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6xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 26.01.2024. Rubrik: Unsortiert


Durchschnittlich

Ein Leben als Normalbürger. Mainstream. Aber auch sonst. So eines führte ich. Unauffällig. Das gefiel mir. Brachte mir Vorteile. In der Familie. Auch am Arbeitsplatz. Ich eckte nirgendwo an. Dann der Kipppunkt. Ich wurde auserwählt. Vom Bundesamt für Statistik. Als der Mustermann des Landes. Ich erfüllte alle Auswahlkriterien. Für den Durchschnittsbürger. Kaum Abweichungen. Ein Titel ohne Bewandtnis. Dachte ich. Anfänglich. Dann kam's: ein Jahr lang repräsentieren. Bundesweit. Vergleichbar mit der Deutschen Weinkönigin. Tingeln über Messen. Und ähnliche Veranstaltungen. Bei vollem Lohnausgleich. Plus Spesen. Dieses Leben gefiel mir. Viel Aufmerksamkeit. In der Öffentlichkeit. Interviews. Talk Shows. Selbst politische Kommentare waren von mir gefragt. Das volle Programm eines Promis.

Nach zwölf Monaten war Schluss. Unwiderruflich. Zurück ins Normalleben. Dachte ich. Fälschlicherweise. Es funktionierte nicht. Ich vermisste Aufmerksamkeit. In der Öffentlichkeit. Mein innerer Kompass war inzwischen darauf genordet. Gähnende Leere in mir. Ich schmiss meinen Job. Hing durch. Nur noch Fernsehen. Und Internet. Das belastete mein Familienleben. Isolierte mich. Ich fing an zu lesen. Tag für Tag. Exzessiv. Zeitschriften. Tageszeitungen. Kurzgeschichten. Keine langen Texte. Gerne Leserbriefe. Ich hielt siebenundzwanzig Abonnements. Dann Fokussierung. Gezielte Selektion. Nur bestimmte Tageszeitungen. Ausschließlich mit großem Bereich für Leserzuschriften. Später Übergang vom reinen Leser zum Verfasser. Schrieb Kommentare. Zu allem und jedem. Überbordend. In ungezählten Periodika. Aufmerksamkeit zu gering. Immer noch. In der Öffentlichkeit. Ich brauchte mehr davon. Provozierte Repliken. Durch Scharfzüngigkeit. Durch Sarkasmus. Fast zynisch. Das wurde mein Markenzeichen. Ich verbarg meine Identität. Hinter wechselnden Pseudonymen. Arbeitete mit fiktionalen Lebensläufen. In Zeitschriften. Wurde Vielschreiber. In verschiedenen Internetforen. Häufig veröffentlicht. Dann wurde ich ausgebremst. Mein Pseudonym wurde entlarvt. Meine Identität wurde öffentlich gemacht. Nun hatte ich sie. Die Öffentlichkeit. Leider zu viel davon. Säckeweise Briefpost. E-Mails ohne Ende. Meist drohend. Kaum ein Tag ohne Shitstorm. Das Medium schlug zurück. Ich zerbarst. Mental. Als Autor.

Meine Frau brachte die Rettung. Steckerziehen. Keine Leserbriefe. Keine Einstellungen im Netz. Null Kommentare zu Tagesaktuellem. Kaum vorstellbar. Für mich. Ich litt. Unter Entzug. Dann der Kompromiss. Ausschließlich eine Zeitung: 'Allgemeine Zeitung'. Einzige deutschsprachige Tageszeitung in Namibia. Langwierige Zustellung. Sehr später Erhalt. Aktuelles verpufft. Verfassen von Leserbriefen sinnfrei. Für mich. Aus der Distanz. Zeitlich und räumlich. Aber gut geeignet zum Ausschleichen. Aus öffentlichen Beiträgen.

Heute lebe ich mit meiner Ehefrau und zwei fast erwachsenen Kindern sowie einem Rauhaardackel zufrieden in einem kleinen Ort am Niederrhein. Der Kontakt zu meinem Umfeld wird individuell und wohl dosiert 'abgearbeitet'. Mein Bedarf an Informationen aus dem Leben da draußen, der wird von meiner Frau gesteuert. Tiefsinnige Gespräche, ein wenig Fernsehen, viel Musik und keine Zeitung, das ist es dann auch schon. Ich fühle mich inzwischen wieder wohl im Leben eines Normalbürgers.

counter6xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Stephan Heider am 27.01.2024:
Kommentar gern gelesen.
Sehr gern gelesen.
Grüße und Dank an die Frau ☺️
LG Stephan




geschrieben von rubber sole am 28.01.2024:

Danke, Stephan, ist wohlwollend angekommen. Ja, mit solch einer Frau an seiner Seite kommt man durch jede Krise.
l.g.r.s.

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