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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von Bad Letters.
Veröffentlicht: 08.12.2024. Rubrik: Menschliches


Trostlosigkeit mit Lametta

Ein Jahr zum Vergessen, wie so einige, die mich zum Glück schon längst verlassen haben. Aber dieses Jahr ist an Trostlosigkeit kaum zu überbieten. Erst hast du mir den Laufpass gegeben und dann kam Corona und hat mein schon über den Haufen geschmissenes Leben noch einmal durcheinandergewürfelt. Und jetzt, jetzt steht Weihnachten vor der Tür!

Wohl eher schon in der Tür, denn auf dem Weg nach Hause wurde ich schon von den Düften der Weihnachtsvorbereitungen begleitet. Es duftete überall nach frisch gebackenen Plätzchen und allerlei anderen Speisen, bei denen mir allein schon der Gedanke das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Und was wird es bei mir geben? Trostlosigkeit mit Lametta, die ich in viel Wein ertrinken werde.

Weihnachten, das Fest der Liebe. Pah! Eher das Fest der aufgesetzten Demut und Menschlichkeit, die den wenigsten innewohnt, weil sie nur an sich denken. Demnach müsste es eigentlich genau mein Fest sein, weil ich deiner Meinung nach immer nur an mich denke! Ganz unrecht hast du sicher nicht und diese Erkenntnis schmerzt. Wäre ich nur öfter für dich da gewesen, hätte dir unter die Arme gegriffen, wenn es am nötigsten gewesen wäre. Dir mehr Achtung für dein Engagement entgegengebracht, dass du Tag für Tag in unsere Beziehung investiertest. Für uns, nicht für dich! Während ich mich gern hinter meiner Karriere versteckte oder mit Erschöpfung herausgeredet habe.

Eine kalte und dunkle Wohnung empfängt mich. Meine Wohnung! Aber wenn ich das Licht anschalte, sehe ich nur dich! Wie du im Raum stehst und minutenlang eine Ecke betrachtest, darüber grübelst, wie du sie schöner gestalten könntest. Jedes Detail findet deine Beachtung und wird mit viel Sorgfalt in Szene gesetzt. Ich sehe auch deine Enttäuschung, wenn du fragst „Und gefällt es dir?“ Und ich wieder nur mit den Achseln zucke, weil ich keinerlei Gespür für so einen Schnickschnack habe. Ich hätte doch einfach mal „Ja“ sagen, dich zärtlich in den Arm nehmen und loben können. Aber das wäre unehrlich gewesen und ich hasse Unehrlichkeit.

War es nicht eine der Eigenschaften, die du an mir am meisten schätztest? Meine Ehrlichkeit und Treue, dass man bei mir immer genau weiß, wo man dran ist? Aber in diesen Momenten war sie dir ein Dorn im Auge. „Wer A sagt, muss auch B sagen, kein Vorteil ohne Nachteil.“ Wie du diesen Satz von mir hasstest, weil ich ihn gebetsmühlenartig bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit von mir gab. Öfter war ich im Recht, aber warum konnte ich nicht auch einfach mal klein beigeben?

Corona hat mir viel Zeit zum Nachdenken verschafft, nein, eher geschenkt, denn wann hatte ich vorher wirklich einmal Zeit, über uns nachzudenken. Vor allem über meinen Part in unserer Beziehung, die ich im Nachhinein eher als Karriere mit Anhang betiteln könnte. Ich war kein Partner, ich war ein Kohlemacher. Von einem Termin zum Nächsten! Immer schön in Bewegung bleiben und glänzen. Jetzt stehe ich in einem dunklen, kalten Flur und alle Gründe, warum ich früher mit einem Lächeln den Eingang betreten habe, sind fort. Dabei ist noch alles da, nur du fehlst!

Bevor ich die Tür schließe, leere ich noch schnell den Briefkasten. Werbung, Werbung, Werbung, Rechnung, Rechnung, ein Brief mit Weihnachtsmotivumschlag ohne Absender. Bestimmt auch Werbung oder eine Anfrage für eine Spende. Die Werbung erhält einen Gratisflug in den Mülleimer und die Rechnungen kommen ins Ablagekörbchen für Unterlagen, die aufbewahrt und abgeheftet werden müssen. Den Brief schmeiße ich erst einmal auf den Tisch und gehe mich dann umziehen.

