Veröffentlicht: 28.07.2019. Rubrik: Satirisches
Die merkwürdige Geschichte eines armen alten Mannes
Es war einmal ein armer alter Mann, dem war in jungen Jahren die Frau gestorben. Über diesen Verlust war der arme alte Mann nie hinweggekommen. So hatte er über seinen Kummer fast alles andere vergessen. Um sich ein wenig zu trösten, malte er Bilder und fertigte skurrile Skulpturen an. Früher hatte er diese verkauft, doch auch das interessierte ihn nun nicht mehr. Er wohnte in einem großen Haus mit einem riesengroßen Garten. Im Haus tanzten die Spinnweben schließlich lustige Tänze und im Garten verwilderte alles. Pflanzen rankten sich hoch und überwucherten schließlich das Haus, sodass kaum noch Licht in die Fenster fiel. Dem alten Mann war das eigentlich alles egal, bis er merkte, dass es im Atelier viel zu dunkel zum Arbeiten wurde. Verwundert stand er von seinem Schemel auf, d.h. er wollte von seinem Schemel aufstehen, doch er stolperte dabei über seinen Bart, der inzwischen so lang geworden war, dass er bis auf den Boden reichte, denn auch das Rasieren war ihm lange nicht wichtig gewesen. Er stolperte also, fiel der Länge nach hin und wurde bewusstlos. Und dann hatte er einen merkwürdigen Traum.
Es erschien ihm im Traum ein alter Mann - fast so alt wie er selber - mit einem langen weißen Bart und schlohweißen Haaren. Der alte Mann dachte in seinem Traum, dass dies wohl Gott sein müsse und gleichzeitig dachte er, dass das komisch sei, wo es Gott doch seiner Auffassung nach gar nicht gab. Aber wie wir alle wissen, scheren Träume sich nie darum, was wir zu wissen glauben oder nicht und so schien es dem armen alten Mann dann auch im Traum einleuchtend, dass Gott zu ihm sprach.
„Du bist also ein Eremit geworden", sprach der Mann mit den schlohweißen Haaren, den er nun im Traum für Gott hielt, zu ihm, „doch meinst du, damit würdest du Gott oder den Menschen einen Gefallen tun?"
Der arme alte Mann wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Warum war es Gott denn wichtig, ob er ein Eremit war oder nicht? Und warum sollte er ihm oder den Menschen einen Gefallen tun?
„Du könntest wichtigere Dinge machen", fuhr der Mann mit den schlohweißen Haaren fort. „Z. B. in die Welt hinaus gehen, die frohe Botschaft verkünden, dein Hab und Gut verschenken, damit du nicht mehr am Materiellen hängst - und davon abgesehen, würde es dann auch nicht mehr so verwildert hier aussehen, wenn sich jemand anders drum kümmert - und den Leuten predigen."
Der arme alte Mann nickte in seinem Traum und versprach es.
Als er kurze Zeit später erwachte, hatte sich im Atelier nichts verändert. Es fiel immer noch kein Licht in die Fenster und sein Bart war immer noch viel zu lang. Mühsam stand er auf und fragte sich, warum nun ausgerechnet er auserwählt worden war. Die frohe Botschaft verkünden? Daran waren doch wohl schon ganz andere vor ihm gescheitert. Und sein Hab und Gut verschenken? Er war doch alt und arm. Das Haus gehörte dem Vermieter, der irgendwo in Frankreich lebte und der sich nie um etwas kümmerte. Dabei fiel dem armen alten Mann ein, dass er auch keine Miete mehr gezahlt hatte - und das schon seit längerer Zeit. Auch seine Post hatte er schon lange nicht mehr geöffnet. Sie lag immer auf dem Tisch und von Zeit zu Zeit warf er sie ungeöffnet ins Altpapier. Nun aber fing er an, die Post zu durchwühlen und fand tatsächlich einen Brief von seinem Vermieter.
„Hiermit werden Sie aufgefordert, das Haus zu räumen", las er.
Also gut. Da hatte ihn der Traum wohl warnen wollen. Er überlegte, sich ein Bündel zu schnüren und sich auf den Weg zu machen. Das scheiterte daran, dass er nicht wusste, was er in das Bündel packen sollte. So ging er schließlich ohne Bündel weg von seinem Zuhause, aber er kam nicht weit, da eine Kneipe auf dem Weg lag und er dort einkehrte. Er betrank sich dort ausgiebig und geriet dann mit dem Wirt in Streit, als er bezahlen sollte. Der Wirt zeigte sich unbeeindruckt davon, dass der arme alte Mann ein Auserwählter sei und nicht bezahlen könne, weil er all sein Hab und Gut verschenkt habe. Der Wirt sagte sogar so etwas wie: „Hier muss jeder bezahlen, der was konsumiert hat, was denkst du denn."
Das Ganze endete in einer Prügelei, schließlich wurde die Polizei gerufen und der arme alte Mann in eine Ausnüchterungszelle gesteckt.
Und die Moral von der Geschicht?
Tja, ich kenn sie nicht.
Aber eines kann ich euch sagen:
So hat sich die Geschichte zugetragen.