Veröffentlicht: 25.02.2024. Rubrik: Unsortiert
Der OrbitDreamer 3 – Campen im interstellaren Raum
Peter hatte alles vorbereitet. Zwei Kerzen brannten auf dem Tisch, die Rollläden waren unten und das Smartphone spielte romantische Musik. Er hatte sogar überlegt, Rosen auf dem Boden zu verteilen, aber wollte es dann doch nicht übertreiben. Im Nebenzimmer drehte Klara gerade die Dusche ab. Sie hatte keine Ahnung, was Peter in der Zwischenzeit vorbereitet hatte. Er schaute sich noch mal um. Die Bilder hingen korrekt an der Wand - auch das von ihrer Hochzeit vor einem Jahr. Im Regal standen die Bücher fein säuberlich nebeneinander und auf dem Sofa lag, faltenfrei, die schöne blaue Decke. Ja, und viel mehr gab es in diesem Zimmer auch gar nicht zu sehen. Klara und Peter lebten in einer kleinen Stadtwohnung von 64 Quadratmetern. Zweieinhalb Zimmer, aber immerhin zentral. Natürlich träumten sie davon, sich zu vergrößern, aber sie träumten vor allem von etwas anderem. Sie träumten von Nachwuchs.
„Was! Das ist wunderschön.“ Klara stand in der Tür und hielt sich die Hand vor den Mund, als sie die Kerzen sah.
„Vielleicht klappt es ja, wenn alles so romantisch ist!“, säuselte Peter und küsste Klara, während sie sich zum Sofa zogen und darauf fallen ließen und -
KLINGKLINGKLANG
Klara hob den Kopf und schaute zum Flur der Wohnung.
„Wer kann das-“
„Egal!“, ließ Peter sie nicht aussprechen und küsste sie weiter und-
KLINGKLINGKLANG
Wieder blickte Klara auf. Und wieder lenkte Peter sie ab und-
KLINGKLINGKLANG
„Tut mir leid, so kann ich das nicht!“, zischte sie genervt.
„Ignoriere es einfach!“
„Kann ich nicht!“, flüsterte sie.
Peter ärgerte sich, warum er bei seinen Vorbereitungen vergessen hatte, die Klingel auszustellen. Aber er wollte sich das nicht anmerken lassen. Stattdessen versuchte er weiter, Klara abzulenken.
„Schau mal, das ist eine Türe. Wenn wir nicht aufmachen, bleibt sie zu und weil wir nicht aufmachen-“
„Vielleicht ist es wichtig!“
„Das ist bestimmt ein Paketlieferant, der hinterlegt einen Zettel!“
„Na gut!“
Sie umarmten sich wieder. Klara zog Peter das T-Shirt aus und-
KLINGKLINGKLANG
Unwillkürlich ging Klaras Blick erneut in die Richtung des Klingelns.
„Okay, ich hab verstanden! Du hast es versucht, ich klär das!“, meinte Peter und lachte dabei etwas gezwungen, während Klara ein gespielt schuldbewusstes Gesicht aufsetzte. Peter lief durch den Flur zur Tür, zog dabei sein T-Shirt wieder an und öffnete. Zwei Personen standen vor ihm, die ein wenig seltsam wirkten. Peter war aber zu überrascht, weswegen ihm das Offensichtliche an ihnen nicht sofort auffiel. Das eine war ein gedrungener Mann mit Glatze, das andere eine zierliche Frau, die ebenfalls eine Glatze hatte.
„Ja, bitte?“
„Danke, dass Sie aufgemacht haben“, meinte der Mann mit einer etwas sonoren Stimme, „es geht um den Schaden an unserem Camper OrbitDreamer 3!“
„Ich weiß nicht, von was Sie reden. Ich mach jetzt auch wieder zu!“
Bevor er die Tür schließen konnte, ergänzte die Frau: „Unser OrbitDreamer 3, der jetzt eine große Delle hat!“ Sie bemerkte das so beiläufig, als ob Peter wissen müsste, um was es geht.
„Sie verwechseln mich! Schönen Abend noch!“
Jetzt wirkte der fremde Mann für einen Moment überfordert.
„Verwechselt? Ist das hier etwa nicht der Planet Erde?“
„Seid ihr betrunken? Wie auch immer…ahhh!“
Peter wollte jetzt endlich die Türe zuschlagen, als ihm auffiel, was an den beiden so ungewöhnlich war. Sie sahen aus wie Menschen, hatten aber jeweils nur ein Auge im Gesicht. Es saß ziemlich genau in der Stirnmitte. Ein weiterer Schrei ertönte. Klara war in den Flur getreten und hatte diese anatomische Auffälligkeit sofort bemerkt.
