Kurzgeschichten-Stories
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2xhab ich gern gelesen
geschrieben 2020 von Philipp Pimmer.
Veröffentlicht: 07.02.2022. Rubrik: Spannung


Anna ist in Eile

ANNA ist in Eile, sie muss zur Anmeldung, sie hat zwar noch einen Zeitpolster, aber das Anstellen an der Bibliothek hat dann doch länger gedauert, als gedacht. Aber sie hat nun die Bücher, die sie benötigt, endlich waren sie verfügbar. Und jetzt noch die Literaturprüfung, und dann ist diese Woche geschafft, endlich!

Bereits 80 Tote.

Hastig geht sie um die Ecke, und dann: der Zusammenstoß, der ihr Leben für IMMER verändern sollte (wie in einem schlechten Film, denkt sie später).
Offenbar hat er es genauso eilig wie sie, warum, werden wir nie erfahren, aber das ist auch nicht von großer Wichtigkeit.
Die Bücher fallen auf den Boden, Anna fast auch, ein Bucheinband löst sich vom Buch. Anna ist ziemlich grantig, bitte aufpassen, zischt sie dem Menschen zu, der vor ihr steht und gleich sagt: Verzeihung, Entschuldigung, Verzeihung, darf ich Dir helfen? Nein, geht schon. Danke. Das Danke kommt nicht gerade freundlich rüber, es ist eher ein Hau-ab-danke. Warte, da drüben liegt noch eins - wow, die sieht ziemlich gut aus, echt hübsch - hier ist es.. Danke, geht schon, sicher ein Student aus einem osteuropäischen Land, dieser Akzent, typisch. So,und jetzt weiter zur Prüfung.
Nochmals Entschuldigung, ehrlich! Jaja, ist ja nix schlimmes passiert, der schaut ja richtig verzweifelt drein. So, und jetzt weiter zur Prüfung. Wiedersehen. Eigentlich recht gut aussehend. Prüfung! Jetzt aber flott.

Flott. Jetzt flott Sergej anrufen, der soll das Flugzeug vorbereiten. Und zwar flott. Es gibt wichtigeres, als hübsche Mädchen mit Büchern über den Haufen rennen.

Anna hat vor 2 Jahren an einem der besten Gymnasien Österreichs mit Auszeichnung maturiert und studiert nun Internationale Betriebswirtschaftslehre und nebenbei Literaturwissenschaft. Etwas sinnvolles und etwas Otium. Sie wohnt seit 2 Jahren nicht mehr bei ihren Eltern sondern in der Nebenwohnung - ein bißchen Unabhängigkeit, aber auch nicht zuviel. Das Verhältnis zu ihren Eltern kann man als sehr gut bezeichnen.

Juri ist Russe. Er ist 23 Jahre alt.

Es regnet in Strömen, ein Wetter bei dem man keinen Hund vor die Tür schicken.
Aber Anna ist zu früh dran, sie trifft sich mit Cynthia, einer Freundin aus Schulzeiten. Allein im Café Maximilian sitzen - nicht so toll, diesbezüglich ist sie vielleicht noch ein bißchen wie ein kleines Mädchen - ist ja auch voll peinlich dort dann allein zu sitzen..
Aber es schüttet, also hinein.

Um Gottes Willen, schon wieder Du?! Aua. Das war mein Kopf. (Tür gegen Kopf, nicht sehr fest, aber es schmerzt trotzdem genug)
Oje! Schon wieder! Ich weiß gar nicht, wie ich mich entschuldigen soll, wie kann so etwas zweimal hintereinander in einem so kurzen Zeitabstand passieren? (Es handelt sich nämlich um nur 3 Tage seit dem letzten Zusammentreffen bzw. Zusammenstoß in der Bibliothek, die Literaturprüfung hat Anna übrigens mit einem Sehr Gut bestanden, aber das weiß sie selbst noch gar nicht)
Das muss Schicksal sein - entschuldige den blöden Witz, das war unangebracht - er lächelt schüchtern, peinlich berührt, weiß nicht, was er jetzt machen soll - darf äh dürfte ich mich mit einer Einladung auf einen Kaffee gleich hier und jetzt entschuldigen? Nein (sehr entschlossen), ich treffe hier eine Freundin, die kommt gleich, pass einfach in Hinkunft nur besser auf, das wäre schon genug Entschuldigung!
Lass mich wenigstens Deine Rechnung begleichen, Du musst den Kaffee ja nicht mit mit konsumieren. Bitte!
Cynthia ist eh noch nicht da, und selbst in so einer Situation ist man nicht unhöflich, deshalb sagt Anna zu und setzt sich mit dem Rempler und Türaufreisser an einen kleinem Kaffehaustisch - der Kopf schmerzt tatsächlich noch ein bißchen.

Wer war denn das?! Hast Du einen Verehrer? Cynthia konnte noch nie ihre Neugier verbergen.
Sieht so aus. Er hat mir sogar seine Telefonnummer gegeben.
Und: der Rempler und Türaufreisser ist wirklich nett. Er ist Russe, heißt Juri, arbeitet für seinen Vater und studiert in Wien. Wirklich sehr nett. Und: er findet mich nett... Da bin ich mir sicher.
Bringt mich aber in eine blöde Situation, weil er mich nicht um meine Nummer fragt (wie es gehört,wie gehört das eigentlich?), sondern mir seine gibt. Ich will Dich ja nicht belästigen, ruf Du mich an, aber nur wenn Du echt Lust hast. Ja sicher. Mach ich ganz sicher. Genau. Würd ich aber echt gern. War wirklich ein sehr superes Gespräch.

Hallo, hier spricht die Anna, also äh das Mädchen, dass Du dauernd rempelst haha (unsicher), äh wollt mich nur mal rühren ... oder so.. Na gut. Baba.
Oh Gott, peinlicher geht's nicht mehr! Neeein! Könntest Du Dich nicht verhalten wie eine dreizehnjährige?! Also ich würde mich nicht zurückrufen. Und dieses läppische Gekicher! Anna ist keine dreizehn mehr, aber sie hasst es sich so zu benehmen, sie weiß, dass viel besser erscheinen kann.

Bereits zirka 100 Tote. Zahl der Verletzten unbekannt. Situation außer Kontrolle.

Der Rückruf erfolgt prompt: nein, ich hab Deine Nachricht noch nicht abgehört, wieso? Sie löschen bevor ich sie abhöre? Jetzt werde ich allerdings neugierig, nein, nein ok, ich lösche sie ohne sie abzuhören. In der Tat wollte ich Dich bereits anrufen ('in der Tat' und 'bereits' sind nur zwei von vielen Beispielen, dass sich der Russe Juri etwas anders ausdrückt, als der normale österreichische Jugendliche bzw. Student).

Annex: In der Tat - und nun schaltet sich der (auktoriale) Erzähler zum ersten Mal offiziell ein - stellen wir fest, dass Anna sich zu diesem Zeitpunkt bereits verliebt hat, auch wenn sie das selbst vielleicht noch gar nicht weiß. Nicht nur, dass dieser Juri gut, ja sogar sehr gut aussieht (groß, ca. 1.90, Schwarze Haare, blaue Augen, schlank, aber nicht dünn, Hemd und Hose ) und dieser echt sehr ansprechende slawische Akzent mit der eher witzigen Wortwahl (einen Kaffee konsumieren, haha). Und ein perfektes Benehmen, ein echter Gentleman.
Ok, das ist wahrscheinlich alles Chemie: sogar beim allerersten Zusammentreffen bzw. Zusammenstoß findet man Gefallen aneinander, dann sieht man sich nochmal und: dann ist es auch schon passiert - wurscht, ob man will, man denkt einfach viel aneinander, hat Herzklopfen und so weiter. Und: es passieren solche Anrufe wie jener Annas - man ist nervös, man stammelt unsinniges Zeug, das einem extrem peinlich ist, man ist halt auch total unsicher. Und wie gesagt: man hat Herzklopfen und Flugzeuge im Bauch.
Anna wird bei diesem Telefonat mit Juri fast ein bißchen schlecht, so nervös ist sie.

Und siehe da - obwohl ich rede und scherze wie dümmste Tussi, die es auf dieser Welt gibt, will er sich wieder auf einen Kaffee mit mir treffen, und er hat sogar gesagt, dass er sehr gehofft hat, dass ich ihn anrufe juhuu! Aber egal, das heißt gar nichts, nur ja vor der Cynthia nichts erwähnen, die macht mich sicher noch wahnsinniger mit ihren Analysen (die leider oft stimmen).
Und dann sitzt man wieder zusammen: Anna findet, dass sie etwas zu sehr 'gestylt' ist, aber egal: Juri strahlt sie regelrecht an, Sie reden beide über ihre Schulzeit (Anna spielt ihre Leistungen herunter, um nicht als Streberin dazustehen, wie peinlich), Juri erzählt Geschichten von seiner Moskauer Privatschule, wie man dort die Lehrer zur Verzweiflung bringen konnte, als sogenanntes Oligarchenkind. Übrigens: ist das ein Date?! Anna wird bei dem Gedanken ganz rot und entschuldigt sich auf die Toilette - komm schon entspann Dich, es läuft eh super.
Juris nächster Satz und Annas Reaktion darauf beweist uns, dass sie zumindest verknallt ist: es kommt mir vor (nach zirka 1 Stunde Gespräch), dass wir uns schon eine Ewigkeit kennen - eigentlich eine wirklich schwache Aussage, fast billig. Aber: es ist witzig, aber ich seh das genauso wie Du - und sie wird schon wieder voll rot, Juri lächelt.

Das Militär wird die Polizei unterstützen müssen.

Das Wort 'Date' fällt nie, aber sie treffen einander immer nur zu zweit, vier, fünf mal auf einen Kaffee, und weil man in dieser Situation der Verliebtheit doch eher unsicher ist, fragt Anna sich, ob Juri vielleicht doch nur Freundschaft will, es wär doch Zeit für einen nächsten Schritt, oder? Muss ja nicht gleich ein Kuss sein, aber zumindest ein Kompliment wäre doch angebracht - außer er will halt wirklich nur Freundschaft, das wäre zugegebenermaßen wirklich eine riesengroße Enttäuschung.

Anna weiß jetzt, dass sie zumindest verknallt ist, was sie nicht weiß, ist dass Juri VOLL auf sie steht, aber deshalb ebenfalls sehr nervös ist, sich denkt, dass Anna vielleicht nur Freundschaft will und sich nicht im Mindesten traut, einen weiteren Schritt zu unternehmen, wie denn auch, wenn man totale Angst hat, dass sie mich nicht mehr sehen will. Ich hätte echt andere Sorgen, aber diese Österreicherin verwirrt mich leider doch ziemlich, hmm. Wie kitschig: ihr Lächeln ist tatsächlich unglaublich bezaubernd, ich würd mich nur deshalb mit ihr treffen, nur: vor Nervosität wäre mir peinlicherweise fast übel geworden - und das passiert einem wie mir, einem wie MIR!

Soldaten patrouillieren auf den Straßen, der Präsident kündigt hartes Durchgreifen an, die Opferzahlen steigen weiter.

Mir ist scheißegal, wie ihr das macht, die Schweine werden das bezahlen, sie werden das bezahlen, das schwöre ich euch!

