Veröffentlicht: 10.06.2022. Rubrik: Kinder und Jugend
Die Abenteuer der kleinen Biene Misses Bee
Hallo, mein Name ist Misses Bee. Eigentlich heiße ich ja richtig Europäische Honigbiene und ich glaube, schlaue Menschen habe mir noch einen Namen gegeben, Atis oder Apis oder so ähnlich. Aber mir ist es eigentlich egal, wie ich heiße. Und lasst euch auch nicht von meiner Anrede täuschen, ich bin auch keine Misses, genauer gesagt ist meine Berufsbezeichnung Arbeiterin. Klingt zwar nicht so aufregend, aber was ich in meinen ersten Lebenswochen so alles erlebt habe, muss ich euch unbedingt erzählen.
Mein Leben begann eigentlich unspektakulär. Ich wurde zusammen mit einer Unzahl von Geschwistern in einem Bienenstock geboren. Als ich noch eine Larve war, hatte ich gehofft, dass aus mir eine stolze Königin wird, aber irgendwie hat das nicht geklappt. Aber wenn ich jetzt so zurückdenke, wäre mein Leben als Königin doch recht langweilig verlaufen und ich hätte auf das alles, was ich bisher in meinem Leben erlebt habe, verzichten müssen. Jedenfalls wurde ich als gewöhnliche Arbeiterin geboren und eigentlich wäre es alleine meine Aufgabe gewesen, zusammen mit meinen Schwestern zur naheliegenden Wiese zu fliegen, dort Nektar von den Blüten zu sammeln und dann wieder zu meinem Zuhause, dem Bienenstock, zurückzufliegen. Dort hätte ich den Nektar abliefern und wieder zu einer neuen Sammeltour losfliegen müssen. So wäre das Tag für Tag gegangen, wenn, ja wenn nicht eines Tages die Neugier mein Leben für einige Tage doch ganz aufregend gemacht hätte.
Es war so ein wunderschöner Frühlingstag, als ich wieder einmal auf dem Weg zu unserer Wiese war. Aber diesmal stand am Rand unserer Wiese so ein Kasten mit vier Rädern. Bis jetzt kannte ich nur unseren Bienenstock, der auch auf vier Rädern stand, aber viel bunter und höher war als dieses Gefährt. Meine Neugier war geweckt. Vorsichtig flog ich den Kasten an und setzte mich auf dessen Rand. Er war auf einer Seite offen und aus dem Innern hörte ich leise Musik. So etwas Ähnliches hatte ich auch schon an unserem Bienenstock gehört, nämlich immer dann, wenn der Mensch, der unser Zuhause gebaut hatte, uns besuchte.
Aber das hier war mir doch neu. Meine Neugier wurde immer größer. Vorsichtig flog ich ins Innere des Kastens. In diesem Moment stiegen zwei Menschen in den Kasten, kurbelten mein Einflugloch zu und plötzlich begann dieser mit einem lauten Brummen sich zu bewegen.
O mein Gott, ich war plötzlich gefangen und ob ich wollte oder nicht entfernte ich mich immer weiter von meiner heimatlichen Wiese und meinem Zuhause. Ängstlich versteckte ich mich in der hintersten Ecke des Kastens. Die Fahrt ging durch Wälder, an Feldern und Wiesen vorbei und endete schließlich nach einer ganzen Weile in einem kleinen dunklen Haus, das so ähnlich aussah, wie die Behausung unseres Menschen.
Ganz vorsichtig kroch ich aus meinem Versteck und flog zu der Stelle des Kastens, in der ich an unserer Wiese hineingeflogen war. Aber was war das? Ich flog gegen etwas Unsichtbares, das hart wie eine Wand war. Bevor ich mich von meinem Schreck erholt hatte, schrie plötzlich eine helle Menschenstimme: „Oh, Hilfe, eine Biene. Paul mach die Scheibe runter, bevor sie mich sticht“ Der zweite Mensch schien meine Anwesenheit weniger zu beeindrucken.