„Zu höflich“, meckerte die Fremde und klang dabei ein wenig gekränkt, „meint ihr, wir finden eure Augen nicht absurd? Wir haben es uns aber nicht anmerken lassen!“
„Vermutlich junge Leute, wie alt seid ihr?“, höhnte der Mann.
Peter brauchte einen Moment, bevor er antworten konnte.
„Ich bin dreiunddreißig.“
„Oh, das kann ich ja gar nicht ausstehen“, empörte sich der Glatzkopf, „diese Unsitte, sein Alter abzukürzen. Klingt 33.000 Jahre nicht lässig genug, oder was?“
Peter starrte ihn ratlos an, während Klara ihre Hand in seine legte.
„Und du?“, erkundigte sich die Fremde bei Klara.
„Achtundzwanzig.“
„Noch so eine Coole!“, ätze der Mann.
„Wir haben euch unser Alter genannt. Ich bin dreiunddreißig und meine Frau achtundzwanzig. Was ist euer Problem?“, erwiderte Peter.
Ein kurzer Moment der Stille verging.
„Du bist wirklich keine 33.000 Jahre alt, oder?“ Der Glatzkopf klang jetzt ein wenig vorsichtiger. Peter nickte und wiederholte: „Dreiunddreißig.“
„Und du“, sein einäugiger Blick fiel jetzt auf Klara.
„Wie gesagt, achtundzwanzig.“
„Erstaunlich!“
„Wie auch immer. Hören Sie mal, wir möchten nur ungern die Polizei rufen, aber-“, wollte Peter jetzt endlich dieses Gespräch beenden, wurde aber unterbrochen.
„Wir legen auch keinen Wert darauf, dass es lange dauert!“, stellte die Frau klar, „aber der Schaden an unserem Camper muss beglichen werden.“
„Können wir reinkommen?“ Der Mann schaute Klara mit seinem Auge an.
Peter griff sich heimlich einen Regenschirm, der an der Wand lehnte. Er war nicht die beste Waffe, aber es war immerhin eine Waffe.
„Was wollen Sie mit dem Regenschirm machen?“, fragte der Mann, der sein Auge keine Sekunde in Peters Richtung bewegt hatte.
„Wie konnten Sie das sehen?“, wunderte er sich.
„Mit meinen Augen“, kam es spöttisch zurück.
„Aber-“
Weiter kam Peter nicht, bevor sein Blick auf die Handfläche des Fremden fiel, in der sich ein weiteres Auge befand, das ihn offenbar die ganze Zeit beobachtet hatte. Dieses hatte etwa die Größe eines Menschenauges. Zu seiner eigenen Überraschung, musste Peter bei diesem zweiten Augenfund nicht wieder aufschreien.
„Wenn ihr uns nicht reinlasst, sehen wir das als eine KolKolKahle an! Und wir würden sie ohne Zögern annehmen!“, stellte die Frau resolut fest.
„Was ist eine“ , hatte Peter gerade begonnen, als Klara nachgab.
„Das bringt doch nichts“, seufzte sie, „dann kommen Sie herein und wir klären, was hier für ein Missverständnis vorliegt!“
Als Peter und sie vor ihren Gästen ins Wohnzimmer zurückliefen, zischte Peter.
„Wir wissen nicht mal, was KolKolKahle ist!“
„Der Typ hat ein Auge in seiner Hand und eines auf der Stirn. KolKolKahle wird etwas sein, was wir nicht kennenlernen wollen!“
„Du weißt es aber nicht!“
„Natürlich nicht und so soll es auch bleiben. Das sind Außerirdische, hast du das immer noch nicht verstanden?“
Im Wohnzimmer eilte Peter zum Sofa und strich die Decke glatt, während Klara die Kerzen ausblies und das Licht anmachte.
„Setzen Sie sich doch bitte!“ Klara bot den beiden jeweils einen Stuhl an.
„Danke“, murmelten sie und nahmen Platz.
„Haben Sie auch ein Auge in der Handfläche?“, fragte Klara die fremde Frau, die sofort errötete.
„Kann man eine noch intimere Frage stellen?“, empörte sich der Mann.
