handrücken über die Augen und steht auf. „Gut.“
„Und jetzt?" fragt Bill.

Anderthalb Wochen später sitzen sie alle, Bill und Jeff eingeschlossen, beim Frühstück, als es an der Tür klopft. Ted und Magdalena haben die ganze Zeit mit dem Sheriff in Verbindung gestanden. Bill, Jeff und Jim springen auf und ziehen ihre Revolver, Jane hält ihr Gewehr schussbereit. Magdalena steht auf und geht zur Tür.
"Misses Johnson?" hören sie die Stimme des Sheriffs. Bill packt Ben am Kragen und zerrt ihm auf die Füße. Er hält ihm den Revolver an den Hinterkopf und Jim greift sich Ted. Zu viert verlassen sie das Wohnzimmer, während die anderen folgen. Jane passt auf, daß keiner ihnen zu nahe kommt.
"Los, Tür auf!" ruft Jim und Magdalena öffnet die Tür. „Zur Seite!“
Magdalena steht nur da und starrt ihn an.
„Zur Seite, zur Seite!" Er hält Ted den Revolver an die Schläfe, woraufhin sie zur Seite tritt.
„Wagt es ja nicht, näher zu kommen!" hören sie Jane sagen.
"Und jetzt raus", sagt Jim. Magdalena tut wie geheißen.
„Runter mit den Waffen!" ruft Jim, als er draußen ist. Er lässt Bill vorbei und dann stehen sie mit ihren Geiseln nebeneinander. Sie treten ein Stück vor, damit die anderen zwei auch heraus können, die dann sofort die Pferde loszubinden.
„Zurück!" ruft Bill, "zurück, zurück!" Er feuert zweimal in die Luft.
„Okay Leute, zurück!", sagt der Sheriff, "aber bleibt auf eurem Posten!"
"Jeff, kümmere dich um ihn und gib mir Feuerschutz wenn nötig", sagt Jim und schwingt sich in den Sattel, die anderen sitzen auch schon auf den Pferden. Jim hält die Waffe auf den Sheriff gerichtet, während die anderen auf die versammelte Schar der Hilsfssheriffs zielen. Dann geben sie ihren Pferden die Sporen und sie galoppieren Richtung Prärie.

Sie reiten bis zum nächsten Morgen weiter. Sie meiden die Städte. Sie vermeiden es sogar, in die Nähe einer Stadt zu kommen.
"Wenn du nicht dazwischen gegangen wärest, hätte ich ihn umgebracht.“
Die Nachmittagssonne scheint heiß auf sie nieder. Sie lassen sich gerade einen Präriehund schmecken.
"Vermutlich", sagt Jane.
"was war denn los?", Fragt Bill
„Er hat uns vorgeworfen, unsere toten Brüder im Dreck verrotten zu lassen.“
„Ich hätte diesen Mistkerl umgelegt, wenn ich davon erfahren hätte, glaubt mir.“
„Tja, und genau deshalb habe ich dir nichts gesagt, Bill."
Danach verschwindet der Rest des Präriehundes in der Satteltasche und sie machen sich wieder auf den Weg.
Nach etwa einer Woche erreichen sie mitten in der Prärie ein kleines Farmhaus mit einer Pferdekoppel. Die Stadt ist nur eine halbe Stunde entfernt.
"Mom, Dad!" ruft Bill, als sie auf die Koppel reiten.
„Wow", macht Jane.
„Na ja, das Haus ist nicht das Schönste, aber es lässt sich hier sehr gut leben", sagt Jim, der neben ihr reitet.
"Das seh' ich", erwidert sie. In der Tür des Holzhauses steht ein Ehepaar mittleren Alters. Die Frau kommt auf Jim zugerannt.
"Jim!" sagt sie. Mittlerweile sind auch die anderen am Haus angekommen.
"Dex und Parker…", beginnt Jim.
„Wir haben auch Kontakt zur Außenwelt", sagt der Mann, "auch wenn es nicht so aussieht.“
„Die Stadt ist nicht weit weg", fügt die Frau hinzu. Sie steigen ab, drängen sich alle zusammen und umarmen sich herzlich. Jane hält sich dezent im Hintergrund, doch die Frau kommt auf sie zu.
„Ich bin Dorothy, und das ist Mitch.“
"ich bin Jane", sagt sie.
„Ja, ich weiß", sagt Dorothy, "kommt rein." Sie gehen in das kleine Esszimmer und setzen sich an den Holztisch.
"So", sagt Mitch, "nun erzählt mal. Welche Abenteuer habt ihr bestanden?"
"Mitch, bitte", sagt Dorethy, "sie sind zu fünft los, und nun kommen zwei weniger zurück. Nennst du das ein Abenteuer?"
Nach dieser Bemerkung sagt Mitch nichts mehr.
"Sie kannten doch Dexter und Parker, oder Jane?" fragt Mitch nach einer Weile.
"ja, und ich hab…" Sie schaut die anderen an.
„Sie hat sie auch sterben sehen", sagt Jeff.
Einen Moment lang sagt keiner etwas, dann unterbricht Dorothy das Schweigen.
„Wie lange wollt ihr bleiben?"
„Ein, zwei Tage", sagt Bill, "man könnte uns sonst erwischen.“
„Draußen kann man euch auch erwischen", sagt Mitch.
„Aber da sind wir in Bewegung, hier nicht.“
Eine Stunde später sitzen Jane, Jim, Jeff und Bill in einem der Schlafzimmer.
"Und wenn jemand kommt, während wir hier sind, sagen sie uns Bescheid, richtig?" fragt Jane.
„Ja, keine Sorge", meint Bill, "hier sind wir sicher.“
Am Abend sitzen sie draußen vor der Tür auf den Stufen und trinken Whiskey. Die Clarence sind endlich wieder nach Jahren mit ihrer Familie vereint.