Juri hat Anna nun schon einige Male mit dem Auto von zu Hause abgeholt, eine schwarze Jaguar-Limousine mit schwarzen Ledersitzen, sehr elegant denkt sich Anna. Für ihre Eltern, die das Auto offenbar nicht bemerkt haben, trifft sich Anna nur mit Freunden und Studienkolllegen. besser so.
Sie waren auch schon gut essen, am Abend, Candlelightdinner und so. aber Juri ist eben immer der perfekte (zu perfekte) Gentleman.. Heimbringen ja, aber mehr eben nicht. Ein bisschen ärgerlich, da es Anna bisher nie notwendig hatte, die Initiative zu ergreifen. Was das betrifft war sogar immer etwas konservativ: der Mann muss bei einem hübschen Mädchen die ersten Schritte tun, ist doch klar. Also bitte, Juri, los!
Sie bestellen zu diesem Abendessen im Imperial sehr guten Wein, einen schweren Rotwein, und Anna hat vielleicht das eine Glas zu viel getrunken sie ist jetzt ein bisschen angriffslustig. Auch Juri wirkt lockerer. Man lacht viel und: Anna streichelt Juri öfter über den Arm. Und er? Na endlich, jetzt auch er!
Aber dann: Anna, ich bring Dich jetzt nach Haus, ich muss morgen sehr früh nach Russland, die Geschäfte, du weißt..
Welche Enttäuschung! Wir kommen uns (fast) näher, und bricht er den Abend einfach ab! Scheiß-Geschäfte!
Ich bring Dich noch zur Tür? Nein danke, darauf kann ich verzichten, Du Depp -- sagt sie natürlich nicht, sondern: nein danke, geht schon + Lächeln.
Anna, Hör zu, ich.. Schwul oder was ?(zum Glück hab ich das nur gedacht, ich bin ja echt beschwipst).
Er nimmt sie in die Arme und küsst sie, lang und zärtlich, Annas Herz bleibt stehen, sie spürt seines sehr rasch schlagen. Wow. Wow!
Sie sehen sich an, lächeln, küssen sich nochmal, ok wir sind die 2 glücklichsten Menschen der Welt, das ist eine objektiv zutreffende Behauptung.
Es ist - und das sagt der Erzähler, deshalb stimmt es auch - in diesem Moment wirklich zutreffend, sie sind die glücklichsten Menschen des Planeten.
Du machst mich zu einem sehr glücklichen Menschen, das könnten nun beide gesagt oder gedacht haben.
Ich muss los, sagt Juri, ich rufe Dich bald an, sehr bald. Anna haucht das 'ja' wie in einem schlechten Film, sie hat weiche Knie, ihr ist schwindlig, sie lächelt selig. Bis bald. Danke.

Wieder kein Rückruf, das gibt's nicht. Sie hat in den letzten drei Tagen gezählte acht Mal versucht, Juri zu erreichen. Er hebt nicht ab, er ruft nicht zurück. Keinerlei Reaktion. Das ist ziemlich bitter. Halten wir fest, dass Anna sich ja in einem Zustand extremer Verliebtheit befindet, da ist 'ziemlich bitter' nicht mehr als ein Hilfsausdruck, es ist einfach zum Heulen. Der wollte mich vielleicht nur ein Mal küssen? Hat festgestellt, wie mies ich küsse? ich rufe Dich bald an, sehr bald.Haha.
Am liebsten würde sie etwas zerstören, zertrümmern. Und allein sein. Sie fühlt sich gedemütigt, vielleicht lacht er ja gerade in diesem Moment mit seinen Freunden, oder noch schlimmer mit seiner Freundin über sie, ihre Gedanken haben sich schon zu oft überschlagen, zu viele Szenarien hat sie durchgespielt, aber eines komischerweise nicht: es ist ihm was passiert! Um Gottes Willen.
Ich muss jetzt trotzdem weiter meinen Weg gehen, und aus. Trotzdem weint sie sich an diesem Abend in den Schlaf - unfassbar, dass ich so verliebt bin. Fuck.
Ich bin's. Juri. Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte mich eher melden sollen, aber wir können nicht weitermachen, es ist leider aus..
Sie schreckt hoch, kennt sich nicht aus, weil das Telefon klingelt - es ist kurz nach Mitternacht - was ist Traum? Was ist echt? Geh bitte!!
Sie hebt benommen ab:
Ich bin's. Juri. Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte mich eher melden sollen, aber es ging echt nicht, glaub mir, ich war in einem verdammten Funkloch und wir hatten Probleme mit dem Flugzeug, ich konnte nicht weg - ich erkläre es Dir genauer, wenn ich zurück bin. Glaub mir, Du hast mir sicher mehr gefehlt, als ich Dir. Anna?
Anna hat keine Lust, jetzt die Beleidigte zu spielen, sie freut sich einfach nur. Sie hat sich kurz selbst fest in den Unterarm gezwickt (das macht sie seit dem zirka sechsten Lebensjahr, wenn etwas total schön ist). Jetzt ist sie hellwach.Wann kommst Du denn? (Das war jetzt zu lieb und unterwürfig zu jemandem, der sich solange nicht meldet grml.)
Morgen früh, um 6 bin ich in Schwechat. Wenn Du magst, könnten wir gemeinsam frühstücken - Anna, Du hast mir ECHT gefehlt, bitte glaub mir das.
Du mir auch, aber jetzt muss ich schlafen, wir sehen uns morgen. (Das war jetzt zu kurz angebunden und unfreundlich zu jemandem, der sich solange nicht meldet und dem ich ECHT gefehlt hab. grml.)
Und sie schläft ziemlich glücklich ein.
Und er kämpft fast mit den Tränen, weil er Angst hat, sie zu verlieren. Ich kann ihr nicht alles sagen. Das kann ich nicht! Auf gar keinen Fall.
Er hatte sich doch einen Text zurechtgelegt: Ich bin's. Juri. Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte mich eher melden sollen, aber wir können nicht weitermachen, es ist leider aus..
Doch irgendwie ging das dann nicht. Unfassbar, dass ich so verliebt bin. Fuck.

Sie treffen sich um 7 Uhr im Kaffee Wortner im 4. Bezirk. Sie sind beide glücklich, strahlen sich an, schmusen, wenn die Kellnerin gerade nicht im Raum ist, sonst ist niemand da. Die Erklärungen Juris sind plausibel, außerdem egal, wir haben uns jetzt ja wieder. Und: er wird für mindestens 10 Tage in Wien bleiben! Und noch besser: er will mich unbedingt jeden Tag sehen! Anna ist im siebenten Himmel - nichts, aber auch gar nichts könnte ihr Glück trüben - zumindest SIE ist davon fest überzeugt. Juri auch immer mehr, denn irgendwie schafft er es, sein anderes Leben auszublenden und einen schönen Traum zu leben - aber für wie lange?
Die nächsten Wochen sind die beiden unzertrennlich, einmal muss Juri kurz nach Russland, ruft aber in diesen 2 Tagen Anna mindestens 12 mal an, kommt zurück, und verkündet, dass er sich zwei Wochen frei genommen hat, um Zeit mit seiner Freundin zu verbringen. Das bin ich, das bin ich, ich bin die Freundin, Willkommen im Himmel, im 7. Himmel!

Meinen Eltern vorstellen, nein, ist noch zu früh. Wieso komm ich überhaupt auf den Gedanken? Weil es mir so ernst ist? Hmm, vielleicht.

Juri führt sie nicht nur aus in die besten Lokale der Stadt, er nimmt sie nun auch mit in sein Haus im 19. Bezirk. Dieses Haus - das zwar von außen wie eine Festung wirkt, hohe Mauer, Stacheldraht und so, ein reicher Russe muss sich wohl schützen - bietet einen der schönsten Blicke auf Wien.
Und: man schmust und kuschelt, aber: eben nicht mehr. Auch hier macht Juri (natürlich) alles richtig, er gibt Anna Zeit - ich brauch übrigens keine Zeit mehr, mit diesem Mann wär ich jetzt zu allem bereit.
Wir gehen nicht ins Detail, aber Anna hat sich sogar schon ziemlich tolle Unterwäsche für diesen Moment gekauft und ist beim Palmers einer ehemaligen Lehrerin in die Arme gelaufen, deren Blicke sowas sagten wie: Aha, haben wir noch was vor heute, oder? Voll peinlich, eigentlich, aber ist mir doch egal! Soll sie denken,was sie will.
Und nochmal: auch wenn es wirklich richtig und perfekt und blablabla ist, er soll sich jetzt keine Zeit mehr lassen, mein kleiner Schüchti! Er könnte ruhig ein bißchen mehr von einem Badboy haben, was das betrifft, nein er ist eh einfach nur perfekt, ich will eh keinen Badboy.

Denn Badboys sind oft Verbrecher.

Ok, ruf mich an, wenn Du da bist, zwei Tage ohne Dich werde ich schon überstehen - hoffe ich. Nimm mich doch mal mit nach Russland! Nein? Keine gute Idee? Entschuldige bitte, war nur so ein Gedanke. Komm einfach bitte bald heil und gesund zurück.
Heil und gesund? Er zieht ja nicht in den Krieg, oder so, naja ich hab ihn halt zu lieb.

Hoffentlich bleibt Anna heil und gesund...

Seine Stimme klingt sehr nervös, ja sogar ängstlich, nur sehr mühsam beherrscht: bitte, Anna tu einfach, was ich Dir jetzt sage: geh mit meinem Mitarbeiter mit - im Hintergrund aufgeregte Stimmen und schreien - ich erklär Dir alles, wenn ich wieder da bin. Versprich mir, dass Du mit Sergej mitgehst, bitte versprich mir das jetzt! Er schreit jetzt fast. Ja, ja ich verspreche es Dir, beruhige Dich, was ist eigentlich los? Nur eine Vorsichtsmaßnahme? Weshalb? Und außerdem bist Du dafür sehr nervös, oder? Keine Zeit, ich muss auflegen, vertraue einfach Sergej. Aufgelegt. Nun hat Anna Angst. Wirklich Angst.

Ist mir egal ob das nur die Freundin seines Sohnes ist! Das Schwein wird bezahlen! Über sie krieg ich seinen Sohn und dann ihn! Und dann wird das Schwein bezahlen! Das schwöre ich Euch!

Nächtliche Ausgangssperre in Moskau. Über 200 Tote. Ein Krieg um Macht, der eskaliert ist.

Sergej ist zirka 40. Sergej ist wie eine Maschine. Sergej würde für Juri nicht nur ohne zu zögern sterben, sondern auch durch die Hölle gehen. Er ist dieser Familie verpflichtet.

Es läutet unten an der Tür. Mein Name ist Sergej, Juri schickt mich. In sehr gebrochenem deutsch. Der Mann der zirka 30 Sekunden später vor der Tür steht, macht Anna Angst. Riesig groß und breit, Kahl geschoren, eine Narbe quer übers Gesicht, kein freundlicher Blick. Mit dem soll ich mitgehen? Bitte kommen sie. Ich muss erst packen, das dauert noch etwas. (Zeit gewinnen, vielleicht, um abzuhauen)
Keine Zeit zum packen, bitte kommen sie jetzt. Das duldet keinerlei Widerspruch. Anna fühlt sich wie ein kleines Kind, das Null Mitsprache hat. Und sie geht mit. Und sie hat ein ganz mieses Gefühl. So etwas wie eine Vorahnung, dass da etwas ganz gewaltig aus dem Ruder läuft, schon jetzt nimmt das alles Dimensionen an, die ihr zuviel werden.
Vor ihrer Haustür, mehrere ebenfalls übel aussehende Typen, denen Sergej zunickt und die in die zwei Autos hinter ihnen einsteigen. Die Fahrt geht los. Und was, wenn das gar nicht dieser Sergej ist? Panik steigt in ihr auf.
Ihr Telefon läutet. Juri. Ja, Sergej sieht furchterregend aus, das ist er auch, für unsere Feinde. - welche Feinde bitte?!
Du kannst Dich 100 prozentig auf ihn verlassen, er ist mir treu ergeben. Ja ich werde Dir alles erklären, das schwöre ich Dir! Es tut mir unglaublich leid, das ist das einzige was ich Dir jetzt sagen kann, ich hoffe Du kannst mir das je verzeihen - weint er? - Du bedeutest mir mehr als mein eigenes Leben, glaub mir das einfach. Ich bin spätestens morgen Mittag wieder in Wien und bei Dir, ich hab Dich lieb Anna. Verbindung getrennt, hat er aufgelegt?
Auf Juris Anwesen befinden sich nach Annas Schätzung um die 50 Bewaffnete.