„Entschuldigung, das war nicht so gemeint. Das tut mir leid, wenn ich da etwas falsch gemacht habe.“
„Das haben Sie!“, meinte der Mann.
„Es ist nur so, Sie haben uns mit ihrem Handauge angeschaut und darum dachte ich, dass das nichts Schambehaftetes ist.“
„Ich bin ja auch ein Zimote, meine Frau ist eine Olipin!“, schimpfte er und erwartete wohl, dass Klara jetzt endlich das ganze Ausmaß ihres Fehltritts begriff.
„Ja, schön, schön. Ich will nicht weiter darüber reden!“, stellte die Frau klar, die einen dünnen Lederstreifen nachzog, der über ihre Handfläche verlief und das Auge verdeckte. Der Mann streichelte ihr mitfühlend über die Schulter und Klara atmete erleichtert durch, weil das Thema damit erledigt war. Dafür drängte sich nun ein anderes Problem auf. Das Handauge des Fremden verengte sich, als würde er sich auf einen Punkt in der Ferne konzentrieren. Auf gewisse Weise tat er das auch. Nur, dass er nicht in die Ferne, sondern in die Vergangenheit blickte.
„Ihr habt gekämpft!“, stellte er fest und sein Handauge sprang von Klara zu Peter und zurück, „ich dachte, ihr hättet ein harmonisches Verhältnis.“
„Wir sind verheiratet!“ Klara lachte etwas aufgesetzt.
„Warum dann der Kampf?“
„Was für ein Kampf denn?“, wollte Peter wissen.
„Ich bin Zimote, ihr könnt mir nichts vormachen. Ich sehe doch, dass vor fünf Minuten ein Kampf auf dieser Couch stattfand. Die Bilder verblassen zwar schon, aber ich sehe sie noch.“
„Seid ihr Spanner, habt ihr durchs Fenster geschaut?“, ärgerte sich Peter.
„Das sind keine verkleideten Menschen“, zischte Klara, „so langsam muss du das doch begreifen!“
„Sie hatte dich schon auf den Rücken geworfen und sich auf dich gesetzt! Sie hat dir deine Rüstung vom Leib gerissen. Wollte sie dich töten?“ Der Mann klang ein wenig besorgt.
„Welche Rüstung?“ Peter verstand nichts mehr.
„Die weiße Rüstung, die du jetzt wieder trägst.“
„Mein T-Shirt?“
Jetzt mischte sich Klara ein.
„Wir hatten einfach ein wenig“, sie dachte nach, „Romantik.“
„Kampf ist bei euch Romantik?“
„Das sah vielleicht so aus, aber wir haben uns umarmt und geküsst und gestreichelt. Das sind schöne Dinge“, erklärte Klara weiter.
„Wofür das alles?“
Der Mann klang jetzt aufrichtig interessiert. Auch die Frau hörte zu.
„Weil es schön ist. Menschen, die sich sehr mögen, machen das miteinander. Das ist ein besonderer Liebesbeweis.“
„Bei uns ist ein besonderer Liebesbeweis die Paarung“, steuerte die Frau bei.
„Ja, die Paarung“, meinte Klara, „vermutlich unterscheiden wir uns da dann kaum.“
„Paart euch ruhig, wir wollten euch dabei nicht stören“, stellte der Mann freundlich klar.
„Das sind auf jeden Fall Perverse!“, zischte Peter und an ihre merkwürdigen Gäste gewandt, schob er nach, „paart ihr euch doch, wenn ihr das vor anderen so normal findet.“
Jetzt mussten beide Gäste lachen.
„Was meinst du denn, was wir die ganze Zeit schon machen?“, wollte die Frau grinsend wissen.
„Hä“, mehr bekam Peter nicht heraus, bevor Klara unter den Tisch schaute und ihn auf das hinwies, was wohl die Paarung war. An der Ferse der beiden hing jeweils eine Art Schwanz, der an eine Nabelschnur erinnerte, und hatte sich miteinander verknotet.
„Ihr paart euch in unserer Gegenwart in unserer Wohnung?“ Peter ärgerte sich.
„Lass sie doch, wenn David zu Besuch ist, lässt du ihn auch immer hier rauchen, obwohl wir Nichtraucher sind.“
Peter schüttelte den Kopf.
