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geschrieben 2021 von Bjarne Pfennig (BjarneP).
Veröffentlicht: 25.10.2021. Rubrik: Fantastisches


Der Schatten des Löwen

In Thessalien, am Palast des König Admetos, herrschte Unruhe. Diener rannten umher und trugen Krüge mit Wein, um die Starken und Weisen zu bewirten. Die Generäle und Priester diskutierten lautstark über das Schicksal ihres Königs.
König Admetos selbst saß mit eingefallenen Wangen und blutunterlaufenen Augen auf seinem Thron und beobachtete das Geschehen mit Entsetzen. »Genug!«, rief er. »Haltet alle den Mund. Ich verlange eine klare Antwort; besteht noch eine Hoffnung für mich?«
Die Versammelten starrten ihn an. Ihre Gesichter waren starr. Sie scheuten sich, dem König die Nachricht zu überbringen. Ihnen war allen klar, wie es um ihn stand.
Sie brauchten nicht zu antworten. Admetos seufzte. Selbst er wusste es, auch wenn es schwer war, so etwas einzugestehen.
»Wir werden abwarten, was geschieht«, flüsterte der König, mehr zu sich selbst als zu den Versammelten. »Wir werden abwarten und hoffen.«
Ein Donnern brachte die Luft zum Wallen. Admetos zuckte zusammen. Ein Klopfen an die Tür, wie der nahe Einschlag von Blitzen.
Die Tür sprang auf und mit dem Zugwind trat ein Mann in den Saal ein. Er war groß und bärtig, mit einem Löwenpelz um die Schultern. Sein Gesicht war kantig, wie ein Block aus Granit.
»Wer ist das?«, flüsterte der König zu einem seiner Generäle.
»Ihr wisst es nicht, König? Er ist Herakles, der Sohn des Zeus.«
»U-und was will er hier?«
»Woher soll ich das wissen?«
Admetos richtete sich in seinem Thron auf, räusperte sich. »Guten Tag!«, rief er. »I-ich grüße dich, Herakles. Willkommen in meinem Palast. W-würdet Ihr gerne etwas essen? Trinken?«
Der Halbgott ließ seinen Blick über die Versammelten streifen. »Ja, ich denke, ich nehm gern dein Angebot an.«

Wenig später saßen Admetos und Herakles am vollgestellten Esstisch.
Admetos beobachtete seinen Gast. Er selbst hatte keinen Hunger; die Angst bereitete ihm Bauchschmerzen. Mit den Fingern tippelte er auf dem Tisch herum. »Wie kommt es, dass Ihr hier seid?«, fragte Admetos.
»Ich war auf der Durchreise«, schmatzte Herakles, während er sich ein halbes Huhn in den Mund stopfte, »die Kühe vom alten Eurytos wurden geklaut. Du hast sie nicht zufällig gesehen?«
»Nein.«
Herakles lachte. »Das dacht ich mir.«
Admetos seufzte und ließ seinen Kopf hängen. Er hatte keine Lust auf Witze, er hatte keine Lust auf irgendetwas.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Herakles. »Du siehst nicht gut aus, so blass«
»N-nicht wirklich.« Admetos rieb sich die Stirn. »Heute Morgen hat sich der Himmel geteilt und das Angesicht d-deines Vaters hat zu mir gesprochen. Er meinte, dass er sich bei mir rächen will.«
Herakles stellte den Weinkrug ab, aus dem er gerade trinken wollte und schielte zum König hinüber. »Was hast du getan?«, fragte er.
»E-es ist nicht meine Schuld!«, stammelte Admetos. »Da war dieser Kerl, Prometheus, der hat mir das Teil hier verkauft.« Er zog ein kleines graues Gerät aus seiner Tasche. Als er auf einen Knopf drückte, flammte ein kleines Feuer auf.
Herakles strich sich durch seinen Bart. »Hmm. Das ist ganz eindeutig ein Artefakt der Götter. Du hast was, das eigentlich Vater gehört. Das muss ihn verärgert haben!«
»Aber woher sollte ich das denn wissen? Kann ich ihm nicht einfach sein Artefakt zurückgeben? Hier, nimm du es!«
»So einfach ist das nicht«, erklärte der Halbgott. »Zeus ist ein stolzer Gott, der sich nicht mit der über sich gebrachten Schande abgeben wird. Er wird dich in den Hades werfen lassen.«
Admetos erschauderte. »A-aber es muss doch irgendwas machbar sein. Ich will nicht sterben!«
»Nun, du hast mich in dieser schweren Zeit empfangen. Dafür bin ich dir dankbar. Ich schulde dir etwas, Admetos. Zeus wird Thanatos auf dich hetzen. Ich werde den Tod aufhalten.«
»I-Ihr stellt Euch gegen den Willen des Himmelsvaters?«
Herakles zuckte mit den Schultern. »Er wird schon damit klarkommen.«

