Veröffentlicht: 26.11.2020. Rubrik: Menschliches
Durch Himmel und Hölle
Dennis war ein leichtsinniger, fröhlicher und aufreißerischer Zeitgenosse. Er wischte auf Tinder mal diese, mal jene von links nach rechts, so wie es ihm passte. Es war fast schon wie eine Sportart für den Studenten. ‚Zu dick, zu groß, irgendwie nicht mein Typ, ih voll viele Piercings und Tattoos.‘ dachte er still in sich hinein. Er war wählerisch und äußerst oberflächlich, aber darum ging es ja auch auf der Plattform. Sie war für ihn, makaber ausgedrückt, wie ein großer Markt für Menschen, die es in vielen Farben, Größen, Formen und Variationen gab. Man musste sich nur den Richtigen aussuchen und hoffen, dass die Person gegenüber genauso dachte.
„Oh, die ist ganz süß.“ nuschelte er in sich hinein und betrachtete die Fotos die vor ihm aufploppten. Die breit grinsende, junge Frau auf dem Foto hieß Clara und war 21 Jahre alt.
Sie war wie für ihn gemacht. Blond, sportlich, niedliches Gesicht und laut ihrer Beschreibung schien sie intelligent und humorvoll zu sein. Er wischte sie nach rechts, Treffer! Sie mochte ihn auch!
Verdammt... jetzt ruhig bleiben... „Wie schreibe ich sie am besten an?“
fragte Dennis seinen Mitbewohner, der währenddessen neben ihm auf dem Sofa saß und irgendein Spiel auf der Playstation daddelte. Dennis hatte schon dutzende Frauen angeschrieben, aber bei manchen war er noch immer leicht nervös.
„Zeig mal her. Die ist hübsch! Aber keine Ahnung. Schreib doch, dass du reich und gut bestückt bist oder so haha!“ scherzte sein Mitbewohner und warf sich nebenbei demonstrativ im hohen Bogen einen M&M in den Mund.
„Laber nicht so einen Müll!“ blaffte Dennis zurück, musste währenddessen aber trotzdem leicht grinsen.
Er überlegte minutenlang, denn so eine hübsche Frau würde sicherlich alle Nase lang angeschrieben.
„Hey Dennis, wie heißt der Hund auf deinen Bildern? Der ist wirklich süß! :-)“
Dennis guckte irritiert auf sein Smartphone. Sie war ihm zuvorgekommen und hatte ihm diese Nachricht gesendet. Er traute seinen Augen kaum, war aber äußerst positiv überrascht.
In den nächsten Tagen schrieben die Beiden beinahe von morgens bis abends. Sie gefiel ihm immer besser und schon bald waren alle anderen Frauen vergessen.
Als sie sich ein paar Wochen später dann das erste Mal trafen, war es als würden sie sich schon Jahre kennen. Das erste Date lief sehr gut. Sie kochten zusammen, lachten viel und unterhielten sich anschließend auf seinem Sofa für knappe 4 Stunden, ohne nebenbei eine Serie oder einen Film laufen zu lassen. Schon von den Dates vorher war ihm klar, dass er beim Ersten auf jeden Fall die Finger von ihr lassen musste, damit etwas ernstes daraus entstehen konnte.
Normalerweise war seine Taktik eine andere. Erst spazieren gehen, dann leckeres Essen bestellen, einen Tee anbieten, einen Roggensack warm machen und ihnen anschließend seine dicke Decke überwerfen. Schon konnte er sich an die jeweilige Dame kuscheln und beim TV schauen testen, wie weit er gehen konnte.
Bei Clara war es anders und obwohl sie sich so prima verstanden, machte sie es ihm nicht leicht. Sie ließ ihn zappeln und er geriet mehr und mehr in ihre Fänge. Clara hatte viel zu tun, da sie gerade ihre Bachelorarbeit schrieb, während Dennis mitten im dritten Semester war und bis auf Online-Seminare und Sport eher weniger zu tun hatte. Schon von Anfang an herrschte ein leichtes Ungleichgewicht zwischen ihnen, denn sie war in dem was sie tat herausragend und strebsam, aber Dennis kam für sie nicht an erster Stelle. Eher nach ihrer Familie, ihrer Uni, ihren Freunden und ihrem Sport. Er hingegen war eher ein Durchschnittsstudent und immer zur Stelle, sobald Clara Zeit oder Probleme hatte.
Sie wurden nach einigen Monaten ein Paar. Clara, die durchstrukturierte, äußerst ambitionierte und emanzipierte Alleskönnerin und Dennis der naive, leicht verplante aber mittlerweile sehr hingebungsvolle Ex-Macho. Schon nach so kurzer Zeit konnte er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.
„Hast du diese Woche noch Zeit?“ war der Satz der sein Leben bestimmte. In den allermeisten Fällen bekam er „Ja vielleicht Mittwoch Abend für ein paar Stunden.“, oder „Samstag Mittag eventuell.“ zu hören. Das Ungleichgewicht wuchs in den ersten 3 Monaten rasant. Sie wollte immer mehr ihr eigenes Ding machen und schien sich nicht sonderlich wohl zu fühlen, Dennis hingegen hatte nur noch Augen und Ohren für sie.
So ging das noch ein paar Wochen weiter, bis er eine komische Unruhe in sich wahr nahm. Er war mittlerweile aufgeregt wenn sie sich trafen, konnte nicht mehr richtig einschlafen, aß wenig und wurde im Allgemeinen sehr still. Etwas in ihm brodelte und er wusste nicht, ob es sein Tunnelblick oder die wenige Mühe und Hingabe ihrerseits war. Aus dem fröhlichen, leicht verplanten und naiven jungen Mann, war ein armer Tropf geworden, der dem Bild einer Frau hinterhereiferte, für die er anscheinend nicht das Wahre war. Das wurde ihm nach einer weiteren schlaflosen Nacht auf einmal klar.
Er machte Schluss mit ihr. Aus reinem Selbstschutz wie ihm schien und die folgenden Monate waren die Hölle auf Erden für den jungen Mann. Sie wollte mit ihm zusammen bleiben, aber jedes Mal wenn sie sich nach ihrer Trennung trafen, brodelte wieder diese Aufregung in ihm hoch. Er hatte sich zu sehr auf sie eingeschossen und sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wer die Tragödie im Endeffekt zu verantworten hatte, war völlig irrelevant, denn die Würfel waren gefallen.
Irgendwann, ein paar Monate später, saß Dennis neben seinem Mitbewohner auf der Couch und wischte gelangweilt durch Tinder. Auf einmal ploppte das Profil von Clara auf, die sich anscheinend auch wieder ins offene Meer begeben hatte. Schlagartig stieg Panik in ihm auf, er schaute sich ihr Profil an und wischte sie zitternd nach links. Alles was er in den letzten Monaten verdrängt hatte, sowohl die schönen als auch die schlimmen Momente, schossen ihm in der kurzen Zeit blitzartig in den Kopf. Er hatte dazu gelernt. Nie wieder würde er sich so sehr in einer Frau verlieren, die nicht dasselbe für ihn empfand, wie er für sie.
Das nächste Profil ploppte auf. „Oh, die ist ganz süß.“ nuschelte Dennis in sich hinein. „Zeig mal her!“ sagte sein Mitbewohner, der gerade wieder M&Ms, oder sogar noch die gleiche Packung M&Ms aß.
Ein neuer Anfang kann auch ein neues Ende bedeuten.