Kurzgeschichten-Stories
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geschrieben 2018 von Evelyn (Evelyn).
Veröffentlicht: 16.11.2018. Rubrik: Unsortiert


magic of music

JUST THE WAY YOU ARE
Es klingelt zur Pause. Ein Strom an Schülern schiebt sich zur Tür heraus. Nur ich nicht. Ich weiß genau, dass montags in der Mittagspause niemand im Musikraum ist und ich deshalb meine Ruhe zum Singen habe. Mit ich meine ich mich, Kathrin Lohmann, 15 Jahre alt, Außenseiterin und nein, ich brauche jetzt kein Mitleid. Ich bin gerne alleine. Andere Menschen machen mich nur nervös. Eigentlich macht mich viel nervös. Ich bin nämlich ein ziemlich verschlossener Mensch, der Angst vor Neuem hat. Sagt jedenfalls meine Mutter, aber sie hat Recht. Sogar Zuhause bin ich gerne alleine und lese oder singe. Ich singe gern. Es befreit mich einfach.
Als auch der letzte Schüler aus dem Raum ist, fische ich mein Handy aus der Hosentasche, stöpsel die Kopfhörer ein und schiebe mir einen ins Ohr. Unschlüssig scrolle ich durch meine Playlist. Auf keines der Lieder habe ich gerade wirklich Lust. Schließlich entscheide ich mich für „Because of you“.
Die ersten Töne werden angeschlagen und in mir macht sich ein vertrautes, warmes Gefühl breit. Die Musik blendet alles aus und ich fange einfach an zu singen: „I will not make the same mistakes that you did“. Ich vergesse alles, bekomme nichts mehr mit, nicht mehr das, was draußen vor der Tür passiert.

„Und das ist wirklich in Ordnung?“, frage ich unsicher. Mein amerikanischer Akzent ist dabei nicht zu überhören. Ich bin 16 und gebürtiger Amerikaner, hab aber von meinen Eltern ein halbes Austauschjahr in Deutschland spendiert bekommen. Fußball ist meine Leidenschaft, weshalb ich hier in Deutschland sofort gut ankam. Was aber niemand weiß, ist, dass ich ebenso gerne, wie ich Fußball spiele, auch Musik mache. Seit 3 Jahren nehme ich Gitarrenunterricht und liebe das Spielen. Damit das auch so bleibt, suche ich einen Ort, wo ich ungestört üben kann, ohne, dass mich jemand hört.
„Ja, keine Sorge, Sebastian.“, sagt jetzt Maik, mein Pflegebruder. Er ist fast einen Kopf kleiner als ich und trägt eine auffällig große, schwarze Brille. Seine dunkelbraunen Haare sind leicht gelockt. Er ist keiner der Fußballspieler. Das sieht man sofort. Er ist zwar ebenfalls dünn, hat aber einen aufrechten, durchtrainierten Oberkörper, den so niemals ein Fußballspieler haben würde.
Er drückt mir plötzlich einen Schlüsselbund in die Hand, „Ich habe es extra nachgeguckt. Der Musikraum müsste montags in der Mittagspause frei sein. Es ist also kein Problem, wenn du da probst. Bis 2 Uhr hast du Zeit, dann ist die Pause zu Ende. Achte besser auf die Uhr. Es kann sein, dass du die Klingel nicht hörst. Ich bin dann jetzt auch weg. Bis dann.“ „Bis dann“, rufe ich ihm nach, dann wende ich mich der Tür zu. Es dauert eine Weile, bis ich den richtigen Schlüssel für den Musikraum gefunden habe. Doch als ich ihn ins Schloss schiebe, merke ich, dass der Raum bereits offen ist. Hoffentlich hat Maik auch wirklich die Wahrheit gesagt. Vorsichtig schiebe ich den Kopf durch die Tür. Keine Klassen zu sehen. Ich gehe hinein. Da erst bemerke ich das Mädchen. Sie ist noch viel kleiner als Maik und ihre rötlich braunen Haare sind noch lockiger. Ihr Gesicht sieht freundlich aus mit der kleinen Nase und den großen Augen, die von langen dunklen Wimpern umrahmt sind. Sie trägt einen weiten und kunterbunten Rollkragenpulli und eine ebenfalls zu weite Jeans. Ihre Schuhe sehen alt aus, aber was am meisten meiner Aufmerksamkeit auf sich zieht: Sie singt.

