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geschrieben von dreamer13.
Veröffentlicht: 22.02.2025. Rubrik: Unsortiert


Zwischen Hörsaal und Abgrund

Der Regen schlug gegen die großen Fenster der Universitätsbibliothek, als wolle er das Glas mit Gewalt durchbrechen. Drinnen war es still, abgesehen von dem gelegentlichen Rascheln umgeblätterter Seiten und dem sanften Surren der Heizung. Der Raum roch nach altem Papier, nassem Stoff und abgestandenem Kaffee.

Emma saß an einem der hinteren Tische, die Arme um sich geschlungen, als könnte sie so die Kälte vertreiben, die tief in ihr nistete. Ihre dunklen Augen waren auf die offene Buchseite gerichtet, doch die Worte verschwammen vor ihr. Neben ihr lag ihr Handy, das Display noch beleuchtet von der letzten Nachricht.

Morgen. Mein Büro. Sei pünktlich."

Kein Gruß. Keine Erklärung. Nur ein Befehl.

Ihr Magen zog sich zusammen. Sie wusste, was sie erwartete. Die Tür, die hinter ihr ins Schloss fiel. Sein Blick, der sie musterte, abschätzte. Seine Finger, die über ihre Haut strichen – erst sanft, dann fordernder. Ihre Stimme, die „Nein“ sagen wollte, es aber nicht konnte. Und am Ende ihr eigenes Spiegelbild in der Fensterscheibe, leer und fremd.

„Emma?“

Die Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie blinzelte und sah auf. Anna stand vor ihr, eine Tasse dampfenden Tees in der Hand, ihre dunklen Locken zu einem losen Knoten gebunden. Ihre blauen Augen musterten Emma mit einer Mischung aus Besorgnis und Frustration.

„Du sitzt hier seit Stunden.“ Sie setzte sich gegenüber, schob die Teetasse über den Tisch. „Hast du überhaupt was gegessen?“

Emma zuckte mit den Schultern. Essen bedeutete, sich um sich selbst zu kümmern. Und das hatte sie längst verlernt.

Anna seufzte leise. „War es wieder er?“

Emma spürte, wie sich ihr Körper verkrampfte. Sie wollte lügen, wollte behaupten, dass alles in Ordnung war. Doch Anna kannte die Wahrheit längst. Sie hatte die blauen Flecken an Emmas Armen gesehen, die geröteten Augen nach zu vielen schlaflosen Nächten.

„Ich kann nicht einfach aufhören“, murmelte Emma.

„Er wird dich zerstören.“

Emma lachte tonlos. „Vielleicht bin ich schon längst zerstört.“

Anna sah sie lange an, ihre Finger trommelten leise gegen die Tischkante. Dann schob sie ihren Stuhl näher, griff nach Emmas Hand. Ihre Haut war warm.

„Lass mich dir helfen.“

Emma spürte, wie sich ihr Hals zuschnürte. „Das kannst du nicht.“

Anna schüttelte den Kopf. „Doch. Ich kann dich aus dieser Hölle rausholen. Wenn du mich lässt.“

Emma schloss die Augen. Sie wollte glauben, dass das möglich war. Aber jedes Mal, wenn sie sich losreißen wollte, zog er sie zurück. Er wusste genau, welche Worte sie trafen, welche Berührungen sie schwach machten. Sie hasste ihn dafür. Und sie hasste sich selbst noch mehr.

Anna strich mit dem Daumen sanft über ihren Handrücken. Eine fast unmerkliche Geste. Aber Emma spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte.

Sie schluckte. Dann nickte sie langsam. „Ich… ich kann es versuchen.“

Anna lächelte, ein vorsichtiges, trauriges Lächeln.

In dieser Nacht lag Emma in ihrem Bett, starrte an die Decke, während Anna auf der Matratze neben ihr lag. Sie sagte nichts. Sie hielt nur Emmas Hand. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Emma sich nicht ganz so allein.

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