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6xhab ich gern gelesen
geschrieben 2024 von Kargut (Kargut).
Veröffentlicht: 21.06.2024. Rubrik: Persönliches


Einzelkind mit Schwester

Als ich das Licht der Welt erblickte, war der erste Konflikt zwischen mir und meiner fünf Jahre älteren Schwester da. Schließlich hatte man ihr über Monate hinweg einen Bruder versprochen, genauer gesagt einen Michael.
Und dann kam ich. Ein fettes Mädchen, mit 60 cm Körperlänge und einem Gewicht von 9 ½ Pfund. Aber was konnte ich dafür, dass meine Eltern beim Klapperstorch nicht richtig bestellt oder Meister Adebar falsch geliefert hatte? Amazon kannte man noch nicht, bei dessen Lieferungen gleich ein Retourenbeleg beiliegt, der bei Nichtgefallen oder falscher Lieferung zum Einsatz kommt. Hatte ich ein Glück – wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre!
Dank meines gesunden Appetits wuchs und gedieh ich prächtig und verschaffte mir bald meinen Platz in der Familie und auf dem Schoß von Oma und Opa. Mit meinen Oberschenkeln, die als Vorbild für das Michelinmännchen gedient haben müssen, war es mir erst spät möglich selbstständig zu laufen. Dafür verfügte ich aber bereits früh über einen großen zweisprachigen Wortschatz – nämlich in unserem hessischen Dialekt und in Hochdeutsch, das ich ausschließlich mit meiner Mutter sprach. Mein Lieblingssatz, der bestens veranschaulicht, wie sehr sich diese beiden Sprachen voneinander unterscheiden, ist: „Wu will auer kow hau es ha hi hu ?“ oder zu gut Deutsch: „ Wo will Eure Kuh heute das Heu hinhaben?“ Dank dieser frühkindlichen Sprachbegabung durfte ich Opa auch in die Dorfwirtschaft begleiten, wo ich bei seinen Freunden mein geballtes Wissen zum Besten geben konnte und außerdem neue „Vokabeln“ dazulernte.
Meiner Schwester, der bis zu meiner Geburt die gesamte Aufmerksamkeit galt, gefiel das alles gar nicht, dabei lehnte sie es doch selbst ab, sich auf den gut gepolsterten Schoß unserer Oma zu setzen. Für einen Wirtschaftsbesuch mit Opa war sie zu schüchtern. Sie war Mädchen und liebte Kleidchen und Puppen – ich hingegen war burschikos und trug am liebsten Hosen, die spätestens 15 Minuten, nachdem ich sie angezogen hatte, schmutzig waren. Eine Kleinigkeit für mich – ekelhaft für meine Schwester.
Oma spielte mit mir Brett- und Kartenspiele, und auch hier war meine Schwester draußen. Sie konnte es nicht ertragen, dass ihre fünf Jahre jüngere Schwester immer öfter gewann. Spiele im Freien mochte sie nicht, denn da bestand ja die Gefahr sich dreckig zu machen. Nur für das Familienalbum zogen wir dieselben Kleider an, die Mutter für uns genäht hatte, und posierten, in scheinbarer Harmonie, nebeneinander.
In den Jahren der Pubertät wurden die Probleme nicht weniger – nur anders, denn ein achtjähriges Kind im Schlepptau zu haben, war für eine 13-jährige „voll peinlich“ und lästig. Im Schwimmbad nahm man mir meinen Schwimmreifen ab, nur um mich loszuwerden. Das Ende vom Lied war, dass ich zornig hinter den „Großen“ herruderte und plötzlich schwimmen konnte. Dumm gelaufen.
Und so ist es bis heute geblieben. Außer unseren Eltern haben wir nichts gemeinsam. Ich vergleiche es mit einem Experiment im Chemieunterricht: Schüttet man Öl in Wasser, dann schwimmt Öl oben und selbst mit viel rühren ist es unmöglich, die beiden Substanzen miteinander zu verbinden. Leider.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Jens Richter am 24.06.2024:
Kommentar gern gelesen.
Hallo Kargut,
Du hast mit Humor das gewisse Geschwisterding beschrieben.
Einzelkindern bleibt das natürlich vorenthalten.
Sehr gern gelesen.
Viele Grüße von Jens




geschrieben von Babuschka am 24.06.2024:
Kommentar gern gelesen.
@ Kargut
Mein Bruder ist vier Jahre jünger als ich und war in unserer Kindheit für mich auch immer zu klein, sodass wir kaum miteinander spielen konnten. Die Zwistigkeiten sind uns bis heute geblieben. Aber manchmal, zwischendurch, helfen Emulgatoren, um das Wasser-Öl-Gemisch zu verbinden; auch wenn keine klare Lösung dabei rauskommt ;)
Liebe Grüße, Babuschka




geschrieben von Bad Letters am 24.06.2024:
Kommentar gern gelesen.
bei uns in der Familie sagt man über meinen Bruder und mich, der eine ist vom Bäcker und der andere vom Kohlenhändler. Trotzdem kommen wir heute miteinander gut zurecht, was in der Kindheit und Jugend oft nur in Balgereien endete.

MfG
Bad Letters

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