„Ja, das stimmt, Schatz. Es gibt aber zwei wichtige Unterschiede zwischen David und diesen Leuten. Diese Leute sind nicht David! Und er paart sich hier nicht.“
„Reiß dich trotzdem zusammen!“
Nun entstand eine etwas verlegene Pause, bei der das Handauge des Mannes Karla betrachtete. Sie wollte eigentlich sagen, dass sie das unangenehm findet, aber nachdem sie zuvor die Frau mit einer Bemerkung zu ihrem Handauge so in Verlegenheit gestürzt hatte, schwieg sie lieber. Schließlich hatte sie eine Idee, wie sie das Schweigen brechen könnte.
„Und wie alt sind Sie?“
„Ich bin, etwas abgerundet, 70.000 Jahre alt“, stellte der Mann mit ruhiger Stimme fest, während Peter die Augen verdrehte.
„Und ich aufgerundet 54.000 Jahre. Und, bitte, spart euch jede Anzüglichkeit wegen des Altersunterschiedes. Wir kennen schon jeden Spruch in diese Richtung, das könnt ihr uns glauben.“
„Und ihr seid also Außerirdische?“, ließ sich Klara von ihrem skeptischen Mann nicht beirren.
„Nein, ich bin Zimote und meine Frau Molwien.“
„Sind das zwei verschiedene Völker?“
„Wenn man diese Frage eindeutig beantworten könnte, hätte es wohl die zwölf zimotisch-molwienischen Kriegsepochen nicht gegeben“, seufzte der Mann.
„Zwölf Krieg, meine Güte!“, wiederholte Klara entsetzt.
„Wie viele Kriege es waren, weiß niemand“, widersprach die Frau.
„Ich dachte, zwölf.“
„Zwölf Kriegsepochen“, wiederholte die Frau, „manche dieser Epochen dauerten hunderttausende von Jahren.“
Der Mann schaute wieder zum Sofa.
„Wirklich erstaunlich, wie ihr Zärtlichkeit austauscht“, meinte er, „gerade verschwimmen die letzten Bilder davon vor meinem Auge.“
„Zum Glück“, murmelte Peter, der nachsah, ob die beiden Fremden immer noch über diese Art Schnüre an den Fersen verbunden waren. Ja, waren sie. Nun kam Klara eine Frage in den Sinn, die eigentlich an den Beginn dieses Treffens gehört hätte.
„Wie heißen Sie eigentlich?“
„Bestimmte B4R2 und U45wY oder so ähnlich“, ätzte Peter.
„Ich bin die Agathe“, stellte sich die Frau vor.
„Und ich bin der Max“
Peter kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.
„Was wollt ihr jetzt von uns, Alien-Agathe und Alien-Max?“, wollte er wissen.
„Ihr sollt den Schaden bezahlen!“, meinte Agathe.
„An eurem Camper?“ Peter versuchte, ruhig zu bleiben.
„Genau“, stimmte Agathe zu, „das Ding hat uns eine Delle in der Seite verpasst. Ganz davon abgesehen, dass es noch viel schlimmer hätte ausgehen können!“
„Welches Ding!“ Peter beugte sich nach vorne.
„Das hier!“
Max legte eine vergoldete Scheibe auf den Tisch. Sie hatte etwa den Durchmesser von dreißig Zentimetern und kam Peter und Klara irgendwie bekannt vor. Auf ihr befanden sich mehrere Symbole, Formen und Linien.
„Habt ihr sie schon vermisst?“ Max klang siegessicher, als er das fragte.
Peter und Klara schauten das Objekt weiter an, dann begriff Klara endlich.
„Das ist diese Scheibe, die die NASA ins Weltall geschickt hat“, flüsterte sie Peter zu.
„Genau“, stimmte er zu, „eine gute Kopie!“
„Glaube ich nicht!“
„Die heißen Max und Agathe!“
„Na und?“
„Kein Alien heißt so!“
„Du meinst, die haben sich einen riesigen Aufwand gemacht, um uns einzureden, dass sie Aliens sind und dann vergessen sie, sich Alien-Namen auszudenken?“ Klara klang gereizt.
„Offenbar.“
„Unsinn.“
„Während die Vorstellung, dass uns zwei Aliens gegenübersitzen, die unter unserem Tisch intim sind, total Sinn macht, oder wie?“, zischte Peter ebenfalls gereizt zurück.
Max pochte jetzt auf den Tisch: „Wir wollen nicht unhöflich sein, aber ein wenig erstaunt uns doch, wie lange das hier dauert. Eigentlich wollten wir längst am Jupiter vorbei sein.“
„Tut mir leid, wir mussten was besprechen“, entschuldigte sich Klara.
