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4xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Leandra (Leandra).
Veröffentlicht: 11.08.2022. Rubrik: Persönliches


Toni und ich

Sie hält nach einem Tisch ausschau, unschlüssig, scheinbar cool, und rückt dann in meiner Nähe einen Stuhl zurecht. Es sind ja genügend Tische frei. Sie sitzt so, dass sie mich im Augenwinkel behalten kann. Filipe hat sie beobachtet und kommt mit freundlichem Lächeln auf sie zu. Er hat genügend Erfahrung, um zu wissen, dass sie allein ist und bleiben wird. Wahrscheinlich liest er noch mehr in ihrem Gesicht. Sie bestellt etwas, und Filipe taucht bald wieder mit Kaffee auf.

Sie starrt Richtung Meer, über die leere Promenade hinweg, und ab und zu spüre ich ihren Augenwinkelblick. Sie denkt, dass ich lese. Offenbar ist sie noch nicht lange hier, ihre Haut zeigt weder Bräune noch Röte. Ob sie zum ersten Mal allein Urlaub macht? Dafür, finde ich, schaut sie zu finster drein.

Ich lasse ihr noch ein wenig Zeit. Sie ist hübsch. Naturblond, hellblaue Augen. Die Lippen etwas schmal, die Oberschenkel ziemlich kräftig. Ihr Lächeln hat sie noch nicht gezeigt, damit könnte sie punkten. Was mich anzieht, ist ihre Ausstrahlung von Sinnlichkeit, die ich aber nur intuitiv wahrnehme.

Nein, sie erwartet nichts und niemanden. An ihrem Kaffee nippt sie reichlich oft, vermutlich aus Verlegenheit, eher nicht aus Langweile.

10 Minuten oder so, nach gefühlt der passenden Zeit jedenfalls, stehe ich auf und frage sie an ihrem Tisch, freundlichst lächelnd und leise: „Möchtest du dich vielleicht zu mir setzen?“ Minimalangebot ohne Erklärung, neutral beinahe, aber sie ergreift meine Hände mit erleichterter Dankbarkeit. Nein, nicht wirklich, aber nachdem ihr innerer Virenscanner OK signalisiert hat, werde ich zur Freundin ihres Vertrauens, bevor es ihr bewusst wird.

„Mein Freund ist abgehauen. Zurückgeflogen. Er ist schon wieder zu Hause. Wir hatten Zoff.“
Ich sage nichts, sie soll erzählen. Es zuckt um ihren Mund. Sie möchte weinen und traut sich nicht. Der See voll Traurigkeit in ihr wird bald überschwappen, eine Sache von Minuten. Sie kriegt noch heraus, wie sie heißt. Toni. Dann vergräbt sie ihr Gesicht in den auf dem Tischchen liegenden Armen und schluchzt, sodass es sie schüttelt.

Ich streiche mit meiner Hand über ihren Rücken, der sich unrhythmisch auf und ab bewegt. Aus taktvoller Entfernung beobachtet Filipe die Szene, nicht neugierig, eher mitfühlend. Ich deute auf die leeren Gläser am Nachbartisch, in denen hatte er den Gästen Orangenlikör serviert. Filipe versteht, dass Kaffee hier nicht hilft.

Als das süße hochprozentige Zeug auf unserem Tisch steht, hebt Toni ihr verheultes Gesicht. Ein kurzer verlegener Augenkontakt mit mir findet Zustimmung: Ja, meine Liebe. Ich bleibe, ich schenke dir Zeit und höre dir zu.

Sie haben sich also getrennt, weil er in diesem Urlaub eine Art Zukunftsversprechen von ihr wollte. Ihm schwebte etwas wie eine Verlobung vor. Ihre Reaktion darauf fiel so aus, dass ihm die Hoffnungslosigkeit seines Ansinnens wie Blei aufs Herz viel. Toni hatte auf ein paar sorglos gemeinsame Urlaubstage am Meer gehofft, wobei sie sie gern seinen männlichen Wünschen entgegenkam. Überhaupt war Alleinreisen nicht ihr Ding.

