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geschrieben 2024 von Olga (omorlova).
Veröffentlicht: 13.01.2025. Rubrik: Nachdenkliches


Das Licht

Mein 31. Geburtstag. Ich sehe schon lange nichts besonderes an diesem Tag. Eine Zahl wird größer, ich bin nicht weiser geworden. Doch kann man etwas Schönes machen, etwas, was mir Freude und Licht bringen kann. Das Licht. Das war immer beeindruckend in vielen klassischen Gemälden. Rubens Werke sind geprägt durch Licht und Farblichkeit. Das wusste ich schon seit den Schulzeiten. Das Licht in einem Menschen und in einem Bild haben viele Gemeinsamkeiten. Ein erster Blick – man sieht nur die Farben und die Geschichte, die erzählt wird. Ein zweiter Blick – man entdeckt die ganze Beleuchtung, das Spiel zwischen dem Licht und dem Schatten.

Zu meinem Geburtstag besuche ich die alte Pinakothek, nicht nur, um die Geschichte zu berühren. Die visuellen Anreizen bringen mich zum Nachdenken über die menschliche Natur. Nach diesem Besuch erwartet mich ein Treffen. Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber noch neugierig. Wie sieht seine Lichtregie aus? Was zeigt er mir von seiner Welt? Viele Eindrücke konnte ich schon sammeln. Wenn man vor einem Gemälde steht, bekommt man viele Informationen. Neben dem Bild sieht man Basics auf dem Schild: den Namen des Autors, Daten, Orte, Materialien. Die Amazonenschlacht, der Höllensturz der Verdammten, die Friedensallegorie zeigen komplexe Sujete und Menschenmassen. Das Wichtigste steckt aber in Details. So ist es auch unter Menschen. Ein kleines Wort, eine Phrase, ein Gesichtsausdruck können viel mehr als ein langes Gespräch zeigen. Manchmal wirke ich als eine schweigende Beobachterin. Die Analyse läuft in meinem Kopf, um sicherzustellen, wer vor mir steht.

Ich verlasse die Pinakothek und sehe ihn. Die Sonne beleuchtet diese Szene, aber wärmt mich noch nicht. Keine Umarmung, ein bisschen Peinlichkeit von meiner Seite. Es war zu viel geschrieben, ohne physische Präsenz. Es ist immer ein komisches Gefühl, aber ich habe es so oft erlebt, dass das schon eine Gewohnheit für mich ist. Digitale Medien haben uns dazu gebracht, dass wir perfekt eine künstliche Nähe schaffen können. Es fängt mit dem Flirten und den witzigen oberflächlichen Gesprächen an. In ein paar Tagen kommt diese Täuschung, dass man diese Person kennt. Obwohl ich mit meinem analytischen Kopf manchmal viel zu viel merke. Es ist auch wie bei Gemälden. Nur die Frage muss richtig gestellt werden. Es soll nicht „was“, sondern „wie wurde es gemalt?“ gefragt werden. Die Impressionisten haben recht. So sieht man unter den unzähligen Buchstaben auch die Impressionen. Vor diesem Treffen wusste ich schon, warum er oft sorry schreibt, wann er Abstand braucht und sich überfordert fühlt. Sowas sagen Leute nie direkt, aber besonders aufmerksame Köpfe können gut zwischen den Zeilen lesen.

Die erste Frage in der Realität ist, wie immer: mag ich ihn? Erstmal habe ich keine Antwort. Natürlich mag ich die digitale Version, die Vorstellung von ihm. Was sagt mir die Wirklichkeit? Die Sonnenbrille versteckt seine Augen, aber sie sind genau das, was ich sehen möchte. Ich trage auch die Sonnenbrille, sonst würde ich wegen der Sonnenstrahlen weinen. Es ist auch ein Nebenprodukt des Lichtes. Wir gehen durch die Straßen und quatschen viel über die DB, Beckham und noch irgendwelche ganz unwichtigen Sachen. Wann sehe ich seine Augen?