Im Kühlschrank finde ich noch eine halbe Pizza, die mal gegessen werden müsste, also heize ich den Backofen vor und schenke mir ein Glas Weißwein ein. Ich hätte schwören können, die Flasche gestern Abend bereits geleert zu haben, aber es ist tatsächlich noch ein Glas übrig. Ich setze mich an den Esstisch und öffne den Brief. Das Briefpapier zeigt ebenfalls ein Weihnachtsmotiv, wie es kitschiger kaum sein könnte. Mich schüttelt es kurz, bevor ich das Briefpapier entfalte und zu lesen beginne. Definitiv keine Werbung oder Spendenanfrage, sondern eine Nachricht von dir:

„Wahrscheinlich hast du gerade die Augen verdreht wegen des Briefpapiermotivs und jetzt, wo du meine Handschrift erkennst, wirst du wahrscheinlich glauben, dass ich dich auf den Arm nehmen möchte, weil ich doch ganz genau weiß, dass dir Weihnachten so gar nichts gibt! Aber dieses Papier habe ich gewählt, weil es mich daran erinnert, wie sehr du mir fehlst. Und auch daran, wie du Weihnachten jedes Jahr über dich ergehen lassen hast mit all den Feierlichkeiten, die dir nichts bedeuten und trotzdem gabst du mir jedes Jahr das Gefühl, es gern für mich getan zu haben, weil ich dann glücklich war.“

Nach dem Absatz musste ich erst einmal einen großen Schluck Wein nehmen und mich kneifen, ob ich nicht träume. Auch bemerke ich, dass der Feuchtigkeitsgehalt meiner Tränenflüssigkeit deutlich ansteigt, bevor ich weiterlese:

„Ja, du hast richtig gelesen, ich vermisse dich und mir wollen gar nicht die Worte einfallen, um dir zu beschreiben, wie sehr. Glaube bitte nicht, dass ich dir aus einer weihnachtlichen Rührseligkeit oder Weinlaune heraus schreibe! Ich brauchte einfach die Zeit, um mir im Klaren zu werden, wie es weiter gehen soll. Ich weiß auch nicht, wie viel Vertrauen ich zerstört habe, weil ich dich über so vieles im Unklaren gelassen habe, aber wie soll ich etwas erklären, was ich selbst nicht in Worte fassen konnte? Ich musste einfach gehen und hoffen, dass die Zeit und die Trennung von dir mir einen Weg zeigt. Ich weiß nicht, ob wir noch einmal zueinanderfinden, aber ich würde es gerne versuchen, sofern du auch diesen Wunsch hegst und bereit bist, über das vergangene nachzudenken und neue Pfade zu betreten. Denn eins sollte uns, sollte dir klar sein, die alten Pfade haben nicht funktioniert, ohne Veränderungen kann es nicht weiter gehen.

Ich könnte noch so vieles schreiben, würde dir aber viel lieber dabei in die Augen schauen!

In Liebe M"

Ich halte deinen Brief noch lange in den Händen, bevor ich einen auch nur annähernd klaren Gedanken fassen kann. Das Licht des fertig vorgeheizten Backofens erinnert mich an die Pizza, aber nach Essen ist mir jetzt nicht mehr zumute. Ich ziehe mir eine dicke Jacke über, bevor ich zurück in die Kälte stapfe. Die frische Luft tut mir gut und belebt. Da ich aber keine Ahnung habe, wo ich überhaupt hinwill, gehe ich einfach die Straße hinunter. In meinem Kopf kreist mit jedem Schritt nur ein Satz: „Sollte dir klar sein, die alten Pfade haben nicht funktioniert, ohne Veränderungen kann es nicht weiter gehen.“

An der ersten Kreuzung biege ich nach rechts ab und keine zwei Minuten später stehe ich am stillgelegten Schulhof der verwaisten Schule, an dem jedes Jahr Weihnachtsbäume verkauft werden. Ich bleibe stehen, um mir den Schuh zuzubinden, während mir zum hundertsten Mal: „Sollte dir klar sein, die alten Pfade haben nicht funktioniert, ohne Veränderungen kann es nicht weiter gehen.“, durch den Kopf geht.

„Wenn Sie noch einen Baum brauchen, kommen Sie aber spät!“, Spricht mich einer der Weihnachtsbaum-Verkäufer an. Ein alter Mann, der den Waren, die er verkauft, irgendwie ähnlich sieht. „Wie Sie sehen können, haben wir nur noch Restbestände. Die schönsten Bäume sind schon lange weg!“ „Nein danke, aber mit Weihnachten habe ich nichts am Hut und die Bäume sollen lieber im Wald wachsen, als in meinem überheizten Wohnzimmer ihr Ende erleben!“, antworte ich bestimmt, aber nicht unfreundlich.

