Veröffentlicht: 14.10.2024. Rubrik: Nachdenkliches
Der Mann an der Maschine
Er quält sich durch den Stau, diesmal geht es schnell, seit Corona im Durchschnitt sogar schneller, da viele im Homeoffice bleiben. Trotzdem muss er sich beeilen, seine Maschine wartet. Unerbittlich!
Gerade noch pünktlich in der Umkleide. Die stinkende und bereits verschwitzte Schutzkleidung anziehen, im Laufschritt zu seinem Arbeitsplatz. Die Maschine wartet. Unerbittlich!
Seine Frau schläft noch, normalerweise müsste sie gleich los. Wenn sie überhaupt zu der Zeit losfahren möchte. Sie hat ja Gleitzeit und ein flexibles Arbeitszeitkonto.
Er steht an der Maschine. Es ist laut, es raucht und es stinkt.
Seine Frau kennt keinen Stau, und schon gar keine dreckige Schutzkleidung. Sie träumt gerade etwas Erotisches und dreht sich dann noch einmal tief berührt herum.
Er steht an der Maschine. Es ist laut, es raucht und es stinkt.
Seine Frau kennt keine Stechuhr, auch keine Stückzahlkontrolle. Im Augenblick nur Homeoffice mit schlechtem Internet und viel Zeit, um aus dem Fenster zu schauen, während sie wartet, das sich etwas auf dem Bildschirm tut.
Er steht an der Maschine. Es ist laut, es raucht und es stinkt.
Seine Frau kocht sich frischen Kaffee. Während der Rechner hochfährt, Blumen gießen, nebenbei läuft die Lieblingssoap im Fernseher.
Er steht an der Maschine. Es ist laut, es raucht und es stinkt.
Seine Frau hält ein Schwätzchen mit der Kollegin über die Renovierung des Büros, wo sie demnächst nur noch zwei Tage die Woche sein wird, die anderen Tage Homeoffice. Das Büro wird nach Feng-Shui gestaltet. Nebenbei isst sie ein frisch aufgebackenes Brötchen mit Marmelade.
Er steht an der Maschine. Es ist laut, es raucht und es stinkt.
Seine Frau interessiert sich für Work-Life-Balance. Blättert in einer New-Work Zeitschrift, während ein Upload läuft.
Er steht an der Maschine. Es ist laut, es raucht und es stinkt.
Sie verdient auch noch mehr Geld als er, während er langsam taub, die Lunge angegriffen und der Geruchsnerv verkümmert.
Die Schere geht immer weiter auf. Nicht nur zwischen Arm und Reich. Auch good Job und Scheißjob!
Er wird mit 70 wahrscheinlich den Löffel abgeben, wenn nicht vorher, sein Körper ist verbraucht. Sie wird eventuell noch 20 Jahre einsam um ihn trauern.
Nebenan bei den Nachbarn gibt es das gleiche, nur sind die Rollen vertauscht, vielleicht treffen sich die vereinsamten Verwitweten später noch auf ein Stückchen Kuchen!