geschrieben 2016 von Rory.
Veröffentlicht: 19.05.2016. Rubrik: Satirisches
Der Ruf nach mehr
Weshalb ich eine, naja nennen wir sie mal Satire, schreibe? Viele denken sich einige jetzt, schon wieder eine Gesellschaftskritik, jemand der sich selbst lustig findet und meint, er sei besser als der Rest, er habe das System durschaut und könne uns wertvolle Tipps geben. Genau das möchte ich nicht.
Mein Grund ist, ich schreibe gern, aber leider nur mit beschränkter Kreativität. Für Historiendramen oder Verschwörungstheorien fehlen mir die Kenntnisse, für Kriminalgeschichten, die Fähigkeit zum Spannungsaufbau und für Science-Fiktion und Zukunftsvisionen die Fantasie. Für Kindergeschichten schreibe ich nicht einfach genug und ein Liebesroman wäre bei mir nach etwa zwanzig Seiten beendet, da sich meine Neigung zu Romantik in Grenzen hält. Die Auswahl ist somit begrenzt. Und daher schreibe ich über Dinge, die mich bewegen und das ist bei mir im Moment schlicht und ergreifend dieser ständige Drang nach mehr.
Ich bin 24 Jahre alt und habe gerade mein Studium beendet. Master Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing. Ich darf mich also ab jetzt Master of Arts nennen. Nur leider fühle ich mich ganz und gar nicht wie ein Master. Ich fühle mich mehr wie ein Kleinkind, welches man auf die Beine stellt, damit es zu laufen beginnt, oder wie ein Schulanfänger, der von einem auf den anderen Tag, still in einer Klasse zu sitzen hat und am Nachmittag Hausaufgaben erledigen soll. Da Studium beendet oder eben Master zu sein, ist neu für mich, genauso wie das Arbeitsleben. Zwar sagen einem schon immer alle, was du in der Schule und im Studium lernst, kannst du später nicht brauchen, doch in der Realität ist diese Erfahrung hart. Es wissen alle, dass du nichts kannst, doch erwarten sie, dass du eigentlich schon alles weißt, dir selber beibringst oder nach dem ersten erwähnen merken kannst. Kurz, sie möchten mehr als ich leisten kann.
Aber nicht nur, wenn man den Job schon hat, muss man mehr leisten, sondern die Unternehmen erwarten bereits den perfekten Bewerber. Man soll zeigen, dass man genau diese Stelle möchte. Eigentlich hat man aber schon zwanzig Bewerbungen geschrieben, nur Absagen erhalten und ist mittlerweile an einem Punkt angelangt, an der man sich auf mehr oder weniger jede Stelle bewirbt, deren Qualifikationen man im weitesten Sinn erfüllt. Und nicht einmal das ist in unserer heutigen Welt einfach. Man sollte nämlich am besten mit Anfang zwanzig sein Studium mit Bestnoten beendet haben, im Ausland gewesen sein, und gleichzeitig bereits mehrere Jahre Berufserfahrung in der gesuchten Branche aufweisen können. Wer das schafft, ist entweder ein Genie, schläft nicht oder hat kein Sozialleben. Leider bin ich weder ein Genie, noch kann ich ohne Schlaf auskommen, weshalb es, da ich auch gerne etwas mit Freunden unternehmen, dazu führt, dass ich diese Kenntnis leider nicht aufweisen kann.
Wenn ich da so an meine Oma denke, war es zu ihrer Zeit noch einfacher Arbeit zu finden. Meine Oma hatte eine Näherinnen-Ausbildung absolviert und war dann privat als Schneiderin tätig. Ihre Schwester hingegen war auch als Näherin in einer Textilfabrik/-geschäft beschäftigt und verdiente sehr viel mehr als meine Oma. Meine Oma erzählt die Geschichte immer so: Anni, meine Schwester, fragte mich, weshalb ich nicht beim Seiler anfinge zu arbeiten, da würde ich um einiges mehr verdienen. Und naja, da fing ich halt einfach beim Seiler an. Einfach so, das würde heute nicht mehr funktionieren. Ohne ein vorheriges Praktikum, Werkstudentenstelle, Abschlussarbeit oder ein Trainee, werden wohl nur noch die wenigsten Unternehmen junge Absolventen an sich heranlassen.