Ich singe die letzten Töne zu Ende. Das hat wirklich gutgetan. Ich fühle mich gleich viel leichter und freier. Als ich gerade das nächste Leid aussuchen will, lässt mich ein Klatschen herumfahren. Vor mir steht ein Junge. Groß, nicht besonders muskulös, aber trotzdem durchtrainiert. Blonde, wuschelige Haare und braune Augen. Die wenigen Sommersprossen auf seiner Nase, lasse ihn schon fast kindlich aussehen. Seine Stimme klingt allerdings älter und sein amerikanischer Akzent ist nicht zu überhören, als er „Wow, das war wirklich gut“, sagt. Ich spüre, wie ich rot werde. Wer ist das? Ich habe ihn noch nie gesehen. Aber an seiner Statur erkenne ich, dass er Fußballer sein muss. Was bitte macht ein Fußballer montags in der Mittagspause im Musikraum? „Das war „Because of you“, richtig?“ Ich nicke, weil ich keine Ahnung habe, was ich sonst machen soll. „Wie heißt du?“, fragt er dann. „Kathrin“, antworte ich und schiebe schnell ein „und du?“ hinter her. „Ich bin Sebastian. Ich komme aus Amerika und bin Austauschschüler.“ Aha, das erklärt also seinen Akzent. „Und Fußballer“, rutscht es mir heraus. „Äh..ja, schlimm?“ „Nein, ich dachte nur, weil…“, versuche ich die Situation wieder zu retten. „Ich mache auch Musik, falls es dich interessiert.“, entgegnet er und wirklich, das interessierte mich. „Echt?“, frage ich und würde mir in dem Moment liebend gern auf die Zunge beißen. Konnte ich denn nur peinliche Sachen sagen heute. Natürlich macht er Musik, hat er ja gerade gesagt. „Ja, ich spiele Gitarre“, erzählt er und ich…. Ich erwidere natürlich wieder etwas Peinliches, Dummes. „Ich singe.“ „Ähm, ja. Habe ich gehört.“ „Ja.“ Ein unangenehmes Schweigen entsteht, bis er es unterbricht. „Hmm, Katy ist ein schöner Name.“ „Kathrin“, berichtige ich ihn, „Ich heiße Kathrin.“ „Habe ich doch gesagt, Katy.“ „Es heißt aber Kathrin“, seufze ich, dann gebe ich es auf, „Okay, du kannst Katy sagen, aber nur wenn ich auch Basti sagen darf.“ Das war eigentlich genervt und nicht ernst gemeint gewesen, aber das scheint Sebastian nicht verstanden zu haben. „Klar, warum nicht?! Alle meine Freunde sagen Basti zu mir.“ „Ich bin nicht deine Freundin“, fauche ich zurück ohne es wirklich so gesagt haben zu wollen. „Oh, ich wollte nicht…“ Jetzt ist es Sebastian, der versucht die Situation zu retten. „Ist schon gut. Tut mir leid. Das sollte nicht so rüberkommen. Eigentlich bin ich nicht so. Ich bin eher schüchtern.“ Und schon wieder habe ich etwas Sinnloses gesagt. Das interessiert ihn bestimmt gar nicht. „Schüchtern?“, fragt er ungläubig.

„Ja eigentlich schon. Keine Ahnung, was das gerade war.“ Bei diesen Worten merke ich, dass sie Recht hat. Ihre Hände spielen nervös mit dem Kopfhörerkabel. Dabei müsste es eigentlich ich sein, der nervös ist. Immerhin bin ich einfach so hier hereingeplatzt und habe sie angequatscht. Aber in ihrer Gegenwart kann ich gar nicht nervös sein. Sie strahlt so etwas Beruhigendes aus. Ich weiß auch nicht, ob es einfach an ihrer Art liegt. „Oder ist es doch ihre warme Stimme?“, überlege ich, als sie plötzlich fragt, was ich hier eigentlich mache. „Ich suche einen Ort, wo ich Gitarre üben kann. Und du?“ Sie zögert. Warum zögert sie? Habe ich was Falsches gesagt? „Naja, ich wollte alleine sein und singen“, sagt sie schließlich. „Warum willst du alleine sein? Wer will denn schon alleine sein?“, frage ich und merke sofort, dass ich jetzt wirklich etwas Falsches gesagt habe. „Oh, tut mir leid. Die...ähm andern mögen die nicht besonders, stimmt´s?“ Sie nickt. „Ich bin zu schüchtern, zu verschlossen. Meine Mutter ist alleinerziehend und wir haben nicht genug Geld für angesagte Klamotten, weshalb mir nur ihre alten Pullis bleiben.“ Sie schaut traurig an sich herunter. Ich würde sie so gerne trösten, aber was sagt man in so einer Situation? Mir selbst ging es noch nie so. Aber sie scheint auch nichts Tröstendes zu erwarten, sondern redet einfach weiter. „Kannst du mir was vorspielen? Auf der Gitarre, meine ich.“ Das kommt überraschend. Eigentlich spiele ich nicht gerne vor anderen, aber ich habe das Gefühl, noch etwas wieder gut machen zu müssen, wegen dem, was ich gesagt haben. Deshalb willige ich ein. „Was willst du denn hören?“ „Mir egal, such dir was aus“, sagt sie und macht es mir dadurch nicht leichter. Dann habe ich eine Idee. Ich schnappe mir die nächste Gitarre, die ich finden kann und beginne zu spielen.

Gespannt setzte ich mich auf einen Tisch und lausche den ersten Akkorden, die er spielt. Ich erkenne das Lied sofort. Es ist „Just the way you are“. Ich fange instinktiv an mitzusingen und es ist mir gerade vollkommen egal, dass mir jemand zu hört. Ich habe einfach nur Spaß am Singen und er spielt wirklich
Ich bin erleichtert. Dass sie singt, zeigt mir, dass ich eine gute Wahl getroffen habe. Sie hat die Augen geschlossen und genießt jedes Wort. Ich entspanne mich. Ich habe einfach nur Spaß am Spielen und sie singt wirklich gut.

