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geschrieben 2022 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 15.06.2022. Rubrik: Unsortiert


Der elektrische Stuhl

Morgen um sechs Uhr früh soll meine Zwillingsschwester Brenda, die stets ihre Unschuld beteuert hat, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden. Für zwei Morde, die sie meiner festen Überzeugung nach gar nicht begangen haben kann.

Unser US-Bundesstaat ist einer der wenigen, die für die Vollstreckung der Todesstrafe noch dieses grausame Gerät verwenden. In drei Monaten wird der jetzige Gouverneur vermutlich abgewählt und will bis dann noch alle drei Todeskandidaten hinrichten lassen, denn sein voraussichtlicher Nachfolger will nicht nur den elektrischen Stuhl, sondern die Todesstrafe als Ganzes abschaffen. Unser nur dreißig Kilometer entfernter Nachbar-Bundesstaat hat dies schon längst getan.

Ich, Moira, wurde nur wenige Minuten vor Brenda geboren, fühle mich aber als die Ältere und will sie beschützen. Daher bin ich, als der Hinrichtungstermin feststand, ein großes Wagnis eingegangen. Ich konnte dies nur tun, weil die Gefängnis-Mitarbeiterin Kathleen, die von Brendas Unschuld überzeugt ist, uns geholfen hat und damit ihren Job und wahrscheinlich ihr Leben riskierte.

Heute, am Tag vor der geplanten Hinrichtung, durfte ich Brenda ein letztes Mal besuchen. Wir sind eineiige Zwillinge. Im Beisein von Kathleen haben wir die Kleidung gewechselt. Brenda verließ als Moira das Gefängnis und stieg in ein von mir organisiertes Taxi, um in den Nachbar-Bundesstaat zu fahren. Ich blieb als Brenda in der Zelle.

Abgemacht haben wir, dass meine Schwester, sobald sie vor der Todesstrafe in Sicherheit ist, das Gefängnis anruft und alles erläutert, natürlich ohne unsere Helferin zu nennen. Kathleen wird mich benachrichtigen (ein eigenes Handy habe ich in der Zelle ja nicht). Ich werde dann wahrscheinlich wegen Gefangenenbefreiung verurteilt, worauf aber nicht die Todesstrafe steht – und im Übrigen setze ich meine Hoffnung auf den erwarteten neuen Gouverneur.

In dem äußersten Notfall, dass man mich als Brenda hinrichten will, könnte ich meine Identität nachweisen: Brenda hat eine Narbe am Bauch, ich nicht.

Jetzt ist Brenda schon eine Stunde weg! Müsste sie nicht längst im Nachbar-Bundesstaat sein? Ich werde unruhig. Als Kathleen die Zelle betritt und mit einem seltsamen Gesichtsausdruck sofort die Tür wieder hinter sich schließt, schaue ich sie angstvoll an.

„Leider kam noch kein Anruf. Aber ich habe trotzdem eine, nun ja, relativ gute Nachricht. Die Hinrichtung kann morgen nicht stattfinden, da der elektrische Stuhl defekt ist!“

Ich starre sie an. „Ja“, berichtet sie, „er muss vor jeder Hinrichtung genauestens überprüft werden, und während unsere Experten dies taten, hat der Stuhl auf einmal seinen Geist aufgegeben. Sofern man das bei diesem Teufelsding so sagen kann. Die Experten bezweifeln, dass man ihn reparieren kann. Sowieso bekommen wir ja vermutlich bald einen neuen Gouverneur, der ihn eh verschrotten würde.“

Plötzlich bekomme ich einen Weinkrampf. Schluchzend stoße ich hervor: „Ich fühle, dass Brenda etwas zugestoßen ist… auf der Flucht vor dem elektrischen Stuhl. Wäre sie hiergeblieben, könnte er ihr nichts mehr anhaben.“ Kathleen umarmt mich schweigend und geht hinaus.

Zwei Stunden später kommt sie zurück. Mit Tränen in den Augen sagt sie: „Mein Beileid, Moira. Ich habe von der Polizei erfahren, dass Brendas Fahrer zwei Kilometer vor der Grenze die Kontrolle über sein Taxi verloren hat. Es stürzte einen Abhang hinunter. Beide Insassen müssen sofort tot gewesen sein. Die Uhr des Taxis wurde bei dem Unfall zertrümmert und ist bei fünfzehn Uhr zwanzig stehen geblieben. Falls es dich tröstet: Wäre Brenda hiergeblieben, wäre sie wahrscheinlich hingerichtet worden. Als der irreparable Defekt an dem elektrischen Stuhl eintrat, war es nach dem Protokoll unserer Mitarbeiter fünfzehn Uhr dreißig.“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Belix am 17.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Hallo liebe Christine Ich verstehe da was nicht. Brenda sollte morgen um sechs uhr hingerichtet werden. Der Stuhl ging am Vortag um 15:30 kaputt. Aber dann stimmt doch die folgende Aussage nicht: "Wäre Brenda hiergeblieben, wäre sie wahrscheinlich hingerichtet worden. Als der irreparable Defekt an dem elektrischen Stuhl eintrat, war es nach dem Protokoll unserer Mitarbeiter fünfzehn Uhr dreißig." LG Belix




geschrieben von Christine Todsen am 17.06.2022:

Hallo Belix, das ist ja gerade die Pointe. (An alle, die die Geschichte noch nicht kennen: Bitte hier nicht weiterlesen!) Aus dem zuvor Gesagten geht hervor, dass Brenda um 15:20 bei dem Autounfall verstarb. Um 15:30 ging der elektrische Stuhl kaputt > Brendas Geist hat dies vollbracht! LG Christine




geschrieben von Belix am 18.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Ok, wir müssen darüber reden. Erstens wurde bei dem Vorgang auch der Taxifahrer getötet der mit Sicherheit auch drei kleine Kinder hinterlässt und am Anfang sagst Du das Brenda die Morde nicht begangen haben KANN, aber wieso und warum, da lässt Du deinen Leser im Unklaren. Wirklich liebste Grüße BELIX




geschrieben von Christine Todsen am 18.06.2022:

Hallo Belix, ein Autor muss nicht alles bis ins Kleinste schreiben. LG Christine




geschrieben von Stephan Heider am 19.06.2022:
Kommentar gern gelesen.
Da gibt es nichts zu reden, Belix. Das Werk eines Autoren ist sein geistiges Gut. Man kann es gut finden oder nicht. Anregungen und Tipps geben. Aber mitreden macht es zum Konsens. Die Magie des kreativen Schreibens ist das Gegenteil. LG Stephan

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