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1xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Erzähloma.
Veröffentlicht: 11.08.2023. Rubrik: Persönliches


Annegret

Auf einmal war Annegret aufgewacht. Weil sie endlich einmal zur Ruhe gekommen ist, Zeit hatte, weil sie die Gedanken zugelassen hat, die aus ihrem Inneren kamen, ihr auf dem Herzen lagen, ja, wohl auch auf der Leber. So sagt der Volksmund: „Es ist ihr etwas über die Leber gelaufen.“ Ein Wunder, dass ihr die Galle nicht übergelaufen ist, als sie Rückschau hielt; beinahe wäre ihr der Kragen geplatzt.

Als es zu viel wurde, hat sie angefangen, es zu notieren. Als es ihr viel zu viel wurde, hat sie einen renommierten Psychotherapeuten aufgesucht, doch der hat bloß die Augen verdreht, wollte nichts von ihrem Kindheitstrauma wissen.

Irgendwann fand sie zum Schreiben, veröffentlichte all das Ungesagte, das Unsagbare. Auf diese Weise analysierte sie nachträglich ihr Leben, die Tatsache, dass ihr eigentlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera geblieben ist. Sie dachte darüber nach, wo es herkommt, wie es zustande kommt, dass der Teufel immer auf denselben Fleck scheißt. Jedenfalls hatte es ihr liederlicher Ehemann so ausgedrückt, der stets einen passenden Spruch auf Lager gehabt hatte, allerdings auch mit ihren Eltern fertigzuwerden schien, im Falle des Falles.

Dass sie es dennoch geschafft hat, zwar nervlich angeschlagen, erschöpft und übermüdet, aber allen Widrigkeiten zum Trotz ihren Mann zu stehen im Leben, oder besser die Frau, erscheint ihr im Nachhinein wie ein Wunder. Aber es lässt sie nicht los, dieses Erinnern, diese Analyse. Irgendwie findet sie keine Ruhe, sodass sie sich in ihrem Innern manchmal fragt, ob sie den Deckel nicht besser hätte drauf lassen sollen auf dem scheinbar Unsagbaren, auf den bislang geheim gehaltenen Erlebnissen. Wie kriegt sie den Sack nur wieder zu? So gerne würde sie sich wieder unter Leute mischen. Es wird Zeit, aufzuhören zu grübeln und den Blick wieder nach vorne zu richten.

Manchmal wird Annegret ruhig, schaut aus dem Fenster, wo sie den Frühling wahrnimmt, das fröhliche Vogelgezwitscher, die spielenden Kinder am Spielplatz vorm Haus. Ja, in solchen Momenten entspannt sie sich. Dass sie auch an ihren eigenen Kindern eine wahre Freude hat, das weiß sie eh in ihrem Herzen. Bloß klingt das so trivial, dass andere Menschen ihr stilles Glück oft nicht verstehen können. Sie begreifen nicht, was für ein Geschenk das Leben als solches ist und erst recht nicht, wie jemand damit zufrieden sein kann. Annegret genügt sich selbst. Jetzt fehlt nur noch, dass sie aus sich rausgeht, ihre eigenen Werte verteidigt, ihr Licht nicht unter den Scheffel stellt. Gut möglich, dass sie den Mut dazu findet.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von *olli* am 12.08.2023:
Kommentar gern gelesen.
und es gibt soviele Annegrets auf dieser Welt (und im Forum).Freut mich, deren Weg zu sehen - sich bewußt machen, aufschreiben, ist immer das beste. Und ich würde auf keinen Fall "die Kiste zumachen" - es bleibt natürlich im Leben "immer alles beim alten" und tut auch weh, aber nur geläutert, sauber kann man vielleicht auf anderer Ebene aufblühen. Und vielleicht findet man auch ein bißchen Ruhe...
lb. Grüße Olli




geschrieben von Erzähloma am 13.08.2023:

Danke dir, Olli, für deinen zuversichtlichen Kommentar. Mit lieben Grüßen.

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