Ich bin schon fast ein bisschen traurig, als das Lied zu Ende ist. Ich habe mal wieder alles um mich herum vergessen. Ich habe vergessen, dass heute Montag ist und damit noch eine ganze Woche vor mir liegt. Ich habe vergessen, dass ein Fremder Gitarre spielt und ich dazu singe. Ich habe vergessen, dass ich eigentlich Außenseiterin bin und alte Pullis von meiner Mutter trage. Ich habe vergessen, dass ich eigentlich schüchtern bin und mich keiner mag. Ich habe...Moment. Plötzlich verstehe ich es erst. „Du hast das Lied nicht ohne Grund gewählt, oder?“, frage ich nach einer Bestätigung zu meiner Vermutung. Er muss lächeln, als ich es endlich bemerke. „Nein, ich habe mir genau das dabei gedacht. Du bist gar nicht schüchtern und verschlossen. Du musst nur anfangen zu singen. Und…“ Er will eigentlich noch etwas hinzufügen, aber da klopft es plötzlich an der Tür und Maik steckt den Kopf herein: „Sebastian? Es ist zwei Uhr. Wir müssen los. Oh“, da erst entdeckt er mich, „Hi, Kat. Was machst du hier?“ Bei meinem Spitznamen zucke ich kurz zusammen. Maik hat mich seit Jahren nicht mehr so genannt. Warum er also jetzt damit ankommt, ist mir ein Rätsel. „Ihr kennt euch?“, wirft Sebastian ein, bevor ich Maik auf seine Frage antworten kann, was ich ihm nicht übelnehme. Maik geht es nichts an, was ich hier mache. „Ja...äh wir kenne uns“, versuche ich die Antwort so kurz wie möglich zu halten. Ich will jetzt nicht mit alten Geschichten wieder ankommen. „Wir kennen uns seit der Grundschule, stimmt´s Kat?“, sprudelt es nur so aus Maik heraus. Ich würde ihm am liebsten gegen sein Schienbein treten, um ihn vom Reden abzuhalten, aber er ist, verdammt nochmal, zu weit weg und redet einfach weiter: „Wir waren sogar befreundet. Seit der Sache mit Alex, als du...“ „Ist ja gut“, platze ich dazwischen, bevor er sich noch weiter in seinen Redefluss hineinsteigert, „das sind alte Geschichten. Dafür ist jetzt keine Zeit. Wir müssen alle wieder in den Unterricht.“ „Ja, aber…“, wendet Maik ein. „Nein, Katy hat Recht. Es wird Zeit. Komm, gehen wir“, entgegnet Sebastian. Gerade, als ich denke, jetzt ist es vorbei und er denkt etwas Falsches von mir, legt er die Gitarre zur Seite und flüstert mir dabei leise etwas zu: „Bist du jeden Montag hier?“ Ich nicke und er nickt auch. Dann geht er hinter Maik aus dem Raum. Fast jedenfalls, denn kurz vorher, dreht er sich nochmal um und zwinkert mir zu. Dann ist er auch schon weg und ich sitze alleine im Musikraum. Was auch immer sein Zwinkern bedeuten sollte, eins weiß ich. Ich werde auf jeden Fall nächsten Montag wieder hier sein.

LITTLE DO YOU KNOW
Am nächsten Montag kam er tatsächlich wieder und auch den Montag danach. Die Montage vergingen und kaum war einer wieder herum, freute ich mich schon auf den nächsten. Es ist so schön nicht mehr alleine singen zu müssen und mit ein bisschen Übung und vielen Tipps von mir, hat Sebastian seine Stimme echt verbessert. Im Gegenzug hat er mir ein paar Akkorde und Töne auf der Gitarre beigebracht. Er ist so…ach ich weiß auch nicht. Eigentlich reden wir nur über Musik, aber mit Musik kann man so viel mehr sagen und irgendwie habe ich das Gefühl, er ist sowas wie ein Freund für mich geworden

Woche für Woche trafen wir uns montags im Musikraum. Es ist schon so etwas wie ein Zufluchtsort für mich geworden. Es macht so viel Spaß mit ihr zu singen. Sie ist so… ach ich weiß auch nicht. Eigentlich reden wir nur über Musik, aber mit Musik kann man so viel mehr sagen und irgendwie habe ich das Gefühl, sie ist sowas wie eine Freundin für mich geworden. Sie singt mit mir ohne überhaupt irgendwas genaueres über mich wissen zu wollen. Sie will einfach nur das mit mir teilen, was ihr Spaß macht und ihr etwas bedeutet. Die Musik.
An diesem Montag habe ich vor sie zu fragen, ob sie mit mir zu einer Party am Wochenende kommen will. Alexander hat mich eingeladen und ich kenne die Leute dort immer noch kaum. Deshalb hoffe ich, dass sie mitkommt, dann würde ich mich nicht so alleine fühlen und Alex hat sie ja auch als Begleitung vorgeschlagen, also wird es okay sein, wenn sie kommt und eigentlich glaube ich auch, dass sie wohl Lust hat. Trotzdem habe ich doch noch ein bisschen Angst sie einzuladen. Vor allem nachdem, was Maik damals gesagt hat. Ich weiß zwar nicht, ob er mit Alex genau diesen Alexander meinte, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß.
Leise klopfe ich an die Tür des Musikraums und trete ein ohne eine Antwort abzuwarten.