Die Nacht brach über dem Land hinein und tauchte alles in Schwärze, nur im höchsten Turm des Palastes von Admetos brannte noch Kerzenlicht. König Admetos lag in seinem Bett, auf einem Stuhl daneben saß Herakles und wog eine Eisenkeule, groß wie das Bein eines Ochsen, in seinen Händen.
»Ich hoffe doch, es wird alles gutgehen«, flüsterte Admetos.
»Alles wird …« – Herakles hielt inne, starrte durch das Fenster hinaus – »es ist so weit«, flüsterte er.
Ein Schatten glitt durch die Dunkelheit. Mit dem Wind schwirrte er durch das Fenster hinein, zu dem Bett hinüber.
Admetos zitterte und zog die Bettdecke über seinen Kopf.
Herakles stand auf. »Thanatos!«, schrie er. »Weiche von dem Mann! Er steht unter meinem Schutz!«
Für einen Moment herrschte stille. Der Schatten hing über Admetos, still und unbewegt; er schien breiter zu werden, zu wachsen, und mit einem Mal stand er mit ihnen im Raum. Thanatos. Mit seinen glühend roten Augen beobachtete er Herakles. Er hatte seine Hände zu Adametos ausgestreckt, zog sie nun zurück und verschränkte sie hinter dem Rücken.
»Du bist der Sohn des Alten, nicht? Vom Boss? Von Zeus?«
»Mein Name ist Herakles. Und ich werde nicht zulassen, was du mit dem Mann vorhast. Ich werde ihn beschützen, vor deinem kalten Griff!«
»Ich habe meine Befehle bekommen«, seufzte Thanatos. »Weiß Zeus von alledem hier?«
»Der Himmelvater weiß alles!«
»Das war nicht, was ich wissen wolle. Hast du ihm Bescheid gesagt?«
Herakles knirschte mit den Zähnen. »Nein.«
»Dann bleibt mein Auftrag weiterhin bestehen. Ich werde nicht die Sicherheit von mir und meiner verfluchten Familie riskieren, nur damit irgendein durchgeknallter Halbgott seinen Willen durchbekommt.«
Herakles hob seine Keule. »Ich werde nicht zulassen, dass du ihn …«
»Schon verstanden.« Thanatos griff nach Admetos. Der König quiekte, wie ein panisches Eichhörnchen.
»NEEEIN!«, schrie Herakles, als er sich gegen Thanatos warf. Beide brachen durch die Außenwand und stürzten in die Tiefe. Herakles hatte den Tod gepackt und riss ihn mit sich.
Während sie fielen, überlegte Thanatos, ob sich wohl so die Leute fühlen mussten, die er gepackt hatte. Der nächste Gedanke, den Thanatos hatte, war, was Zeus wohl sagen würde, wenn er seinen Sohn umbringen würde. Der letzte Gedanke, den Thanatos hatte, widmete sich dem Boden, der mit ungeheurer Geschwindigkeit auf ihn zuraste.
Er schloss seine Augen.

Ein dumpfer Schrei, dann ein Krachen und Knirschen.
Thanatos öffnete seine Augen. Er stand auf der Erde.
Wenn er hinaufsah, konnte er den Turm sehen, das Schlafzimmer Admetos’.
Wenn er hingegen hinabsah, blickte er auf den Matschhaufen, der einmal Herakles gewesen war; ein Winseln ging von ihm aus – er lebte noch, wenn man es als solches bezeichnen konnte. Thanatos würde ihn nicht mit sich nehmen. Er würde verschwinden, zusammen mit dem König, und Zeus würde nichts haben, worüber er sich beschweren könnte – zumindest nicht bei Thanatos.

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