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geschrieben 2022 von Bjarne Pfennig (BjarneP).
Veröffentlicht: 13.04.2022. Rubrik: Fantastisches


Das Feuerzepter

Eine rote Kugel glühte an der Spitze des Zepters, umklammert von den knochigen Fingern eines Mannes – auch wenn er im fahlen Blau des Mondlichtes eher einem Gerippe glich. Er war gehüllt in ein schwarzes Tuch, finster wie das Meer, welches nachts an den Klippen bricht, durchzogen mit silbernen Fäden, wie die Gischt, die aus dessen kalten Wogen emporsteigt. Der Mann glitt mit anmutigen Schritten voran, vorbei an Gräbern und den in die Erde eingelassenen Marmorplatten, in denen die Namen der Verstorbenen geschlagen waren.
Der Mann nannte sich Mefal Ellubion, ein Name, auf welchen er während seiner Nachforschungen gestoßen war. Seinen wahren Namen hatte er bereits vor vielen Jahren abgelegt und vergessen – er spielte keine Rolle für ihn.
Ruckartig blieb er stehen und sah auf den Grabstein vor seinen Füßen hinab. Ein warmes Lächeln formte sich auf seinem Gesicht. »Ich war lange nicht mehr hier gewesen«, flüsterte er in sich hinein. »Viel zu lange. Aber ich habe dich nicht vergessen. Ich frage mich …« Er blickte sich um.
Seine Augen huschten wie die eines Katers in der Finsternis über den Friedhof, bis sie an einem Punkt zum stehen kamen. In der Ferne konnte er die Silhouette einer Person erkennen, welche langsam näherkam.
Mefal Ellubion kniff die Augen zusammen. Er wusste, wer dieser Mann war. Er hatte ihn in einer Taverne aufgelesen. Ein Trunkenbold, der mit etwas Geld für fast jede Arbeit zu haben war. Jemand wie er war perfekt für so etwas geeignet.
»Ich habe gewartet, Adhes«, rief Mefal Ellubion, als der Mann näher gekommen war. Er war klein und rund und klapperte mit den Zähnen.
»V-verzeiht mir, Sir«, stammelte er und zog die Nase hoch. »Hab mich verlaufen. Es ist dunkel und …«
»Ich will kein Wort mehr hören. Du hast keine Ahnung, wie wichtig dieser Augenblick sein wird.«
»Wie?« Adhes neigte seinen Kopf und grinste dämlich aus der Wäsche. »Keine Ahnung, was Ihr da sagt. Aber einen hübschen Stab habt Ihr da. Ist das ein Rubin?«
»Der Menmala Hedomen Foltez Neana«, antwortete Mefal Ellubion streng. »Das ist sein Name, gesprochen in der Sprache der toten Götter.«
»Denkt Ihr, dass ich mir sowas merken werde?«
»Es wäre besser … nun, nicht, dass es jetzt noch eine Rolle spielen würde.«
»Was wollt Ihr mir damit sagen?«
»Nichts. Jetzt grab. Ich habe dich nicht ohne Grund in meine Pläne eingeweiht, Adhes, mach dich nützlich und grab.«
»Ich habe keine Schaufel.«
»Dann benutz die Hände.«
»Aber …«
»Habe ich mich nicht deutlich ausgedrückt? Ich will keine Zeit verschwenden.«
»Ja … ja, natürlich.«