Manche könnten jetzt glauben, ich gehöre zu denjenigen, die nur über die Unternehmen lästern, welche uns arme Studenten nicht haben wollen. Aber ich denke, dass nicht nur die Unternehmen mehr erwarten, sondern wir Studenten erwarten auch viel mehr von einem Unternehmen. So hätte man am besten gleich einen Arbeitsplatz mit seiner Lieblingstätigkeit, sehr gut bezahlt, mit ausreichend Freizeitausgleich und natürlich sehr guten Sozialleistungen. Das diese Vorstellung als frisch gebackener Absolvent utopisch ist, ist wohl logisch. Aber schon allein die Tatsache, dass man den Job ausüben oder das studieren kann, was man möchte ist nicht selbstverständlich. So war der Traumjob meiner Oma zum Beispiel Lehrerin. Leider hatte sie nie die Möglichkeit, eine zu werden. Sie konnte nicht mal ihre Schule fertig beenden. Meine Oma wurde aus ihrer Heimat, Sudetendeutschland, vertrieben. Da stellte sich nicht mehr die Frage, was der Berufswunsch meiner Oma ist. Meine Oma musste einfach die Lehre antreten, welche sich für sie ergab. Und so wurde meine Oma Näherin, obwohl sie eigentlich Handarbeiten immer gehasst hat. Diese Geschichte erzählt mir meine Oma fast jedes Mal, wenn ich wegen meinem Studium oder Arbeit zu jammern beginne. Weißt du, sagst sie dann immer, man kann nicht immer das machen, was uns Freude bereitet. Doch genau möchten wir doch, am besten nur das machen, was uns Spaß macht.
Okay, nicht nur das, was uns Spaß macht, sondern auch das, was preiswert ist, ökologisch einwandfrei, sozial nachhaltig, modern und natürlich auch zukunftssicher. Ich meine, wenn ich einkaufen gehe, achte ich darauf, woher die Lebensmittel stammen. Ich kaufe eine Gurke, die nicht in Plastik gepackt ist, aus Bayern und ökologischem Anbau stammt, aber dennoch keine Flecken hat, nicht weich ist oder Unmengen kostet. Naja, wenn ich ehrlich bin, kaufe ich eben so eine Gurke nicht oft. Denn so eine Gurke findet man nicht das ganze Jahr über. Ich hätte aber gerne immer Gurke, wann ich gerade Gurke haben möchte. Also entweder verzichte ich oder ich kaufe die doch nicht so ganz nachhaltige Gurke zu demselben Preis. Genauso bei Kleidung, Taschen, Schuhe und was eben eine Frau noch so alles braucht. Ich versuche auf alle Dinge gleichzeitig zu achten und erwarte von den Supermärkten, Drogerien und Bekleidungsgeschäften, dass sie genau das anbieten, aber zu einem Preis den ich mir leisten kann. Dass dies eigentlich nicht möglich ist, ist mir dabei klar, aber ich möchte mehr.
Denke ich da wieder an meine Oma und meinen Opa, stelle ich fest, dass sie nicht einfach nur mehr möchten – also mehr von allem – sondern sie möchten mehr Ware zu einem geringen Preis. Sie akzeptieren, dass das Fleisch bestimmt nicht aus einer ökologisch oder tiergerechten Haltung stammt und achten nicht auf die Menge an Plastik, die sich in ihrer Küche ansammelt, oder auf die Herkunft ihrer Produkte, nein sie möchten einfach alles möglichst günstig. Dafür wissen sie, wo es wann welche Angebote gibt, und wie viel eine Dose Champignons in welchem Supermarkt kostet. Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, welche Produkte eigentlich genau was kosten, noch kenne ich den Preisunterschied. Ich kaufe das Produkt, welches am besten meine Bedürfnisse befriedigt und welches nachhaltig erscheint und das in dem Supermarkt, welcher für mich am schnellsten zu erreichen ist. Damit meine ich nicht, dass ich die Haltung meiner Großeltern gut finde, nur wissen sie noch, von was sie mehr möchten. Ich hingegen, will grundsätzlich mehr.