Ich sitze gerade auf dem Boden, als Basti, ich habe mich doch dazu entschieden ihn noch so zu nennen, hereinkommt. Die Gitarre liegt auf meinen Beinen, weil ich vorher noch ein paar Akkorde geübt habe. „Ich will ja nicht überheblich sein“, begrüße ich ihn, „aber ich finde, ich habe Fortschritte gemacht.“ Er versucht zu lächeln, aber es wirkt aufgesetzt. „Toll“, sagt er nur anstelle eines Lobes, mit dem ich gerechnet habe. Das verwundert mich. „Ist alles in Ordnung?“, erkundige ich mich vorsichtig. „Ich…ja, klar. Ich möchte gerade einfach nur ein bisschen Musik machen, okay?“ „Äh…ja, okay. Und was soll´s heute für ein Lied sein?“ Er zuckt nur mit den Schultern: „Mir egal, suche dir eins aus. Ich nehme alles.“

„Hmm, okay. Was ist mit Little do you know?”, schlägt sie vor. „Wenn du wüsstest…“, schießt es mir durch den Kopf, „wenn du wüsstest, wie passend der Titel gerade ist.“ Laut sage ich: „Ja, in Ordnung.“ Aber es kommt nicht überzeugend rüber. „Jetzt hör auf mir etwas vorzumachen. Du hast doch was. Was ist los heute?“, hakt sie nach und ich gebe auf. „Also…naja, ich wollte fragen, ob du nicht vielleicht mit...mit mir auf eine Party am Wochenende kommen willst. Ich wurde eingeladen, aber kenne da noch kaum jemanden und dachte, dass du als Begleitung und damit ich, also, damit ich nicht so alleine bin.“ Das war noch nicht einmal ein gescheiter Satz. Ich versuche, es nochmal deutlicher zu erklären, aber das Gestotter wird nur schlimmer und schließlich lasse ich es sein in der Hoffnung sie versteht es trotzdem.

Am Anfang, als sein Gestotter losging, habe ich Angst bekommen, er würde mich nicht mehr mögen. Bis sich plötzlich ein anderer Gedanke in den Vordergrund drängte. „Vielleicht will er dich für den Abschlussball fragen.“, sagte eine Stimme in meinem Kopf, aber ich wusste, dass es albern war und ich hatte ja Recht. Er will bloß zu einer Party. Obwohl, „bloß“ ist gut. Ich war noch nie bei einer Party. Bis jetzt hatte mich nie jemand eingeladen und ich habe eigentlich Lust, aber dieses „Damit ich nicht alleine bin“, stört mich ein bisschen. Es wirkt so, als wolle er mich nur dabeihaben, um nicht einsam, um nicht wie ein Außenseiter, ein Außenseiter, wie ich, zu sein. Dennoch ist da diese Möglichkeit für mich aus genau diesem Stand herauszukommen. Ich könnte unter Leute kommen und vielleicht endlich dazugehören. Aus eben diesem Grund, sage ich am Ende auch zu.
„Super. Das freut mich“, sagt Basti und ich sehe ihm an, dass er es auch genauso meint. „Also dann am Freitag um acht Uhr im Dahleinweg 7b“, verkündet er und vor Schreck verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke. Ich muss schrecklich husten und Tränen steigen mir in die Augen. Es dauert eine ganze Weile bis ich mich wieder gefangen habe. „Geht´s wieder?“, fragt Basti. Ich kann nur nicken. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, erkundigt er sich sichtlich erschrocken. „Nein“, sage ich, aber meine es nicht so. Obwohl er eigentlich nichts dafürkann. Immerhin hat er sich den Ort der Party nicht ausgesucht. Aber Dahlienweg 7b?! Warum dort?! Warum bei Alex?! Ja, der Alex, den Maik beim ersten Mal erwähnen wollte. Er heißt eigentlich Alexander. Alexander Meier und er ist der Junge unserer Stufe. Er ist beliebt bei allen, spielt, wie Basti auch, Fußball und das, wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, extrem gut. Aber das ist gar nicht das Problem. Das Problem ist, dass Alex und ich… Naja, wir waren Freunde, richtig gute Freunde damals. Damals in der Grundschule. Wahrscheinlich wären wir es jetzt noch, wäre nicht diese eine Sache passiert, die Maik fast auch erzählt hätte. Bei der einen Sache handelt es sich um einen Streit, bei dem ich Alex neuen Roller kaputtgemacht habe. Ich weiß gar nicht mehr genau, warum wir gestritten haben. Ich glaube, es lag daran, dass ich schon damals was mit Maik gemacht habe und Alex sich vernachlässigt fühlte. Dann haben wir gestritten, ich habe vor Wut gegen seinen neuen Roller getreten und ihn kaputtgemacht. Alex wollte danach nichts mehr mit mir zu tun haben. Der Roller schien ihm echt wichtig, denn seine letzten Worte, die er zu mir gesagt hat, waren: „Dann geh doch zu Maik, aber denk immer daran, dass du mir etwas Wichtiges genommen hast!“ Wenn ich so darüber nachdenke, klingt es echt kindisch. So als wäre sein Roller das Wichtigste in seinem Leben und nichts anderes… „Ist irgendwas nicht in Ordnung?“, reißt Basti mich aus meinen Gedanken. „Was? ... Äh nö, alles gut.“ „Na dann“, sagt er und schaut auf seine Uhr; „Sieht man sich am Freitag. Ich freue mich wirklich, dass du kommst.“ Damit verschwindet er und lässt mich mit meinen Gedanken alleine. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Soll ich hingehen und ein Wiedersehen mit Alex in Kauf nehmen oder soll ich nicht gehen und Basti enttäuschen. Ich fühle mich hin und hergerissen, aber im tiefsten Inneren weiß ich eigentlich, dass ich hinwill. Ich werde Basti nicht alleine lassen und Alex zeigen, wen er aufgegeben hat!