„Entschuldige dich doch nicht!“ zischte Peter.
„Wir kennen diese Scheibe natürlich“, meinte Klara.
„Na, endlich!“, seufzte Agathe.
„Aber wir haben mit ihr nichts zu tun“, stellte sie direkt danach klar.
Max verdrehte sein Stirnauge.
„Auf dieser Scheibe steht sogar, wo sie herkommt!“ Er deutete auf einen Punkt mit ausstrahlenden Linien, bei dem es sich um die galaktische Position der Erde handelte.
„Ja, aber wir haben sie nicht gebaut!“ Klara zeigte auf sich und Peter.
„Sie ist aber von hier, oder!“, wollte Max jetzt noch mal wissen.
„Ja!“
„Dann seid ihr verantwortlich. Wenn von meinem Planeten etwas ohne Sinn und Verstand ins Weltall gefeuert wird, bin ich dafür auch verantwortlich!“
„Wie auch immer“, seufzte Peter resignierend, stand auf und zog die Rollladen hoch, die er vor diesem unerwarteten Besuch hinuntergelassen hatte. Als er noch dachte, dass der Abend ganz anders verlaufen wird.
„Was ist das denn?“, entfuhr es ihm, als er auf die Straße schaute. Dort stand ein Fahrzeug, das wie ein Kleinbus mit Stummelflügeln aussah. Es war über und über von Sand bedeckt, nicht nur auf den Scheiben oder dem Dach, sondern überall. Als wäre es in eine Sandgrube gestürzt.
„Wir konnten den Camper nicht mehr waschen, seit wir durch einen Asteroidenschweif geflogen sind“, entschuldigte sich Max, der jetzt neben Peter stand.
„Saharasand gibt es immer wieder mal“, blieb Peter skeptisch.
„Nur, dass kein anderes Auto Sand abbekommen hat. Ein seltsamer Sturm wäre das“, merkte Karla an, die jetzt neben ihn trat.
„Seht ihr da hinten am Camper die riesige Delle!“, Max zeigte zum Fahrzeug, „da ist eure Raumsonde voll gegen gekracht. Mit so viel Wucht, dass diese Scheibe aus ihrer Verankerung fiel und in unserm Camper stecken blieb.“
„Bitte, setzt euch, wir müssen jetzt endlich die Entschädigung besprechen!“, drängte Agathe.
Kurz darauf saßen alle wieder am Tisch. Klara versuchte erneut, die Position von ihr und Peter klarzustellen.
„Es tut uns leid, dass ihr diesen Unfall hattet“, fing sie an, wurde aber sofort unterbrochen.
„Draußen im interstellaren Raum, da ist sonst nie was los!“, schimpfte Max.
„Ja, es tut uns leid. Aber schuld sind wir nicht.“ Karla merkte, dass das nicht so überzeugend klang, wie gedacht.
„Wir drehen uns im Kreis. Ihr habt zugegeben, dass diese Scheibe und diese grässliche Sonde von euch sind“, warf Agathe genervt ein.
„Ihr ruiniert uns hier wirklich gerade einen wichtigen Abend“, schimpfte Peter, den daraufhin drei Augen anstarrten. Die Stirnaugen der beiden und zusätzlich das Handflächenauge von Max, das sich zornig zusammengekniffen hatte.
„Ach so, machen wir das?“, kam es von Max zurück, „ruinieren wir euch euren Abend? Nun, erlaubt mir, ein wenig auszuholen. Ich habe einen Kiosk betrieben. Auf dem Beimond Tri5. Jeden Tag bin ich mit dem Raumschiff vom Planeten Molwien zum Beimond gependelt, nur um da oben ausschließlich arrogante Zililay und dümmliche Lqa zu bedienen. Ich habe diesen Job gehasst, aber ich habe ihn 50.000 Jahre lang durchgehalten und dabei immer ein wenig Geld zur Seite gelegt. Wisst ihr, wofür?“
„Wofür?“, fragte Klara.
„Für das Gleiche, wofür es auch Agathe gespart hat.“
„Hat sie auch einen Kiosk auf dem Mond gehabt?“ Peter wollte bewusst gleichgültig klingen.