Scheisse, jetzt kapier ich. Ich blöde Kuh. Ich blöde verliebte Kuh. Ich hätte nur 1 und 1 zusammenzählen müssen. Oh nein, bitte nicht, lass das alles ein böser Traum sein, bitte bitte! Fuck, das ist alles Realität, alles Realität, kein Traum:
Bereits 80 Tote.
Bereits zirka 100 Tote. Zahl der Verletzten unbekannt. Situation außer Kontrolle.
Das Militär wird die Polizei unterstützen müssen.
Soldaten patrouillieren auf den Straßen, der Präsident kündigt hartes Durchgreifen an, die Opferzahlen steigen weiter.
Nächtliche Ausgangssperre in Moskau. Über 200 Tote. Ein Krieg um Macht, der eskaliert ist.
Die Familien Andropov und Medwedew liefern sich einen Kampf auf Leben und Tod.

Das ist der letzte ö1 Radiobeitrag, an den Anna sich erinnert. Juri Andropov. Oh mein Gott.

Ja, das stimmt alles. Mein Vater ist einer der Capos der Familie Andropov. Auch mein Reichtum erklärt sich so. Ich selbst bin kein aktives Mitglied, mein Vater hat mich da immer rausgehalten. Und ja, ich hätte Dir das alles viel früher mitteilen sollen, das stimmt absolut. Er ist kreideweiß, redet leise und sehr ruhig und sieht unendlich unglücklich aus. Er sieht so aus, wie Anna sich fühlt: alles bricht zusammen.
Hab mich zuerst in Dich verliebt, dann hab ich's aufgeschoben und dann bin ich aus Angst Dich zu verlieren in eine Art Phantasiewelt mit Dir geflüchtet. Und habe Dir nichts gesagt. Das war der größte Fehler meines Lebens.
Und warum - ja ich weine und schreie hysterisch, ist mir scheißegal - bin ich nun hier? Warum?!
Ich fürchte - er redet nicht mehr ruhig, sondern seine Stimme zittert, Anna spürt abermals Panik in sich aufsteigen - Du bist in Gefahr.

Einfach aufstehen und gehen. Genau. Das hab ich alles nicht nötig. Ich geh jetzt.

Einfach schreien und weinen, ihn ohrfeigen und beschimpfen und dann gehen.

Ihm beistehen. Der hat mich belogen. Betrogen. Also ihm nicht beistehen?

Alles bricht zusammen. Und ich will ihm blöderweise einfach nur nahe sein - in dieser Traumwelt, die er angesprochen hat weiterleben. Ihm beistehen.

Anna, Du hast leider keine Wahl.
(Wer sagt das? Juri? Anna? Der Erzähler? Sonst irgendwer?)
Anna hat halt eben keine Wahl. Das ist ein Faktum. Die 'Gegenseite' will über sie an Juri herankommen.

O Gott! Und meine Familie?
Ist nicht in Gefahr. Aber ich hab sicherheitshalber ein Dutzend Männer dort postiert. So dass es Deine Eltern nicht merken.
Jetzt wird Anna übel. Nicht in Gefahr? Und warum zur Hölle postierst Du dann ein Dutzend von Deinen Scheiss-Verbrechern dort?!

Beruhige Dich. Wir kriegen das alles in den Griff. Du tust nun was ich sage, klar? - seine Stimme ist ruhig, hart, voller Zuneigung und: duldet keinen Widerspruch. Nicht nötig, Annas Kopf dreht sich, Tränen rinnen ihre Wangen runter, da ist kein Aufbäumen mehr gegen die Situation da.

Anna wird ihren Eltern sagen, dass sie zu einer Freundin für ein paar Tage nach Bad Ischl fährt und in Wirklichkeit mit Juri nach Russland fliegen, weil er sie auf seinem dortigen Anwesen viel besser beschützen kann. Denn dort, in der Nähe von Moskau hat Juris Familie tatsächlich eine 'uneinnehmbare' Festung.

Wenn die Sache ausgestanden ist, kann ich Dich in Ruhe lassen, wenn Du willst, Du wirst nie mehr von mir hören, wenn Du das willst. Nur bis dahin, lass mich diese Katastrophe in Ordnung bringen. Er ist kreideweiß, redet leise und sehr ruhig und sieht unendlich unglücklich aus.

Das weiß sie tatsächlich in diesem Moment, da ist sie sich sicher: Wenn die Sache ausgestanden ist, Juri, wünsche ich mir, dass Du allem Verbrecherischen den Rücken kehrst und versuchst, mit mir eine Beziehung anzufangen, eine ganz normale Beziehung. Das will ich. Eine zweite Chance für uns zwei.

Sie fallen sich in die Arme, weinen beide, klammern sich verzweifelt, wie zwei kleine Kinder aneinander. Und hoffen.

In dieser Nacht schlafen sie zum ersten Mal miteinander.

Jeder, der in seinem Leben einmal wirklich etwas sehr schlimmes durchmachen mußte, kennt es: das schlimmste Erwachen.
Du wachst auf, die ersten Sekunden schläfst Du noch halb, kriegst nichts mit, bist vielleicht sogar irgendwie glücklich, und dann - Sekunde für Sekunde wird alles klarer, Alles wird schreckliche Gewissheit, die Realität holt Dich ein, unerbittlich. Und es ist egal, dass ich vor ein paar Stunden mit dem Mann geschlafen habe, in den ich bis zum Wahnsinn verliebt bin, ich bin erwacht - und zwar in einem Alptraum.

5:30. Anna steht in Bad vor dem Spiegel, die Tränen rinnen ihr übers Gesicht. Sie ist hässlich. Sie sieht Juri im Spiegel, er kommt näher und nimmt sie in den Arm. Ich werde nicht - nie zulassen, dass Dir etwas passiert. Und ich werde, wenn das überstanden ist, all dem den Rücken kehren und versuchen, mit Dir eine schöne Beziehung zu führen, dafür werde ich kämpfen, alles geben, wenn Du mir diese Chance gibst, dann werde ich sie nutzen.
Seltsam, aber Anna schöpft Hoffnung, warum weiß se selbst nicht, es gibt auch keinen objektiv-logischen Grund dafür.
Formulieren wir das so: wäre Anna im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte - und Anna ist eine höchst intelligente junge Frau - dann hätte sie schon längst Kontakt mit den Behörden in Österreich aufgenommen, hätte die Polizei verständigt oder auch ihre Eltern um Hilfe gebeten.
Aber Anna ist eben nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, ganz und gar nicht. Das ist eine junge Frau die halt einfach nur unglaublich verliebt ist und gerade mit ihrer (ersten) großen Liebe geschlafen hat. Da ist momentan kein rationaler Gedanke möglich. Es sind diverse Hirnregionen ganz einfach abgeschalten.
Juri geht's übrigens genauso.
Also eigentlich sind beide doch außer Kontrolle - sehr, sehr gefährlich.

Sie brechen um 7:00 in der Früh von Juris Anwesen auf, ein Konvoi aus 4 schwarzen Jaguar Limousinen. Noch ist wenig Verkehr.
Wien Schwechat: ok, nicht nur kein Einchecken, Passkontrolle oder Ähnliches, nein, sie fahren mit hoher Geschwindigkeit direkt aufs Rollfeld, wo ein gar nicht so kleiner Jet wartet. Der Pilot grüßt Juri höflich, sie steigen sofort ein, 3 Minuten später sind sie bereits in der Luft. Anna hat die CD Kennzeichen (Diplomaten-Kennzeichen) gleich bemerkt. Aber dass das so reibungslos geht..

Sie sind in Wien ins Flugzeug gestiegen, sie müßten um zirka 10:00 in Moskau sein, und um zirka 10:30 auf der Autobahn. Da kriegen wir sie. Und wenn ich Hunderte opfern muss, scheissegal, die entkommen uns nicht. Andropov wird zahlen!

Der Konvoi wartet am Moskauer Flughafen, an die zehn Fahrzeuge. Jede Menge Bewaffnete. Anna ist übel, sie glaubt sogar kurz, erbrechen zu müssen, kann es aber unterdrücken. Die Realität ist wieder präsent, die bittere Realität, die höchst grausame Realität. Das Erbrechen hat sie unterdrückt, dass ihr Tränen über die Wangen rinnen, merkt sie gar nicht.
Juri schon. Die Realität ist grausam.
Sie fahren los, mit hoher Geschwindigkeit, die Sonne scheint, es ist trotzdem saukalt, Juri hält ihre Hand, drückt sie eigentlich zu fest, fast schmerzhaft. Die Kiefermuskel sind angespannt. Autobahn. Die Tachonadel zeigt 180 km/h. Zirka eine Viertelstunde sind sie nun unterwegs.
Anna sieht nach vorne und bemerkt zirka 200-300 Meter vor ihnen dieses helle Licht. Ganz irreal - landet da ein Ufo, oder was - dann der Knall der Explosion.
Und dann bricht die Hölle los. Das Auto neben ihnen, oder vor ihnen, keine Ahnung, befindet sich plötzlich hoch in der Luft, alles wie in Zeitlupe. Juri brüllt etwas, aber man hört seine Stimme nicht, eine Druckwelle erfasst das Auto und schleudert es auf die Seite, runter von der Strasse, wo es auf dem Dach liegen bleibt.
Alles brennt. Raus hier! Anna kriecht aus dem Auto, ihr rechtes Bein schmerzt stark. Wo ist Juri? Neben sich erkennt sie Sergej, der sie runterdrückt und zu schießen beginnt. Einen Augenblick später wird er von den Beinen gerissen und bleibt regungslos halb auf Anna liegen. Kopfschuss.
Wo ist Juri? Bitte mach, dass ihm nichts geschieht.
Anna wälzt sich unter Sergej hervor, selbst voller Blut, ist das mein eigenes?
So muss Krieg sein. Schüsse, Explosionen, Tote, Verletzte. Anna ist nun ganz ruhig. Ihr Hirn beginnt zu arbeiten. Überlebensinstinkt. Zu spät. Ein Knall in ihrem Schädel. Dann alles schwarz.

Das wird ihm nicht gefallen. Wir haben seinen Liebling.
Hoffentlich lebt sie noch... Sonst ist sie nichts wert. Aber das weiß Andropov ja nicht.
Egal, ob sie noch lebt oder nicht, sie wird sowieso nicht am Leben bleiben, das lässt der Boss nie zu.

Er würde sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf jagen, seine Gehirnerschütterung und die Schmerzen im Knie bemerkt er nicht. Er hat sie verloren, an seinen schlimmsten Feind, er konnte sie nicht beschützen.
Die Chancen, dass sie das überlebt stehen schlecht. Denn Juri kennt seinen schlimmsten Feind. Und der will Rache, um jeden Preis.