Vor allen für Bill ist diese Zeit schwer, aber auch für alle anderen. Sie denken daran, wie sehr es ihren zwei Brüdern gefallen hätte, bei der Familie begraben anstatt in der Prärie zurückgelassen worden zu sein.
Als Jane auf der Suche nach Jeff in eines der Zimmer im Erdgeschoss geht, schreckt dieser hoch.
"Jane", sagt er und schnieft.
„Alles in Ordnung?"
„Ja. Ich würde aber jetzt gerne allein sein", sagt Jeff.
„Alles klar", sagt Jane und verlässt das Zimmer.

Sie geht zurück ins Wohnzimmer. Bill und Jim halten sich dort mit ihren Eltern auf.
„Ja, alles klar", hört sie Bill sagen, "ist schon fast verheilt.“ Er zieht sein Hemd aus. Jane versteht jetzt, warum Bill so reagiert hat, als er seine Geschichte erzählt hat. Sein Rücken ist übersät mit Narben.
„Hi, Jane", sagt Jim.
„Oh, äh… dauert nicht lang", sagt Bill etwas verlegen.
„Macht nichts, laß dich nicht stören, ich guck auch weg.“ Sie setzt sich an den Tisch mit dem Gesicht ihnen zugewandt, aber sie guckt Jim an.
"Ach, schon gut. Wo ist Jeff?" Dorothy Clerance ist gerade dabei, den Verband zu entfernen.
„Im Zimmer.“
„Sauberer Durchschuss", sagt Mitch, als der Verband ab ist, "sonst noch jemand?"
"Ja, Jeff", sagt Bill.
„Aha", sagt Mitch, "noch mehr Verletzte?"
"Nein, sonst niemand", sagt Jim.
„Wohin wollt ihr von hier aus?" fragt Mitch, als Jane sich gerade abwenden will.
"Keine Ahnung" erwidert Bill.

Am Abend sitzen sie gemeinsam am Tisch.
"Wir brechen morgen auf", verkündet Jim.
„Aber ihr frühstückt doch noch mit uns, oder?" fragt Dorothy.
„Ja", antwortet Bill.
„Bleibt doch noch was", bittet Mitch seine Söhne.
"Würden wir ja, aber es ist gefährlich geworden, sich zu lange an einen Ort aufzuhalten." Jeff blickt seinen Vater an. „Tut mir leid.“
„Schön", seufzt dieser. „Ihr kommt nicht mehr wieder, das weiß ich.“
"Dad…“, beginnt Bill.
„Warum musstet ihr weggehen? Ihr hattet es doch gut hier.“

Bill sitzt draußen auf der Treppe, als Jane mitten in der Nacht aufsteht, um einen Schluck Wasser zu trinken. Statt dessen holt sie zwei Gläser und schenkt beiden Whiskey ein.
"Hier.“ Sie ist rausgegangen und hält ihm jetzt das Glas hin.
"Danke.“ Bill greift danach. Sie setzt sich neben ihn.
"Dad hat Recht", sagt er schließlich, "wir kommen nicht wieder zurück.“
„Das Leben ist eben nicht fair. Zu niemanden.“ Sie trinkt einen Schluck.
„Nein", bestätigt Bill, "ich wünsche, es wäre anders. Es tut nur weh zu wissen, daß wir uns niemals wieder sehen werden, außer vielleicht, wenn wir…"
"Schluss jetzt", sagt Jane, bevor er diesen Gedanken ganz aussprechen kann. Dann sehen sie in die Nacht hinaus und als sie ausgetrunken haben, gehen sie schlafen.

