Veröffentlicht: 16.05.2022. Rubrik: Unsortiert
Alles ändert sich......Fortsetzung von Sibylle
Während wir durch die Wälder marschierten, entlang des kleinen Flüsschens, hinauf zum See hatte ich Gelegenheit mehr über die neue Kollegin zu erfahren. Sie war noch nicht lange im Erzieherberuf, ihre Erfahrungen und Kenntnisse beschränkten sich auf das heimische Umfeld. Sie wollte hinaus, die Welt kennenlernen, andere Heime ansehen, mit interessanten Leuten reden, anspruchsvollere Aufgaben übernehmen. Sie war genauso begeistert von der schönen Natur, von der Ruhe, die die Berge ausstrahlten und den Wanderwegen, auf denen es immer wieder neues zu entdecken gab. Pünktlich zum Abendessen versammelte sich die Gruppe im Speisesaal. Gute Gelegenheit für Sibylle sich zu bedanken und lobende Worte an die Jugendlichen zu richten.
Nachdenklich ging ich dann doch den Berg hinunter und war überrascht, dass sich meine Gedanken um die neue Erzieherin drehten. Irgendetwas an ihr ließ mich nicht los. Dabei war sie eher unauffällig, mittelgroß, dunkler Bubikopf, aber eine Ausstrahlung, die mich berührte. Nach langer Zeit, klopfte jemand an meine Tür und brachte eine Saite zum Schwingen, die ich schon längst vergessen hatte. Gefühl! Gespannt verfolgte ich nun jeden Tag, der mich dienstlich mit ihr in Verbindung brachte. Kaum zu glauben, aber ich fühlte mich wohl in ihrer Nähe. Unsere Zusammenarbeit war grandios. Sie war die Harmonie und ich der Steuermann. Eine Kur ging zu Ende, wir hatten Wunder vollbracht. Als sich unsere Gruppen verabschiedeten waren aus Dicken, Dünne geworden, aus Traurigen, Fröhliche und alle waren zufrieden, strahlten uns an.Danke Sibylle, das war eine neue Erfahrung, auf die ich bauen sollte. So begann eine Freundschaft, die mein Leben in ganz andere Bahnen lenkte. Ich tauchte ein in ihre Welt, die Welt der Zwanzigjährigen, voller Kraft und Schwung. Ich habe nicht gewusst, wie es sich anfühlt, wenn man zwanzig ist und frei sein Leben gestalten kann, wenn jeder neue Tag zum Erlebnis wird und auf diesem Weg Menschen kennen lernt, die guttun und über die Stolpersteine helfen. In diesen Jahren hatte mir das Leben viel auferlegt und fast wäre ich daran zerbrochen. Mit eigener Kraft habe ich mich befreit und in Berchtesgaden hat mein Seelchen neuen Mut bekommen. Doch das ist eine Geschichte, die vor Sibylle war, jetzt genieße ich das andere Leben. Ja, ich machte keinen Fehler, als ich mich mit allen Sinnen darauf einließ. Wir hatten uns soviel zu erzählen, Erfahrungen auszutauschen und neue Ideen durchzusetzen. Wir verbanden den privaten Bereich mit unserer Heimerziehertätigkeit und unternahmen fortan Ausflüge und Veranstaltungen, im Rahmen der Therapien, mit den Jugendlichen gemeinsam. Und so wurden wir die besten Freunde, die nach Feierabend das wohlverdiente Bierchen und die heißesten Discos besuchten. So viele unterschiedliche Leute getroffen, interessante Reden und Diskussionen verfolgt, die neusten Charts habe ich in meinem ganzen bisherigen Leben nicht gekannt. Es war alles perfekt, wir verstanden uns blendend. Und doch gibt es Dinge in dieser Welt, die sehr seltsam anmuten und alles wiederum in Frage stellen.
Wie aus heiterem Himmel bekamen wir eines Tages eine Eingebung, dass wir unseren Lebensraum wechseln müssten, damit wir nicht einfältige Erzieherinnen werden, die nichts mehr bewegen wollen. Gelangweilt saßen wir damals in einer Salzburger Disco und überlegten was zu tun ist. Wir waren eigentlich lange genug in den Bergen, nun drängte es uns raus aus der Comfortzone. Wohin soll die Reise gehen? Anderes Ende von Deutschland? Super, das nächste freie Wochenende auf die Autobahn und niemand hielt uns auf. Wir spürten eine andere Welt, ein Gefühl von großer Freiheit. Wir hatten kein spezielles Ziel, für uns war alles interessant. Angefangen von Hamburg nach Cuxhaven. Wir stiefelten am Strand von Duhnen entlang und suchten das Kinder-Kurheim. Endlich tauchte ein rotes Ziegeldach in der Ferne auf. Sybille meinte, dass wir da richtig sind. Es stand auf einer großen sandigen Wiese. Ein schmaler Plattenweg führte uns zu einem flachen, zweistöckigen Fachwerkhaus mit großen Fenstern. Über dem Dach zappelten riesige Kiefernäste im Wind, die zu einer Gruppe knorriger Bäume gehörten. Ja, wir waren willkommen. Mit einem Saisonvertrag fuhren wir zurück in die Berge. Seltsam war uns schon als wir in unser altbekanntes Umfeld zurückkamen. Hatten wir auch alles bedacht, denn, wenn wir die Kurklinik und die phantastische Natur der Alpen verlassen, dann gab es kein zurück mehr. Für mich war das auf jeden Fall ganz klar. Nach der Sommersaison an der Nordsee führt mein Weg nach München. Werde dort eine Ausbildung zur Kosmetikerin machen und den Erzieherjob ganz an den Nagel hängen. Das war schon mal ein Plan. Und dann war es soweit. Alles was wir an Veränderungen eingefädelt hatten begann am letzten Februartag.