Veröffentlicht: 17.11.2022. Rubrik: Nachdenkliches
Texas ´79
Seit vier Monaten lebte Olga nun schon bei ihrer texanischen Gastfamilie. Gleich nach dem Abitur hatte sie beschlossen, für ein ganzes Jahr nach Amerika zu gehen, um sich mit dieser faszinierenden Zivilisation auseinanderzusetzen. In ihrer spanischen Heimat wurde sie streng im katholischen Glauben erzogen und besuchte natürlich jeden Sonntag den katholischen Gottesdienst. Die katholische Gemeinde in der kleinen texanischen Stadt war recht groß, obwohl es noch etliche andere Religionsgemeinschaften zur Auswahl gab. Der Gottesdienst unterschied sich auch nicht wesentlich von dem in Madrid und Olga war froh, eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Kulturen gefunden zu haben. Dann, eines Sonntags kam es zu einem merkwürdigen Zwischenfall.
Der Gottesdienst hatte schon begonnen, als eine Familie mexikanischer Abstammung die Kirche betrat. Schnell setzten sie sich in die hintere Reihe, wo noch ein paar Plätze frei waren. Sofort ging ein Raunen durch die Gemeinde, die Nachzügler wurden mit bösen Blicken bedacht und der Geistliche musste seine Predigt für einen Moment unterbrechen. Nach dem Gottesdienst, beim Verlassen der Kirche traf Olga ihren Schulfreund Tim und bemerkte hinter vorgehaltener Hand: „Ist schon ziemlich peinlich, zu spät zum Gottesdienst zu kommen, aber die Reaktion der Leute fand ich ein wenig übertrieben.“ Tim lachte verlegen und erwiderte: „Die Verspätung war nicht das Problem. Die Leute haben sich einfach auf die falsche Seite gesetzt. Rechts sitzen die Weißen, links alle anderen.“