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geschrieben 2023 von Federteufel.
Veröffentlicht: 23.06.2023. Rubrik: Unsortiert


Marthas Gebrechen


„Hei Martha! Lange nicht gesehen! Wie geht’s denn so?“
„Beschissen.“
„Oha! Hört sich nicht gut an! Welches Gebrechen plagt dich denn?“
„Warum willst du das wissen? Ist doch nicht wichtig.“
„Doch, es i s t wichtig! Schließlich bin ich immer noch deine Freundin. Also, heraus mit der Sprache.“
„Na gut. Meine Wortallergie wird immer schlimmer.“
„Deine was?“
„Meine Wortallergie.“
„Nie gehört! Und wie macht sich diese Allergie bemerkbar?“
„Wenn du mir ein Eis spendierst erzähl ich´s dir.“

„Doro, Erinnerst du dich noch an den Jörgi aus der 13A?“
„Du meinst Schmalzlocke?“
„Genau der! Neulich traf ich ihn zufällig in der Stadt und da erzählte er mir, er habe vor einem halben Jahr sein Herz verloren und gedenke, demnächst zu heiraten. Ohne zu überlegen rief ich: 'Oh, das ist ja entsetzlich! Warst du schon auf dem Fundbüro?' Doro, lach nicht! Ich weiß selbst, wie dämlich diese Bemerkung war. Was mich dazu bewog war einzig die Tatsache, dass man sein Herz nicht verlieren kann. Ich hab schon alles Mögliche verloren, aber mein Herz noch nie. Ich meine, eine Fahrkarte, gut, die kann man schon mal verl–“
„Du hast wirklich gesagt, er soll zum Fundbüro gehen?“
„Natürlich!“
„Und wie hat er reagiert?“
„Er fragte, ob ich noch ganz dicht ihm Kopf sei.“
„Und was hast du geantwortet?“
„Die Wahrheit, Doro, die Wahrheit! Dass ich Wortallergikerin bin und mich eine ungeschickte Wortwahl krank macht.“
„Hmm . . . Ich nehme mal zu seinen Gunsten an, Jörgi hat nur das falsche Wort erwischt. Wer kennt sich denn in der deutschen Sprache schon richtig aus. Vielleicht hat es der Jörgi ja verlegt, das Herz? Hast du daran schon mal gedacht? Wird auch gerne benutzt, das Wort, wenn man etwas vermisst und nicht weiß, wo es gerade ist.“
Marthas Faust sauste auf den Tisch. „Aber natürlich, Doro, natürlich! Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen? Das wird es sein! Er hat es verlegt, sein Herz! Willst du mich auf den Arm nehmen? Wie willst du denn dein Herz verlegen?“
„Na ja. Ich denke nur: Was verlegen die Leute auch nicht alles! Mein Vater zum Beispiel ist einer der größten Verleger. Nicht nur wegen seines Bierverlags. Meistens verlegt er auch noch seinen Autoschlüssel. Dann rennt er wie ein Besessener durch die Wohnung, sucht hier, sucht da, schreit: 'Eben war er doch noch da!' und: 'Martha, hast du zufällig meinen Autoschlüssel gesehen? Hab ihn wohl verlegt! Und meine Flasche Bier ist auch weg'! Ich schau mir die Komödie eine Weile an, dann sag ich: 'Mensch Papa, hast du nicht vorhin ein Bier in den Kühlschrank gestellt?' Und rums!, da liegt er, der Schlüssel! Im Kühlschrank! Neben der Bierflasche. Dann grinst mein Herr Verleger verlegen und brummt: 'Teufel auch, darauf wär ich nie gekommen!'“
Martha blickte ihre Freundin von der Seite an. „Hmm . . . Sag mal, Doro, du bist in der Zwischenzeit ganz schön füllig geworden. Das viele Eis, wie?“
„Du hast Recht, ein paar Gramm könnte ich schon abnehmen – hallo, Martha, ist dir nicht gut? Du zitterst ja wie Espenlaub!“
„Geht schon, kommt vom abnehmen.“
„Wie, du auch? Bei deiner Figur –“
„Quatsch nicht! Ich meine das Wort 'abnehmen'. Birrr . . . Könnte aus der Haut fahren!“
„Aber wieso denn? Was ist denn an dem Wort so schlimm?“
„Schlimm? Ein Unwort ist es! Ständig wird den Leuten etwas abgenommen, von der Polizei, vom Finanzamt, im Behördenzentrum, im Krankenhaus – man glaubt ja gar nicht, wo und was alles abgenommen wird und wofür es alles Abnehmer gibt. Meine Mutter will sogar beim Nähen Abnehmer entdeckt haben. Und dass dir jemand deine Fettpolster abnehmen könnte halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Die Leute haben genug mit sich zu tun. Meine Schwester, die Meike – hast du sie eigentlich mal kennengelernt? Egal. Die will auch ständig – in Anführungsstrichen – abnehmen, aber sie schafft es einfach nicht. ,Ich muss unbedingt abnehmen', röhrt sie, 'wenn das so weiter geht, seh ich in zehn Jahren aus wie die dicke Erna!' Ich wollte sie trösten und sagte: 'Was willst du denn abnehmen? Und dann, wo soll das Zeug denn bleiben? Im Kühlschrank etwa? Iss doch einfach weniger Kuchen.' Da keifte sie: 'Halt du dich da raus, du Schlampe!' So viel zu abnehmen.“