„Das hatte ich nicht! Ich war Asteroidenklopperin. Ich reiste mit galaktischen Bergbau-Crews zu vorbeirasenden Asteroiden und beutete sie aus. Wir baggerten Mineralien ab und verbrachten so manchmal Jahrhunderte auf der Oberfläche dieser gigantischen Himmelskörper. Es war eine harte Arbeit, aber ich wusste, wofür ich es tat. Ich legte auch immer Geld zurück, damit wir unseren Traum erfüllen können!“
Sie griffen sich an den Händen und schauten sich verliebt in ihr jeweiliges Stirnauge.
„Eine Universumreise!“, sagten sie gleichzeitig, „und auf der waren wir gerade, als eure Sonde uns fast getötet hätte!“
Agathe klopfte dabei auf die goldene Scheibe.
„Habt ihr keine Versicherung?“, versuchte es Peter jetzt auf eine andere Weise.
„Wir haben keine Versicherung für Schäden im interstellaren Raum abgeschlossen, wer kommt schon auf die Idee, dass man da einen Unfall hat?“, meinte Agathe.
„Und wir sollen jetzt dafür zahlen, dass ihr bei der Versicherung gespart habt?“ Peter schüttelte den Kopf.
„Wir sind bisher sehr nett zu euch gewesen“, meinte Max, der dabei auf eine Weise freundlich schaute, die empfindsamen Wesen eine Warnung ist.
„Wir haben kein Interesse an einem Konflikt“, beeilte sich Klara, „vielleicht können wir euch beim Reparieren helfen?“
„Ist jemand von euch etwa ein ausgebildeter Carbonatzirkeleudiker?“ In Agathes Stimme schwang Hoffnung mit.
„Nicht genau“, musste Klara sie enttäuschen, „aber Peter repariert immer unsere Fahrräder.“
„Ich leg die Kette wieder drauf, wenn sie runterspringt, mehr kann ich da nicht!“, widersprach er.
„Ist das ähnlich kompliziert, wie einen Kernfusionsreaktor mit der Lichtgeschwindigkeitssensorik eines Campers OrbitDreamer 3 zu koppeln? Da gibt es in unserem Modell leider einen Wackelkontakt. Wir waren auf dem bewohnten Meteoriten Knyl und der dortige Mechaniker meinte, dass das leicht zu reparieren ist. Dann starb er aber, als er in die Lichtgeschwindigkeitssensorik griff. Genau genommen wurde er in das Gerät gesaugt. Es kann sein, dass es da drin ein winziges schwarzes Loch gibt und er mit seinen Tentakeln zu nahe dran geraten war. Kann aber auch sein, dass die Dwarfer-Linse ihn geschrumpft hat und er noch immer da drinsitzt. Wie auch immer. Bei der Herstellung des OrbitDreamer 3 ist es leider mehrmals zu solchen Vorfällen gekommen. Beim OrbitDreamer 4 hatte man diese Fehler korrigiert, aber um so einen Camper zu kaufen, müsste ich noch weitere 50.000 Jahre meinen Kiosk betreiben und-“
„Ich löse: eine Fahrradkette auflegen, ist weniger kompliziert“, schnitt ihm Peter das Wort ab.
„Dann müssen wir es wohl mit Geld klären!“, meinte Max fast enttäuscht.
„Euch wird unser Geld nichts bringen“, meinte Karla, „wir haben nur Euro.“
„Das trifft sich gut, wir auf Molwien zahlen auch in Euro“, erklärte Agathe mit einem Strahlen.
„Wie soll das jetzt wieder möglich sein!“, seufzte Peter.
„Die sind aus irgendeinem entfernten Sonnensystem hergekommen, das sind Aliens, und was dich wirklich erstaunt, ist ihre Währung?“, zischte Karla.
„Nein, alles klar, ich habe kapituliert. Ich glaube denen ihre Geschichte. Ich fänd es nur gut, wenn die ihr Liebesleben etwas diskreter handhaben würden.“
„Sind sie immer noch zugange?“, murmelte Karla und schaute unter den Tisch, wo die beiden seilähnlichen Anhängsel weiterhin aneinanderklebten. Als sie und Peter wieder aufblickten, sahen sie noch, dass Agathe neckisch ihr schmales Lederband hochgezogen hatte, damit Max ihr Handauge sehen konnte. Ihm entfuhr bei diesem Anblick ein brunfthaftes Seufzen, bevor das Lederband wieder über dem Auge lag. Als Agathe merkte, dass sie beobachtet wurden, räusperte sie sich verlegen.