IMPOSSIBLE
Um kurz nach acht stehe ich tatsächlich vor Alex´ Haus, einem modernen Neubau mit weißen Wänden und dunklen Dachziegeln. Schon früher waren seine Eltern gut bei Kasse, aber, seit seine Mutter bei der besten Anwaltskanzlei der Umgebung angenommen wurde, verdienen sie noch mehr. Er ist also quasi das Gegenteil von mir, was mich schon immer etwas gestört hat.
Nervös zupfe ich an meinem Kleid. Es ist nicht besonders schön, aber das Schönste, was ich noch hatte. Es ist ein blaues, knielanges Kleid mit weißen Punkten und vielleicht doch nicht das richtige für eine Party, aber umziehen konnte ich mich jetzt auch nicht mehr.
Unsicher drücke ich den Klingelknopf. Ob Basti wohl schon da ist? Wer wird gleich die Tür öffnen? Innerlich bete ich, dass es nicht Alex ist. Aber vergeblich. Und jetzt steht er vor mir. Sieht besser aus denn je. Groß, hat einen ähnlichen Körperbau wie Basti. Seine Haare sind dafür nicht ganz so blond. Sie gehen eher ins hellbraune über. Auch er hat Sommersprossen. Aber er hat nicht braune, sondern ganz hellblaue Augen, die immer strahlen. Genauso, wie fast alles an ihm. Sogar die Zähne, die man bei seinem Dauerlächeln ziemlich häufig zu Gesicht bekommt. Kaum hat er mich erkannt, verschwindet es allerdings für einen kurzen Augenblick aus seinem Gesicht. Gerade so lange, dass ich es sehen kann.
„Katrin?! Was für eine Überraschung? Mit wem bist du denn hier?“, begrüßt er mich. Wenn seine Stimme ein Bonbon wäre, wäre es wohl ein extrem überzuckertes. Es klingt fast schon widerlich.

„Mir.“ Katy fährt herum, schaut mich an und nickt. Alex zieht die Augenbraun hoch, dann grinst er mich an: „Ach, ja. Stimmt. Na dann, kommt doch rein.“ Er tritt aus der Tür und hält sie für uns auf. Vorsichtig lege ich meine Hand auf Katys Schulter und beim Hineingehen flüstere ich ihr zu, wie gut sie aussieht. Ich sehe, wie ihre Ohren rot werden, und sie nimmt das Kompliment dankend entgegen.

Es ist rappelvoll im Wohnzimmer, als wir hereinkommen. Überall tanzen Menschen. Entweder mit Partnern oder mit Bierflaschen in der Hand. Die offene Küche war in eine Bar umfunktioniert worden und steht voll mit Flaschen. Definitiv alles alkoholische Getränke. Eine kalte Brise streift meine Beine. Die Terassentür ist offen und im Garten stehen jede Menge Jugendliche zum Rauchen. Man kann den Qualm bis ins Wohnzimmer riechen. Ich brauche nicht eine Sekunde in diesem Wohnzimmer, um mit Sicherheit sagen zu können, dass ich mich so verdammt unwohl fühle. Alex bemerkt es natürlich sofort. „Ist wohl doch nichts für dich. Soll ich dich rausbringen?“, flüstert er mir zu, sodass Basti es nicht mitbekommt. Ich will wirklich gerne raus hier, aber als ich den Mund öffne, kommt statt einem „Ja“ ein „Nein, nicht nötig“ heraus. „Wie du meinst…“, zischt er und laut fügt er hinzu: „Kann ich euch etwas zu Trinken bringen. Ein Bier vielleicht?“

Ich nicke. Katy lehnt dankend ab und Alex bahnt sich einen Weg durch die Menge zur Bar.
Wenige Minuten später kommt er mit einem Bier in der Hand wieder. Während er es mir in die Hand drückt, fragt er, ob ich Lust hätte mit zu ihm und den Jungs an die Bar zu kommen. Zu einer Antwort komme ich gar nicht, denn Alex beantwortet sich seine Frage selbst. „Klar kommst du mit. Die anderen werden sich freuen dich kennenzulernen“, verkündet er und zieht mich mit, bevor ich etwas sagen kann. Ich sehe noch Katys verzweifeltes Gesicht in der Menschenmenge verschwinden. Leichte Gewissensbisse machen sich in mir breit. Sollte ich einfach zurückgehen und bei ihr bleiben? Andererseits könnte sie ja auch einfach zur Bar kommen, wenn sie mich braucht. Außerdem möchte ich die „Jungs“, wie Alex sie nennt gerne mal kennenlernen.
Und sie sind tatsächlich alle echt nett zu mir und wir lachen viel. Und Reden und Reden und Reden. So viel, dass ich gar nicht mitbekomme, wie Alex mir ein Bier nach dem anderen zuschiebt, bis ich komplett dicht bin.