Eine Stunde lang trat und kratzte Adhes in der harten Erde herum. Es war eine mühselige Arbeit und er stellte sich nicht sonderlich talentiert dabei an, aber schließlich zeigte sich etwas unter der grauen Erde. Stoff.
Ein Leichentuch.
Adhes wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Hier ist es, Sir. Ich habe es gefunden!«
»Gut. Bring sie her.«
Adhes zog das Leichentuch aus dem gegrabenen Loch hervor und hievte es über seine Schulter.
»Pass auf!«, sagte Mefal Ellubion scharf. »Jetzt öffne es.«
Adhes entfaltete das Tuch und legte den Körper frei. Aus leeren, eingefallenen Augen starrte ihnen ein verrotteter Leichnam entgegen – der Körper einer Frau mit langen braunen Haaren. Es schien so, als hätte die Tote bereits seit langer Zeit in der Erde verbracht, doch sie hatte sich gut gehalten. Der Leichnam war mumifiziert worden.
»Ihr habt mir nicht gesagt, was ihr eigentlich damit vorhabt«, sagte Adhes. »Nicht, dass es mich etwas angeht, aber ein wenig interessieren würde es mich schon. Seit Ihr ein Doktor?«
»Nein.«
»Was ist es dann?«
»Komm her, ich flüstere es dir zu.«
Schulterzuckend trat Adhes an ihn heran.
Alles lief genau so, wie es das sollte. Mefal Ellubion konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Zew Un’Los Neana. Ea Nol Haoe. Umba Ulatis Et’Tessa. Kelequen Aai. Kelequen Aai or’N. Kelequen Aai Aletta.«
»Was? Was redet Ihr da? Wa–«
Mefal Ellubion streckte seinen Arm aus, das Zepter voraus. Er richtete das Juwel auf Adhes, welcher wie zu Stein erstarrt dastand, unbewegt und leeräugig. Sein Blick war fixiert auf das Juwel, als gäbe es nichts anderes, für ihn auf dieser Welt, nichts, was mehr Bedeutung hatte. Nichts, was er mehr liebte. Als wäre es alles, was er sich je gewünscht hatte und all das, was er sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hätte ausmalen können. Der Funke eines Feuers, welches vor Urzeiten erloschen war. Adhes stieß ein erfülltes Seufzen aus und hob eine Hand, um das Juwel zu berühren.
»Wir haben genug Zeit verschwendet«, flüsterte Mefal Ellubion.
Kaum hatte er ausgesprochen, erstarrte Adhes erneut. Er bewegte sich nicht, zuckte nicht, blinzelte nicht, atmete nicht. Wind zog auf und erfasste ihn, brachte ihn in Bewegung und löste ihn von der Erde, verblies seinen Körper wie Asche im Wind. »Leben für Leben. Ein Wesen dringt in die Leere ein und ein anderes wird freigegeben. Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand und Fuß für Fuß.«
Er trat vor den mumifizierten Körper und senkte sein Zepter über ihn. »Felesus Bas Malan. Tassa Gali Elnah. im Namen der Altvorderen Götter. Im Namen des Drachenfeuers. Und in meinem Namen. Kehre zu mir zurück, aus der Leere, aus der Verdammnis!«
Mefal Ellubion trat einen Schritt von der Mumie zurück und beobachtete, was mit ihr geschah.
Der Körper blähte sich auf. Muskeln formten sich und wanden sich wie Riemen um die Knochen unter der trockenen Haut. Knirschend, wie platzendes Leder öffnete sich die Haut, schälte sich ab, wie bei einer Schlange und offenbarte darunter das feuchte rosarote Fleisch, über welches ein neuer, durchsichtiger Hautfilm spannte, welcher fester und dicker wurde und …
Ein Schrei.
Das Leben kehrte in den Leichnam zurück. Sie hatte bereits das Bewusstsein erlangt und fand sich nun bei vollem Verstand dabei wieder, wie sich der Körper aufbaute, die Haut lebendig wurde, die Blässe aus den Augen verschwand und die frischen Lungen sich mit Luft füllten.
Mefal Ellubion biss die Zähne zusammen, als sich der Mensch vor ihm vor Schmerzen wandte und schrie. Es konnte nicht länger als fünf Minuten gewesen sein, doch es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Und als diese fünf Minuten vergangen und die Schreie verklungen waren, sah er vor sich eine junge Frau liegen. Sie konnte nicht älter als zwanzig sein und ihr nackter Körper war schweißgebadet. Schwer atmend lag sie im Moos und zitterte in der Kälte der Nacht.
Mefal Ellubion löste das Tuch von seinen Schultern und bedeckte die Frau damit.

Sie saßen sich gegenüber auf dem Erdboden. Mefal Ellubion hatte der Frau zu essen gegeben und allmählich schien sie sich etwas zu beruhigen. Er wusste, dass es grausam sein musste, wenn man von den Toten aufersteht. Menschen waren so gebrechliche Geschöpfte, das hatte er an eigener Haut erfahren. Die Frau beobachtete ihn und er sah sie an, tief in ihre Augen hinein.
Und mit einem Mal machte sich eine tiefe Wehmut in Mefal Ellubions Herzen breit. »Wer bist du?«, fragte er.
»W-was?«
»Ich will wissen, wer du bist. Es ist nicht die Seele meiner Schwester, nicht die Seele von Aletta, welche in ihren Körper zurückgekehrt ist. Ich weiß nicht, wer du bist, aber du bist nicht Aletta. Also antworte mir, wer bist du?«
Eine tiefe Furcht sammelte sich auf dem Gesicht der jungen Frau. »Mein … mein Name … ist Yosef Ellensand. Ich erinnere mich, dass ich am Nadelberg gearbeitet habe, hoch oben im Norden. Ein Stollen ist eingestürzt. Es … es ist wie ein Albtraum. Ich bin gestorben … ich … ich …« – er fasste sich am Kopf – »... aber … aber … das kann nicht sein, in Tenrirs Namen! Da ist nichts! Es gibt kein Jenseits. Da ist nichts!! Nichts als ein ewiges Schwarzes Meer. Ich konnte nicht atmen. Es war so kalt. Mir war so … schwindelig und es zog mich in die Tiefe hinab. Ich wäre jeden Moment ertrunken. Jeden Augenblick. Die Finsternis fraß mich. Aber dann sah ich ein Licht und ich griff danach. Und dann bin ich hier gelandet. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber du hast mich gerettet. Du hast mir das Leben gerettet!« Er, oder sie, sprang auf und hielt Mefal Ellubion seine Hand entgegen. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann, Herr.«
Mefal Ellubion sah auf die Hand hinab, doch er nahm sie nicht. Es war die Hand seiner Schwester, der Körper seiner Schwester Aletta. »Du bist nicht derjenige, den ich haben wollte«, sagte er kalt.
»Was? W-was redest du da? Verdammt, du meinst doch nicht … Nein! Du … du kannst mich nicht zurückschicken. Das darfst du nicht … bitte.«
Mefal Ellubion stand auf und trat einen Schritt auf sie zu. Das Gesicht der jungen Frau war in Angst verzogen, ihre Augen aufgerissen.
Mefal Ellubion stieß ein enttäuschtes Seufzen aus. »Ein erneuter Fehlschlag, das ist bedauerlich, aber ich werde nicht aufgeben, meine Aletta, Aai Ellubias, eines Tages, eines schicksalhaften Tages, werde ich dich wiederhaben.« Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sein Zepter in die Höhe streckte.

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