Natürlich - hallo, hier ist wieder mal der Erzähler - wird Anna nun nicht sterben. Die Protagonistin stirbt jetzt ganz sicher nicht! Ob sie bis zum Ende der Geschichte überlebt, sei dahingestellt, aber momentan geht es sogar 'in die andere Richtung': sie wacht auf:

Dieses Erwachen ist höchst unangenehm und schmerzhaft. Vor allem ihr Kopf droht zu zerspringen, und übel ist ihr auch - starker Brechreiz.
Aha, ich lieg am Boden, zusammengekrümmt, offenbar eh schon in meinem eigenen Erbrochenen. Es ist nass und stinkt. Und jetzt kommt noch was nach - sie würgt - übergibt sich noch einmal. Die Kopfschmerzen sind nun unerträglich.
Minutenlang schafft sie es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen, ihr Körper - und da vor allem ihr Kopf - lässt das nicht zu. Sie zwingt sich zu ruhigem atmen, konzentriert sich darauf und stellt als erstes fest (jetzt erst), dass sie nichts sehen kann, alles schwarz. Sie will zu den Augen greifen - geht nicht!
Was ist da los? Panik steigt in ihr auf, sie ist noch sehr benommen, verliert vielleicht sogar wieder das Bewusstsein.
Dann erwacht sie wieder, keine Ahnung, ob das Minuten oder Stunden waren.
Aber wieder alles schwarz, wieder kann sie nicht zu den Augen greifen. Wieso verdammt nochmal kann ich das nicht?! Au! Sie reißt herum - geht nicht! Es Schmerzen nur die Handgelenke.
Die Handgelenke.. Die Handgelenke, die man mir zusammengebunden hat - hinter dem Rücken. Und meine Augen - sind verbunden!
Seltsamerweise wird sie diesmal nicht panisch, sondern ist eher erleichtert, weil sie nun kapiert, was da los ist.
Ich liege am Boden, hab verbundene Augen und bin gefesselt. Hab Schmerzen so ziemlich überall. Lebe aber noch. Definitiv.
Autofahrt. Explosion. Schüsse. Dann Filmriss. Hat mich dann wer hochgehoben? Keine Ahnung. Und jetzt hier. Lebendig. Noch.
Ok. Ich bin bei Juris Feinden und die werden ihn wohl mit mir erpressen wollen, oder ihn töten wollen - jetzt ist es schwierig nicht panisch zu werden.
Hab ich an irgendeiner Körperstelle keine Schmerzen? Scheiß-Fesseln! Aua!
Eine Zeit später: sie hört Stimmen, eine Tür wird aufgerissen und sie wird brutal am Arm und an den Haaren gepackt und weggeschleift. Sie schreit laut auf vor Schmerz, hat das Gefühl, dass manI ihr die Kopfhaut ausreißt. Sie wird hart auf den Boden geworfen, aufs Gesicht. Sie atmet schwer, versucht den Schmerz zu 'verarbeiten'.
Um sie stehen mehrere Leute, die miteinander reden, nicht besonders aufgeregt, wir ihr auffällt, eher gleichgültig.
Einzelne Worte glaubt sie zu verstehen.
Dann wird ihr die Augenbinde abgenommen. Das recht Auge kann sie nicht gleich öffnen, das ist irgendwie verkrustet - Sergejs Blut? Dann hat sie beide Augen geöffnet. Sie sieht alles verschwommen. Nur langsam wird das Bild klarer.
In ihrem Blickfeld befinden sich 3 Männer und 2 Frauen. Die Frauen sehen sie an, die Männer nicht, die reden miteinander.
Die Frauen hmm sind wahrscheinlich Prostituierte, so wie sie angezogen sind. Ein Mann sitzt zwischen den 2 Prostituierten. Und der sieht sie jetzt auch an. Grinsend.
Das wohl eines der schrecklichsten Gefühle: das totale Ausgeliefert sein. Die können jetzt alles mit mir machen, und einfach nur töten ist mit Sicherheit nicht die schlimmste Variante. Oh Gott, diese Dreckschweine, ich hab doch mit Eurem Scheisskrieg nichts zu tun!! Bringt Euch von mir aus alle um, aber lasst mich da raus, ihr Tiere, ihr Abschaum!
Euch bring ich nur Verachtung entgegen und das sollt ihr auch merken, eigentlich hab ich nicht mal Angst vor Euch - ihr primitiven Kreaturen - ihr werdet mich ja wohl sowieso töten.
Sie erwidert den Blick dieses Mannes, der sie da so interessiert begutachtet. Sie hat beschlossen, dass sie diesen Leuten keine Genugtuung geben wird, sie ängstlich und weinend zu sehen. Aus Angst wird Wut und Hass.
Wir wissen, Du weißt - Anna, oder? - dass Juri sein Leben riskieren wird, um Dich zu kriegen - und dann kriegen wir ihn.
Das hat er auf deutsch gesagt und er grinst noch immer.
Dann steht er auf.
Riesig. Fast zwei Meter. Schultern und Arme wie ein Boxer - muskelbepackt, fast zu viel..
Gesicht: breit. Massiger Unterkiefer. Kurze Nase, eigentlich fast Bubenhaft. Aber nicht hübsch. Und das Grinsen - auch fast Bubenhaft. Und wasserblaue Augen. Kurzgeschorenes Haar. Blond. Mein Bubenhafter Mörder. Hmm.
Du siehst nicht wirklich herzeigbar aus. Die zwei Mädels werden Dich zur Dusche bringen und Dir frisches Gewand geben. Dir wird nichts passieren. Sieh mich nicht so wütend an, ich kann nichts dafür, dass Du Dir die falschen Freunde ausgesucht hast.
Zieht ein Messer, schneidet mir die Fesseln auf, hebt mich auf, und die zwei nehmen mich in die Mitte, Shit, ich kann kaum gehen!
Der einen greift er auf den Hintern, widerlich.
Anna merkt nun, dass sie stinkt, Schweiß und Erbrochenes. Auch das ist widerlich.
Die Dusche tut gut, auch wenn die eine, der dieser Typ auf den Hintern gegriffen hat im gleichen Raum bleibt. Es gibt sogar Shampoo. Und sie trinkt auch das Duschwasser! Herrlich! Egal, ob das Trinkwasser ist oder nicht!
Kleidung liegt auf dem Hocker neben der Dusche. Auch ein Handtuch.
Die Kleidung ist frisch gewaschen, zum Glück! Jean, fast zu eng und etwas zu lang, enges T-Shirt, Converse - sind wohl die Privatsachen dieser Prostituierten. Sie sieht mich kurz an. Trauriger Blick. Hat wohl auch kein schönes Leben.. Sie zeigt an, dass ich mich auf den Hocker setzen soll, ok. Schmerz noch da, müde - todmüde bin ich auch, und hungrig! Wie lang bin ich bitte schon hier?! (Erzähler: es sind fast 48 Stunden)
Sie kramt in ihrer Tasche und überreicht mir einen Schokoriegel. Oh danke! Danke!
Anna ist wirklich dankbar. Sie kaut ganz langsam und genussvoll. Die junge Frau lächelt sie schüchtern an und - Anna rinnen die Tränen übers Gesicht, sie kann es nicht verhindern, sie kann jetzt nicht mal mehr versuchen stark zu sein. Die Russin kommt zu ihr und nimmt sie in die Arme, streichelt sie, flüstert ihr Dinge zu, die Anna nicht versteht.
Sie wiegt Anna wie ein Kind und summt ganz leise ein Lied in Annas Ohr. Auch sie weint.
Das werd ich Dir nie vergessen, wenn wir uns je wiedersehen, und ich in der Lage dazu bin, werde ich auch für Dich da sein, das schwöre ich!
Sie hören Stimmen. Die Russin entfernt sich von Anna und gibt ihr ein Taschentuch.

Dann wird Anna in ein Zimmer gebracht. Sie legt sich auf die dortige Couch und schläft sofort ein.
Sie schreckt auf, als sie merkt, dass sich jemand zu ihr auf die Couch setzt - es ist der grinsende Typ. Anna wird panisch. Sie springt auf - Au! Das Bein! - und ist bereit zu kämpfen. Und sie hat Angst.
Keine Angst brauchst Du zu haben, Frauen schlafen nur freiwillig mit mir, entweder ich zahle dafür oder sie bitten darum. Und ich glaub nicht, dass Du an einem von Beidem interessiert bist. Und wieder grinst er. Sie hasst es, wie er sie ansieht.
Um die Wahrheit zu sagen, bist Du für mich nur Mittel zum Zweck, um den jungen Andropov zu liquidieren, mehr nicht. Du wirst wahrscheinlich schon bald wieder in Österreich sein, aber von Juri verabschiede Dich schon besser mal, der hat sich diesmal mit den Falschen angelegt. Mach Du nur was ich Dir sage, dann passiert Dir nichts. Hast Du das verstanden?
Anna nickt nur.
Er lacht heiser auf: der hat sich ja echt eine nette Hübsche geangelt! Aber egal, bin nicht eifersüchtig, einer wie ich würde ja doch nie bei Dir landen, da passt schon eher der geschniegelte Andropov. Er grinst sie wieder an, geht raus und kommt 10 Sekunden später wieder mit einem Tablett mit Schinken und Brot zurück, und Glas Wasser steht auch drauf, und sogar ein Apfel..
Guten Appetit! Mein Lieblings-Mädel, Natascha, hat Dich offenbar ins Herz geschlossen und Dir Essen gemacht. Schon bald bist Du wieder zuhause und dann vergisst Du den ganzen Scheiß. Vögel lieber mit einem aus Deinem Land. Grinsen. Anna hasst ihn. Er schließt dir Tür hinter sich und sperrt sie ab.
Das Glas Wasser entpuppt sich tatsächlich als ein Viertelliter Wodka.. Russen und Klischees.. Anna will es zuerst nicht trinken, um bei klarem Verstand zu bleiben, aber dann - Scheiß drauf.
Wodka ist sehr bekömmlich, brennt nicht wie anderer Schnaps, wohl auch aus diesem Grund gibt es in Russland so viele Alkoholiker.
Anna isst alles auf und trinkt dazu den Wodka. Nun ist sie relativ entspannt - ich kann in Wahrheit eh nix beeinflussen, wozu Angst haben..
Ebenso schnell ist die Angst wieder da, als sie an Juri denkt.
Er darf nicht wegen mir sterben, das würd ICH nicht überleben. Warum glaub ich nur diesem - wie heißt der eigentlich? - Grinse-Typen? Der will mich doch nur ruhig halten und bringt ich dann auch um.
Aber wie schon gesagt: ich kann in Wahrheit eh nix beeinflussen, wozu Angst haben..
Wie der mich ansieht. Und dieses Grinsen. So sehen also Mörder aus? Ein Vieh von einem Menschen. Aber: danke Du grinsendes Schwein, dass Du mich nicht vergewaltigt hast, ich war nämlich im ersten Moment sicher, dass Du das tun würdest..
Ach Juri, Du fehlst mir so, ich brauch Dich so sehr hmmmm..
Und dann: die Tür geht auf, und Juri steht vor ihr. Nein, wie? Was? Er redet nicht, zeigt ihr nur mit dem Finger, dass sie leise sein soll, geht auf sie zu und nimmt sie in den Arm und hält sie fest, ganz fest.
Er sieht sie an, hält sie, sie fühlt sich sicher. Die Tür geht wieder auf, der Grinser stürmt rein eine Waffe in der Hand - er zielt auf Juri!! Juri wirbelt herum reißt ebenfalls eine Waffe hoch, Schüsse! Beide wanken, stürzen, bleiben liegen, bewegen sich nicht mehr. Blut - überall. Anna schreit und schreit, wirft sich auf Juri, schreit verzweifelt und hält inne, als plötzlich ein weiterer Mann in der Tür steht - mit einer Waffe - und auf sie zielt! Anna will schreien, aber es kommt kein Ton raus, sie will weglaufen, aber ihre Füße gehorchen nicht. Sie atmet schwer, kriegt trotzdem kaum Luft, das Zimmer ist stockdunkel. Der Mörder ist weg. Juri und der Grinser auch.
Wo zum Teufel?
Es dauert eine knappe Minute (!), bis sie Traum und Realität von einander trennen kann. Sie ist nass geschwitzt. Atmet schwer.
Ich bin allein hier. Puh. Keiner da. Scheiß-Wodka. Scheiß-realistischer Traum. Mir ist zum Kotzen. Lang kann ich mich nicht mehr zusammenreißen, das schaff ich nicht, meine Reserven sind jetzt bald echt erschöpft. Ich werd aber eh versuchen, so lang wie möglich durchzuhalten. Und wenn's geht irgendwie Juris Tod verhindern. Wenn's geht.. Ich schlaf jetzt sicher nicht mehr. Sicher nicht mehr.

Und schon, liebe Anna, bist Du wieder weg - und schläfst, diesmal ohne Alpträume.
Denn die Alpträume, liebe Anna, werden leider ab morgen Realität. Und Du wirst Dich zusammenreißen, Du wirst durchhalten MÜSSEN. Du wirst schon noch Reserven aktivieren.
Aber den Tod, liebe Anna, den wirst Du nicht verhindern können, vielleicht hinauszögern, aber sicher nicht verhindern. Niemand kann den Tod verhindern. Der kommt einfach.

