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4xhab ich gern gelesen
geschrieben von Halifax.
Veröffentlicht: 07.07.2024. Rubrik: Unsortiert


Mein "spirit of life”

Irgendwann merkte ich: Der Alkohol lässt mich die Realität vergessen. Mit einem kühlen Bier, dazu einen klaren Schnaps, konnte ich in eine andere, schönere Welt eintauchen. Ich fühlte keinen Schmerz mehr. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich aus. Alkohol war der ideale Stimmungsheber. Er gab mir Kraft und Sicherheit, wenn auch nur temporär. Umso schlimmer war es, wenn der Nachschub ausblieb. Das war die Zeit des Jammerns, aber auch der Selbstanklage. Die Sucht dominierte mein ganzes Dasein. Es gab haufenweise Situationen, wo ich wirklich geglaubt habe, es ist zu Ende.

Mein Freund Sepp war am Hitzschlag gestorben, als wir besoffen unter einem Baum schliefen. Die Sonne war gewandert und hatte unser schattiges Plätzchen in gleißende Hitze getaucht. Hilflos, kraftlos, ging der Sepp über den Jordan. Er war mein Saufkumpel in dieser traurigen Zeit. Ohne ihn fühlte ich mich völlig leer, ein Teil von mir war gestorben.
Ein Tag nach dem anderen zerplatzte in einer Alkoholblase. Was blieb, war Selbstmitleid. Ich fühlte mich alleingelassen. Ungeliebt, verachtet, verurteilt, bespuckt, ziellos, verzweifelt.
„Willst du so enden wie der da?“, fragte ich mich in lichten Momenten, wenn ich einen Obdachlosen mit nassen Hosen in einer Ecke liegen sah. Es schreckte mich nur kurz ab. Die Sucht war stärker, viel stärker als alles andere. Ich war der Größte, wenn ich in der Welle war und die ärmste Sau, wenn ich nichts hatte. Ich dachte, so etwas wie dem Obdachlosen passiert mir nie. Doch es kam anders.
„Wenn du es schon nicht für dich selbst tun willst (das Aufhören), dann mach es wenigstens für deinen Sohn und deine Frau“, sagte ich zu mir selbst und vergaß dabei, dass die Frau tot und das Kind adoptiert worden war. Auch ein Produkt beginnenden Säuferwahns.
„Ich muss was tun, für mich allein”, dachte ich. „Wenigstens mal darüber reden, aber mit wem?” Da kam mir die Idee. Ich sah eine kleine Chance für mich – in einem anonymen Anruf bei der Telefonseelsorge.

„Ist da wer, der mir zuhört?“, fragte ich. Und ja, da war tatsächlich wer. Eine leise Stimme, kein moralischer Zeigefinger. Sie hörte zu, das hat geholfen. Am Ende unseres Gesprächs gab sie mir ein paar einfache Sätze mit: „Du hast irgendwann auf deinem Lebensweg die falsche Abzweigung genommen. Dreh dich nicht um, schau nicht zurück, du kannst nichts mehr ändern. Gehe weiter, nimm den steileren Weg, er führt ans Licht. Denk drüber nach, Ferdinand, und ruf wieder an, wenn du glaubst, dass ich dir helfen kann. Ich bin die Ilse.“
Es war wie eine Eingebung, plötzlich hatte ich begriffen. Die Entscheidung, den mühsamen Weg nach oben zu gehen, musste von mir selbst kommen. Es könnte der Weg sein, aus dem die Freiheit wächst. Jetzt verstand ich den altbekannten Spruch: Der Weg ist das Ziel. Steil und lebensgefährlich. Ich wollte die Herausforderung annehmen, mich quasi selbst besiegen. Mich selbst und den Alkohol. Mein „spirit of life“ heißt Abstinenz. Das war die wichtigste Antwort auf all meine Fragen.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Jens Richter am 07.07.2024:

Hallo Halifax,
stark, dass Du über das Thema geschrieben hast.
Viele Grüße von Jens.




geschrieben von Bad Letters am 09.07.2024:

Hallo Halifax,
welche Kraft ein paar Worte haben können, egal ob man sie sendet oder empfängt. Starke Geschichte und gut geschrieben wie ich finde!

MfG
Bad Letters


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