Veröffentlicht: 17.01.2024. Rubrik: Lustiges
Rechtshänder
„Lasst den Jungen in Ruhe. Das kann er nicht. Er hat doch zwei linke Hände.“
Diese Sätze meiner Mutter begleiteten mich während meiner Kindheit und Jugend. Für Außenstehende klingt so etwas despektierlich, die wurden jedoch stets zu meinem Besten, zu meinem Schutz von ihr ausgesprochen. Und das hatte Folgen. Ich blieb fast die gesamte Zeit meines Heranwachsens vor handwerklichen Hilfstätigkeiten in Haus und Garten verschont. Und meine Mutter wusste, wovon sie sprach. Mehrmals hatte sie, oft zu ihrer großen Belustigung, erleben dürfen, wie ich beim Versuch, einfache handwerkliche Tätigkeiten zu verrichten, scheiterte. Das erinnerte dann immer stark an einen Sketch von Loriot, in dem dieser beim Versuch, ein Bild geradezurücken, die komplette Einrichtung zerlegte.
Eine weitere Folge: Für meinen Vater kam ich als ursprünglich vorgesehener Nachfolger in seinem Orthopädieunternehmen nicht in Frage. Eine Katastrophe für einen als 'Prothesenpapst' geschätzten Fachmann. Er war einer der Handwerker, bei denen Handwerk und Kunst verschmolzen. Für mich war er zeitlebens ein Beispiel, wie Kreativität durch Zusammenfügen von Teilen aussehen konnte. Das mit meinen zwei linken Händen sah mein Vater anders als meine Mutter. Als er mir eines Tages bei einem meiner seltenen Versuche, ein Ikea-Regal vom Typ 'Billy', normalerweise das am einfachsten zu errichtende Stück dieser mir ansonsten verhassten Möbelfirma, zusah, rief er nur aus: „Der Junge hat nicht zwei linke, der hat zwei rechte Hände.“ Die Begründung folgte prompt. Statt eine, meine linke Hand zum Stützen, und die rechte zum Schrauben, Stecken oder Drehen zu verwenden, sah beides bei mir aus, wie ungeschickt mit rechts verrichtet.
Dann kam der Zeitpunkt, an dem ich mich für eine Berufsausbildung entscheiden musste. Hier war mein Opa Fritz mit einer seiner Lebensweisheiten richtungsweisend: „Irgendwas kann jeder.“ Toll. So wurde ich zur Berufsausbildung zu meinem Onkel geschickt, der im Rheingau einen Weinbaubetrieb besaß. Bei der Ausbildung zum Weinküfer kam es nicht so sehr darauf an, nach exakten Plänen zu schrauben, drehen oder zu stecken; eine gute Sensorik war hier von Vorteil, und eine solche besaß ich, mir wurde ein absolutes Geschmacks- und Riechvermögen bescheinigt. Mit dieser seltenen Gabe ausgestattet, wurde ich einige Jahre später Weinsommelier, dessen Expertise hoch geschätzt wurde. Als ich mich auf dem Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn befand, traf mich ein harter Schicksalsschlag, der fast zum Tode geführt hätte. Ich erlitt einen anaphylaktischen Schock aufgrund einer vorher nicht bekannten Allergie gegen Tanin- und Histaminverbindungen, einfacher ausgedrückt, mit fermentierten Lebens- oder Genussmitteln durfte ich intrinsisch nicht in Verbindung geraten.
Zur endgültigen Wiederherstellung nahm ich an einer Reha-Maßnahme teil und hatte hierbei das Glück, auf eine weitsichtige Ergotherapeutin zu treffen. Diese stellte schnell fest, dass ich zwar voller Kreativität steckte, die sich jedoch nicht auf konstruktive Tätigkeiten bezog. Das beliebte Basteln oder Töpfern kam für mich nicht in Frage. Als ich eines Tages vor lauter Langweile mit einem Taschenmesser an einem Ast aus Lindenholz rumschnippelte, war sie verblüfft. Es waren ansehnliche Teile, die ich da zustande brachte. Die Erklärung hierfür war einfach. Ich hatte nicht die Begabung, konstruktiv etwas aufzubauen oder zusammenzusetzen. Mein Talent bestand darin, durch Reduzierung des Materials attraktive Formen zu kreieren. Und das ist bis heute meine Tätigkeit, von der ich inzwischen gut leben kann.
Posthum danke ich meiner Mutter für: „Er hat zwei linke Hände“, sowie meinem Vater, der mir zwei rechte bescheinigte. Und über allem schwebt die Lebensweisheit von Opa Fritz: „Irgendwas kann jeder.“