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10xhab ich gern gelesen
geschrieben 2023 von marjah (marjah).
Veröffentlicht: 21.09.2023. Rubrik: Persönliches


Opa

Samstag war immer Großelterntag. Für uns Kinder eigentlich Omatag, mit Opa hatten wir nichts am Hut. Er war nicht böse oder vom Aussehen her furchteinflößend, aber seine Ausstrahlung war kalt, verbittert, unwillig, man hatte immer das Gefühl, ihm lästig zu sein.
„Kommst du schon wieder mit der ganzen Bagage“, war der Empfang, der meiner Mutter zuteil wurde, wenn unser Vater einmal nicht dabei war oder später nachkam. Wir waren die Bagage.
Deshalb waren wir Sprösslinge natürlich froh, wenn sich der Opa nach der Begrüßung mit dem obligatorischen Knicks oder Diener und Händedruck - er drückte immer sehr fest zu und es gab einen inoffiziellen Wettbewerb zwischen uns Nachkommen, wer es am längsten aushalten konnte, indem er oder sie so fest, wie es der Kinderhand möglich war, zurückdrückte - ja, also, wir waren froh, dass sich der Opa dann immer in sein Schlafzimmer verzog.
Dort saß er mit einer Decke auf den Knien und einem Heizstrahler neben sich vor dem Fenster, das auf den Bürgersteig hinausging. „Opa muss Autos zählen“, wurde erklärt und von uns nie in Frage gestellt.
Oma, ihre Tochter und ihr Sohn mit Schwiegertochter sowie alle Kinder blieben in der Wohnküche. Die Haushaltsbeschäftigungen der Erwachsenen interessierten uns nicht, wir hatten Omas Knopfschachtel und waren gut beschäftigt. Zwischen Küchenbuffet und Kanapee klemmte eine größere Pappkiste, in die meine jüngere Schwester sofort verschwand, sobald die Schlafzimmertür geöffnet wurde.
Opa hat nie jemandem etwas getan, aber sein ungeselliges Wesen, die ungemütliche Ausstrahlung und das Gefühl, er wäre uns lieber wieder los, ließen keine engere Beziehung zwischen ihm und uns „Fratzen“ aufkommen.
Wenn wir uns nach dem Abendessen verabschiedeten, kam der unvermeidliche Spruch:“Geht mit Gott, aber geht!“

Das alles begab sich Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Was wussten wir Kleinen schon von russischer Kriegsgefangenschaft oder davon, dass Flüchtlinge zusammenhalten müssen, um zu überleben.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Stephan Heider am 21.09.2023:

Sehr gerne gelesen.
Die Posttraumatische Belastungsstörung oder das Kriegstrauma wurde damals oftmals in der Familie tabuisiert. Sehr traurig, dass viele Opas dadurch als verhärmt in Erinnerung geblieben sind.
Liebe Grüße
Stephan





geschrieben von marjah am 21.09.2023:

Genau, Stephan, man kannte die Bezeichnungen gar nicht und jeder musste selber schauen, wie er damit fertig wurde.
Danke fürs Lesen und deinen Kommentar!

Ich dachte, ich hätte einen Kommentar von Erzähloma gesehen, aber der ist nicht mehr da ...???




geschrieben von Erzähloma am 21.09.2023:

Sorry, mein Kommentar war etwas zu persönlich geraten, weil mir sowohl 'die Bagage', als auch 'die Fratzen' und dazu noch der Spruch 'Geh mit Gott...' mit einem darauffolgenden 'Das Haus schnauft auf' von Leuten fern dem Kriegstrauma geläufig waren.
:)




geschrieben von marjah am 21.09.2023:

Ah, Erzähloma, da bist du ja!
Nun, solche Bemerkungen können auch Leute ohne Trauma machen, die eben aus anderen, nicht augenscheinlichen Gründen grantig und ungesellig sind.
Wir bewegen uns ja in der Rubrik "Persönliches", da passt das schon.
Danke fürs Lesen und dich doch nochmal Melden!
LG marjah




geschrieben von Jens Richter am 21.09.2023:

Hallo Marjah,
ich hatte da wohl großes Glück, meine beiden Großväter waren liebevolle Menschen.
Beide hatten den 2. WK auf die eine oder andere Weise überlebt.
Sie waren immer für uns beiden Enkel da und ich werde mich immer gut an sie erinnern.
Viele Grüße von Jens




geschrieben von Weißehex am 26.09.2023:

Meine Oma nannte uns auch immer „Bagage", aber das war nicht böse gemeint. Auf Französisch heißt das Wort „Gepäck", meine Oma verwendete es im Sinne von „Anhang" bzw. „Familienanhang." Viele französische Wörter kannte man damals durch den Krieg.
Meine beiden richtigen Opas habe ich nie kennengelernt, sie sind im Krieg gefallen, aber eine Oma heiratete noch einmal.

Ich habe deine Geschichte auch sehr gerne gelesen.

LG Weißehex




geschrieben von marjah am 26.09.2023:

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Bagage - ein normales Wort, unter Umständen ein Kosewort; ich denke nicht, dass mein Opa es wirklich böse gemeint hatte, aber als Kind tat es mir weh, so bezeichnet zu werden. Es klang abwertend, als ob man mir meine eigene Persönlichkeit absprach.
Der Text soll nicht werten, nur meine Erinnerungen wiedergeben.




geschrieben von Weißehex am 30.09.2023:

Als Wertung habe ich ihn auch nicht verstanden. Es war wahrscheinlich durch den Krieg damals, dass sich so viele französische Wörter einschlichen und die Leute sie anders als ursprünglich gedacht in ihre Sätze einfließen ließen.




geschrieben von marjah am 30.09.2023:

Danke fürs Lesen!
Mein Opa stammte aus Schlesien und dort waren in die Alltagssprache eingestreute Wörter französischen Ursprungs eigentlich schon seit Napoleon üblich, teilweise etwas verhunzt, aber zu erkennen.
Ich sollte mal ein paar Beispiele sammeln, die Tatsache ist ja an sich schon interessant.




geschrieben von Marlies am 16.12.2023:


Mein Mann und ich sind auch schon seit vielen Jahren Oma und Opa. Wenn die klein mir um den Hals gefallen sind gucken sie anschließend ehrfürchtig zu Opa und zieren sich gewaltig ihm überhaupt nur die Hand zu geben. Auch er ist ein grummeliger, zurückgezogener Mensch den man wirklich nur sehr sehr selten Lächeln sieht. Er hat keine Kriegserfahrungen machen müssen aber er ist depressiv.
Natürlich ist meine Hoffnung dass unsere Enkelkinder ihn auch irgendwann einmal lächeln sehen werden.




geschrieben von Gari Helwer am 22.12.2023:

Eine beeindruckende Geschichte, Marjah! (Bin etwas spät dran mit dem Lesen, da ich einige Zeit keine Muße fand!) Ich habe "Kriegsheimkehrer" gekannt, die eine "posttraumatische Belastungsstörung" hatten. Was wusste man in den 50er und 60ern von Psychotherapie? Sie flüchteten in den Alkohol... Ein "normales" Leben haben sie nie wieder führen können! LG

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