Basti schafft es nicht einmal etwas zu erwidern, da zieht Alex ihn auch schon mit sich und ich bleibe alleine zurück. Und was jetzt? Ich schaue mich um. Ich könnte mich natürlich zu ein paar Mädchen dazustellen… Aber lieber nicht. Die würden eh nicht mir reden. Und wenn, dann mit Sicherheit nur über Alex.
Schließlich setzte ich mich auf ein Sofa am Rande des Zimmers. Es wurde zur Seite geschoben, um mehr Platz für die Tanzfläche zu machen. Die Bezüge der Kissen sind noch genau die Gleichen wie damals. Weiß mit roten, grünen und gelben Punkte. Es ist krass, wie viele Erinnerungen in ihnen stecken. Zum Beispiel die Erinnerung an die Kissenschlacht, die wir an Alex´ neuntem Geburtstag gemacht haben. Die Erinnerung an ein Abendessen bei ihm. Es hatte Spaghetti mit Tomatensoße gegeben und wir hatten die ganzen Bezüge vollgekleckert. Alex und ich fanden das damals echt lustig. Seine Mutter eher weniger.
Plötzlich spüre ich ein Stechen. Wie sehr ich das alles vermisse. Es war mir nie so klar, wie jetzt, als ich wieder hier bin.
„Is da noch frei?“, reißt mich jemand aus meinen Gedanken. Vor mir steht ein Junge und deutet auf den Platz neben mir. Er riecht nach Rauch und Alkohol. Ich muss den Atem anhalten, weil es so ekelhaft riecht. „Ja, ich wollte eh gerade gehen“, presse ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor und stehe auf. Ich kann die Blicke des Jungen in meinem Rücken spüren. Ach soll er doch denken, was er will. Ich beschließe zu Basti und Alex rüberzugehen. Ich kann die beiden hören, bevor ich sie sehe.
„Und mit wem gehst du zum Abschlussball?“, fragt Alex
„Katy, denke ich.“
„Kathrin?! Jetzt echt?! Die kann sich doch den Tanzkurs gar nicht leisten, mal abgesehen vom Abschlussballkleid.“
„Echt?“
„Ja. Jetzt höre mir mal zu Kumpel. Siehst du die ganzen Mädchen dort?! Frag eine von denen. Die sind viel hübscher und vor allem viel reicher als deine Katy. Du brauchst sie nicht. Du kannst viel größer rauskommen ohne sie, glaub mir. Außerdem kann kein Mädchen die Anfrage eines so gutaussehenden Fußballspielers abschlagen.“
„Ja vielleicht hast du Recht. Ein gutaussehender Fußball braucht eine gutaussehende Partnerin.“
Mehr wollte ich gar nicht hören. Die Tränen laufen schon reihenweise über meine Wange und die Schminke ist jetzt mit Sicherheit auch im Eimer.
Ich flüchte mich auf die Toilette. Ich bin alleine. Hoffe ich jedenfalls. Ich schließe mich in eine Kabine ein und versuche den Schmerz weg zu singen. „Tell them I was happy.“ Ich werde von einem Schluchzer unterbrochen. „And my heart is broken“, singe ich weiter. Und ich singe und singe und singe. Ich muss das Lied fast viermal singen, bis ich aufhöre zu weinen.
Ich betrachte mich im Spiegel. Die Schminke ist, wie erwartet, verlaufen und mein Gesicht ist mit roten Flecken übersäht. Kurz gesagt, ich sehe schrecklich aus. Ich versuche es mit kaltem Wasser besser zu machen. Ich wische die restliche Schminke ab und atme ein paar Mal tief durch, bis ich mich besser fühle und nicht mehr ganz so grässlich aussehe. Dann beschließe ich einfach zu gehen.

Nach dem gefühlt 300sten Bier muss ich dringend aufs Klo und verschwinde kurz.
Als ich wieder herauskomme, steht plötzlich Katy neben mir. „Hey“, schreie ich über die Musik hinweg, „was macht du denn hier?“ „Ich gehe“, schreit sie zurück. „Was?“ Die Musik ist einfach zu laut, „Warte…“ Ich ziehe sie mit zu Alex in die Küche, wo es leiser ist. „So, was hast du gesagt?“ „Ich gehe“, schreit sie immer noch. „Warum?“ „Weil ich gehen will.“, sagt sie jetzt leiser. „Aber wir…“, wende ich ein. „Jetzt!“, schreit sie dazwischen. „Ist ja gut.“ Ich habe sie noch nie so aufgebracht erlebt und will sie gerade gehen lassen, da fällt mir noch etwas ein: „Einen Moment noch…“ Und dann frage ich sie mitten Im Rausch, ob sie mit mir zum Abschlussball will.

