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6xhab ich gern gelesen
geschrieben 2023 von Jens (Jens Richter).
Veröffentlicht: 04.04.2024. Rubrik: Nachdenkliches


Glück und Unglück

Als betrieblicher Ersthelfer erhalten wir aller zwei Jahre eine Auffrischungsschulung.
Der Referent erzählte uns bei der letzten Schulung, dass in einem Einkaufszentrum kürzlich ein knapp 60jähriger Mann verstorben war, nachdem er scheinbar aus dem Nichts zusammengebrochen ist.
Ironischerweise direkt vor dem Eingang der Apotheke.
Außerdem, und das ist besonders tragisch, gab es auf der Ebene des Einkaufszentrums einen Defibrillator.
Doch was hat ein Geschädigter von diesem nützlichen Gerät, wenn zwar dutzende Gaffer umherstehen, am Ende noch mit dem Mobiltelefon die Szenerie filmen, aber kein Mensch die Initiative ergreift, um aktiv zu helfen.
Wenigstens hatte der Apotheker die SMH (112) verständigt, die relativ schnell am Schadensort eintraf, jedoch die Reanimation erfolglos abbrechen musste, weil die lebensrettenden Maßnahmen einfach zu spät eingeleitet wurden waren.
Solche Nachrichten lassen mich mit einem Kopfschütteln zurück, denn jede Frau und jeder Mann kann 1. Hilfe leisten.
Und kein Helfer wird bei etwaigen Fehlern gerichtlich belangt.
#
Dieser tragische Fall erinnert mich immer an ein Vorkommnis im Mai 2019 in unserer Firma, wo ein geschädigter Kollege großes Glück im Unglück hatte.
Ich arbeite in einem größeren Handwerksbetrieb am äußeren Stadtrand im Dresdner Westen, gelegen in einem Gewerbegebiet.
Auf dem Gelände unserer Firma stehen zwei Gebäude.
Wie es an jenem Tag das Schicksal wollte, musste ich zu einer Projektbesprechung ins andere Gebäude.
Vor dem anderen Gebäude arbeiteten unsere Tiefbauer, die ein neues Firmenschild aufstellen sollten und gerade das Fundament gossen.
Nach der Projektbesprechung verließ ich das andere Gebäude und kam bei den Tiefbauern vorbei, die in heller Aufregung waren.
Einer von ihnen war plötzlich umgekippt und lag bewusstlos am Boden.
Die Jungs waren nachvollziehbar in Panik, riefen aber geistesgegenwärtig die 112 an.
Auf meine Aufforderung holten sie noch andere Ersthelfer unserer Firma hinzu.
Wie beschrieben, bin ich ebenfalls Ersthelfer und trotzdem hatte ich einen kurzen Augenblick einen Blackout, weil mich die Situation ebenfalls eiskalt erwischt hatte.
Das ist aber in so einer Situation völlig normal.
Nach diesem verdauten Schock begann ich mit der Atemkontrolle.
Der Kollege atmete nicht und hatte keinen fühlbaren Puls.
Dann überstreckte ich den Kopf, damit sich der Mund öffnete, um festzustellen, dass der Rachenraum frei ist.
Gott sei Dank stießen gleich noch zwei Kollegen hinzu, die ebenfalls Ersthelfer sind.
Wir begannen sofort mit der Herzdruckmassage im Wechsel von einer Minute.
Zwischendurch holten andere Kollegen unseren Defibrillator, der an diesem Tag das erste Mal bei einer realen Anwendung zum Einsatz kam.
Das Gerät gab während der Reanimation immerhin zwei Impulse ab.
Nach einer gefühlten Viertelstunde traf endlich die SMH ein.
Und selbst als der Notarzt die professionelle Technik vorbereitete und unserem Kollege Adrenalin verabreichte, durften wir Ersthelfer noch nicht mit dem Pumpen aufhören.
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Unser Kollege wurde später ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht.
Mit uns drei Ersthelfern war den Tag nichts mehr anzufangen.
In Gedanken waren wir bei unserem Kollegen und hofften natürlich, dass unser Einsatz nicht umsonst gewesen war.
Bange Tage des Wartens auf eine Nachricht folgten.
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Ein paar Tage nach dem Ereignis informierte die Ehefrau des Kollegen die Geschäftsleitung, dass der Kollege aus dem künstlichen Koma erwacht war.
So wie es aussah, ging es ihm den Umständen entsprechend gut und seine Gehirnfunktionen hatten keinen sichtbaren Schaden genommen.
Lediglich eine Rippe hatte einer von uns Helfern ihm im Eifer gebrochen.
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Vielleicht fragt ihr Euch jetzt, warum erzählt er Euch von diesem Erlebnis?
Ich sage Euch, dass Ihr kein schöneres Glücksgefühl auf dieser Welt bekommen könnt, als diesen Kollegen wieder bei der Arbeit zu sehen.
Und im Stillen hofft man natürlich immer, dass wenn man selbst einmal in so eine Notlage gerät, einem ebenfalls geholfen wird.

© Jens Richter im Juni 2023

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Bad Letters am 04.04.2024:
Kommentar gern gelesen.
Vorbildlich Jens, ich müsste meinen erste Hilfe Kurs auch mal wieder auffrischen.

MfG
Bad Letters

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