„Wenn ihr uns den Schaden nicht bezahlt, werden wir den Fall vor den TrokDeTrik bringen müssen und ich denke, das will niemand von uns“, warnte Max.
„Vor den TrokDeTrik?“ Peter wiederholte die Worte, als würden sie dadurch plötzlich Sinn ergeben.
„So ist es und gegen den ist eine KolKolKahle die reinste Entspannung“, warnte Max.
„Wir haben kein Geld“, ging Klara auf die finanziellen Forderungen ein, um sie sogleich zu enttäuschen.
„Das macht nichts, ihr könnt es gerne über die nächsten Jahrhunderte abstottern“, stellte Agathe kulant fest.
„Wir leben in ein paar Jahrhunderten nicht mehr“, musste Klara sie wieder enttäuschen, „wir werden nur ein paar Jahrzehnte alt.“
„Und wenn wir in unseren Wohnungen von Irren überfallen werden, vielleicht nicht mal so lange“, schob Peter nach.
„Das ist ein Problem“, gab Max zu, „denn Schulden sind zu begleichen, andernfalls droht TroDeTrik!“
„Um wie viele galaktische Euros geht es denn?“, stellte Peter jetzt eine naheliegende Frage.
„Nur Euro, galaktische Euros kenne ich nicht“, merkte Max an.
„Ja, wie viele Euros denn?“
Nun mussten die beiden Gäste lachen.
„Euros?“, wiederholte Agathe, „wir reden hier von einer Delle im Camper.“
„Wollt ihr da jetzt etwa eine Million für, oder warum ist das so witzig?“ Peter schaute sie genervt an.
„Wir sind doch keine Betrüger“, ließ Max ihn wissen, „der Schaden liegt doch nicht im Euro-Bereich. Ist euch klar, dass der reichste Molwiener 234 Euro und 45 Cent auf dem Konto hat?“
Klara und Peter schüttelten den Kopf.
„Habt ihr euch etwa die ganze Zeit geziert, weil ihr dachtet, dass ihr ganze Euros zahlen müsst? Die Reparatur ist zwar teuer, aber wir sprechen hier von zwei Cent.“
Für einen Moment herrschte Stille im Wohnzimmer. Peter und Klara wechselten irritierte Blicke.
„Zwei Cent?“, wiederholte Peter ungläubig.
„Ich merke, auch die Summe schockiert euch. Ich kann es verstehen, wer keinen OrbitDreamer 3 besitzt, hat keine Ahnung, wie teuer diese Fahrzeuge sind“, meinte Max, der sich daraufhin mit Agathe im Flüsterton austauschte.
„Wir denken, wenn wir ein wenig an den Serviceleistungen sparen, können wir den Schaden auch für einen Cent reparieren lassen“, meinte Agathe schließlich.
„Ein Cent, haben wir so viel?“, dachte Klara laut nach, bevor Peter ihr Spiel verstand und mitmachte.
„Das sind alle unsere Ersparnisse, aber ich denke, wir würden das Geld zusammenbekommen.“
Er ging zu seiner Jacke mit dem Geldbeutel und holte einen Cent heraus. Für einen Moment hatte er dabei Panik, weil er nur zwei Cent-Münzen fand, aber dann entdeckte er doch noch den ersehnten Einser. Damit kehrte er zum Tisch zurück.
„Welchen Berufen geht ihr nach, wenn ihr einen Cent zurückgelegt habt?“, erkundigte sich Max.
„Ich bin Kindergärtnerin und Peter Autor.“
„Kindergärtnerin“, wiederholte Agathe.
„Ja, ich liebe Kinder.“
„Schön, sehr schön.“ Agathe warf Max einen Blick zu, den Klara nicht deuten konnte.
„Eine Frage: In welchem Alter setzt ihr sie aus?“ Max schaute sie neugierig an.
„Was?“
„Die Kinder.“
„Nie. Warum sollte man sie aussetzen?“
Max musste lachen.
„Das war kein Witz“, erklärte Klara.
„Wir haben auf unserer Reise bestimmt schon auf hundert Planeten Kinder gezeugt und ausgesetzt“, mischte sich Agathe ein, „es ist jedes Mal ein großes Glück.“
„Das ist schrecklich, seine Kinder auszusetzen.“
„Was soll man sonst mit ihnen machen? Sie essen? Wir sind doch keine Qasikiden!“, wunderte sich Agathe.
