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geschrieben von Carl-Paul Hénry (Carl-Paul Hénry).
Veröffentlicht: 26.02.2018. Rubrik: Unsortiert


Ein Brief, der nie geschrieben wurde

    Berlin, 3. November 1944


Mein Führer,

gemeinsam sind wir Seit an Seit durch die Tiefen der Republik gegangen, um Deutschland zu dem zu machen, was ihm von Urzeiten her verheißen war. Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, war ich stolz Ihr Begleiter. Und nicht nur jenes. Sie haben mehr erreicht in Böhmen und Mähren, in Flandern und Paris.

Doch heute ersuche ich Sie dringlich, mein Führer, die Westfront aufzugeben und die Kameraden nach Hause kehren zulassen, damit sie Weihnachten 1944 schon im Kreise ihrer Frauen und Kinder, Eltern und Geschwister verbringen können. Der Krieg, mein Führer, ist verloren. Auch ich habe immer an den Endsieg geglaubt. Auch ich war immer ein Verfechter des reinen arischen Blutes und der Ausrottung des Judenvolkes.

Vor wenigen Tagen feierte ich meinen 47.ten Geburtstag. Danach fuhr Magda mit den Kindern für ein paar Tage nach Frankfurt Oder. Sie haben mir gefehlt, besonders die beiden Kleinen. So kam es, daß ich manche Nacht wach lag und grübelte über das, was war und das, was wohl noch kommen wird. Mein Führer, wir haben schwer gesündigt. All die an der Ostfront gefallenen Kameraden, ich denke da besonders an General Paulus und das verfluchte Stalingrad. All die gemordeten Polen, Litauer und russischen Bauern. All die Juden und Zigeuner, mit ihren Kindern. Ich kann, mein Führer, nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich mich nicht an meine Schreibmaschine setze und Ihnen diese Zeilen schreibe.

Auch in mir fließt kein reines arisches Blut, wie es mein Vorname verrät. Und wohl mit einigem Recht lästert das Volk über mich und nennt mich Schrumpfgermane. Gehöre nicht auch ich eigentlich in die Gaskammern von Auschwitz?

Mein Führer, ich ersuche Sie, zu kapitulieren. Sowohl im Westen, als auch im Osten und Konzentrationslager sämtlich aufzulösen. Ansonsten kann ich Ihnen nicht mehr ergeben sein und ziehe stattdessen den Freitod vor.

In der Hoffnung, dasz Sie sich ernstlich Gedanken über mein Ansinnen machen, mit Dank für Ihre Grüße zu meinem Geburtstag und mit den Worten unseres großen Dichters Heinrich Heine „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“, verbleibe ich mit einem

Heil Hitler, mein Führer,

Ergebens Ihr

Dr. Goebbels

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Metti am 06.03.2018:

Eine Kurzgeschichte von 1944? Das hat mich neugierig gemacht. Wie alt sind denn inzwischen die Mitglieder dieser Seite? Jo, viele Briefe wurden nie geschrieben. Oder geschrieben und nie abgeschickt. Wer weiß?

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