„Da haben Sie nicht ganz unrecht. Ich mache das jetzt seit 30 Jahren. Seit 30 Jahren schaue ich zu, wie die Bäume durch die Arbeit und Pflege meiner Hände gedeihen, um sie dann vor Weihnachten abzuholzen. Bei jedem Einzelnen schmerzt es mich. Aber wenn ich die Bäume dann hier verkaufe und in die glücklichen Augen der Kinder und Käufer schauen kann, weil sie Ihren Baum gefunden haben, dann vergesse ich den Schmerz. Es ist halt ein Leben vom Werden und Vergehen und die Bäume für die kommende Saison sind schon längst gepflanzt und wenn Weihnachten vorbei ist, werde ich zu ihnen gehen und mich bei jedem Einzigen entschuldigen.“ Und ich kann es kaum glauben, als sich eine Träne aus seinem Auge löst, die er schnell wegwischt. Er spricht tatsächlich die Wahrheit.

Ich nicke ihm zu und will dann eigentlich weiter gehen, ergreife dann aber doch das Wort „Sie haben recht. Das Leben ist ein einziges Werden und Vergehen und manchmal ist es an der Zeit, sich zu entschuldigen und neue Wege einzuschlagen. Meine Frau liebt, ganz im Gegensatz zu mir, Weihnachten über alles und war jedes Jahr tagelang unterwegs, nur um den richtigen Baum zu finden. Er musste groß und möglichst gerade sein, seine Äste durften aber nicht zu dicht oder zu weit voneinander und möglichst gleichmäßig stehen, damit sie so viel Schnickschnack wie möglich in den Baum hängen konnte. Am Ende hat man kaum noch etwas von dem Baum gesehen. Mir hat der Baum immer nur leidgetan, aber das Glück im Herzen meiner Frau zu spüren hat überwiegt. Jetzt ist das Wohnzimmer leer!“

Ich weiß nicht genau, warum ich das dem alten Baumbauern erzähle, aber irgendwie hat es mir gutgetan. „Dann kann es sein, dass ich ihre Frau eventuell kenne! Ihr Baum steht noch hier und wartet darauf, abgeholt zu werden. Kommen Sie, ein Prachtstück, das man gesehen haben muss!“ Ich will schon abwinken, aber als ich in seinen Augen erkenne, wie wichtig es ihm scheint, folge ich ihm und er führt mich in eine verlassene Ecke des Grundstücks.

Als ich den Baum sehe, ist mir sofort klar, dass wäre ein Baum, wie du ihn aussuchen würdest, und mit seinem Anblick fluten mich so viele Erinnerungen, dass auch mir eine Träne über die Wange läuft, die ich aber sofort beseitige, bevor der alte Mann sich zu mir umdreht. „Und habe ich zu viel versprochen? Er ist für eine ganz besondere Kundin und ich freue mich jedes Jahr auf sie. Kein Mensch begegnet seinem Baum mit so viel Ehrfurcht. Ich suche ihr jedes Jahr einige Bäume zur Auswahl heraus und sie kommt dann jeden Tag, um sie zu begutachten, Verbindung mit ihnen aufzunehmen, bis nur noch ihr Baum übrigbleibt. Es ist einer der bewegendsten Momente im Jahr für mich, wenn sie ihn abholen kommt. Wir stehen dann minutenlang gemeinsam vor dem Baum und sie nimmt meine Hand und dankt mir für meine Arbeit. Danach kann ich befreit nach Hause gehen und Weihnachten feiern. Übrigens ohne Baum im Wohnzimmer, denn der steht seit 30 Jahren in meinem Garten und wird dort geschmückt!“

Wir stehen noch eine Weile dort und irgendwie kann ich meinen Blick nicht von dem Baum abwenden, der wirklich wie aus einem Guss gewachsen ist. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie prächtig er ausgewachsen in einem Wald stehen würde!“ Versuche ich meine melancholische Stimmung mit dem übertriebenen Einsatz meiner Stimme zu vertreiben. „Ja, er wäre ausgewachsen sicher eine Augenweide!“ Pflichtet mir der alte Baumbauer sichtlich ergriffen bei, bevor er wieder in den Geschäftston wechselt „So, genug getrauert, das Geschäft ruft. Die letzten Bäume müssen noch weg, damit sie nicht umsonst gestorben sind!“ Wir biegen gerade um die Ecke, als du plötzlich vor uns stehst und an euren Gesichtern erkenne ich, dass ihr euch tief verbunden seid.

- ENDE -

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Ernst Paul am 08.12.2024:
Kommentar gern gelesen.
Eine schöne Weihnachtsgeschichte. Sehr gerne gelesen. Liebe Grüße




geschrieben von Bad Letters am 08.12.2024:

Der Autor dankt ganz herzlich Ernst Paul!

MfG
Bad Letters




geschrieben von lüdel am 09.12.2024:
Kommentar gern gelesen.
eine nachdenkliche Weihnachtsgeschichte Bad




geschrieben von Bad Letters am 13.12.2024:

Das freut mich sehr Lydia. Danke!

MfG
Bad Letters

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