Veröffentlicht: 11.03.2018. Rubrik: Menschliches
Haa(aaaa)riges
Es ist fast unglaublich, wie sehr Haare einen Menschen in seinem Aussehen, seiner Aura und seinem Habitus verändern können. Zwar ist es richtig, dass auch „Kleider Leute machen“, sprich verändern (siehe den „Hauptmann von Köpenik“), doch das Haupthaar bei Männern und Frauen, die Länge, die Farbe, der Schnitt, und der Bart zusätzlich bei Männern, ist geradezu gleich einer Maskerade. Beim Theater in der griechischen Antike wurde die Maske benutzt, um die gespielte Rolle besser verkörpern zu können. Sie wurde „persona“ genannt, also wurde durch die Maske ein Personentausch vorgenommen. In der Tat lassen sich Menschen oft die Haare grundlegend verändern, wenn sie einen neuen Lebensabschnitt beginnen, oder sich ein neues Images aufbauen wollen. Haare werden gefärbt, werden abgeschnitten, man/frau lässt sie lang wachsen, oder werden ganz entfernt zur modernen Glatze. Bärte lässt man/n wachsen, der moderne Dreitagebart, der in Wirklichkeit bei vielen Männern schon zwei Wochen alt ist, oder sie werden entfernt, um nicht erkannt zu werden.
Pro cm² hat ein Mensch zwischen 161 und 226 Haare auf dem Kopf. Ein Haarverlust von 100 pro Tag gilt ist Norm. Das menschliche Haar wächst weltweit im Durchschnitt 0,3 Millimeter pro Tag und weist eine Dicke von 0,05 bis 0,07 Millimeter auf. Ein solches dünnes Haar auch noch zu spalten, galt vor der Entdeckung der Möglichkeit einer Atomkernspaltung (1938) als vollkommen „impossible“. Der Atomkern befindet sich im Zentrum des Atoms; sein Durchmesser beträgt etwa 1⁄20.000 bis 1⁄150.000 des Durchmessers der Elektronenhülle. Wenn also ein Mensch allzu spitzfindig war und mit jedem auch unsinnig erscheinenden Argument versuchte, seine These zu untermauern, dann sprach man von der „Haarspalterei“, die er betrieb. Andere bezeichnen diese dann wieder als „Rabulistik“, oder Wortklauberei. In der Antike gab es mit den Sophisten sogar eine ganze Berufsgruppe, die „Haarspalterei“ gegen ihre ganz persönliche Überzeugung betrieben, um davon zu leben. - Und natürlich lässt sich ein Haar spalten, was jeder weiß, dessen Haarspitzen gebrochen waren und den so genannten „Spliss“ aufwiesen. Haarspliss allerdings ist auch erst seit ein paar Jahrzehnten bekannt und hängt sehr viel mit der chemischen „Überpflege“ der Haare zusammen. Blondieren, Färben, Föhnen und so weiter kannten Römer, Germanen und Gallier nicht.
Nicht zu vergessen, das berühmte „Haar in der Suppe“, das nur von wenigen gesehen und gefunden wird, dafür aber manchmal in fast jeder Suppe, selbst wenn es gar nicht vorhanden ist. Das Haar als Sinnbild der Feinheit gilt in dieser Redensart als schwer zu entdeckender, gleichwohl aber durchaus gravierender Nachteil. Schon bei Grimmelshausen finden sich die zwei Seiten der Redensart: die Nörgelei, aber auch der "scharfe Blick" für echte Nachteile (Simplicissimus 4, 234). Es gibt also die beiden Seiten des „Haarefindens“ in der Suppe und es wäre fatal, Leute, die Skandale, Ungereimtheiten und Fehlberechnungen und Fehlentscheidungen aufdecken, pauschal als „Nörgler“ oder „Meckerer“ abzuurteilen. Haarspalterei kann auch heilsam sein. Man muss sie different betrachten. Wer also das sprichwörtliche »Haar in der Suppe« sucht, hofft bildlich, etwas Negatives an jemandem zu finden - allerdings wusste schon der Dramatiker Christian Friedrich Hebbel (1813-63) in seinen »Neuen Epigrammen« zu berichten: »Mancher findet nur darum ein Haar in der Suppe, weil er das eigene Haupt schüttelt, solange er ißt«. --- „Herr Ober, hier ist ein Haar in meiner Linsensuppe.“ >Meint der Ober: „Das ist kein Haar. Das ist das Wienerle.“
Da sind noch die berühmten „Haare auf den Zähnen“, die man/n vor allem besonders starken und/oder dominant auftretenden Frauen nachsagt. Starker Haarwuchs war schon immer auch ein Zeichen von Stärke an sich (Löwenmähne; Simson im Alten Testament). In Grimms Deutschem Wörterbuch (Bd. 10, Sp. 16) steht: "Voller Haarwuchs an Kopf und Bart ist Zeichen der Kraft, und als Mann wird im deutschen Rechte der erkannt, der Haare am Bart, unter den Armen und an den Schamteilen hat." Die Übertragung der Behaartheit auf eigentlich unbehaarte Körperteile stellt eine (häufig ironische) Übertreibung dar. Auch Friedrich Schiller verwendet im Schauspiel "Die Räuber" (II, 1) die heute ungebräuchliche Variante: "Du bist ein entschlossener Kerl - Soldatenherz - Haar auf der Zunge!" Aber auch für Männer, die Haare auf den Zähnen haben gilt: Sie sind besonders zäh, robust und hart im Nehmen.
Allerdings soll die traurige Seite nicht vergessen werden. Menschen unterscheiden sich nicht nur durch ihre Gestalt und Gesichtszüge, sondern eben auch die Haarpracht, ihren natürlichen Kopfschmuck. Wem dieses wichtige Merkmal der individuellen Person (persona) gewaltsam und unfreiwillig genommen wird, wie es in den KZs und GULAGs der Nazis und der Sowjetunion geschah, will dem Menschen die Würde der Einmaligkeit nehmen. Dass dieser natürliche kopfschmuck dann auch noch industriell und wirtschaftlich verwertet wurde, kann kaum noch verwundern. Auch das Skalpieren – also das Entfernen der Kopfhaut samt Haarpracht - dürfte in diese Kategorie fallen. Das Skalpieren übrigens ist keine Erfindung der amerikanischen Indianer oder der „Westmänner“, sondern kommt schon zu Zeiten des Alten Testamentes als Folterungsmethode vor. „ Als der erste der Brüder auf diese Weise gestorben war, führten sie den zweiten zur Folterung. Sie zogen ihm die Kopfhaut samt den Haaren ab und fragten ihn: Willst du Schweinefleisch essen, bevor wir dich Glied für Glied foltern? Er antwortete in seiner Muttersprache: Nein! Deshalb wurde er genauso wie der erste gefoltert. (2. Makkabäer, Kapitel 7, Verse 7-8). Doch auch die antiken Skythen in Eurasien wandten das Skalpieren ihrer Feinde an mund brüsteten sich mit den Skalpen als Siegestrophäen.