Veröffentlicht: 15.09.2022. Rubrik: Lustiges
Republik versus Monarchie
Sandra war eine überzeugte Anhängerin der republikanischen Staatsform. Diese Haltung versuchte die Alleinerziehende auch ihren Zwillingstöchtern Anna und Emilia zu vermitteln. Leider war ihr eifriges Bemühen nicht nur erfolglos, sondern vermutlich sogar kontraproduktiv. Die Zehnjährigen schwärmten für alles, was mit gekrönten Häuptern zusammenhing.
Als Anna und Emilia noch jünger waren, hatte jede der beiden sogar davon geträumt, einen Prinzen zu heiraten. Da Sandra ihnen diese Idee nicht mit staatsbürgerlicher Erziehung hatte austreiben können, hatte sie schließlich zu einem anderen Argument greifen müssen: „Dann müsstet ihr höchstwahrscheinlich eine andere Sprache lernen. Und ihr stöhnt doch schon über den Englischunterricht in der Schule.“
Das wirkte, aber die Begeisterung der Mädchen für royalen Pomp blieb bestehen. TV-Übertragungen von Hochzeiten oder Trauerfeiern in europäischen Monarchien waren für sie der Hit und für Sandra der Horror. „Guck mal, Mama, die tolle Kutsche! Und die Pferde! Warum hat unser Bundespräsident das nicht?“
„Seid froh und dankbar, dass wir eine Republik sind. Sonst müssten wir Steuerzahler für den ganzen Prunk aufkommen.“
„Aber Mama, in den meisten Monarchien in Europa sind die Bürger doch sehr reich. Bezahlen die Könige den Prunk nicht selber? Wenn nicht, dann kann er zumindest nicht so viel kosten, dass die Bürger dadurch arm werden.“
Eines Tages bekam Sandra eine schwere Grippe. Ihre Mutter, die Oma der Zwillinge, kümmerte sich um alle drei. Beunruhigt fragten die Mädchen sie: „Ist Mama in Lebensgefahr?“ Nein, so schlimm sei es nicht, antwortete die Großmutter, aber so ungefähr eine Woche würde die Krankheit bestimmt noch dauern.
Anna fragte Emilia: „Können wir ihr irgendwie helfen? Sie mit irgendwas erfreuen?“
„Erfreuen? Am meisten würde sie sich bestimmt freuen, wenn wir ihre Meinung zur Republik übernähmen. Aber da müssten wir lügen. Wir sind nun mal Royalistinnen!“
„Ja, aber gibt es nicht vielleicht doch irgendetwas, was an einer Republik besser ist?“
Eine halbe Stunde später traten die Mädchen ins Schlafzimmer der Mutter. „Mama, bist du wach?“, fragte Anna. „Uns ist gerade etwas eingefallen, was an einer Republik tatsächlich besser ist als an einer Monarchie.“
Ungläubig schaute die Grippekranke die beiden an. War es ein Fieberwahn? Nein, sie war sicher, dass Anna wirklich diese Worte gesprochen hatte. „Was meint ihr damit?“, fragte sie mit dem Anflug eines hoffnungsvollen Lächelns.
Jetzt redete Emilia. „Unser jetziger Bundespräsident gefällt uns zwar sehr gut, aber es könnte ja sein, dass wir mal einen fiesen bekommen. Und einen fiesen Bundespräsidenten wird man leichter los als einen fiesen König.“