„Na…“ Klara wollte gerade zu einer Gegenrede ansetzen, als Peter mit dem Geld zurückkam, das er ihr in die Hand drückte. Sie entschied, mit diesen Aliens jetzt doch keine Diskussion über die richtige Kindererziehung zu führen. Stattdessen räusperte sie sich und erklärte: „Es tut uns leid, dass wir eure Reise verzögert haben. Hier ist die Summe für die Reparatur.“ Nach diesen Worten übergab sie Agathe das Geld.
„Danke, dass ihr es eingesehen habt. Und weil ihr so ehrlich gewesen seid, müssen auch wir etwas zugeben“, meinte Max. Erwartungsvoll und auch ein wenig nervös, warteten Peter und Klara auf das Geständnis.
„Es gibt das TroDeTrik nicht mehr. Es wurde aufgelöst. Aber wir wollten euch damit Angst machen und es hat ja auch geklappt. Aber das war nicht in Ordnung. Das tut uns leid. “
„Oh, ihr“, Klara suchte nach Worten, während sie gespielt drohend den Zeigefinger hob, „…Schlingel!“
„Schlingel?“, zischte Peter.
„Mir ist nichts anderes eingefallen!“
„Hoffentlich ist Schlingel in deren Welt keine Kriegserklärung oder der Zeigefinger“, murmelte Peter. Aber weder das eine noch das andere schien ihre Gäste zu interessieren, die mittlerweile aufgestanden waren. Auch Peter und Klara standen auf, als würden sie alte Freunde nach einem langen Abend verabschieden.
„Kann ich noch auf eure Toilette?“, fragte Agathe.
„Aber natürlich. Direkt auf der anderen Seite des Flurs“, erklärte Klara. Sofort eilte Agathe dorthin. Max blieb im Wohnzimmer, wo sich nun eine gewisse Verlegenheit breitmachte, da Peter, Klara und Max sich nur immer wieder angrinsten oder zunickten, bis Agathe endlich zurückkam.
„Sie hat nicht gespült und nicht die Hände gewaschen“, zischte Peter Klara zu, die ihm dafür einen Stoß in die Seite versetzte und „still jetzt!“ zischte.
„Das tat gut!“, strahlte Agathe und Klara stimmte zu, „ja, find ich auch immer danach.“
„Nun, vielen Dank für euer Verständnis“, meinte Max zum Abschied und schaute dabei Klara mit dem Handauge an und Peter mit dem Stirnauge.
„Auch von mir, vielen Dank. Nicht alle Unfallverursacher sind so einsichtig!“
Klara winkte ab: „Wenn man was falsch gemacht hat, muss man dafür geradestehen.“
„So ist es“, stimmte Peter zu, „sollen wir euch zur Türe begleiten oder findet ihr selbst raus?“
„Macht euch keine Umstände, wir finden selbst heraus“, lehnte Agathe lächelnd ab, bevor die beiden Universeumreisenden durch den Flur liefen und sich die Tür öffnete und wieder schloss. Dann standen sie schon auf dem Gehweg und stiegen in ihren Camper. Max stieg noch einmal mit einem Lappen heraus und wischte den Sand von der Windschutzscheibe, während er die freie Hand hinter dem Rücken verschränkt hatte.
„Er schaut uns mit seiner Hand an“, flüsterte Klara, die mit Peter zusammen am Fenster stand.
„Ich weiß“, kam es zurück.
„Du klingst so müde, alles klar?“, wollte Klara wissen.
„Nein. Ich warte nur, bis die weg sind und dann werde ich wohl in Ohnmacht fallen.“
„Wie rücksichtsvoll.“
Nun setzte sich Max in den OrbitDreamer 3, legte die goldene Scheibe wie ein Reiseandenken vorne auf das Armaturenbrett und startete. Agathe und er winkten ein letztes Mal zur Wohnung herüber, bevor der Camper eine Sekunde später, oder vielleicht noch schneller, verschwunden war.
„Peter?“, fragte Klara, deren Mann gerade in sich zusammengesackt war. Sie hatte ihn noch stützen können, damit er nicht ungebremst auf den Boden fällt.
„Ich hole dir ein nasses Handtuch“, meinte sie und ging ins Bad und wäre dort fast selbst umgekippt. Sie war hier nicht allein. In der Badewanne stand ein kleines Kind mit einem Auge auf der Stirn und einem zweiten in der Handfläche. Es ging Klara vielleicht bis zum Knie und es konnte sprechen und es sprach: „Mama“.