Dieser Oktober war besonders warm und man kann nichts Besseres für das erste Treffen ausdenken. Die Beine bringen uns zum Friedhof. Ein stiller Ort mitten in München. Manche haben Angst vor den Gräbern und Toten. Meiner Meinung nach ist ein Friedhof wie ein Park, aber er ist noch intimer und leiser. Wenn man dort länger bleibt, hört man seine Gedanken noch lauter. Diese Stille lädt dich ein, sie flüstert dich die Weisheit der Toten, auch wenn sie schon längst stumm sind. Sowas ist aber für die Einsamkeit. Jetzt bin ich dort nicht alleine.

Er stoppt plötzlich auf dem Weg und seine Hände suchen etwas in der Tasche. Ich merke, wie nervös er ist und wie seine Stimme ein bisschen bricht, als er ein paar Worte zu seinem Geschenk sagt. Ich möchte seine Wange als ein Zeichen der Zuneigung und Dankbarkeit küssen, aber entscheide mich dagegen. Es ist zu früh. Er gibt mir ein Buch über München, damit ich die Stadt besser kennenlernen kann. Es ist ein gutes Geschenk, das vieles über den Geber sagt. Ich merke, dass seine Nervosität ihn sympathischer macht – sie zeigt, dass ihm dieser Moment genauso wichtig ist wie mir.

Seine Augen sehe ich so richtig erst in der U-Bahn. Wir stehen gegeneinander und er kann nur ein paar Sekunden in meinen Augen schauen. Im Zug ist das Licht ziemlich hell und kalt. Deswegen sehen seine Augen hellblau aus. Es ist immer spannend, wie das Licht sie ändern. Es wird ein bisschen dunkler, so werden die Augen schon fast stahlblau.

Wir gehen weiter und erreichen schließlich einen Park. Die Wege führen uns höher, bis wir eine Aussichtsplattform finden. Es ist ein ruhiger Ort, etwas abseits von der Stadt. Wir setzen uns, öffnen ein Bier und sprechen über dies und das. Die Themen sind leicht, manchmal belanglos, aber gerade das macht den Moment so angenehm. Wir schauen hinab auf die Menschen, die wie kleine Figuren unter uns laufen.

Mein Blick wandert zu ihm, als das Sonnenlicht langsam schwindet. Die letzten Strahlen des Tages brechen durch die Bäume und treffen sein Gesicht. Das Licht tanzt in seinen Haaren und lässt sie in warmen Tönen leuchten. Ich halte inne und denke: Genau so habe ich es mir vorgestellt. Genau so habe ich ihn in meinen Gedanken gesehen, als wir uns zum ersten Mal schrieben. In der Realität war er anders – nicht weniger faszinierend, aber irgendwie greifbarer. Nicht perfekt, wie viele andere Leute vielleicht digital ausmalen, aber echt, lebendig, mit Ecken und Kanten. Und vielleicht ist es genau das, was ich an ihm sehen wollte.

Dieses Licht. Es ist, als hätte es die Szene vollendet, das Bild, das sich in meinem Kopf geformt hatte. Dieses Licht ergänzt alles – ihn, den Moment, die Stimmung. Ich verliere mich für einen kurzen Augenblick in diesem Anblick und spüre, dass dies ein Moment ist, der bleiben wird.
Als wir schließlich aufbrechen, nehme ich diesen Moment mit. Dieses Licht, dieses Bild, diese Begegnung. Es fühlt sich an wie ein unvollendetes Gemälde – mit genug Raum für weitere Pinselstriche, für weitere Momente, die vielleicht kommen werden. Es gibt so viel zu entdecken – in ihm und in diesen Lichtspielen.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Bad Letters am 13.01.2025:
Kommentar gern gelesen.
Licht und Worte miteinander verwoben. Ein guter Einstand Olga.

MfG
Bad Letters




geschrieben von Ernst Paul am 15.01.2025:
Kommentar gern gelesen.
Ein schöner, poetischer Text. Sehr gern gelesen. MfG Ernst Paul




geschrieben von omorlova am 15.01.2025:

Hallo Bad Letters, danke für den ersten Kommentar zu meiner Story!




geschrieben von omorlova am 15.01.2025:

Danke für die schöne Bewertung, Ernst Paul :)

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