Veröffentlicht: 21.05.2023. Rubrik: Unsortiert
Kann Lachen töten? Eine Kriminal-Humoreske 2
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Trotz des enttäuschenden Ergebnisses – nicht nur, dass der Proband nach eigenem Bekunden keinerlei Verbesserung seines Wohlbefindens verspürte, er hatte noch nicht einmal richtig gelacht – gab Heiland nicht auf. Die Erfolglosigkeit des ersten Versuchs erklärte er damit, dass Monika den nötigen Ernst beim Vortrag der Witze habe vermissen lassen. Um eine Pointe zu lancieren, dozierte er, dürfe eine Witzeerzählerin nicht schon vorher in Gelächter ausbrechen und erst lachen, wenn auch die Zielperson lache. Ein Witz, der wirken solle, müsse mit todernstem Gesicht vorgetragen werden.
Man kam überein, den zweiten Versuch ganz anders aufzubauen. Die Witze sollten jetzt nicht mehr frei vorgetragen, sondern, sozusagen um die Dosis zu erhöhen, aus einem Witzbuch hintereinander weg vorgelesen werden, und die Versuchsperson sollte Witzen gegenüber etwas aufgeschlossener sein als der Kriminalkommissarsanwärter Weichbrodt.
Als neuer Vorleser wurde ein Mitglied des Sicherheitsdienstes gewonnen, das auf dem Hof stand und, auf seine Ablösung wartend, eine Zigarette rauchte. Der Mann galt als entsetzlich dröge und völlig humorlos. Er willigte aber gegen Heilands Zusicherung, der Versuch diene der Wahrheitsfindung und somit auch der Schonung der Staatskasse und dauere auch nicht lange, schließlich ein.
Die Suche nach einer geeigneten Versuchsperson gestaltete sich etwas schwieriger. Wegen des Sonntags war das Haus nur schwach besetzt, und die notorische Ulknudel, die in fast jeder Behörde zu finden ist, war nicht am Platze.
Inzwischen traf Willi mit dem Buch '999 Witze für Erwachsene' in der Hand ein, das er seinem heimischen Bücherregal entnommen hatte.
Da man keine witze-affine Versuchsperson finden konnte, erklärte sich der Obermeister Hauschild nach kurzem Zögern bereit, diese Rolle zu übernehmen. Als Begründung gab er an, er lache manchmal ganz gerne und sei einem kräftigen Witz nie abgeneigt. Außerdem diene es ja der Wahrheitsfindung. Zum Beisitzer bestimmte Heiland den Kriminalkommissarsanwärter Weichbrodt, damit dieser, so Heiland, 'endlich das Lachen lerne'.
Die Plätze wurden eingenommen, die Sitzung begann.
Der Wachmann verlas die Witze auftragsgemäß mit monotoner Stimme und unbewegtem Gesicht, und der Obermeister hörte aufmerksam zu. Nach einiger Zeit – es mochten vielleicht zehn oder zwölf Witze unbelacht vergangen sein – kam Bewegung in Hauschilds massigen Körper. Zunächst zuckten seine Mundwinkel, dann zitterte der Bauch, dann der ganze Mann, schließlich klopfte er sich auf die Schenkel und brach er in ein wieherndes Gelächter aus.
Heiland klatschte vergnügt in die Hände und rief: „Danke, das reicht! Meine Herren, Sie haben hervorragende Arbeit geleistet!“ Er komplimentierte den Wachmann zur Tür hinaus und wandte sich dem Obermeister zu. „Herr Hauschild“, sagte er, „selten habe ich einen Menschen gesehen, der so herzhaft über einen Witz lachen kann wie Sie. Ich ahnte ja gar nicht, welchen geistreichen Mitarbeiter ich habe und beglückwünsche Sie zu Ihrer heiteren Lebensart. Wenn es mehr von Leuten wie Sie gäbe, sähe die Welt mit Sicherheit besser aus. Sagen Sie, Verehrtester, welcher Witz hat Ihnen denn am besten gefallen?“
Der Obermeister vernahm diese Lobrede mit sichtlichem Erstaunen. „Wie kommen Sie auf Witz?“, fragte er und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, „ich habe doch nicht über irgendwelche Witze gelacht! Ich habe über den Mann gelacht! Der war einfach umwerfend! Liest zehn Minuten diesen Schwachsinn vor, ohne auch nur einmal eine Miene zu verziehen. Einfach köstlich, der Mann!“
„Frag ihn, wie er sich fühlt!“, rief Monika unfreundlich von hinten. Anscheinend hatte sie immer noch nicht Heilands Anschiss verdaut. „Immerhin hat er ja gelacht.“
Der Obermeister meinte, er fühle sich nicht wesentlich besser als vor dem Versuch, wenn er genau in sich hineinhorche müsse er sagen: Eher schlechter.
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Wer nun dachte, Heiland würde aufgeben, der kannte ihn nicht. Jetzt erwachte der Terrier in ihm. Die Vokabel 'Aufgeben' kam in seinem Wortschatz nicht vor, und die Aussicht, als Entdecker der Tötungsart 'Lachmord' ganz groß herauszukommen und möglicherweise in die Kriminalgeschichte einzugehen, spornte seinen Eifer zusätzlich an.
