Veröffentlicht: 19.02.2023. Rubrik: Unsortiert
So eine Schande
Sie sassen in der S-Bahn, ein betagter weisser Mann und eine junge etwas dunkelhäutige Frau. Sie hielt seine Hand. Sie hatten sich lange nicht gesehen. Ihnen gegenüber sass ein älteres Paar, Ehepaar wahrscheinlich. Die Dame war offensichtlich entrüstet über den Anblick, der sich ihr bot und gab ihrem Missfallen verbalen Ausdruck, zwar leise, aber immerhin laut genug, um verstehen zu können, was ihren Unmut verursachte.
“Der alte Lustmolch! Schämt sich denn der nicht. Das Flittchen könnte seine Enkelin sein. Er macht sich lächerlich. Sie zieht ihm das Geld aus der Tasche und lacht sich schief. So sind diese schwarzen Weiber eben. Der Dummkopf glaubt vermutlich sogar, sie sei in ihn verliebt”
Der Lustmolch setze zu einer Erwiderung an: “Gute Frau”, hatte er auf der Zunge zu sagen, “sehen Sie nicht, wie ihr Gatte mich beneidet”, aber die junge Frau verstärkte den Händedruck.
“No digas nada - sag nichts. Es macht doch Spass zu hören, was sie noch alles zu geifern hat”, flüsterte sie.
“Was der alte Knacker wohl für Viagra ausgibt. Davon könnte man bestimmt eine ganze Familie ernähren”, meinte der Begleiter der Nörglerin, offenbar erfahren in diesen Angelegenheiten.
“Neidhammel”, wollte der Lustmolch sagen, aber die junge Frau gab ihm einen Stoss in die Rippen und legte den Kopf an seine Schulter.
“Sieh dir das an. Wie sich diese schamlose Person benimmt, und der alte Trottel scheint das zu geniessen. Ihr Männer verliert den Verstand, wenn so ein Weib mit dem Arsch wedelt.”
Offenbar schloss sie ihren Begleiter nicht aus. Der sagte nichts. Fühlte er sich entlarvt?
“Wir Männer bevorzugen eben zwei fünfundzwanzigjährige statt einer fünfzigjährigen”, wollte der Wüstling die Frau belehren, aber er durfte vor der Maid an seiner Seite nicht mit solchen Sprüchen glänzen.
Die freundlichen Sitznachbarn machten Anstalten sich zu erheben, um auszusteigen. Letzte Gelegenheit fuer den Lustmolch die Unterhaltung zu beleben.
“Ich wünsche noch einen schönen Sonntag. Ich muss zugeben, ich bewundere ihren Scharfsinn. Die junge Dame an meiner Seite könnte meine Enkelin sein. Da haben Sie recht. Sie ist es sogar.”