So einfach lagen die Dinge also, in meinen Augen. Und ihre Augen vertieften sich immer länger und immer öfter in meinen. Hilfesuchend und/oder liebesuchend oder beides.

Ich fasse ihre Hand, die sie mir entgegenkommend überlässt. Wenn Toni wüsste, wie viel Erotik in der Berührung einer Hand liegt! Ihre Hand teilt mir alles mit, alles, was sie bisher an Liebe gegeben/vergeben hat. Ich spüre auch die Männer, die sie erkundet hat und auch die sich selbst bereiteten Erregungen. Und die Lust, ihre Finger auf meinem Körper genießen zu dürfen, wächst.

Toni erzählt. Toni heult. Und ich komme bald dahinter, dass sie sich selbst beweint. Sie weint nicht ihrem Jonas hinterher, ihr Stolz, ihre Eitelkeit haben einen Knacks erlitten. Jonas war kein Bestandteil ihres Lebensplans. Somit ist dieser "Schluss" ein endgültiger, es besteht nicht im Hintergrund die Hoffnung auf eine Neuauflage der Beziehung. Toni räumt ihr Herz auf, und das dauert. Und dann kommt nichts mehr, wohl auch, weil sich in ihrem Hirn inzwischen Nebel ausbreitet. Die Dämmerung haben wir kaum registriert, die Strandurlauber nehmen einen Drink vor dem Abendessen.

Toni ist kaputt, zerquetscht sozusagen zwischen Trennungswut und dem Bedürfnis nach meiner Nähe, und im Dunst des orangenen Likörs wabert die Vorstellung eines komfortablen Bettes.

„Möchtest du diese Nacht bei mir im Hotel schlafen?“
„Ja, wenn das geht...“
„Du holst dir, was du für die Nacht brauchst, und ich melde dich an. Ich habe ein Bett für 2, ein Doppelzimmer. Morgen sehen wir weiter.“

Toni schafft es, ein paar Utensilien herbeizuschaffen. Wir melden sie an der Rezeption an und dann führe ich sie in mein Zimmer. „Schön“, sagt sie, und „Danke“. Für Toni ist der Abend gelaufen.

„Soll ich dich ausziehen?“, biete ich ihr an.
Toni zieht sich noch selbst ihr Sonnenkleidchen über den Kopf und tauscht es gegen T-Shirt und kurze Pyjamahose. Sonnenölduft. Sie duftet trotz allem gut. Ihre Verweildauer im Bad – höchstens 3 Minuten.

„Danke“, flüstert sie noch einmal und sieht mich dabei matt an.

Dann schmeißt sie sich aufs Bett, vielleicht sinkt sie auch einfach nur darauf, zieht ungeschickt an der dünnen Decke und bleibt halbwegs unbedeckt – und bald signalisieren tiefe Atemzüge, dass Morpheus sie in seinen Armen wiegt.

Ich setze mich in das kleine Sesselchen neben meinem Schreibtisch, um die Situation zu bewerten. Der Abend ist noch früh, aber aufs Abendessen kann ich gut verzichten. Ich bleibe bei meiner „Eroberung“ , beschließe meiner Bettschwere mit dem Whisky nachzuhelfen, den ich in meinem Kleiderschrank deponiert habe.

Das Schicksal hat mir ein Abenteuer herbeigeweht, oder eine angenehme Gesellin, oder eine Freundin, bei der ich gleich schlafen werde. Jedenfalls werde ich mich nicht allein in meinem Bett herumwälzen, ich werde ihre Körperwärme wahrnehmen, ihren Atem, ihre Schlafgeräusche, ihren Geruch. Ja, ich werde schlafen, und beobachten, wie sie vom nächsten Tag überrascht wird.

Das Drehbuch für den Film, den ich erlebe, kann ich weiter schreiben und die Regie führen. So glaube ich jedenfalls.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Nordlicht am 12.08.2022:

Sinnliche Geschichte über zwei einsame Seelen.

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