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4xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 31.03.2022. Rubrik: Grusel und Horror


Die Eichenburg

Als die 75-jährige Ingrid im Lotto einen Millionengewinn erzielt hatte, wusste sie sofort, was sie damit machen wollte: „Ich kaufe mir die Eichenburg!“

Das Gebäude dieses Namens war ein schlossähnliches Haus mitten im Stadtwald. Früher hatte dort eine Industriellenfamilie mit ihrem Personal gewohnt. Danach war es immer mehr verfallen. Erst vor fünf Jahren hatte man es renoviert und anschließend zum Kauf angeboten. Doch niemand wollte es bisher haben.

Natürlich war der Preis einem Schloss angemessen, aber auch Multimillionäre hatten abgelehnt, nachdem sie Erkundigungen über das Objekt eingeholt hatten. Daran konnte es also nicht liegen. Vielmehr sickerte allmählich der wahre Grund durch: Mehreren Zeugenaussagen zufolge spukte es dort!

Die Lottogewinnerin Ingrid glaubte nicht daran. Schon als Kind hatte sie sich gewünscht, einmal in dem verwunschen aussehenden Waldschlösschen zu wohnen. Da sie unverheiratet und kinderlos war, brauchte sie auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Sie kaufte das Gebäude und bezog es zusammen mit ihrer treuen Schäferhündin Cynthia.

Ein Jahr später änderte sich das Leben in der Stadt. Große Flüchtlingsströme aus einem anderen Land kamen an und mussten untergebracht werden. Zum Erstaunen des Oberbürgermeisters meldete sich Ingrid, die allgemein als verschrobene Alte und krasse Egoistin galt, und bot ihre Eichenburg an. „Nur in meine Wohnung darf niemand außer meiner Hündin und mir. Alle anderen Räume können mit Flüchtlingsfamilien belegt werden. Zufällig kann ich deren Sprache. Übrigens, dass es in dem Haus spuken soll, ist Blödsinn.“

Die Stadt und die Flüchtlinge dankten Ingrid von Herzen. Binnen kurzer Zeit war die Eichenburg voller Leben. Dank ihrer Sprachkenntnisse konnte die Hausherrin sich mit ihren neuen Mitbewohnern bestens verständigen. Und vor Schäferhündin Cynthia hatte jeder Respekt.

Nur einen einzigen Punkt der Hausordnung konnten viele nicht nachvollziehen. „Religiöse Veranstaltungen, ganz gleich welcher Glaubensrichtung, sind verboten!“

Einige Flüchtlinge fragten Ingrid nach dem Sinn des Verbots und bekamen die schroffe Antwort, solche Dinge würden eben nicht geduldet und führten zu sofortigem Rauswurf.

Notgedrungen hielten sich alle daran. Eines Tages jedoch beschloss eine gläubige Familie: „Hier im Land herrscht Religionsfreiheit. Also kann Ingrid uns keinen Gottesdienst verbieten!“

Zusammen mit einigen anderen Flüchtlingen derselben Glaubensgemeinschaft hielten sie tatsächlich eine Andacht nach ihrem Ritus ab, ohne von der Hausbesitzerin unterbrochen zu werden.

Tage später fiel mehreren Flüchtlingen auf, dass sie Ingrid und ihre Hündin schon länger nicht gesehen hatten. „Ob ihnen etwas zugestoßen ist? Wir dürfen ja nicht in ihre Wohnung. Am besten rufen wir die Polizei.“

Die Beamten kamen zur Eichenburg und brachen die Tür zu Ingrids Wohnung auf. Sie fanden die skelettierten Leichen einer Frau und eines Hundes.

Untersuchungen ergaben, dass beide ungefähr zu der Zeit, als Ingrid und ihr Tier in die Eichenburg einzogen, gestorben waren. Es musste sich um die beiden handeln. Aber man hatte sie doch noch vor wenigen Tagen lebend gesehen!

Der Fall erregte international Aufsehen. Schließlich meldete sich ein Medium: „Ich habe Kontakt mit den Geistern der Eichenburg aufnehmen können. Sie haben die Frau und ihre Hündin sofort bei deren Einzug getötet und ihre Gestalten angenommen, weil sie keine neuen Besitzer des Hauses duldeten. Die Flüchtlinge waren ihnen willkommen, allerdings unter der Bedingung, dass sie keine religiösen Versammlungen abhielten. Als einige dies dennoch taten, flohen die Geister. Sie irren jetzt in der Welt umher und suchen ein anderes Gebäude, das sie unter ihre Kontrolle bringen können.“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Christelle am 01.04.2022:
Kommentar gern gelesen.
Die Geschichte gefällt mir. Beim Lesen war ich unheimlich gespannt, wie sie ausgeht. Ganz schön gruselig!

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