„Immer mit der Ruhe, sie wird dir schon nichts tun“. Im selben Moment verschwand langsam die unsichtbare Wand und ich konnte mich aus diesem für mich doch unheimlichen Kasten befreien.
Uff, das ist ja noch mal gut gegangen! Ich schaute mich um. Oh, ich war wohl immer noch gefangen, aber diesmal in einem noch größeren Kasten. Viele mir unbekannte Dinge lagen fein säuberlich auf einem Tisch und einem Regal. Glücklicherweise entdeckte ich eine kleine Öffnung, durch die ein winziger Sonnenstrahl ins Innere gelangte. Hoffentlich war hier nicht wieder diese komische durchsichtige Wand. Vorsichtig flog ich zu dieser Öffnung. Ein leichter Windzug signalisierte mir, dass ich hier wohl ungehindert ins Freie gelangen würde. Und tatsächlich, ich war endlich wieder frei. Allerdings stand die Sonne schon ziemlich tief und mein Instinkt sagte mir, ich müsse mich schnell auf den Weg zu meinem Bienenstock machen.
Aber oh, Schreck, wo war ich? Überall wohin ich blickte, waren nur größere und kleinere Behausungen der Menschen zu entdecken. Nirgendwo auch nur eine Spur von meinem Bienenstock. Aber wenigstens entdeckte ich eine winzig kleine Wiese unmittelbar am Haus. Da ich Hunger verspürte, flog ich dorthin. Aber was war das? An keiner Stelle der Wiese fand ich auch nur eine saftige Blume. Ich dachte an den leckeren Nektar der Butterblumen auf unserer Wiese und schon begann mein Magen zu knurren. Plötzlich knurrte in der Ferne etwas anderes. Es kam auf mich zu, ein unheimliches Monster mit lautem Krach. Schnell flüchtete ich mich in einen naheliegenden Strauch. Als sich die Maschine, die von einem Menschen geschoben wurde, wieder entfernte, sah ich, wie die Gräser, die eben noch aufrecht standen, plötzlich umgefallen und abgeschnitten waren. Die pure Angst kam in mir auf. Nur schnell weg hier, bevor dieses Monstergerät noch einmal kommt.
So flog ich zwischen den Häusern der Menschen hindurch und suchte eine Stelle, wo ich endlich meinen Hunger stillen konnte. Aber an vielen Häusern der Menschen gab es nicht einmal eine Wiese. So setzte ich mich schließlich auf einen stark duftenden und mit vielen Blüten versehenen Strauch. Endlich konnte ich mich satt essen. Aber der wenige Nektar schmeckte widerlich bitter und schon nach kurzer Zeit wurde mir speiübel. Ich hatte diesen Strauch noch nie gesehen und ich kannte mich gut aus. Denn an unserer Wiese standen viele Sträucher mit leckeren Nektarblüten. Aber diesen Strauch kannte ich nicht und instinktiv flog ich wieder auf.