Laute Stimmen. Schreien. Wütendes Schreien. Die Tür fliegt auf. Ein zirka 60-jähriger fetter Mann stürmt rein. Er packt Anna grob beim Arm, reißt sie hoch, schleift sie durch den Raum, durch die Tür, in den großen Raum und schleudert sie auf den Boden.
Anna war bereits wach, bereitet sich auf diesen Angriff und auch auf ihren Tod vor. Sie weiß nur: ich werde nicht winseln, die können mich mal.
Der Aufprall auf dem Boden ist hart, aber sie gibt keinen Laut von sich. Sicher nicht. Der Fette brüllt sie auf russisch an, sie versteht kein Wort und starrt feindselig zurück. Er tritt nach ihr, erwischt sie schmerzhaft an der Hüfte. Was ist das nur für ein Ende, denkt Anna.
Der Grinser stürmt rein, stößt den Fetten zur Seite, so dass er fast umfällt und brüllt ihn auf russisch an. Der Fette brüllt zurück.
Da hört Anna zum ersten mal den Namen des Grinsers: Alexei (oder so ähnlich).
Der Fette zieht eine Pistole und legt auf Anna an. Anna bereitet sich auf den eigenen Tod vor. Sie schaut dem Fetten ins Gesicht. Die Waffe ist auf ihren Kopf gerichtet. Alexei sagt ganz ruhig, zu ruhig etwas auf russisch. Der Fette schüttelt wild den Kopf. Anna sieht wie sich sein Finger sich um den Abzug krümmt. Das ist mein Ende.
Ein Schuss. Roter Staub. Das ist Blut. Blutstaub vom Fetten. Er hat ein riesen Loch in der Brust. Ich lebe. Der Fette nicht mehr. Alexei schießt um sich. Männer fallen getroffen um. Mit Kugeln in der Brust. Alexei wird auch getroffen. Er grinst nicht.
Anna noch immer zusammengekauert am Boden. Alexei - heißt er wirklich so? - hebt sie mit einem Arm auf und stürmt mit ihr los. Mit dem anderen Arm stößt er jemanden um und feuert weiter um sich. Kugelhagel.
Mach Du nur was ich Dir sage, dann passiert Dir nichts. Hast Du das verstanden?! Gestern Nacht hat er diesen Satz gesagt, jetzt brüllt er ihn.
Dir passiert nichts!! Ist das klar?! Du bist eine Frau! Keiner Frau passiert etwas! Ist das klar?! Ihr blöden Wixer! Jetzt seid Ihr tot! Ist das besser?! Ich hab Euch ja gesagt: keiner Frau passiert was! Ihr toten Dreckschweine! Er spuckt Blut. Mit ihr auf dem Arm stürmt er in eine Garage, wirft sie (wie eine Handpuppe) in ein Auto, steigt ein, und sie rasen los. Der Blutfleck auf seinem weißen Hemd wird nun rasch größer. Anna erwartet, dass sie nun endlich aufwacht, aber sie ist die ganze Zeit wach.
Er keucht, stöhnt, atmet immer schwerer, das Auto rast los. 90,100,140,190 - auf einer Bundesstraße mit Gegenverkehr! Das wird nicht, das kann nicht gut gehen. Zudem werden sie verfolgt - 2 schwarze Limousinen, es wird wieder geschossen. Anna nimmt es (fast) gleichgültig zur Kenntnis. Als eine der Limousinen sie überholt, reißt Alexei das Fahrzeug nach Links, rammt den anderen Wagen mit voller Wucht, der mit der zweiten Schwarzen Limousine kollidiert und sich überschlägt, Alexei lacht kurz auf und spuckt dabei wieder Blut - alles wie im Film, nur kann Anna nicht den Fernseher abschalten.
Wie bitte reagiert man, wenn ein wirklich schlechter Film Realität wird, eine Art Film, die sich Papa gern am Abend ansieht. Keine Ahnung.

Fuck. Nicht ohnmächtig werden mir wird immer wieder schwarz vor Augen spür kaum mehr Schmerz ist wahrscheinlich nicht so gut alles blutgetränkt konzentrier Dich! Bring sie in die Jagd-Hütte - die kennt keiner - dort wird sie in Sicherheit sein und überleben. Ha! Ich werd sicher nicht überleben, sicher nicht, ha! Besser so, mit Sicherheit besser so. Krieg kaum Luft linke Lunge muss verletzt sein AHHH wieder Schmerz - endlich, bin doch noch nicht ganz weggetreten. Scheisse. Kurve. Zu schnell.. Das war knapp. Ich halt sicher nicht mehr lang durch das Blut rinnt ja an mir runter aha.

Sie rasen in einen Wald. Nach ein paar Kilometern biegen sie in eine geschotterte Forststrasse ein. Es ist noch keine halbe Stunde her, dass Anna in den Lauf einer Pistole geblickt hat.

Bitte fahr langsamer. Wir werden nicht mehr verfolgt. Bitte. Bitte!
Danke, Du blöder Arsch, dass Du diese Bitte ignorierst. Wir fahren durch Tiefschnee! Hast Du mich gerettet, um mich jetzt zu killen, um gegen einen Baum zu knallen? Ok, danke fürs Leben retten, aber könntest Du jetzt bitte wirklich langsamer fahren. Ich hab Angst, eine Scheißangst!
Entweder sie hat es nur gedacht, oder Alexei hört sie gar nicht mehr. Seine Vitalparameter sind im roten Bereich. Medizinisch nur schwer erklärbar, dass er noch nicht ohnmächtig ist. Sein Körper befindet sich aufgrund des Blutverlustes in einem Schockzustand. Der medizinische Schock ist absolut lebensbedrohend. Seine linke Lunge ist verletzt und wahrscheinlich kollabiert, sein Puls ist schnell und flach (147 Schläge pro Minute), seine Gesichtsfarbe ist grau, ihm rinnt der Schweiß übers Gesicht. Er versucht nach Luft zu schnappen - geht nicht mehr. So als ob er unter Wasser wäre. Er versucht es mit aller Gewalt, dann geht ein bißchen was. trotzdem hat er das Gefühl, gleich ersticken zu müssen. - da ist sie, endlich ! - Dann wird ihm schwarz vor Augen.
Es beginnt zu schneien, zunächst sind es nur einzelne Flocken, dann hebt plötzlich ein Sturm an und der Schneefall wird dichter, viel dichter.

- da ist sie, endlich ! - die Jagdhütte von Alexeis Halb-Bruder Juri (zufällige Namensgleichheit). Anna hat die Hütte zirka 200 Meter vor ihnen gesehen, als Alexei das Bewusstsein verloren hat. jetzt ist sie nicht mehr zu erkennen, sie wäre auch nicht zu erkennen, wenn sie nur 20 Meter entfernt wäre. Anna starrt in die Mauer aus Schnee, die den Wagen umgibt. Der Sturm (130 km/h) rüttelt am Auto. 5 Minuten macht sie gar nichts, regungslos sitzt sie da. dann stirbt der Motor ab, kein Benzin mehr. Auch ohne Sturm beträgt die Außentemperatur nicht mehr als - 10 Grad. Celsius. Mit Sturm ist die gefühlte Temperatur weitaus tiefer. Im Wagen wird es schnell kälter. In den 5 Minuten, die Anna benötigt um 'durchzuschnaufen' sinkt die Temperatur um Auto auf knapp über Null Grad.

Jetzt erwachen ihre Lebensgeister - und der Überlebenswille - und ?

Raus hier, raus hier. Ich leb. Der nicht mehr. Ich will weiter leben. Raus hier!

Die Hütte ist direkt vor uns. Kann man nicht verfehlen. Scheisse, der stöhnt noch, der atmet, der lebt! Ich schaffs nie bis zur Hütte, wenn ich ihn schleppen muss.. Außerdem ist er sicher tot, bis wir bei der Hütte sind.. 100 prozentig.

(Sie weiß noch gar nicht bewusst, dass es für sie außer Frage steht, jemanden zurückzulassen, der in Lebensgefahr schwebt. Da riskiert sie selber lieber alles.)

Gut. Nicht schleppen, ziehen. Raus hier. Scheisse, kalt - Kalt! Und ich im T-Shirt!
Ok jetzt Alexei - so wie im Erste Hilfe-Kurs. Aus dem Auto retten. Verdammt, der ist schwer, zu schwer, Vorsicht!

Er begräbt sie unter sich. Sie kann sich zunächst gar nicht bewegen, sein (fast) lebloser Körper drückt den Ihren in den Tiefschnee.
Sie braucht 3 ganze Minuten, um sich befreien. Außer Atem und frierend steht sie vor dem Verbrecher und Mörder dessen Leben sie retten will. Durch den Sturm gepeitschte Schneeflocken zerschneiden ihr Gesicht. Dann wird sie durch eine Böe umgerissen. Sie rappelt sich auf und beginnt Alexei die ersten Meter in Richtung Hütte zu ziehen. Der Beginn einer 20-minütigen Tortur.

Sie kriegt kaum noch Luft: Anstrengung und der schneidende Sturm.

Nein! Die Tür ist mit einem Vorhängeschloss versehen, was jetzt? Ha! Was für eine Ironie! Wir überleben das alles, um jetzt vor einer verschlossenen (Scheiß-)Hütte elendiglich zu erfrieren?!
Sie lacht hysterisch auf, fassungslos über die Absurdität der Situation.
Zwei Mal, drei Mal dagegen - AU! - nichts rührt sich, gar nichts!!

Ihre Finger spürt sie nicht mehr. Der Wind legt sogar noch zu.

1 Minute und 4 Sekunden steht sie regungslos da. Versucht sich nochmal zu sammeln.

Ok, letzte Chance: vielleicht hat er die Schlüssel, wenn nicht - ...
Sie durchsucht ihn, kann mit den steifen Fingern kaum etwas ertasten. Und dann: tatsächlich! Da ist ein einzelner Schlüssel! Raus damit! Probieren!

Sie kann den Schlüssel kaum halten, aber - Ja! Ja! Ja! Er sperrt! Gerettet! Hinein, letzte Kräfte mobilisieren, auch ihn hinein zerren, los, los - o Gott - hoffentlich lebt er noch.

Drinnen ist's finster, aber 10-15 Grad wärmer als draußen, also so um die Minus 5 Grad.
Sie lässt Alexei liegen, findet eine elektrische (offenbar Batterie-betriebene) Lampe, zündet sie an und sieht sich um. Das ist das Paradies!

Wie sieht in so einer Situation eigentlich das Paradies aus? Whirlpool? Bett? Pizza? Musik?

Das Paradies sieht so aus: es gibt Holz, eine kaminartige Feuerstelle in der Mitte der zirka 20 Quadratmeter großen Hütte, es gibt Konservendosen, sogar verschiedene Sorten (!), Decken und eine Art Bett, oder eher ein Lager - also mit einem Wort, es tatsächlich das Paradies!

Sie merkt gar nicht wie ihr vor Freude und Erleichterung die Tränen über das Gesicht laufen.

Sie zerrt Alexei auf das Möbelstück, das wie ein Bett oder Lager aussieht. Er ist mit Sicherheit schon tot, oder es dauert nicht mehr lange. Keine Ahnung, ob er atmet.

So. Was jetzt? Erste Hilfe. Der Kurs ist knappe 2 Jahre her, Anna war damals sehr interessiert, mal sehen, was hangen geblieben ist..

Atemcheck: Kopf überstrecken, mit dem Ohr zu seinem Mund, 10 Sekunden warten, ob sich was tut - hören, sehen oder fühlen, d.h. man hört es, wenn der Patient atmet, oder man sieht, wenn sich der Brustkorb beim Atmen hebt und senkt, oder man fühlt bei den empfindlichen Augenlidern den Liftzug, der durch das Ausatmen entsteht. Hören Sehen Fühlen. So hat sie es im Erste Hilfe Kurs gelernt. Es ist keine Atmung vorhanden.

Anna 'funktioniert' weiter, wie im Lehrbuch. Sie ruft sich die Inhalte des Erste Hilfe Kurses in Erinnerung:

Ist keine Atmung vorhanden, Reanimation, also Herzdruckmassage und Beatmung:


Die einfachste Form der Beatmung ist die Atemspende, die in der Laienreanimation angewandt wird. Hierunter versteht man die Beatmung mit der Ausatemluft des Helfers, also entweder die „Mund-zu-Mund-“ oder „Mund-zu-Nase-Beatmung“. Diese Technik ist jedoch begrenzt, da mit ihr keine mit Sauerstoff angereicherte Luft gegeben werden kann: Nur 16 Prozent Sauerstoffanteil können so erreicht werden; im Vergleich dazu hat Raumluft 21 Prozent Sauerstoff, Beatmungsgeräte können bis zu 100 Prozent Sauerstoff erreichen. Durch den direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten besteht bei der Mund-zu-Mund-Beatmung immer das geringe Risiko der Krankheitsübertragung, dieses kann man durch die Verwendung einer Beatmungshilfe minimieren.

