Veröffentlicht: 17.11.2022. Rubrik: Unsortiert
Geschmacksache
Im sonnigen Kalifornien, dem unbekümmertsten Staat im Land der Freien und Heim der Tapferen …..Komputerkrieger, liegt Redwood City, eine Ansammlung von Gebäuden längs eines Highways und des Camino Real, einer Strasse aus der Zeit der spanischen Kolonie. Hier hat eine nicht übermässig bekannte Firma der Netzwerktechnologie ihre Hauptniederlassung. Ein paar Jahre bevor der sündige Bill Clinton seinen Mitbürgern offenbaren musste, wozu er eine Zigarre missbrauchte, waren José und ich von der Tochterfirma in Caracas nach Redwood City beordert worden, um uns das know-how unserer US-Kollegen anzueignen. Damit hatten wir keine Schwierigkeiten. Anstrengender war es das banale Problem des täglichen Mittagessens zu lösen. Die Entfernungen waren monströs in dieser Stadt, öffentliche Verkehrsmittel keine Selbstverständlichkeit. Einmal fragte ich in einem Mc Donald’s nach einem Supermarkt. Die Mexikanerin an der Kasse, dachte kurz nach und erklärte dann:
“Nehmen Sie die 101 und ...”
“Danke,” unterbrach ich, “wir sind zu Fuss”. Sie sah mich entgeistert an und schüttelte den Kopf. Hier ging niemand zu Fuss ausser uns beiden. Unser Chef war zu knickerig gewesen, uns einen Leihwagen zu bezahlen und wir zu grün, um darauf zu bestehen. Das verurteilte uns dazu jeden Tag dasselbe zu essen, ein paar Whoppers im Burger King an der Ecke. Unsere amerikanischen Kollegen merkten das wohl, aber da sie im Fernsehen und im Kino gesehen hatten, dass von Latainamerikanern nichts Gutes zu erwarten war, hielten sie es wahrscheinlich für angemessen nicht nach dem Grund zu fragen. Wer weiss, vielleicht verkauften wir Kokain in den Toiletten oder streuten es auf die Hamburger, um die Kunden süchtig zu machen. Dass wir kein Auto hatten, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen.
Eines Mittags aber war John, ein Kollege aus Arkansas, besonders wohlwollend aufgelegt und lud uns ein, ihn, zusammen mit zwei Kollegen, zu einem bekannten Restaurant zu begleiten, gar nicht weit weg. Erfreut sagten wir zu. Als wir dann vor einem Lokal am Camino Real anhielten, über dessen Eingang in Riesenbuchstaben “Harry’s Hofbräu” zu lesen war, jubelte mein bayrischer Kern unter meiner latino Schale. Die Einrichtung war eine solide Nachahmung alpenländischer Bauernmöbel, aber als Zugeständnis zur amerikanischen Esskultur war das Restaurant zur Selbstbedienung eingerichtet. Wir stellten uns also in die Schlange der Gäste und während wir uns Schritt für Schritt der Theke mit den verschiedenen Schmankerln näherten, verspanischte ich José, die in deutscher Sprache auf Holztafeln gemalte Speisekarte.
Hinter der Theke arbeiteten wie überall in Kalifornien Mexikaner. Sie flachsten begeistert mit uns in lateinamerikanischer Norm-Lautstärke und berieten uns bei der Auswahl des Menus. Unsere Diät aus Hamburgern hatte mich sehr anfällig für kulinarische Genüsse gemacht und so kam ich mit einem reichlichen Sortiment weissblauer Delikatessen schliesslich bei der wohl etwas erstaunten Kassierin an. Sie thronte hinter der Kasse am Ende der Theke auf einem ein wenig überhöhten Hocker und sah mit kritischem Blick auf den Essensberg auf meinem Tablett herunter. Ihre Brustwarzen stachen in ein blendend weisses T-shirt mit dem herausforderden Aufdruck:
“Fix me up with a rich German.”
“Was ist wichtiger, dass der Mann Deutscher ist, oder dass er reich ist?”fragte ich sie.
“Deutscher muss er sein. Reich kann er ja noch werden.” antwortete sie lachend.