Mir war noch immer übel, als ich endlich den Rand der Menschenhäuser erreichte. Hoffentlich finde ich jetzt einen Platz zum Ausruhen und Fressen. Und wirklich, wieder entdeckte ich eine grüne saftige Wiese, weit größer als die kleine am Haus der Menschen. Freudig erregt flog ich los. Der Gedanke an leckeren Nektar ließ auch meine Übelkeit verschwinden. Aber was war das, auch hier wieder nur Gräser, Gräser und noch mal Gräser. Weit und breit keine Butterblume oder einer der vielen anderen leckeren Blumen. Enttäuscht setzte ich mich auf einen der vielen Grashalme. Plötzlich erschütterte etwas den Boden. Ein riesiges Tier kam mir entgegen. Ich hatte ein solches Tier schon mal in der Nähe unserer Wiese gesehen. Die Menschen nannten es Kuh. Aber so nah war mir dieses Ungetüm noch nie gekommen. Aber Gott sei Dank übersah mich dieses Tier und trabte laut schmatzend an mir vorbei. Plötzlich klatschte ein dicker Fladen ganz dicht vor mir auf die Wiese. Haarscharf war ich dem Tode entronnen, denn durch diesen dicken Fladen hätte ich mich wohl kaum durchkämpfen können. Und schon kam die nächste Kuh. Nein, hier konnte ich unmöglich bleiben, ohne ständig um mein Leben zu fürchten. Außerdem wurde es langsam dunkel und ich musste mir notgedrungen einen Platz zum Schlafen suchen. Noch nie hatte ich in meinem kurzen Leben außerhalb unseres Bienenstocks übernachtet! Ängstlich versteckte ich mich unter den Blättern einer Brennnessel, die ich am Rand eines alten Kuhfladens fand.
Die Nacht war unheimlich! Sobald es dunkel war, flogen große unheimliche Tiere, die wie Vögel aussahen, lautlos über die Wiese. Ich traute mich kaum zu atmen. Einige von den Tieren umschwärmten die zahlreichen Kuhfladen, wohl in der Hoffnung, dort Beute zu finden. Mein Inneres sagte mir, sei vor diesen großen Fliegern auf der Hut und verstecke dich. So kroch ich noch enger unter die Blätter und schlief schließlich vollkommen erschöpft ein.
Ein dicker Wassertropfen weckte mich am nächsten Morgen aus meinem unruhigen Schlaf.
Wo war ich? Ich schaute mich vorsichtig um. Dann erinnerte ich mich wieder. Ja, ich war hier auf einer recht ungemütlichen und ungastlichen Kuhweide. Ich musste hier weg. Und wieder begann mein Magen zu knurren. Ich schraubte mich in die Höhe und flog weiter. Bald erreichte ich eine kleine Wiese mit vielen bunten Blumen. Juhu, endlich was zu futtern! Übermütig ließ ich mich zu Boden fallen. Aber anstatt auf eine der vielen Blüten zu landen, sauste ich mit vollem Schwung direkt in eine Wasserlache hinein. Hilfe, ich kann doch nicht schwimmen! Mit letzter Kraft rettete ich mich auf einem Binsenhalm. Neben mir im Wasser sah ich plötzlich zwei Glupschaugen, die mich neugierig ansahen. Von meinen älteren Geschwistern wusste ich, dass man sich vor diesen Glupschaugen, die die Menschen Frösche nannten, in Acht nehmen musste. Auch wenn wir zu unserer Verteidigung einen Stachel besitzen, zu nahe durfte man diesen verfressenen Geschöpfen nicht kommen. Doch plötzlich sah ich neben mir zwei knallrote Beine entgegen stampfen und ehe sich die beiden Glupschaugen versahen, landeten sie schon im Schnabel eines großen Vogels, der einen ebenso knallrot war wie seine Beine.
Oh du meine Güte. Hier war ich auch nicht sicher. Obwohl die vielen Blumen auf dieser nassen Wiese leckeren Nektar verhießen, konnte ich hier keine Minute mehr länger bleiben!