Bei der Herzdruckmassage wird das Herz durch Druck auf das Brustbein in Richtung Wirbelsäule gepresst. Dabei erhöht sich der Druck im Brustkorb, und Blut wird aus dem Herzen in den Kreislauf ausgeworfen. In der Entlastungsphase füllt sich das Herz erneut mit Blut. Enorm wichtig ist die Minimierung von Unterbrechungen während der Herzdruckmassage.

Als vorbereitende Maßnahme wird der Patient flach in Rückenlage auf einer harten Fläche wie dem Boden oder einem Reanimationsbrett gelagert und sein Brustkorb freigemacht. Der Druckpunkt befindet sich in der Mitte des Brustkorbes auf dem Brustbein.

Das Brustbein wird 30-mal in Folge kurz und kräftig heruntergedrückt. Die Eindrucktiefe beträgt etwa fünf bis sechs Zentimeter. Zwischen zwei Pumpstößen soll der Brustkorb komplett entlastet werden, damit sich das Herz wieder mit Blut füllen kann. Die angestrebte Frequenz der Herzdruckmassage liegt bei mindestens 100 und maximal 120 Kompressionen pro Minute. Die richtige Körperhaltung erleichtert dem Helfer die Arbeit. Er kniet aufrecht neben dem Patienten, seine Schultern befinden sich senkrecht über dem Brustbein des Patienten. Der Helfer drückt rhythmisch mit dem Gewicht seines Oberkörpers, während seine Arme gestreckt und die Ellenbogen durchgedrückt sind. Zunehmend werden auch mechanische Reanimationshilfen eingesetzt.

Bei der Herzdruckmassage kommt es häufig, auch bei korrekter Durchführung, zu Rippenbrüchen. Diese sind normal und bergen für den Patienten keinerlei weiterreichende Gefahren. Daher sollte auch nach einem oder mehreren Rippenbrüchen die Herzdruckmassage weitergeführt werden.

Alexej atmet nicht daher beginnt Anna Mit der Reanimation wir wissen nicht wie lange sie reanimiert trotz der Kälte ist sie binnen kürzester Zeit schweißgebadet 30 mal pumpen zweimal beatmen 30 mal pumpen zweimal beatmen beim dritten Atemcheck glaubt sie leichte Atmung feststellen zu können vorher war sie nicht nervös nun wird sie es
Tatsächlich er atmet erlebt sie ist sich nicht sicher ob ihrer Wahrnehmung der Realität entspricht oder ob sie nur geträumt das ist kein Traum ich habe ihm das Leben gerettet zumindest vorerst was nun ich bin patschnass in der Hütte hat es sicher auch unter 0°. Ah da ist Holz ich muss so schnell wie möglich den Kamin heizen sonst werden wir beide erfrieren.
Das Feuer brennt. Aber nur in Deiner Fantasie, Anna. Von wegen: keine Zündhölzer, kein Feuerzeug. Alles was schiefgehen kann, geht schief, der Schweiß scheint auf ihrer Haut zu gefrieren, durchhalten weitersuchen, jetzt Alexei durchsuchen jaaaaa ein Zippo! GOTT SEI GEDANKT.

Rufen wir alle in Notsituationen nicht alle GOTT an? Auf jeden Fall ergeht es Anna so.

Das Feuer brennt, draußen tobt ein Schneesturm, es ist eiskalt (-19 Grad Celsius), eigentlich fast romantisch.
Anna hat den Inhalt einer der Dosen gegessen und kann nicht mehr. Die absolute Erschöpfung hindert sie, einen klaren Gedanken zu fassen, kann gar keinen Gedanken fassen. Nur schlafen, nur schlafen.
Sie legt sich zu Alexei, dessen Wunde sie notdürftig mit Verbänden aus dem Erste Hilfe Kastens aus dem Auto versorgt hat. Er blutet bereits durch den Verband durch. Sein Körper glüht, er atmet schwach und unregelmäßig. Trotz des Feuers wird es überhaupt nicht warm.
Sie presst ihren schmerzenden Körper gegen dieses fast tote blutende heiße Fleisch, sie deckt beide mit einer Art Plane zu und schläft augenblicklich ein.
Ihre Hand ist nass, sie lag auf der Wunde. Alles voller Blut. Es ist mitten in der Nacht.
Sie hat geträumt, mit einer Leiche im Bett zu liegen - wie krank ist das?!
Neue Wundauflage, sie legt sich auf Alexeis riesigen Körper, um mit ihrem Brustkorb Druck auf die Wunde auszuüben und so vielleicht die Blutung zu stillen. Sie sollte Ekel empfinden, tut es aber nicht.
Ich bin die Wundauflage. Deine Wundauflage. Und Du schrecklicher Mensch wirst leben. Ich werde Dich retten.

Liebe Deine Feinde.

Es ist hell. Aber nicht in der Hütte. Das Licht schimmert nur schwach durch die zugeschneiten Fenster. Es ist eiskalt in der Hütte.
Jetzt ist der Ekel da. Annas Hosen sind nass. Nicht von ihr selbst. Im Koma kontrolliert der Mensch sich nicht mehr.
Aber die Blutung ist - vorerst mal? - gestillt.
Du wirst leben. Ich schwöre Dir, dass Du leben wirst.
Sie erhitzt Wasser über dem Feuer, wäscht sich und ihn. Keine Zeit für falsche Schamgefühle.
Hunderte Dosen Bohneneintopf und so eine Art Gulasch, hunderte Holzscheite, die Straße verschneit, das Auto unter Schneemassen begraben. Wir sind unsichtbar. Niemand wird uns finden. Und Du wirst wieder... - Oh!

Tage später. Wieviele eigentlich? Durchgehend Schneesturm.

Er starrt mich an - kein Lächeln. Er sieht mich ganz ruhig an. Und schließt die Augen wieder.
Du wirst leben. Das schwör ich Dir - bei Gott.
Und ich rette Dich - und dann übergebe ich Dich der Polizei. Falls wir hier je wegkommen.
Sie lächelt - keine Ahnung warum.
Genau eine Woche sind sie da. Zwei mal hat Andrei die Augen kurz geöffnet. Sie konnte ihm eine minimale Menge Suppe einflößen.
Der Rest ist Ritual, Gewohnheit, automatisch.
Aufstehen, beide waschen, Essen machen plus heizen, hoffen, dass der Schneefall endet bzw. dass das Hüttendach nicht unter der Schneelast Zusammenbricht, Wundauflage erneuern, ihn beobachten, und irgendwann wieder schlafen gehen, bei ihm und mit ihm.
Die Welt da draußen gibt es nicht mehr. Nur noch unsere Hütte. Nur uns zwei. Du wirst leben.

Anna denkt nicht an Juri. Juri denkt an nichts anderes als Anna.

Er öffnet die Augen. Kann sich nicht rühren- zu schwach. Sie wäscht mich? Auch da? O Gott nein.

Jetzt bist Du mir ausgeliefert Alexei, denn ich rette Dich - und ja, ich wasche Dich auch an dieser Stelle. Und da. Und da auch.

Und ich liege seit 10 Tagen jede Nacht bei Dir.

Liebe Deine Feinde.

Warum?

Ich bin nicht wie Du.

Du solltest mich töten.

Ich bin nicht wie Du.

Wie lange sind wir hier?

Exakt 23 Tage. Dir geht es besser. Viel besser.

Hast Du deshalb mit mir geschlafen?

Wie kommen wir hier weg?

Warum hast Du mit mir geschlafen?

Warum ich mit ihm geschlafen hab? Keine Ahnung. Ich schäme mich nicht einmal.. Es ist nur.. Wir sind allein auf dieser Welt. Nur wir zwei. Alles andere ist gleichgültig. Ich hab ihn gerettet. Ich liebe ihn nicht. Aber es gibt sonst niemanden mehr. Ich bin sicher nicht verrückt geworden oder so.
Das ist passiert - es war am 18. Tag einfach das natürlichste der Welt. Ich kann - UND WILL - es nicht anders erklären.
Ich habe ihn gerettet. Alexei, ich hab Dein Leben gerettet.

Warum hast Du mit mir geschlafen?

Alexei, ich habe das getan, weil - ...
Wie kommen wir hier weg?

Alexei grinst nicht. Diesmal nicht.

Miteinander zu schlafen wird nun zum täglichen Ritual. Gehört zum Tagesablauf. Beide genießen es. Alexei ist zum ersten Mal in seinem Leben zu einer Frau zärtlich.
Alexei schläft zum ersten mal in seinem Leben mit einer Frau, die keine Prostituierte ist. Und Alexei versteht die Welt nicht mehr.
Und Anna? Liebe Deine Feinde? Keine Ahnung - ich schlafe täglich mit meinem Feind.
Aber er ist nicht mehr mein Feind. Ich .. ich .. er ist nicht mein Feind. Er ist ... er ist hier und jetzt mein Leben. Ich liebe ihn nicht.

Unter dem Stockholm-Syndrom versteht man ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert.

Der Begriff des Stockholm-Syndroms, das kein Syndrom im eigentlichen Sinne darstellt, ist auf die Geiselnahme am Norrmalmstorg vom 23. bis 28. August 1973 in Schweden zurückzuführen. Damals wurde Kreditbanken, eine Bank am Norrmalmstorg, im Zentrum der schwedischen Hauptstadt Stockholm, überfallen. Vier der Angestellten wurden als Geiseln genommen. Es folgten mehr als fünf Tage, in denen die Medien erstmals auch die Angst der Geiseln bei einer Geiselnahme illustrierten. Dabei zeigte sich, dass die Geiseln eine größere Angst vor der Polizei als vor ihren Geiselnehmern entwickelten.
Trotz ihrer Angst empfanden die Geiseln auch nach Beendigung der Geiselnahme keinen Hass auf die Geiselnehmer. Sie waren ihnen sogar dafür dankbar, freigelassen worden zu sein. Zudem baten die Geiseln um Gnade für die Täter und besuchten sie im Gefängnis.
Fälschlicherweise wird das Stockholm-Syndrom manchmal auch als Helsinki-Syndrom bezeichnet (z. B. in den Filmen Stirb langsam, Knockin’ on Heaven’s Door).

Hat Alexei Anna als Geisel genommen? Eigentlich nicht. Das Stockholm Syndrom liegt hier höchstwahrscheinlich nicht vor. So etwas ähnliches?
Vielleicht streift das Schicksal beider die Thematik des Stockholm Syndroms. Befindet sich Alexei nicht auch in einem großen Abhängigkeitsverhältnis von Anna? War er ihr während seines Komas aber auch danach nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert? Hat Anna ihre Machtposition ausgenutzt als sie mit Alexei geschlafen hat? Anna selbst weiß, dass das so ist. Die Initiative ging ganz eindeutig von Ihr aus.

Alexei geht’s besser. Das atmen schmerzt noch und er ist nach wie vor schwach. Und er wird sich der Unerträglichkeit der Situation bewusst - nicht einmal der Erzähler könnte sagen, ob sich Alexei in Anna verliebt hat, wie sollte es da Alexei wissen?
Seit zwei Tagen (und einem knappen Monat in dieser gottverfluchten Hütte) 'verweigert' er sich Anna.
No more Sex.
Wie von Anfang an reden sie nur wenig miteinander.

Ich werde Dich zu Deinem geliebten Juri bringen.

