Veröffentlicht: 12.09.2024. Rubrik: Unsortiert
Hormone, Chemie im Hirn und andere Wirrnisse einer lesbischen, neurodivergenten Beziehung
Ich lebe nicht nur mit einem antikapitalistisch-feministischen Otter zusammen und bin selbst das kleine Unschuldslamm, sondern teile mir den Lämmchenstall auch mit meiner Frau, der Raupe Nimmersatt. Und dieser Name bezieht sich nicht aufs Essen, wenn ihr wisst, was ich meine?
Uns wurde allen ungefragt ein Uterus mit PMS Schüben eingebaut, der unseren Hormonhaushalt zu meist unterschiedlichen Zeiten in ungeahnte Höhen und Tiefen schießen lässt. Auf dieses vorprogrammierte Chaos addiert man dann noch bei uns allen unterschiedlich stark ausgeprägte Formen von ADHS und möglicherweise auch weitere neurodivergente Ausprägungen. Ich wurde neulich als Essensautistin bezeichnet, nur weil ich beim Essen einfach klare Vorstellungen davon habe, was geht und was nicht geht.
Meine Frau freundet sich erst so langsam mit der Idee an, dass Kochen eventuell funktionieren und dann sogar Spaß machen kann. Für sich selbst neigt sie immer noch zu Fertiggerichten und Rezepten, die nach dem sogenannten One-Pot-Prinzip funktionieren.
Vor nicht allzu langer Zeit gab es da so eine Situation, die die Achterbahn einer rein weiblichen, neurodivergenten Beziehung hervorragend illustrierte und die ich euch deshalb nicht vorenthalten möchte.
Wir sitzen im Wohnzimmer. Meine wundervolle Frau will für sich selbst und ihren kleinen Hunger Gnocchi mit Pesto zubereiten; ich wähle hier bewusst nicht das Wort kochen.
Mein Chefköchinnen-Herz bricht kurz und ich sage: “Wenn ich Lust auf Gnocchi hätte, dann angebraten, mit frischen Cocktailtomaten, gutem Olivenöl, Pinienkernen, auf einem Bett aus Rucola und frisch gehobeltem Parmesan darüber.”
Ihre Antwort ist ein ebenso genervter wie überforderter Blick und ein Stöhnen, gefolgt von: “Aaaaah, wie soll ich das denn jetzt entscheiden? Und das dauert auch viel zu lange und ist viel zu viel Arbeit.”
Ich versuche ruhig zu bleiben und mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr es mich triggert, dass sie so wenig Energie in gesunde Ernährung steckt, sich so wenig selbst gönnt, wenn es um gutes Essen geht. Tief durchatmen. Es ist ihre Entscheidung und sie kann das für sich selbst besser entscheiden als du. Halt dich zurück.
Während ich damit beschäftigt bin mich selbst zu disziplinieren, überhöre ich fast ihre Frage, in der eine Mischung aus Unsicherheit, Trotz und Neugierde mitschwingt. “Könnte man denn den Parmesan vielleicht auch mit Gouda ersetzen, weil der mir besser schmeckt?”
Und schon sitze ich da und heule Rotz und Wasser, weil ich mich so darüber freue, dass sie sich Gedanken darum macht, was ihr schmeckt und wie man es zubereiten, nein kochen kann.
Meine Frau schaut mich kopfschüttelnd an und bittet mich einen Blick in meine Clue-App zu werfen, in der wir festhalten, wann wir bluten. Der Kalender sagt: “In fünf Tagen kann deine Periode beginnen.”
Und während ich mir noch die Tränen aus dem Gesicht wische, werde ich von einem Gefühl der Dankbarkeit und Liebe überflutet. Dankbarkeit dafür, in einer Beziehung leben zu dürfen, in der all das erlaubt ist. In der es möglich ist, sich ehrlich darüber auszutauschen, was einen triggert und was einem wichtig ist. Eine Beziehung, in der keine Kompromisse nötig sind, sondern nur Akzeptanz für die Einzigartigkeit der Anderen und der Wille Neues auszuprobieren, voneinander, aneinander und miteinander zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Und hinzunehmen, dass gelegentliche Gefühlsausbrüche in jeder Form völlig losgelöst von der tatsächlichen Bedeutung des Ereignisses, das sie auslösen, stattfinden können. Weil PMS.