Veröffentlicht: 23.12.2024. Rubrik: Menschliches
Eine kalte heilige Nacht
Seine Gelenke schmerzten am frühen Morgen, noch mehr als gewöhnlich. Kein Wunder, war die Nacht doch bitterkalt. Gerne hätte er an seinem Lieblingsschlafplatz, über dem Lüftungsschacht des naheliegenden Kaufhauses genächtigt, aber als er diesen, spät abends aufsuchte, saß dort bereits die Punkergang der Innenstadt.
Für gewöhnlich waren diese friedlich und ließen ihn in Ruhe, spendierten ihm ab und an sogar ein Dosenbier, aber gestern schien die extreme Kälte für ein aggressives Verhalten verantwortlich zu sein. Er musste zwar keine körperliche Gewalt befürchten, sein Schlafplatz war dafür unerreichbar.
Er zog sich tiefer in seinen Schlafsack zurück, fand dort aber keine Behaglichkeit. Die ersten Lichtstrahlen drangen bereits in sein nächtliches Provisorium aus Pappkartons und Plastiktüten, die er die halbe Nacht bei der klirrenden Kälte zusammensuchen musste.
Keine gute Nacht und mit einem Gefühl aus Grauen und Abscheu versuchte er seine Gedanken an die kommenden Stunden zu verdrängen. Stunden, die schonungslos offenlegten, dass das, was die Gesellschaft versprach und was sie tat, kaum weiter auseinander liegen konnte.
Jeder sollte ein Dach über dem Kopf haben und keinen Hunger leiden müssen. Was für ein Hohn in seinen Ohren. Doch für solche Gedanken war jetzt nicht die richtige Zeit. Es war eher angeraten darüber nachzudenken, welche Bettelplätze die höchsten Erträge versprachen, um irgendwie über die Feiertage zu kommen.
Am Kirchplatz kam ihm als erster in den Sinn. Willkommen, war er dort sicher nicht und es war auch noch schwerer zu ertragen, wie diejenigen, von denen man es am wenigsten erwartete am besten wegschauen konnten. Sie waren halt so in ihrer Scheinheiligkeit gefangen, da gab es nicht mehr viel Platz für andere.
Er wusste zwar um ihre Leistungen und Hilfsbereitschaft, doch wenn das Leid an die eigene Türe klopfte, blieb diese meistens verschlossen. Es schien halt einfacher, etwas an eine Hilfsorganisation zu Spenden, als etwas in einen Becher zu werfen und dem Bedürftigen dabei in die Augen zu schauen.
Schade eigentlich, denn das Geld in seinem Becher, kam sofort bei ihm an und versandete nicht in einem Bürokratiemonster, das wahrscheinlich mehr Geld für Werbung ausgab, als Hilfesuchende davon profitierten.
Als Obdachloser hatte man halt mit seinem schlechten Ruf zu kämpfen. Galt man doch meistens nur als Alkoholiker, der das Stadtbild verschandelte oder wurde der Bettelmafia zugeordnet, die keinen Spaß verstand, wenn man in ihrem Revier nach Almosen rang.
Frustriert rollte er seinen Schlafsack zusammen, der Tag am Rande dieser Gesellschaft, würde kein leichter werden und er fragte sich, hätte er die Möglichkeit noch einmal aufgenommen zu werden, ob er das überhaupt wollte.