Anna zuckt zusammen. Sie wird blass. Hab ich mich so sehr davor gefürchtet?? Ja.
Aber dieser Moment musste kommen.
Und da ist es wieder: das Grinsen. Sie hasst ihn in diesem Moment. Das gleiche Grinsen wie bei ihrem ersten Zusammentreffen - eigentlich wie ein kleiner Bub, der etwas angestellt hat.
Wie machen wir das?
Auf dem Kasten hinter den Holzscheiten befindet sich ein altes Funkgerät. Wir werden versuchen, damit meinen Halbbruder zu kontaktieren, er kann uns helfen.
Es erweist sich als sehr viel schwieriger als gedacht, das Funkgerät vom Kasten hinunter zu heben. Alexei ist es aufgrund seiner Verletzung unmöglich, mitzuhelfen, so muss Anna das schwere Gerät selbst stemmen, beinahe stürzt sie mit samt dem sperrigen Gegenstand vom Hocker, doch dann ist es geschafft - man muss es an einen Dieselgenerator anschließen, der die Batterie betreiben soll. Zwei Tage lang versuchen sie erfolglos, Alexeis Halbbruder Juri zu erreichen, doch dann, mitten in der Nacht ertönt ein lautes knacken und Anna hört ein lautes Krächzen - und zwar auf Russisch.
Es ist tatsächlich Juri, seine Stimme klingt sehr aufgeregt. Alexei spricht ruhig und schnell mit ihm. Anna kann kaum etwas verstehen - das Gespräch dauert zirka 2 Minuten, dann trennt Alexei das Kabel, das das Funkgerät mit dem Generator verbindet mit einem Messer durch und betätigt den ein /aus Knopf - das Knistern und knattern verstummt. Wir müssen aufpassen, man versucht sicher mit allen Mitteln, uns zu orten, nur kein Risiko eingehen. Alexei sag mir bitte, was los ist, was habt ihr besprochen? Keine Angst Anna - ich denke das ist das erste Mal, dass er sie bei ihrem Namen anspricht - wir werden dich zurück zu deinem Juri bringen - seine Stimme klingt verächtlich. Zunächst verzieht er sein Gesicht fast wie im Schmerz, doch dann scheint er sich zu kontrollieren - das Grinsen ist wieder da. Anna fühlt Übelkeit in sich aufsteigen und auch schlechtes Gewissen - nun ist das schlechte Gewissen da und die Angst die Angst um Juri, die Angst um Alexei, die Angst um sich selbst. Angst. Angst. Angst.

Es ist 6:00 Uhr morgens - es ist noch stockdunkel, doch es hat nach einigen Wochen zum ersten Mal (!) zum schneien aufgehört, der Himmel ist sternenklar, beide hören gleichzeitig die Motorengeräusche. Alexei greift nach seiner Pistole. Unwillkürlich greift Anna nach seiner Hand - sofort zieht er sie zurück. Das Motorengeräusch wird nicht lauter, es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie in der Ferne das schwache Licht von Scheinwerfern sehen.

Du bleibst in der Hütte - nein ich komme auf jeden Fall mit vor die Hütte - du bleibst drinnen. bitte.

Es ist das erste Mal, dass er zu ihr bitte gesagt hat. Durch das Fenster sieht sie Alexei mit der Waffe im Anschlag. Die Scheinwerfer des Fahrzeuges, dass sich nur langsam nähert sind nun auf ihn gerichtet. Anna muss würgen - für einen Moment ist sie überzeugt, dass gleich wieder die Hölle los bricht, dass wieder geschossen wird, dass wieder Menschen sterben, dass Alexei stirbt - doch dann bleibt das Raupen-Fahrzeug stehen, ein Mann steigt aus, geht auf Alexei zu - einige Worte werden gewechselt, zuerst laut und schnell, dann ruhig und langsam dann umarmen sich die beiden Männer für einen kurzen Augenblick.

Mühsam quält sich das Raupenfahrzeug durch den Tiefschnee, mit zirka 15-20 KMH.
Ein letztes Mal hat sich Anna nach der Hütte umgedreht, in der sie fast einen Monat ihres Lebens verbracht hat.
Keiner spricht ein Wort. Alle drei schweigen. Alexei sieht gerade aus. Sein Gesicht ist ausdruckslos. Anna will etwas sagen, will sprechen, aber ihr fehlen im wahrsten Sinne des Wortes die Worte.

Und nun passiert etwas Seltsames - eigentlich wäre Trommelwirbel angebracht. Alexei setzt zum sprechen an. Er sieht Anna an, er öffnet 2 mal den Mund, um zu sprechen, aber es kommt kein Wort heraus Anna fällt auf, wie bleich er ist - diese Blässe ist nicht nur mit Alexeis Gesundheitszustand zu erklären, er sieht Anna lange an, seine Augen scheinen zu zittern, er presst die Kiefer gegeneinander.

Danke.

Ich weiß nicht was ich sonst hätte sagen sollen es gibt sonst nichts zu sagen Gefühle keine Ahnung ich werde ihr einfach helfen so wie sie mich ansieht hat sie meinen Dank verstanden wir leben in zwei unterschiedlichen Welten und werden niemals in der gleichen Welt leben können das begreift sogar jemand wie ich.
was ich nicht begreife ist das...

Anna weint, ohne ein Schluchzen rinnen die Tränen über ihr Gesicht.

In 5 Minuten sind wir da.

Dein Juri wird auch da sein.

Sie sind mittlerweile in einen alten Lada Taiga umgestiegen.

Oh Gott was ist aus mir geworden. Ich kenne mich selbst nicht mehr.

In der Tat, was ist aus der jungen Frau Anna geworden - eine junge Österreicherin, die ein sehr solides Leben führte, die eine gute Zukunft vorgezeichnet hatte. Dann verliebt sie sich – auch noch ganz normal – in einen jungen Mann. Und binnen ein paar Wochen ist Ihr Leben auf den Kopf gestellt. Nichts wird mehr so sein wie früher. Nie mehr in ihrem Leben wird sie wirklich unbeschwert sein können. Das alte Leben ist vorbei, endgültig. Wie wird sich das neue entwickeln?

Oh Gott was ist aus mir geworden. Ich kenne mich selbst nicht mehr.

In der Tat, was ist aus dem jungen Mann Alexei geworden - ein junger Russe, der kein solides Leben führte etc.

Es hat wieder leicht zu schneien begonnen. Durch das abrupte Anhalten des Wagens wird Anna aus ihren Gedanken gerissen.

Wir sind da.

Es ist alles wie im Traum. Wie im Albtraum. Sie sieht Alexei nicht mehr an, mechanisch steigt sie aus dem Lada. Sie hört auch nicht mehr die Stimme jenes Mannes, mit dem sie den letzten Monat ihres Lebens verbracht hat: leb wohl Anna, dort vorne ist dein Juri.. sie sieht IHREN Juri. Mit fünf Männern steht er circa 100 m von ihr und ihren zwei Begleitern entfernt. Er bewegt sich nicht, steht da wie eine Statue. Es ist alles wie im Traum. Wie im Traum geht sie langsam auf ihn zu. Sie geht auf einen Fremden zu. Die Hälfte der Strecke ist beinahe zurückgelegt.
Und dann wiederholt sich das Grauen: links und rechts des Parkplatzes stürmen plötzlich Bewaffnete herbei und eröffnen sofort das Feuer. Anna wirft sich zu Boden, als sie zurück blickt, sieht sie das Alexei und sein Halbbruder das Feuer erwidern. Innerhalb von Sekunden gehen beide getroffen zu Boden. Alexeis Halbbruder liegt leblos auf dem Rücken, Alexei selbst kniet schwer atmend am Boden.

Juri geht an Anna vorbei.

Es ist vorbei Schatz, Du bist in Sicherheit.

In seiner Hand hält er eine Pistole. Sein Blick ist hart.

Zwei Meter vor Alexei bleibt er stehen.

Nein bitte nicht

Er hebt den Arm.

Nein nicht

Es ist eine Hinrichtung.

Die beiden Männer sehen sich ins Gesicht.

Nein

Drei Schüsse in die Brust.

Es gibt keinen Gott

Anna springt auf. Sie stößt Juri mit aller Kraft zur Seite und wirft sich auf Alexei. Ihr Schrei hat nichts Menschliches.

Es gibt keinen Gott

Es gibt kein Leben

Es gibt keine Liebe

Es gibt keine Rettung

Wimmernd liegt sie auf Alxeis Leichnam, faucht jeden an wie ein wildes Tier, der versucht, sie von ihm wegzuziehen. Auch Juri.

Es gibt keinen Gott

Es gibt kein Leben

Es gibt keine Liebe

Es gibt keine Rettung

EPILOG.

Ein schöner Spätsommer-Nachmittag. In der Nähe von Moskau.

Russische Mafia-Familien haben Krieg beendet! Endgültige Bilanz: 400 Tote.
Politik und Polizei haben versagt!

Die Katastrophe - so benennen Yuri und Anna das Unaussprechliche - ist nun bald 3 Jahre her.

Viel Zeit ist seither vergangen.

Als Anna wieder zu Bewusstsein gekommen war, sah sie als erstes in die Gesichter ihrer Eltern, die sie voll Sorge und Liebe betrachteten. Per Ärzte-Flug-Ambulanz wurde sie drei Tage später nach Wien gebracht, wo sie stationär im Allgemeinen Krankenhaus aufgenommen wurde. Auf einer psychiatrischen Station.
Drei Wochen hat sie dort verbracht. Sie hatte Glück mit ihrer Psychiaterin, einer jungen sehr engagierten Frau, die sich beinahe aufopfernd um Anna gekümmert hat.
Dieser Frau konnte sich Anna anvertrauen, über das Erlebte sprechen, das Grauen gemeinsam verarbeiten und Trost und so etwas wie Geborgenheit finden. Niemand, auch die Psychiaterin nicht, hat je mehr über ihre Beziehung zu Alexei erfahren, als dass Anna einfach dem Stockholm-Syndrom erlegen ist, und und sich mit ihrem Geiselnehmer identifiziert hat.

Juri hat sich in Wien der Polizei gestellt und wurde wegen Mitgliedschaft bei einer kriminellen Organisationen und wegen Steuerhinterziehung zu 2 Monaten unbedingt und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Kooperation mit den Behörden erwies sich als sehr bedeutender Strafmilderungsgrund.

Nach seiner Entlassung ruft Juri bei Annas Eltern an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Als Anna von dem Gespräch erfährt, ruft sie Juri zurück. Es wird vereinbart, sich eine Zeit lang nicht zu sehen oder gar zu treffen. Dennoch bleibt Juri in Wien.
Wochen nach Annas Entlassung aus dem allgemeinen Krankenhaus vereinbart sie ein Treffen mit ihm.
Sobald sie beisammen sind, stellt Anna fest, was sie sowieso wusste. Sie liebt diesen Mann.

Juri gesteht ihr alles, seine Liebe, seine wahre Rolle in seiner Familie. Und er sagt, dass er Anna jede Zeit der Welt gibt, solange nur der Funken einer Chance besteht, sie je zurück zu gewinnen. Das sind nicht nur leere Worte, sondern Juri lässt auch Taten folgen. Erst nach einem Monat und vielen Sitzungen Annas mit ihrer Psychiaterin treffen sich die beiden wieder.

Und sie werden ihre Liebe und ihre Beziehung erneuern.

Zwei Jahre später.

Ein schöner Spätsommer-Nachmittag. In der Nähe von Moskau.

Russische Mafia-Familien haben Krieg beendet! Endgültige Bilanz: 200 Tote.
Politik und Polizei haben versagt!
Hochzeit Juri Andropovs mit Österreicherin, die damals Geisel Der Mafia war.

Anna hat ja gesagt.

Hat ihrem Juri ja gesagt. Sie wollte allerdings keine Hochzeit in Moskau. Da hat Juri sie überredet. Alle sind da. Annas Eltern, Familie und Freunde , der Andropov Klan, und auch die damals verfeindeten Familien und Klans, z.B. der Medwedew Klan. Es ist Frieden. Und diese Feier besiegelt den Frieden zwischen den Familien.

Auch Annas Psychiaterin ist eingeladen. Anna hat es geschafft. Es hat zwar viel Arbeit gekostet, viel Zeit, viele Tränen, aber Anna hat es geschafft. Sie ist glücklich.

