Veröffentlicht: 30.11.2024. Rubrik: Menschliches
Bad wird hintergangen
Während ich mich von der ersten Schreibsession des Morgens auf der Couch in langgestreckter horizontalen und mit nur halb geöffneten Augen erhole, drückt mir mein Goldstück einen Kuss auf die Stirn, bevor sie Richtung Keller verschwindet. Nichts Ungewöhnliches, werden der Keller und seine Bewohner doch regelmäßig von ihr aufgesucht, um Kleidung zu reinigen oder frische Lebensmittel aus der kühlen Dunkelheit ans Licht zu befördern, um sie dem geräuschvollen Verzehr zuzuführen.
Ich öffne dann kurz ein Auge, wenn meine Süße wieder hochkommt und nehme sie ins Visier, ob etwas schmackhaftes für mich abfallen könnte. Meistens werde ich enttäuscht, schließlich bin ich kein Karnickel. Doch diesmal war es anders. Als Liebhaber der Geräuscherzeugung sind mir Klänge nahe und so weiß ich bereits, ohne mein Augenlicht bemühen zu müssen, immer genau, was mein Goldstück so ganz allein in der Dunkelheit treibt.
Ob sie gerade die Kühltruhe öffnet, die Waschmaschine schließt oder den Trockner anschmeißt, nichts bleibt meinem jahrzehntelang trainierten Gehör verborgen. Jede noch so feine Klangnuance wird analysiert und seinem Ursprung zugeordnet. Man könnte auch sagen, ich bin ein Geräusche-Sherlock Holmes für Arme. Was mein Gehör jetzt allerdings vernimmt, lässt mich fast von der Couch fallen. Das Grauen nimmt seinen Anfang und manifestiert sich zur Gewissheit, als die Süße mit der ersten Kiste Weihnachtsschnickschnack über die Treppenkante in meinen Sichtbereich schlurft.
Das kann doch jetzt nicht wahr sein, gefühlt hat sie den Plunder doch, zu meiner vollsten Zufriedenheit übrigens, gerade erst wieder verstaut. Zur Sicherheit kontrolliere ich das Datum. Scheiße, das gibt es doch nicht, morgen ist der erste Advent oder wie man das nennt. Für mich ein Tag wie jeder andere, aber da gibt es welche, die da einen Riesenbuhei drum machen, was die auch immer geritten hat. Ich ahne es, schwere Zeiten stehen mir bevor. Mit jeder weiteren Kiste Ramsch, die sie raufschleppt, sinkt meine Laune soweit Richtung Keller, das ich glatt vergesse ihr meine Hilfe anzubieten.
Irgendwie habe ich auch das Gefühl, von meiner Süßen hintergangen zu werden, denn meinem Empfinden nach, wird es jedes Jahr mehr, was sich im Wohnzimmer an Glitzerkram und ähnlich Unnützem türmt. Als auch noch das Kleine freudestrahlend die Treppe runtergesprungen kommt und nur, um mich zu ärgern, in meine Richtung ruft „Mama, schmücken wir heute für die Weihnachtszeit!“ Gehen bei mir schlagartig die Lichter aus, während sie im Laufe des Vormittags an allen nur erdenklichen Winkeln unserer Behausung blinkend angehen.
Schmollend verziehe ich mich in mein durch und durch schmuckloses Reich, indem nur die Gitarren vor sich hin stauben, und manchmal frage ich mich, wieso ich überhaupt Weihnachtslieder schreibe, wo es mir doch eigentlich am Popo vorbeigeht. Zum Weckmann verputzen sitze ich dann aber wieder mit am Tisch, denn den lasse ich mir, trotz des mich anspringenden Weihnachtsgerümpels, gut schmecken. Ich bin halt auch nicht weniger scheinheilig als der Rest unsere Spezies.