Veröffentlicht: 09.05.2023. Rubrik: Unsortiert
Marlene 3
Herrchen lässt Federn
Marlene liegt in ihrem Körbchen und blickt Herrchen an.
Na ja, Herrchen!
Ihr Blick ist nicht begeistert. Und trotzdem ...
Ist irgendwie ´ne komische Kruke, dieses Herrchen. Was Frauchen an dem bloß findet! Na ja, ist nicht meine Sache. Im Grunde ist er ja ganz nett – obwohl, es hat schon ´ne ganze Weile gedauert, bis ich mich an ihn gewöhnt hatte. ´Ne ganze Weile, wuff! Aber eines muss ihm der Neid lassen: Geduld hat er! Mein Gott, wenn ich an die erste Zeit denke, dann wird mir jetzt noch schlecht, WAU, WAU! Jedesmal, wenn er auf mich zukam, verkroch ich mich unter dem Sofa. Hatte eine Heidenangst, er würde mich wieder in den Schweinestall sperren! Bis ich endlich dahinterkam: Er wollte mich nur streicheln! Ja, und als ich mich dann das erste Mal von ihm streicheln ließ, hat er fast geheult vor Freude. Jedenfalls kam´s mir so vor.
Knurrr ...Trotzdem, ich weiß bis heute nicht, ob er mich wirklich mag. Oder ob er mich nur Frauchen zuliebe duldet. Als mir mal ein Malheure passierte, dachte ich: Jetzt ist es so weit! Jetzt bringt er mich wieder zurück in das finstere Loch! Dieser Blick! Oder besser: dieser Nicht-Blick! Einen ganzen Tag schaute er mich nicht an. Geradezu unheimlich! Und wie er Frauchen ausschimpfte! Was konnte denn Frauchen dafür? Das arme Frauchen! Na, sie hat mich ja. Ich pass schon auf, dass ihr nix passiert. Wau, wuff.
Am andern Tag hatte sich Herrchen wieder beruhigt. Jetzt weiß ich Bescheid. Sollte mir noch mal was passieren: Ruhig abwarten. Nichts wird so heiß gegessen, wie´s gekocht wird.
Und da ist noch etwas, das mich an ihm stört. Er steht auf dem Standpunkt, ein Hund müsse für sein Essen arbeiten. So verlangt er zum Beispiel von mir, dass ich die Leckerli, die ich jeden Morgen zum Frühstück bekomme, stehend entgegennehme, grrrr. Gut, ich gebe zu, ich hab ´ne Schwäche für Leckerli. Ein Laster muss der Hund ja haben. Aber das geht dann doch zu weit. Warum stehend? Verlang ich denn, dass er sein Frühstück unterm Tisch isst? Na also! Was sich diese Menschen manchmal einbilden, nur weil sie autofahren können und unsereiner nicht. Noch nicht, sag ich. Sollte das autonome Fahren tatsächlich mal Wirklichkeit werden, dann kann bald jeder Hund autofahren, wuff!
Na gut, Schwamm drüber! Man ist ja nicht nachtragend. Allmählich weiß ich auch, wie ich mit Herrchen umgehen muss. Es ist im Grunde ganz einfach. Ich mach ihm ab und zu eine kleine Freude. Zum Beispiel hab ich herausgefunden, dass er es gern hat, wenn ich hetzte. Er wirft ein Leckerli weit weg, und dann renne ich so schnell ich kann hinterher, obwohl ich bereits satt bin. Dann freut er sich, klatscht in die Hände, sagt fein, fein, guter Hund, und krault mich unterm Kinn.
Ich befürchte allerdings, er denkt, mir macht dieses Theater Spaß. Das ist natürlich glatter Unsinn. Ich tu´s nur ihm zuliebe. Kein Hund, der etwas auf sich hält, läuft ohne Not hinter Trockenfutter her, schon gar nicht, wenn er satt ist. Und meistens bin ich schon satt, wenn er mit mir ausgeht.
Deshalb habe ich mich auch strickt geweigert, Stöckchen zu apportieren. Was hat Herrchen alles versucht, mir das Apportieren beizubringen. Sogar Leberwurst hat er auf die Stöckchen gestrichen. Und ich gesteh´s, fast wäre ich auf die fiese Tour hereingefallen. Doch dann hab ich die Leberwurst einfach abgeleckt und des Stock liegengelassen.
Stöckchen apportieren! Wie entwürdigend! Hinter einem Leckerli herzulaufen, na ja, das geht gerade noch an. Dabei kann man noch halbwegs sein Gesicht wahren. Der Nahrungserwerb ist ja nichts Ehrenrühriges. Aber hinter einem trockenen Ast ohne jeden Nährwert herkeuchen? Nee, nicht mit mir, wuff! Ich versteh die Hunde nicht, die sowas mitmachen.
Und dann ist da noch etwas Anderes, womit ich Herrchen immer wieder `rumkriege. Ich mach ihm schöne Augen. Ja. Auf Hundeaugen steht er. Na ja, ich schauspielere auch ein bisschen, um die Wirkung zu beschleunigen. Ich lege mich flach hin, den Kopf zwischen der Pfoten, und blicke ihn von schräg unten an. Wenn er gerade woanders hinschaut, klopfe ich leicht. Wie jetzt. Er blickt mich an. Fast sehnsuchtsvoll. Huch! Jetzt seh ich´s erst! Herrchen hat ja die gleichen Augen wie ich! Braun, mit langen Wimpern! Na dann ist es ja kein Wunder. Siehste wohl! Schon streckt er die Hand aus als Zeichen seiner Gewogenheit. Ich werd zu ihm hingehen und mich streicheln lassen. Damit er zufrieden ist. Wuff.
Puh, was bin ich wieder müde! Dabei hab ich den ganzen Tag noch nicht groß was getan. Na gut, ein paarmal Besucher kräftig angebellt. Irgendwie muss ich mich ja für die Verpflegung und das warme Zimmer erkenntlich zeigen. Will nichts geschenkt haben. Und Herrchen scheint es zu gefallen. Meistens bellt er dann freudig mit. Hört sich an wie: Aus! Aus! Aus! Sitz, Platz. Oder so. Na ja, auch bellen will gelernt sein, wau-wuff!
Wo Frauchen bloß bleibt. Müsste doch schon längst hier sein! Nicht auszudenken, wenn Frauchen was passiert ist. Wenn sie nicht wieder zurückkommt. Ich glaub, dann tret´ ich in den Hungerstreik. Na ja, andererseits ... Dann werd ich mich an Herrchen hängen. Schließlich ist er nicht der Schlechteste ...