„Dann ziehe ich eben den Bauch ein. Wär es so recht?“
Martha schüttelte den Kopf. „Einziehen kann nur ein Amt, eine Behörde. Der Vorteil beim behördlichen Einziehen ist immerhin, dass man sicher sein kann, dass der konfiszierte Gegenstand irgendwo sicher aufbewahrt wird, und dass man ihn gegebenenfalls wiederbekommt. Aber willst du deine Fettringe wirklich wiederhaben? Na siehst du!“
„Ehrlich, Martha, solche fetten Sprüche gefallen mir nicht.“
„Brrrr – Schon wieder so´n Ekelwort.“
„Was hab ich denn nun schon wieder gesagt?“
„Du sagtest gefallen.“
„Und? Was ist daran so ekel?“
„Na überleg mal.“
„Gefallen . . . gefallen . . . Hmm . . . Ich komm nicht drauf. Klingt doch gut.“
„Klingt überhaupt nicht gut. Klingt scheiße. Ein Apfel ist vom Baum gefallen, ein Soldat ist gefallen, ein Mädchen ist gefallen, das könnte dir so gefallen . . . Merkst du nichts? Das Wort lügt wie gedruckt.“
„Mein Gott, Martha, du nimmst das alles zu genau, zu wörtlich! Das sind doch Redensarten!“
„Ja zum Teufel, wie soll ich Wörter denn nehmen, wenn nicht wörtlich? Verlieren, verlegen, abnehmen, gefallen, entsorgen. Diese Erzspitzbuben der deutschen Sprache sind für mich das, was für andere Allergiker Katzenhaare sind . . . Alles Wörter, denen man nicht trau – ha – ha – hatschihhh. `tschuldige.“ Martha zog ein geblümtes Taschentuch heraus und wischte sich die Nase. „Und das ist beileibe noch nicht das Schlimmste. Da sind noch die Fälle von vorsätzlichem Wortmissbrauch.“
„Hallo Martha! Wortmissbrauch . . . Geht´s vielleicht ´ne Nummer kleiner?“
„Nein. Zum Beispiel das Wort 'ehrlich'. Neulich sagte ein Politiker: 'Jetzt will ich mich mal ehrlich machen'. Brrrr . . . Ist der Kerl denn von allen guten Geistern verlassen? Da gibt er doch zu, das alles, was er vorher gequatscht hat, Lüge war! Und wieso machen? Entweder er ist ehrlich, oder er ist es nicht. Da gibt es keinen Spielraum für Entwicklung. Wie es von 'ehrlich' auch keine sinnvolle Steigerung gibt. Am schärfsten ist allerdings – kich – kich – der Spruch mit – keuch – äh –“
Martha kramte mit zitternden Fingern ein Aerosol aus ihrem Handbag und inhalierte heftig. „Ein Antiallergikum“, sagte sie, als der Anfall vorüber war, „hilft auch bei Wortallergie.“
Doro sah sie besorgt an. „Was meinst du denn, meine Liebe? Was ist am schärfsten?“
„Ich meine den Spruch mit 'Zeit'. Das ist nun kein Missbrauch mehr, das ist Wortfolter . . . ärhem. Heute kam in den Nachrichten, der letzte Monat sei laut Wetteramt der wärmste 'aller Zeiten' gewesen. Ich fasse es nicht. Ja woher wissen diese Heinis denn, dass kein wärmerer folgen wird? Schön wär´s. Denn 'alle Zeiten' bezieht sich ja wohl auch auf die Zukunft! Oder irre ich mich da? Und so geht das tagaus, tagein. Das geilste Festival aller Zeiten, der großartigste Film aller Zeiten, der heftigste Börsenabsturz aller Zeiten, der witzigste Komiker aller Zeiten. Es ist zum Kotzen . . . Manchmal denke ich – “
„Na schön . . . Nur eines will mir nicht in den Kopf. Wenn du so wortempfindlich bist, warum benutzt du dann solche Ausdrücke wie 'beschissen' und 'Scheiße'?“
„Ha!“ Martha klatschte begeistert in die Hände. „Eben drum! Weil Scheiße eines der unschuldigsten Wörter der deutschen Sprache ist. Wenn ich 'Scheiße' sage, meine ich Scheiße, und sonst nichts!“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 23.06.2023:

Wortallergie, na warum nicht?😅 heutzutage ist man und Frau ja gegen alles und jeden allergisch. Etwas dagegen einzunehmen ist in diesem Fall halt zwecklos.
Hat mir gut gefallen.




geschrieben von Gari Helwer am 26.06.2023:

Oute mich hiermit auch als Wortallegikerin, Federteufel! Ha ha haaatschi! Jetzt muss ich von meinem Kommentar heftig niesen...

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