Und das nicht nur bei materialen Dingen, auch von meinem Mitmenschen, meinen Freunden und meinem Freund erwarte ich mehr. Von uns wird erwartet, dass wir mehr Arbeiten – Überstunden gelten als selbstverständlich -, mehr Geld verdienen und gleichzeitig mehr Zeit mit unseren Freunden und unserer Familie verbringen. Das mündet dann teilweise sogar in Freizeitstress. Was ist das eigentlich für ein Wort – Freizeitstress? Sollte man in seiner Freizeit nicht nur das machen, was man möchte? Aber irgendwie wird doch eigentlich von einem erwartet, dass man am Wochenende mit seiner Familie zu Mittag ist, nachmittags bei Oma und Opa auf Kaffee und Kuchen vorbeischaut und abends mit seinen Freunden weggeht. Und da gilt es auch noch den eigenen Freund unterzubringen, mit dem man natürlich gerne Zeit und auch gerne mehr Zeit verbringen möchte.
Neben diesem ganzen sozialen Stress gilt es dann auch noch das vorgesehene Fitness-Programm zu erfüllen. Denn Sport ist jetzt sehr in Mode. Konnte man vor kurzem unter der Woche abends oder nachmittags an den Wochenenden getrost und ohne schlechtes Gewissen vor dem Fernseher sitzen, sieht man jetzt ständig und überall sportliebende, trainierte Menschen, welche einem zur eigenen Traumfigur verhelfen wollen. 3-5 Mal in der Woche Sport mind. 1 Stunde ist hier Pflichtprogramm. Da bekommt Freizeitstress für mich gleich ganz andere Dimensionen. Zusätzlich zum Sport muss man aber auch auf seine Ernährung achten. Low-Carb, Low-Fat oder auch High-Carb, je nach Zielsetzung, gilt es in seine Mahlzeiten zu integrieren. Und am Wochenende dann Einkaufen für den sogenannten Cheat-Day, an dem man alles Essen kann, was man möchte. Weshalb sich mir die Frage stellt, wieso ernähre ich mich unter der Woche Low-Carb, wenn ich am Sonntag doch wieder alles in mich hineinesse, auf das ich Lust habe – und das wird sicherlich kein Salat sein. Aber auch selbst, wenn sich mir der Sinn eigentlich nicht erschließt, macht man mit. Denn schließlich möchte man ja diese Traumfigur, von der alle sprechen, und man möchte ja nicht als unsportlich oder dick durch den Sommer gehen – ach ja gleichzeitig, aber doch auch ein Eis essen können, natürlich aber ohne Zuckerzusatz.
Wir möchten also Essen was wir wollen, aber ohne dabei Kalorien zählen zu müssen, und wir möchten uns vegetarisch oder vegan ernähren, ohne auf Wurst, Käse oder Milch zu verzichten. Gleichzeitig sollen diese Lebensmittel nachhaltig hergestellt und nicht in Plastik verpackt sein. Dennoch sollte die Zubereitung so bequem wie möglich von statten gehen, denn wir haben ja keine Zeit, wir haben Freizeitstress. Und nicht nur Freizeitstress, wir müssen uns auch fort- und weiterbilden und Überstunden arbeiten, um mit all diesen Anforderungen an uns Schritt halten zu können. Zeit für die Familie und für Freunde gilt es da natürlich auch noch zu haben.
Und jetzt mal ehrlich, wenn wir das alles erreichen haben, sind wir doch immer nicht zufrieden, sondern wir wollen immer mehr – und zwar von allem. Was für mich schlussendlich nur zur einer Lösung führt: weniger Schlaf und mehr Kaffee.