“Junge Dame, hier haben Sie ihren Deutschen”, sagte ich und warf mich in die Brust.
“Nein, mein Herr, Sie sind Mexikaner”, meinte sie.
“Sehe ich wie ein typischer Mexikaner aus”, fragte ich überrascht.
“Nein, das nicht, aber sehe ich wie eine typische Französin aus”, gab sie zurück.
Die Frage gestattete mir sie ungeniert vom Kopf bis Fuss zu mustern. Sie war genau das, was ich als Nachspeise gerne gehabt hätte.
“Nein,” sagte ich nach einigem Überlegen.
“Na also”, meinte sie, “aber ich bin Französin und Sie sind Mexikaner.”
“Ok, nehmen wir an ich sei Mexikaner. Was ist denn der Unterschied zwischen einem Deutschen und einem Mexikaner, der wie ein Deutscher aussieht?”
“Das weiss ich nicht. Noch nicht.”
“Das sollten Sie unbedingt herausfinden. Um wieviel Uhr hole ich Sie hier ab?”
“Um 7Uhr beginnt die Spätschicht, da kommt meine Ablösung.”
“Okay, 7 pm.”
Noch während ich grinsend mein Tablett zu dem Ecktisch balanzierte, den meine Kollegen bereits in Beschlag genommen hatten, begann ich an der Logistik zu feilen, die diese wohl etwas übereilte Verabredung erforderte. Ich musste ein Auto mieten. Wie käme ich sonst am Abend zu Harry’s Hofbräu? Die gehortete Auslöse musste herhalten. Meine Fantasie eilte weit voraus und arbeitete bereits an den Details eines zweiten Rendevouz mit Strandbesuch gefolgt von einem Abend in San Francisco beim Pier35. Und danach... wow!
Immer noch grinsend setzte ich mich an den Tisch und riskierte, während ich das Tablett absetzte, nochmals einen Blick zur Kasse. Die Venus auf dem Hocker sah zu mir und winkte. Fast hätte ich das Tablett fallen gelassen um schnell genug zurückwinken zu können. Freudig erregt, trank ich einen langen Schluck aus der Flasche von “Harry’s Wicked Ale” und sah truiumphierend in die Tischrunde. Ausser José schien niemand beeindruckt von meinem Blitzerfolg. Im Gegenteil es herrschte betretenes Schweigen. Aber kaum hatte ich den ersten Bissen in den Mund geschoben, als mir John beschwörend die Hand auf den Arm legte und mit gewichtigter Stimme sagte:
“Alex, don’t mess with that woman – lass die Finger von der Frau!”
Ich war starr. War sie vielleicht die Geliebte des Chefs des lokalen Drogenkartells? Nein, dann würde sie kaum arbeiten. Blödsinn, wie kam ich nur darauf. Aber vielleicht war sie die Feundin eines gefährlichen Bandenmitglieds. Kaum, sie sah nicht so aus, als würde sie sich mit solchen Leuten abgeben.
AIDS?
“United States,
AIDS, AIDS
United States”, reimte ich.
Bestimmt war sie eine stadtbekannte AIDS Patientin. Du lieber Himmel, die Gefahren lauerten überall in diesem unbegreiflichen Land, in dem bekanntlich nichts unmöglich ist.
Verstohlen wandte ich den Kopf zur Kasse. Wieder begegneten sich unsere Blicke. Das Mädchen lächelte, ich fletschte die Zähne. Dennoch, wie um mich zu vergewissern, dass ich durch diese Warnung gerade noch einem frühzeitigen Tod entronnen war, fragte ich:
“Warum, was ist mit ihr?”
“Mann, bist du blind? Sie ist eine Schwarze.”
“Afro-American,” verbesserte Marvin, geschockt von John’s Grobheit.
Ich lächelte einfältig und sagte:
“Nein, sie ist Französin.”
“Und sehr gut gebaut”, fügte José genüsslich hinzu.
John schüttelte verständnislos den Kopf. Es stimmte also doch, was man von den Latinos im Film sah. Sie schrecken eben vor gar nichts zurück.