Veröffentlicht: 21.05.2023. Rubrik: Persönliches
Schulgeschichten
Als wir geburtenstarken Jahrgänge damals, Ende der Sechzigerjahre, mit unseren Schultüten Richtung Schule pilgerten, waren wir so viele, dass die Grundschulen kaum wussten, wohin mit uns. Zweiundvierzig Abc-Schützen stauten sich in unserem Klassenzimmer, aber mir persönlich machte das nichts aus, neben meiner lieben Freundin Evi. In dieser Klassengemeinschaft fühlte ich mich ganz zu Hause, doch mein Glück währte nur zwei Jahre.
Denn als ich in die dritte Klasse kam, wurden die Eltern unseligerweise gleich zu Anfang des Schuljahres gebeten, das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen den 'normalen Klassen' und den 'Bekenntnisklassen' abzubalancieren. In der Tat gab es solche Klassen bis in die Siebzigerjahre noch bei uns in Bayern. Obrigkeitshörig, wie meine Eltern waren, die den Albtraum ihrer Kindheit, den Drill im 'Dritten Reich', leider nie abzulegen vermocht hatten, das heißt, pflichtbewusst waren bis zum Gehtnichtmehr, wurde ich, mir nichts dir nichts in die rein katholische Klasse gesteckt. Ohne Freundin, denn die Evi war evangelisch, ungeachtet dessen, dass ich mich in dem großen Kinderhaufen äußerst wohl, sehr heimisch gefühlt hatte. Also hatte ich mich neu einzuleben, was nicht so ganz leicht war, unter den Gören der ach so kirchenfrommen Familien.
In der vierten Klasse stellte sich meinen Eltern, trotz meiner ausgezeichneten, schulischen Leistungen, gar nicht erst die Frage, ob das Töchterchen denn ein Gymnasium besuchen könnte. Als Mädchen würde sich eine höhere Schulbildung eh nicht lohnen, meinten sie, die Frauen hätten jung zu heiraten, dem Mann ein gemütliches Heim zu bereiten, und die Kinder großzuziehen. Mein Vater, von meiner Mutter als Autoritätsperson hochgejubelt, wusste für sich ganz genau, dass ich ein Bürofräulein werden sollte, eine von ihm als 'Büroschickse' bezeichnete Sekretärin, die seiner hinterwäldlerischen Meinung nach den ganzen Tag nichts zu tun hätte, als dem Chef auf dem Schoß zu sitzen und Kaffee zu kochen. Schon damals entsetzte mich diese Vorstellung! Davon, eine Lehrerin zu werden, träumte ich stattdessen, ein 'Fräulein Lehrerin', wie die unverheirateten Lehrerinnen bis vor fünfzig Jahren tatsächlich noch angesprochen wurden.
Die Oberschüler verließen uns, wir restlichen Mädchen wurden in der fünften Jahrgangsstufe mit den Buben aus der parallelen Bekenntnisklasse gemischt. Zwei Jahre lang durfte ich unbefangene Koedukation erleben, die Jungs scherzten mit uns, tratzten uns, wir kicherten, wie Heranwachsende halt so sind in der Vorpubertät, meine Mutter sah dies zweifellos nicht gerne. Ferner musste sie sich von unserem neuen Lehrer, dem Herrn Lanig, fragen lassen, warum sie mich denn nicht aufs Gymnasium geschickt hätten. Folglich durfte ich daraufhin immerhin fraglos die Realschule besuchen.
Im ersten Jahr steckten sie mich dort in den kaufmännischen Zweig, eben wegen ihrer fortwährenden Hoffnung, doch noch ein Bürofräulein aus mir zu machen. Dagegen warb die Realschule für den, damals für Mädchen ungewöhnlichen, mathematischen Zweig. Zwischen Französisch und Technischem Zeichnen konnten wir wählen, und hatten dann die Möglichkeit, direkt nach der Mittleren Reife, ohne ein Jahr zu verlieren, auf ein ganz normales Gymnasium wechseln, zu jener Zeit eine Seltenheit. Wie mich das reizte! Mein nie verloren gegangener, innerlich geheim gehaltener Wunsch, am Ende die Chance zu haben, studieren zu können, Lehrerin zu werden, der Bildungsferne meines engstirnig verstockten Elternhauses entfliehen zu können, irgendwann, dieser Wunsch könnte siegen. Für mich war und ist Bildung immer noch das höchste Gut, eines unserer höchsten Güter. Okay, vielleicht nach der Liebe.
Kurz zusammenfassend stelle ich fest, dass die drei kommenden Jahre im sogenannten 'Ersten Zweig' der Realschule, Klasse acht bis zehn, die längste zusammenhängende Zeit war, die ich in ein und derselben Klasse verbracht habe. Wir, anfangs ein Häuflein von sechzehn Hanseln, oder besser Greteln, wurden andauernd aufgefüllt, dann wieder verlassen, nur ein harter Kern war beständig, aber immerhin.
Für mich problemlos folgte das erste Jahr am Gymnasium, alsdann wurden die Klassen zugunsten des neuen Kollegstufensystems aufgelöst. Eine Schulform, die mir sehr entsprach, in der wir Kollegiatinnen uns als Einheit begriffen, ein wahres Miteinander erlebten, doch der spätere Klassentreffen im eigentlichen Sinne geschuldet blieben.
Zur Erinnerung habe ich mir meine Schultüte viele Jahre lang aufgehoben, sie hing in der Ecke über dem Schreibtisch, war goldfarben, mit einer Miezi drauf und viel zu groß, weshalb meine Mutter damals ihr Inneres unten mit einem rosafarbenen Petticoat ausgestopft hatte. Darüber verlockten Gummibären, das weiß ich noch, zwei Päckchen CapriSonne und natürlich viele, viele bunte Smarties, die tagtäglich in der Werbung angepriesen wurden.