Nach dem Frühstück verabschieden sie sich den Eltern und reiten weg. Sie reiten bis in den Nachmittag hinein, an dem sie eine Pause machen. Sie reiten, bis sie Kentucky hinter sich gelassen haben. Sie reiten, bis sie irgendjemand aus dem Sattel holen würde, doch es holt sie niemand aus dem Sattel. Sie reiten, während sie den Atem des Teufels ganz dicht hinter sich spüren. Doch er wird sie niemals kriegen, nicht solange sie die Sonne auf ihrer Haut spüren, den Wind im Gesicht und jeden Atemzug, als wäre es der letzte.


13

Sie fallen über eine Stadt her, sie flüchten und werden beinahe geschnappt. Beim Schein des Lagerfeuers sitzen sie zusammen und reden, oder sitzen einfach nur da und lauschen in die Nacht hinein.
An einem dieser Nächte ist es kühl und das Feuer ist das richtige Gegenmittel gegen die Kälte. Gerade in den letzten Wochen und Monaten ist klar geworden, wie sich der Lauf der Dinge entwickelt hat, wie sehr das Schicksal eingegriffen hat. Doch kann man es überhaupt Schicksal nennen? Es gibt Menschen, die nennen dieses Schicksal auch Gott. Doch für Bill, Jim und Jeff spielt es keine Rolle, wie es genannt wird, auch nicht mehr für Jane. Ist sie doch Teil dieses Clans und fühlt inzwischen schon auch die kleinen Stiche, die ihnen das Schicksal (oder Gott?) im Laufe ihrer Reise versetzt hat.
Noch vor ein paar Jahren hätten sich alle fragen können, ob dieser Gott, nennen wir es mal Gott, wirklich in der Lage sein kann, einem so viel Leid zuzufügen. Sicher würden manche auch dem Teufel die Schuld geben. Ob wir Gott jemals für das Leid vergeben können, das er uns alle durchmachen lässt?

Der nächste Tag verläuft ereignislos und sie machen gegen Mittag eine Rast.
„Stört dich das eigentlich nicht?“ fragt Bill seine Bruder Jeff.
„Was denn?", antwortet dieser, "das hier? Nee.“
„Nie?"
„Ab und zu ja.“ Jeff starrt ins Feuer. "Mittlerweile. Und dich?"
„Wenn ich hier bin, nicht.“
„Wisst ihr? Als Kind hab ich immer so getan, als wäre ich eine Diebin und mein Vater der Sheriff. Ich habe mich versteckt, und er musste mich suchen", erzählt Jane, "und es war in Ordnung. Weil ich ein Kind war. Ich weiß nicht, ob es mich stört wie ein Vagabund zu leben. Aber es ist jetzt mein Leben.“
„Und, das war's?" Jeff mustert sie von der Seite.
„Ja", erwidert sie, "das war’s.“

Die nächste Stadt liegt eine weiteren Tagesritt entfernt. Sie gehen vor, wie sie immer vorgehen und es endet, wie es immer endet, stets darauf bedacht das Beste aus jedem Tag zu machen.

counter2xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Torsten Radisch am 14.11.2018:

He, Cowgirl! Ich hab schon auf 'Wortkrieger' geantwortet, dass mir die Geschichte sehr gut gefällt. Aber die haben meine Antwort einfach gelöscht... Jetzt hab ich das also nach geholt. Grüße aus dem Süden Torsten - still The Brave Bavarian




geschrieben von Metti am 14.11.2018:

Da versteh` mal einer die Wortkrieger. Naja, der Name ist Programm. ;-)




geschrieben von Torsten Radisch am 16.11.2018:

Servus! Da Du doch auf Western stehts - schreib doch mal was über Hermann Lehmann! Der als Weißer es sogar bis zum Häuptling brachte. Grüße Torsten - still The Brave Bavarian




geschrieben von Dan Prescot am 28.11.2018:

Cooler Western.

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Alice
Kurt Kokain/Eastwhich Town