Zunächst wurde eine Untersuchungskommission gebildet, bestehend aus drei Beamten, die die Unvorsichtigkeit begangen hatten, zur falschen Zeit an der Tür von Heilands Büro vorbei zu gehen, ferner Gisela als Protokollantin sowie dem Polizeiobermeister Hauschild als Versuchsleiter.
Zunächst versuchten die drei Beamte ein Kaninchen totzulachen, das Willi mit der Bemerkung: „Es ist sowieso schlachtreif“ aus seinem Stall zur Verfügung gestellt hatte. Um dem Tier eine angenehme Atmosphäre zu bereiten, wurde eine Schublade aus Heilands Schreibtisch mit Salatblättern ausgelegt und das Tier dort hineingesetzt.
Das Kaninchen erwies sich als völlig unempfänglich für menschliche Heiterkeit. Es mümmelte mit blöden Augen ungerührt weiter, ohne mit der Wimper zu zucken oder auch nur das geringste Zeichen einer Erschöpfung zu zeigen.
Inzwischen hatte sich unten auf der Straße eine Menschenmenge angesammelt, die aufs höchste verwundert zum Fenster der Polizeipräsidiums hoch starrte, aus dem seit einiger Zeit immer wieder brüllendes Gelächter erklang. Mutmaßungen im Hinblick auf neuartige Verhörmethoden wurden geäußert; jemand meinte sogar, dort würden Verbrecher einer Lachfolter unterzogen.
Der Versuch musste nach etwa zwanzig Minuten abgebrochen werden, denn die drei Beamten hingen heiser und schnappatmend in ihren Stühlen.
Die Untersuchungskommission indes schlussfolgerte, dass Tiere keinen Spaß verstünden und als Versuchsobjekte in Sachen Lachen noch ungeeigneter seien als der Kriminalkommissarsanwärter Weichbrodt.
Man beriet, zum Teil in hitziger Debatte, erneut.
Zum Schluss der Beratung griff der Hauptkommissar zum Telefon und rief die benachbarte JVA an zwecks Gewährung von Amtshilfe.
5
Man schrieb Sonnabend, den ersten April.
Der Mann, ein wegen schwerer Steuerhinterziehung verurteilter Geschäftsmann, wurde von zwei kräftigen Beamtinnen der JVA in den Kleinen Verhörraum, in dem der Versuch stattfinden sollte, hereingeführt. Heiland bat, Platz zu nehmen und bot ihm Kaffee an. Dann erläuterte er ihm den Sachverhalt: Er, Heiland, wolle herausfinden, ob andauerndes Eigengelächter schwerwiegende gesundheitliche Schäden verursachen könne. Der Versuch sei nicht ungefährlich, könne aber jederzeit abgebrochen werden. Als Gegenleistung stellte er die Unterbringung in einer Einzelzelle in Aussicht.
„Was soll ich machen?“, fragte der Mann.
Er solle sich, sagte der Hauptkommissar, von den beiden Strafvollzugsbeamtinnen längere Zeit gründlich durchkitzeln lassen.
Der Steuersünder überlegte nicht lange. Seine beiden Zellengenossen, ein Vergewaltiger und ein Raubmörder, machten ihm das Leben zur Hölle. Er sagte zu, und die beiden Strafvollzugsbeamtinnen stürzten sich sofort auf ihn.
Der Mann ließ die Behandlung, in Unterwäsche und in Strümpfen auf einer Pritsche liegend, mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Zunächst schien es, als sei er überhaupt nicht kitzlig. Die beiden Beamtinnen verstärkten ihre Bemühungen, gerieten in Hitze und legten Pistolenkoppel und Jacken ab. Jetzt endlich war bei dem Mann eine Reaktion zu beobachten: Er grinste. Das Grinsen verstärkte sich noch, als die beiden Beamtinnen nach einiger Zeit die oberen Knöpfe ihrer Dienstblusen öffneten, um freier atmen zu können. Heiland befürchtete, dass es beim Aufknöpfen nicht bleiben würde und ordnete eine zehnminütige Pause an.
Jetzt geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte, und das nicht nur eine überraschende Wende im Projekt 'Lachmord', sondern auch dessen Ende einleitete. Monika platzte mit der Bemerkung herein, sie habe gerade auf Twitter gelesen, die Regierung bringe endlich eine umfassende Steuerreform auf den Weg.
Aus dem Munde des Steuersünders, der sich inzwischen aufgesetzt hatte, kamen jetzt eigenartige Laute, die sich wie ein gepresstes Kich – Kich – Kich anhörten. Allmählich wurde dieses Gekichere zu einem brüllenden Gelächter, das immer weiter anschwoll, bis der Mann nur noch keuchte und sich ans Herz griff. Schließlich sank er stöhnend auf die Pritsche zurück.
Heiland erkannte sofort zweierlei, erstens, dass Monika den Witz des Jahrhunderts gerissen hatte und zweitens, dass der Mann gerade eine Herzattacke erlitt. Willi, von Beruf Sanitäter beim Rettungsdienst, sprang hinzu und leitete sofort eine Herzdruckmassage ein, wodurch Schlimmeres verhindert werden konnte.
Heiland strich sich zufrieden das Kinn. Er schickte die Mitglieder der geselligen Runde nachhause und ließ sich die Akten mit den ungelösten Tötungsdelikten kommen. Es ist also doch möglich, dachte er, dass Lachen unter Umständen tödlich sein kann. Er schlug den ersten Akt auf und vertiefte sich darin.