Mit letzter Kraft schraubte ich mich in die Höhe und flog weiter. Weit und breit waren jetzt keine saftigen Blumenwiesen mehr zu sehen. Dafür lange Bänder aus grauem hartem Nichts, auf denen viele sonderbare Kisten hin und her fuhren. Dazwischen immer wieder große Flächen hohen Grases, welches aber anders aussah als das Gras auf unserer Wiese. Große fahrende Kästen fuhren über diese Flächen und verspritzen eine trübe Brühe. Mein Instinkt sagte mir, halte dich davon fern. Und so flog ich immer weiter, bis ich endlich einen sonnigen Hang mit vielen blühenden Bäumen entdeckte. Diese Bäume kannte ich auch von meiner Wiese. Man erzählte, dass aus den Blüten dieser Bäume leckere Früchte entstehen. Und wenn diese abfallen und verfaulen, dann können auch wir Bienen davon naschen. Zu meiner Freude entdeckte ich auch unter diesen Bäumen eine wunderschöne Blumenwiese. Unzählige, mir noch unbekannte, Blumen wuchsen unter den Bäumen. Aber im Gegensatz zu den Blüten am Strauch bei den Menschenhäusern schmeckte der Nektar in den Blüten dieser Blumen lecker. Noch nie hatte ich so schmackhaften Nektar genießen können! Ich flog von Blume zu Blume und stopfte meinen hungrigen Magen. Nach einer ganzen Weile setzte ich mich satt und kugelrund auf die Blüte einer größeren Blume. Ich genoss die warmen Sonnenstrahlen, als plötzlich ein starengroßer Vogel auf mich hinunter schoss. Geistesgegenwärtig ließ ich mich von der Blüte fallen und so entging ich um Haaresbreite dem Schnabel des gefräßigen Vogels.
Uff, das war knapp. Vorsichtig schaute ich mich um. Und da entdeckte ich noch viele dieser und anderer Vögel. Große und kleine. Nein, so viele Vögel auf einer Stelle hatte ich noch nie gesehen. Ich kannte zwar aus unserer Wiese einige dieser Vögel, vor denen uns gewarnt wurde, aber so einer Übermacht hatte ich noch nie gegenübergestanden. So leid mir das tat, auch hier musste ich so schnell wie möglich verschwinden. Aber wo sollte ich hin?
Unauffällig umsummte ich die zahlreichen Blumen und Stämme der Bäume und verließ diesen gastlichen, aber für mich zu gefährlichen Ort. Und wieder flog ich über Häuser der Menschen, Seen und einem kleinen Wald. Plötzlich stutzte ich. Sah die große alte Weide nicht genauso aus wie die an unserer Wiese. Ja, sie war es und plötzlich sah ich in weiter Ferne auch den bunten Wagen unseres Bienenstocks. Hurra, ich hatte wieder nach Hause gefunden. Und schon sah ich unsere kleine Wiese und auch meine ersten Geschwister. Erschöpft aber glücklich ließ ich mich auf die erstbeste Butterblume fallen. Und schon kamen Emma, Lisa, Meg und die anderen Bienen meines Stockes auf mich zugeflogen. „Wo hast du denn so lange gesteckt, wir hatten schon Angst um dich!“
„Ja, wenn ich euch erzähle, was ich so alles erlebt habe, werdet ihr staunen!“
„Komm lass uns noch ein wenig Nektar sammeln und dann fliegen wir zurück. Und dann musst du uns alles erzählen“.
Und so kam es, dass in dieser Nacht wohl keine Biene im bunten Bienenstock die Augen zumachte, weil Misses, Pardon Arbeiterin Bee die unglaubliche Geschichte von ihrer Reise durch die Welt immer und immer wieder erzählen musste. Am meisten staunten die anderen Bienen über ihre Erzählungen von den anderen Wiesen, die sie besucht und erlebt hatte, von den eintönigen mit gemähten Grashalmen, von den Wiesen mit den vielen Kuhfladen, von den nassen Wiesen mit den Glupschaugenfröschen und nicht zuletzt von der Wiese mit den blühenden Bäumen. Aber auch von ihrer Freude, wieder zu Hause auf IHRER Wiese zu sein. Und so flog auch sie am nächsten Tag wieder mit allen ihren Geschwistern auf ihre bunte Wiese und sammelte fleißig Nektar.
Aber Nacht für Nacht träumte sie von ihren Erlebnissen und von dem guten Ende, die diese Reise für sie genommen hatte. Und wenn sie nicht gestorben ist, träumt sie auch diese Nacht wieder von ihrem unglaublichen Ausflug in die weite Welt.
Ende