Mir bleibt der Mund offenstehen. Das er es jetzt noch wagt mich zu fragen, nachdem er die ganzen anderen B*** mir vorgezogen hat. Ich kann es nicht glauben und bin richtig wütend. „Haben etwa die ganzen hübschen und reichen Mädchen die Anfrage des gutaussehenden Fußballspielers abgelehnt?!“, fauche ich und dann denke ich mal wieder nicht nach bevor ich rede. „Tja, Pech gehabt. Ich kann leider auch nicht zusagen. Mich hat nämlich schon jemand gefragt.“ Ich hasse mich direkt danach schon dafür, denn jetzt wird mich ganz sicher keiner mehr fragen. Ich sehe Sebastians verwundertes Gesicht und die Frage darin. Doch bevor er mich fragen kann, mit wem ich hingehe, drehe ich mich um und gehe.

WHEN I WAS YOUR MAN
Als ich am darauffolgenden Montag in den Musikraum komme, ist Katy nicht da. Ich weiß sofort, dass es mit dem zu tun haben muss, was Freitag passiert ist. Das Problem ist nur, ich kann mich an so gut wie gar nichts erinnern. Ich war zu voll, zu besoffen, Nichts ist mehr da. ‚
Schon fast verzweifelt lasse ich mich auf den Klavierhocker fallen und greife mir die Gitarre. Ich versuche etwas zu spielen, aber es gelingt mir nicht. Die Gedanken schweifen immer wieder ab und meine Finger rutschen von den Seiten. Es fehlt einfach der Sinn. Mir fehlt der Sinn zum Spielen. „Es ist niemand da, der es hören würde. Warum also spielen?“, denke ich und dann gebe ich es auf und gehe.
An diesem Abend kann ich nicht schlafen. Aufgewült starre ich an die Decke. Es lässt mich einfach nicht los. Meine Augenlider sind schwer. Aber immer, wenn sie zufallen, sehe ich Katys wütendes Gesicht vor mir und bin wieder hellwach. Irgendwann gehe ich auf die Toilette, um überhaupt etwas zu tun. An der Tür begegnet mir Maik. „Noch wach?“, gähnt er. Ich nicke: „Kann nicht schlafen.“ „Kenn ich. Ist übel. Lesen hilft“, murmelt er. „Oder reden“, fügt er noch hinzu.
„Reden?“
„Ja, du kannst mir ruhig erzählen, was Freitag passiert ist. Reden hilft. Außerdem kenne ich Kat wohl am besten.“
„Was? Woher?“
„Alex.“
Aufgebracht fahre ich mir durch die Haare. Na, das war ja super gelaufen. „Ich weiß leider so gut wie gar nicht mehr, was passiert ist. Ich war zu dicht“, gestehe ich. „Das macht es noch besser. Weißt du was?! Ich helfe die einfach, dich wieder zu erinnern“, schlägt er vor und schiebt mich zurück in mein Zimmer.
„Also“, fängt er an, nachdem er es sich auf dem Teppich bequem gemacht hat; „Ihr seid zu Alex´ Party gegangen:“
„Ja.“
„Ihr seid da rein. Ich denke mal Alex hat euch in Empfang genommen.“
„Ja.“
„Gut und dann?“
„Ich bin mit ihm an die Bar.“
„Und Kathrin?“
„Keine Ahnung, was sie gemacht hat. Das nächste Mal habe ich sie beim Klo getroffen.“
„Okay. Und weiter?“
„Sie sah total fertig aus und wollte gehen.“
„Und? Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“
„Ich habe sie gehen lassen.“
„Einfach so?“
„Naja, ich habe sie vorher gefragt, ob sie mit mir zum Ball will.“
„Ach du Scheiße.“ Maik schlägt kurz die Hände vors Gesicht; „Sie hat Nein gesagt, richtig?“ Ich nicke: „Sie war total wütend und hat was gesagt von wegen sie hätte schon einen Partner.“ Maik nickt nur. „Glaubst du, sie hat wirklich schon einen Partner?“, frage ich unsicher. „Nein, bei ihr kann ich mir das nicht vorstellen“, antwortet Maik und ich spüre, wie sich Erleichterung in mir breit macht. „Die Frage ist nur, warum sie es dann gesagt hat“, fährt Maik fort. Ich zucke mit den Schultern. „Sie war wütend. Hat sie vielleicht noch etwas gesagt?“ ich überlege angestrengt, aber da kommt einfach nichts. „Sie muss einen Grund gehabt haben. Sie würde sich sonst niemals so eine Chance entgehen lasse. Schon gar nicht, wenn so ein“ Maik macht Anführungszeichen in die Luft, „ ,gutaussehender´ Fußballspieler sie fragt.“ Gutaussehender Fußballspieler. Das war es. „Ich weiß es wieder. Ich weiß alles. Ich habe Scheiße gebaut. Alex hat mich provoziert und… Wie mache ich das nur wieder gut!“ Rufe ich plötzlich. „Erstmal ganz in Ruhe, was ist passiert?“, fragt Maik und dann erzähle ich ihm alles. Die ganze Nacht lang beratschlagen wir uns und am nächsten Tag steht der Plan.

