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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 03.01.2025. Rubrik: Unsortiert


Modebewusstsein

Die Stimmung bei der Präsentation der neuen Modekollektion war wie so oft von Inspiration geprägt. Bis eben hatten die Designer und das gesamte Team diesem Moment entgegengefiebert, der Öffentlichkeit die Ergebnisse ihrer intensiven Arbeit in einer von kreativem Adrenalin gesteuerten Atmosphäre vorgestellt. Nach einem Augenblick der Reflexion über die Entwicklung der Modebranche ging man zum Feiern über, wieder begann eines der rauschenden Feste dieser glamourösen Zunft. Unter ihnen ein erfolgreicher, vielfach ausgezeichneter Modemacher, der sich an diesem Tag in für ihn untypischer Weise zurückhielt.

Zustimmung und Applaus, das alles hatte er bislang immer genossen, für ihn fühlte es sich an dieser Stelle nun bedeutungsarm an. Grundlegende Zweifel an der Ausübung des Berufs eines Modedesigners beschäftigten ihn schon seit längerer Zeit. Er wollte an diesem Punkt nicht mehr Teil einer speziellen Menge sein, eines Konstrukts, das sich häufig als aufgeblähtes Kollektiv darstellt. Der erfolgreiche Modedesignkünstler fühlte sich gefangen in einer Rolle, in der er in einer Welt, bestehend aus Stoffen, Farben und Mustern, lange Zeit gelebt hatte. Nur, es war schwierig, aus dem wohligen Dämmerzustand des Kollektivdenkens herauszukommen; besonders als kreativer Künstler hatte er hier ein sicheres Umfeld vorgefunden, ein Leben in einer speziellen Blase geführt. Zu lange war er der Faszination der Mode erlegen, die jetzt nur eine Einheit jener Materie für ihn darstellt, die in Äußerlichkeiten gewoben ist. Starke Zweifel beeinflussten inzwischen sein berufliches Leben. Ob die Ursache für seine neuerlichen Denkansätze in der Herkunftsregion seiner Vorfahren, dem Maghreb, begründet ist, konnte nicht einmal er selbst sagen. Er sah nur eine Möglichkeit, Abstand zu gewinnen: Er würde sich distanzieren müssen. Als er sich mit einem 'Zurück zum Ursprung' von seinem Umfeld verabschiedete, blickte er in überwiegend verständnislose Gesichter, etliche Kollegen bedachten ihn mit Spott. Das erste Ziel seiner Reise, Marokko, verschwieg er, er mochte sich zu dem Zeitpunkt nicht näher erklären.

Und was ihm in diesem nordafrikanischen Land seiner Urahnen am Leben der Menschen auffiel, auch in Bezug auf die traditionelle Kleidung, sprach ihn an, den Blick eines Experten hatte er immer noch. Ihm gefiel zunächst die Ausstrahlung der Menschen hier, wie sie sich im Stil der gewandähnlichen Djellabas oder ähnlicher Bekleidungsstücke, in ihrem Alltag bewegten. Er sah ästhetische Formen von respektvollem Schick und offensichtlich für fast jeden Anlass geeignete Kleidungsstücke. Auf den zweiten Blick erschien ihm diese Art von Kleidung allerdings schon zu sehr von der Ursprünglichkeit entfernt, als Designer bemerkte er hier bereits einen Konfektionseinfluss der Moderne, was bald sein Interesse an dieser Art von Kleidung schwinden ließ. Trotz alledem, er genoss die ersten Wochen seiner persönlichen Erneuerung und verließ das Land, um sich geschichtlich weiter rückwärts zu bewegen. Dieser Impuls wurde im marokkanischen Djebel Irhoud gesetzt, einem Fundort von Hinweisen auf früheste Menschheitsgeschichte.

Schon nach wenigen Monaten war aus einem stilprägenden westlichen Modeschöpfer ein nach einer besonderen Ästhetik Suchender geworden; die Farben und Formen des Orients nahm er bald nur noch als Dekor wahr. Selbst die Vielfalt der Farben und Muster der Kleidung der indigenen Bevölkerung während des darauffolgenden Aufenthalts in Indien lenkten ihn nur kurzzeitig ab. Er zog von dort aus weiter in eine andere Richtung. Und dieses Mal tatsächlich zum Ursprung, dem Ursprung der Menschheit, ins südliche Ostafrika, auf der Suche nach dem allerersten Erscheinungsbild des Menschen.

Vor etwa zwei Millionen Jahren hatte in Afrika die frühe Form des Menschen die Bühne des Lebens betreten. Dieser konnte mit dem Feuer umgehen und entwickelte Werkzeugtechniken, was ihn unabhängig von seiner Umgebung machte. - spärliche Kleidung im Bereich Leibesmitte besaß keine modische Bedeutung. Und dieses urtümliche Umfeld fand der Suchende in Teilen des heutigen Afrikas vor, keineswegs zu seiner Enttäuschung. Er traf auf Menschen, die er als ästhetisches Gesamtkunstwerk ansah. Und unter diesen lebte er mehrere Monate; die Auswirkungen der Aura eines komplett eingekleideten Menschen wirkten allerdings noch lange in seiner Seele nach.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Bad Letters am 03.01.2025:
Kommentar gern gelesen.
Mode spielt in meinem Leben so gar keine Rolle Rubber Sole und trotzdem, konntest du mich mit dem Text erreichen. Das muss man erstmal schaffen!

MfG
Bad Letters




geschrieben von rubber sole am 03.01.2025:

Danke, Bad Letters, fühlt sich an wie ein Ritterschlag, einen 'Unbeleckten' mit einer kleinen Geschichte in ein Thema zu ziehen, das bei ihm nicht stattfindet. Dazu sei gesagt, ich selber bin auch nur wenig modeaffin, schreibe mitunter aber über Dinge, von denen ich keine Ahnung habe – Insider werden dies sicher bei so manch einer meiner Niederschriften feststellen können.

lgrs





geschrieben von Bad Letters am 04.01.2025:
Kommentar gern gelesen.
eine Geschichte muss ja keine wissenschaftliche Abhandlung sein rubber sole, auch wenn ich schon mal einen Faktencheck vornehme, wenn meine Augenbraue zu heftig zuckt 😉

MfG
Bad Letters




geschrieben von Ernst Paul am 04.01.2025:
Kommentar gern gelesen.
Hallo rubber sole,
die Modebranche ist schon ein spezieller Verein. Die im Fernsehen gelegentlich gezeigten Kreationen auf Schaumessen lassen mich immer wieder fragen: „Was soll dieser Unsinn?“. Das heißt nicht, dass ich mich wie anno dazumal kleide. Mit Motto lautet: ordentlich, zeitgemäß und zweckmäßig.
Mutti hat es vorgelebt. Wechselnde farbige Blazer und schwarze Hosen. 16 Jahre Kanzlerschaft, und das ohne Schnickschnack. Sehr gern gelesen. Liebe Grüße


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