Veröffentlicht: 01.02.2023. Rubrik: Nachdenkliches
Zigeunersoße für den schwarzen Michael
Ich bin in einem Dorf irgendwo zwischen Hannover und Bonn geboren. Ich liebe die Landschaft, die Weitläufigkeit, die Tiere und auch die Menschen. Es ist meine Heimat, mein Zuhause. Dieser
Landstrich wird auch als der Schweinegürtel Deutschlands bezeichnet. Dort leben mehr Schweine als Menschen, die Migrationsrate ist gering und bei der letzten Landtagswahl wählten über 70% die CDU. „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, pflegen einige meiner Freunde, die
nie aus diesem Dorf herausgekommen sind, zu sagen. Als ich 18 war, hätte ich dem beigepflichtet. Und in mancher Hinsicht mag das stimmen, jedoch nicht im Hinblick auf Alltagsrassismus und Diversität. Seitdem ich vor einigen Jahren allein in die Stadt zog, hat sich meine Welt und meine Sicht auf viele Dinge stark verändert. Erst vor 3 Wochen besuchten meine Freundin und ich, welche gebürtig aus der Stadt kommt,
eine Karnevalssitzung in meinem Heimatort. Dort hatte sich der Moderator komplett schwarz angemalt und trug einen Bauchladen voller Sonnenbrillen mit sich herum. „Ist das jetzt sein Ernst?“, kommentierte meine Freundin zurecht. Ich hatte keine Antwort auf ihre Frage. Vor
zehn Jahren wäre es mir gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich wollte der Moderator, welcher nebenbei bemerkt der Geschäftsführer der örtlichen Supermarktkette ist, keine Schwarzen diskriminieren.
Er hat einfach nicht darüber nachgedacht, es war ihm egal. Sich als Strandverkäufer zu verkleiden, schien für ihn eine äußerst lustige Idee gewesen zu sein.
Dieses Beispiel spiegelt das Problem gut wider. Rassismus und Diversität spielt in dem Leben dieser Leute eine verschwindend geringe Rolle. Sie sind in der Regel privilegiert aufgewachsen, weiß, heterosexuell und konservativ. Alles Neue und Andere wird zunächst
skeptisch beäugt. Für sie hat es bisher immer so funktioniert. Deshalb sollte man aber noch lange nicht alles hinnehmen und tatenlos zusehen.
Oma sollte lernen Schokokuss zu sagen, der Bänker sollte sich nicht mehr schwarz anmalen und Opa muss endlich einsehen, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Die Mehrheit der
Deutschen lebt heutzutage zwar in der Stadt, über ein Drittel siedelt allerdings ländlich. Wer korrigiert diese Menschen, rüttelt sie wach, regt zum Nachdenken an? Garantiert, kein sich
überlegen fühlender außenstehender, der verurteilt und belehrt.
Die Antwort lautet: wir. Menschen wie Du und ich. Alle jene, die vom Land in die Stadt gezogen sind, sich anders sozialisiert haben, aber noch immer gerne in ihre Heimat fahren. Wir müssen
die liebevollen Nervensägen sein, die den betrunkenen Onkel auf der Familienfeier unterbrechen. Wir müssen diejenigen sein, die Oma und Opa dutzendfach erklären, warum
das Wort "Zigeuner" nicht mehr zeitgemäß ist. Die Veränderung muss aus ihrer Mitte kommen. Sonst wird die Einstellungskluft nur noch größer. Denkt gerne darüber nach, wenn Ihr zu Ostern oder Kraneval in Eure Dörfer zurückkehrt. Die Menschen auf dem Land dürfen in der gesellschaftlichen Entwicklung nicht zurückgelassen
werden, auch wenn es nervt. Lasst uns gemeinsam versuchen, die ländlichen Gegenden in den gesellschaftlichen Wandel zu integrieren und zusammen damit die Welt ein Stück diverser
machen.