Es klingelt zur vierten Stunde. Als nächstes habe ich Chemie. Ich hole meine Sachen aus der Tasche und breite sie über dem Tisch aus. Ich sitze alleine. Ganz hinten. Eigentlich macht mir das nicht so viel aus, aber heute, da fühle ich mich irgendwie so einsam. Mein Herz vermisst Sebastian. Mein Kopf will ihn einfach nur vergessen.
Pünktlich zum Unterrichtsbeginn kommt der Lehrer. Er lässt die Begrüßung ausfallen und beginnt direkt mit dem Unterricht. „So. Letzte Stunde haben wir uns mit den Molekülen beschäftigt. Wer kann mir denn sagen…“ Ich schalte ab. Das Thema ist langweilig, weshalb das eine lange Stunde werden kann. Denke ich! Denn plötzlich knackt es in den Lautsprechern: „Entschuldigung für die Unterbrechung.“ Mein Kopf fährt hoch. Das war definitiv Maik. Was hatte er vor? „Wir wollen eine Durchsage machen. Es wird nicht lange dauern“, fährt er fort. Dann spricht jemand anderes. Jemand mit einem amerikanischen Akzent. Mein Herz krampft sich zusammen. „Ich wollte das hier kurz nutzen, um mich bei jemandem zu entschuldigen. Ich habe es nicht so gemeint. Ich glaube, du hast mich falsch verstanden. Ein gutaussehender Fußballer braucht eine gutaussehende Partnerin. Als ich das gesagt habe, habe ich dabei an niemand anderen als dich gedacht. Kannst du mir bitte verzeihen, dass es so falsch rüberkam? Ich möchte es wieder gut machen“ Es folgt eine kurze Atempause. „Und vielleicht hat der andere ja nichts dagegen, wenn du doch mit mir zum Ball kommst“, beendet er seine Rede und fängt plötzlich an „When I was your man“ zu spielen. Es trifft mich direkt. Sebastian wählt seine Lieder nie ohne Grund. Dieses auch nicht. Er ist für mich. Ganz allein für mich. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Im Klassenraum geht das Getuschel los. „Von wem redet er?“ kann ich aufschnappen. „Mir“, denke ich und dann lasse ich einfach alles stehen und liegen. Ich renne aus dem Klassenraum. Ich spüre die Blicke der Klasse in meinem Rücken. Ich ignoriere sie und renne weiter. Den Flur runter und die Treppe. Ich renne und weine, bis ich völlig außer Atem und mit nassem Gesicht im Sekreteriat ankomme. Vor der Tür bleibe ich stehen. Ich kann seine groben Umrisse durch das Milchglas sehen und seine Stimme durch die Tür hören. Ich weine immer noch. Meine Hand zittert. Als sie die Türklinke umfasst, legt plötzlich jemand die Hand auf meine Schulter. Ich fahre herum. Vor mir steht Alex. „Gut, dass ich dich hier treffe. Ich suche dich schon den ganzen Tag. Hast du kurz Zeit?“, fragt er. Meine Blicke wandern von ihm zur Türklinke, auf der noch immer meine Hand liegt, und wieder zurück zu ihm. „Nein, tut mir leid. Ich muss da gerade dringend rein“, antworte ich und will mich zur Tür drehen, aber Alex stellt sich davor. „Ach, komm. Es dauert wirklich nicht lange. Außerdem glaube ich nicht, dass es gerade etwas wichtigeres gibt, als das, was ich dir sagen will.“ Ich schaue ihn an. Er schaut mir dringlich in die Augen. Ich halte seinem Blick stand ohne mit der Wimper zu zucken. Ich weiß, was er will. Er will mich nicht reinlassen. Warum auch immer. „Das bezweifle ich stark.“, antworte ich deshalb, „So und jetzt muss ich wirklich da rein.“ Ich öffne schon die Tür, da zieht er mich weg. „Kathrin, willst du mit mir zum Abschlussball kommen?“, fragte er plötzlich. Mir fällt die Kinnlade herunter. Was ist das denn jetzt? Meint er es ernst oder ist das nur ein Versuch mich von der Tür fernzuhalten. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ich höre, wie Sebastian das Lied beendet. Ich wollte zu ihm. Ich will immer noch zu ihm. Und dann antworte ich das Gleiche, was ich auch schon zu Sebastian gesagt habe: „Ich kann leider nicht zusagen. Mich hat nämlich schon jemand gefragt.“ Dann öffne ich endlich die Tür und während ich hereinstürze, höre ich Alex hinter mir noch rufen: „Er ist nicht gut genug für dich.“

Das Lied ist zu Ende. Ich hoffe so sehr, dass es etwas bewirkt hat. Bis jetzt ist Katy noch nicht aufgetaucht, aber damit habe ich auch nicht gerechnet. Okay, doch schon ein bisschen irgendwie. „Sie ist nicht da“, spricht Maik das aus, was ich gerade denke. „Ja, aber sie hat es bestimmt gehört“, will ich antworten, da wird die Tür aufgerissen und Katy stolpert herein. Ihr Gesicht ist voller roter Flecken und die Augen sind verquollen. Sie hat geweint. „Kat“, ruft Maik erschrocken, „Was ist los?“ Sie antwortet nicht, sondern läuft an ihm vorbei. Vor mir bleibt sie stehen. Sie schaut mir in die Augen. Ihre sind voller Tränen.

Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden, aber irgendwann halte ich es nicht mehr aus. „Es tut mir leid“, schluchze ich und falle ihm in die Arme. Er drückte mich fest: „Alles ist gut“, sagt er, „das ist es doch, oder?“ Ich nicke. „Ja. Ja, das ist es wieder.“ Ich lege den Kopf auf seine Schulter: „Alles ist gut.“

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