Seit 30 Sekunden steht Anna alleine da. Zum ersten Mal während dieser Hochzeit. Juri muss ein paar wichtige Geschäftspartner begrüßen.

Fast gleichzeitig nehmen die beiden Frauen einander wahr und erkennen einander sofort.

Es ist jene Frau, die Anna damals zur Dusche gebracht hat, und ihr ihr Gewand gegeben hat. Nun sieht sie Anna an und lächelt. Es ist kein glückliches Lächeln. Anna lächelt zurück. Dann erst fällt ihr auf, dass jene Frau ein Kind an der Hand hält. Das 2-3 Jahre alte Kind reißt sich von seiner Mutter los, läuft auf Anna zu und ruft laut: Mama Mama!
Anna sieht in das Gesicht des Buben. Kurzes blondes Haar, wasserblaue Augen und ein Grinsen. Anna kennt dieses Grinsen.

Mama Mama

Sofort ist die Mutter da. Das ist nicht die Mama, ich bin die Mama.

Bitte entschuldigen Sie. Mein Sohn sagt zu vielen Mama oder Papa, er versteht noch nicht. Ich wünsche Ihnen von allem Herzen alles Gute und vor allem viel Glück in ihrem Leben.

Ihre Augen fühlen sich mit Tränen.

Dann nimmt sie ihren Sohn bei der Hand und sagt: Alexei, mein Schatz, wir müssen gehen. Auf Wiedersehen.

Anna ist wieder alleine. Zwei Tränen verlassen ihre Augen.

Alles ist wieder da. Die Vergangenheit hat sie auf grausame Weise eingeholt.

Es gibt keine Rettung.

Von hinten wird sie zärtlich umfasst, umgedreht, dann sieht sie in Juris glückliche Augen. Er küsst sie lang und voller Liebe.

ANNA ist in Eile, sie muss zur Anmeldung, sie hat zwar noch einen Zeitpolster, aber das Anstellen an der Bibliothek hat dann doch länger gedauert, als gedacht. Aber sie hat nun die Bücher, die sie benötigt, endlich waren sie verfügbar. Und jetzt noch die Literaturprüfung, und dann ist diese Woche geschafft, endlich!

Bereits 80 Tote.

Hastig geht sie um die Ecke, und dann: der Zusammenstoß, der ihr Leben für IMMER verändern sollte (wie in einem schlechten Film, denkt sie später).
Offenbar hat er es genauso eilig wie sie, warum, werden wir nie erfahren, aber das ist auch nicht von großer Wichtigkeit.
Die Bücher fallen auf den Boden, Anna fast auch, ein Bucheinband löst sich vom Buch. Anna ist ziemlich grantig, bitte aufpassen, zischt sie dem Menschen zu, der vor ihr steht und gleich sagt: Verzeihung, Entschuldigung, Verzeihung, darf ich Dir helfen? Nein, geht schon. Danke. Das Danke kommt nicht gerade freundlich rüber, es ist eher ein Hau-ab-danke. Warte, da drüben liegt noch eins - wow, die sieht ziemlich gut aus, echt hübsch - hier ist es.. Danke, geht schon, sicher ein Student aus einem osteuropäischen Land, dieser Akzent, typisch. So,und jetzt weiter zur Prüfung.
Nochmals Entschuldigung, ehrlich! Jaja, ist ja nix schlimmes passiert, der schaut ja richtig verzweifelt drein. So, und jetzt weiter zur Prüfung. Wiedersehen. Eigentlich recht gut aussehend. Prüfung! Jetzt aber flott.

Flott. Jetzt flott Sergej anrufen, der soll das Flugzeug vorbereiten. Und zwar flott. Es gibt wichtigeres, als hübsche Mädchen mit Büchern über den Haufen rennen.

Anna hat vor 2 Jahren an einem der besten Gymnasien Österreichs mit Auszeichnung maturiert und studiert nun Internationale Betriebswirtschaftslehre und nebenbei Literaturwissenschaft. Etwas sinnvolles und etwas Otium. Sie wohnt seit 2 Jahren nicht mehr bei ihren Eltern sondern in der Nebenwohnung - ein bißchen Unabhängigkeit, aber auch nicht zuviel. Das Verhältnis zu ihren Eltern kann man als sehr gut bezeichnen.

Juri ist Russe. Er ist 23 Jahre alt.

Es regnet in Strömen, ein Wetter bei dem man keinen Hund vor die Tür schicken.
Aber Anna ist zu früh dran, sie trifft sich mit Cynthia, einer Freundin aus Schulzeiten. Allein im Café Maximilian sitzen - nicht so toll, diesbezüglich ist sie vielleicht noch ein bißchen wie ein kleines Mädchen - ist ja auch voll peinlich dort dann allein zu sitzen..
Aber es schüttet, also hinein.

Um Gottes Willen, schon wieder Du?! Aua. Das war mein Kopf. (Tür gegen Kopf, nicht sehr fest, aber es schmerzt trotzdem genug)
Oje! Schon wieder! Ich weiß gar nicht, wie ich mich entschuldigen soll, wie kann so etwas zweimal hintereinander in einem so kurzen Zeitabstand passieren? (Es handelt sich nämlich um nur 3 Tage seit dem letzten Zusammentreffen bzw. Zusammenstoß in der Bibliothek, die Literaturprüfung hat Anna übrigens mit einem Sehr Gut bestanden, aber das weiß sie selbst noch gar nicht)
Das muss Schicksal sein - entschuldige den blöden Witz, das war unangebracht - er lächelt schüchtern, peinlich berührt, weiß nicht, was er jetzt machen soll - darf äh dürfte ich mich mit einer Einladung auf einen Kaffee gleich hier und jetzt entschuldigen? Nein (sehr entschlossen), ich treffe hier eine Freundin, die kommt gleich, pass einfach in Hinkunft nur besser auf, das wäre schon genug Entschuldigung!
Lass mich wenigstens Deine Rechnung begleichen, Du musst den Kaffee ja nicht mit mit konsumieren. Bitte!
Cynthia ist eh noch nicht da, und selbst in so einer Situation ist man nicht unhöflich, deshalb sagt Anna zu und setzt sich mit dem Rempler und Türaufreisser an einen kleinem Kaffehaustisch - der Kopf schmerzt tatsächlich noch ein bißchen.

Wer war denn das?! Hast Du einen Verehrer? Cynthia konnte noch nie ihre Neugier verbergen.
Sieht so aus. Er hat mir sogar seine Telefonnummer gegeben.
Und: der Rempler und Türaufreisser ist wirklich nett. Er ist Russe, heißt Juri, arbeitet für seinen Vater und studiert in Wien. Wirklich sehr nett. Und: er findet mich nett... Da bin ich mir sicher.
Bringt mich aber in eine blöde Situation, weil er mich nicht um meine Nummer fragt (wie es gehört,wie gehört das eigentlich?), sondern mir seine gibt. Ich will Dich ja nicht belästigen, ruf Du mich an, aber nur wenn Du echt Lust hast. Ja sicher. Mach ich ganz sicher. Genau. Würd ich aber echt gern. War wirklich ein sehr superes Gespräch.

Hallo, hier spricht die Anna, also äh das Mädchen, dass Du dauernd rempelst haha (unsicher), äh wollt mich nur mal rühren ... oder so.. Na gut. Baba.
Oh Gott, peinlicher geht's nicht mehr! Neeein! Könntest Du Dich nicht verhalten wie eine dreizehnjährige?! Also ich würde mich nicht zurückrufen. Und dieses läppische Gekicher! Anna ist keine dreizehn mehr, aber sie hasst es sich so zu benehmen, sie weiß, dass viel besser erscheinen kann.

Bereits zirka 100 Tote. Zahl der Verletzten unbekannt. Situation außer Kontrolle.

Der Rückruf erfolgt prompt: nein, ich hab Deine Nachricht noch nicht abgehört, wieso? Sie löschen bevor ich sie abhöre? Jetzt werde ich allerdings neugierig, nein, nein ok, ich lösche sie ohne sie abzuhören. In der Tat wollte ich Dich bereits anrufen ('in der Tat' und 'bereits' sind nur zwei von vielen Beispielen, dass sich der Russe Juri etwas anders ausdrückt, als der normale österreichische Jugendliche bzw. Student).

Annex: In der Tat - und nun schaltet sich der (auktoriale) Erzähler zum ersten Mal offiziell ein - stellen wir fest, dass Anna sich zu diesem Zeitpunkt bereits verliebt hat, auch wenn sie das selbst vielleicht noch gar nicht weiß. Nicht nur, dass dieser Juri gut, ja sogar sehr gut aussieht (groß, ca. 1.90, Schwarze Haare, blaue Augen, schlank, aber nicht dünn, Hemd und Hose ) und dieser echt sehr ansprechende slawische Akzent mit der eher witzigen Wortwahl (einen Kaffee konsumieren, haha). Und ein perfektes Benehmen, ein echter Gentleman.
Ok, das ist wahrscheinlich alles Chemie: sogar beim allerersten Zusammentreffen bzw. Zusammenstoß findet man Gefallen aneinander, dann sieht man sich nochmal und: dann ist es auch schon passiert - wurscht, ob man will, man denkt einfach viel aneinander, hat Herzklopfen und so weiter. Und: es passieren solche Anrufe wie jener Annas - man ist nervös, man stammelt unsinniges Zeug, das einem extrem peinlich ist, man ist halt auch total unsicher. Und wie gesagt: man hat Herzklopfen und Flugzeuge im Bauch.
Anna wird bei diesem Telefonat mit Juri fast ein bißchen schlecht, so nervös ist sie.

Und siehe da - obwohl ich rede und scherze wie dümmste Tussi, die es auf dieser Welt gibt, will er sich wieder auf einen Kaffee mit mir treffen, und er hat sogar gesagt, dass er sehr gehofft hat, dass ich ihn anrufe juhuu! Aber egal, das heißt gar nichts, nur ja vor der Cynthia nichts erwähnen, die macht mich sicher noch wahnsinniger mit ihren Analysen (die leider oft stimmen).
Und dann sitzt man wieder zusammen: Anna findet, dass sie etwas zu sehr 'gestylt' ist, aber egal: Juri strahlt sie regelrecht an, Sie reden beide über ihre Schulzeit (Anna spielt ihre Leistungen herunter, um nicht als Streberin dazustehen, wie peinlich), Juri erzählt Geschichten von seiner Moskauer Privatschule, wie man dort die Lehrer zur Verzweiflung bringen konnte, als sogenanntes Oligarchenkind. Übrigens: ist das ein Date?! Anna wird bei dem Gedanken ganz rot und entschuldigt sich auf die Toilette - komm schon entspann Dich, es läuft eh super.
Juris nächster Satz und Annas Reaktion darauf beweist uns, dass sie zumindest verknallt ist: es kommt mir vor (nach zirka 1 Stunde Gespräch), dass wir uns schon eine Ewigkeit kennen - eigentlich eine wirklich schwache Aussage, fast billig. Aber: es ist witzig, aber ich seh das genauso wie Du - und sie wird schon wieder voll rot, Juri lächelt.

Das Militär wird die Polizei unterstützen müssen.

Das Wort 'Date' fällt nie, aber sie treffen einander immer nur zu zweit, vier, fünf mal auf einen Kaffee, und weil man in dieser Situation der Verliebtheit doch eher unsicher ist, fragt Anna sich, ob Juri vielleicht doch nur Freundschaft will, es wär doch Zeit für einen nächsten Schritt, oder? Muss ja nicht gleich ein Kuss sein, aber zumindest ein Kompliment wäre doch angebracht - außer er will halt wirklich nur Freundschaft, das wäre zugegebenermaßen wirklich eine riesengroße Enttäuschung.

Anna weiß jetzt, dass sie zumindest verknallt ist, was sie nicht weiß, ist dass Juri VOLL auf sie steht, aber deshalb ebenfalls sehr nervös ist, sich denkt, dass Anna vielleicht nur Freundschaft will und sich nicht im Mindesten traut, einen weiteren Schritt zu unternehmen, wie denn auch, wenn man totale Angst hat, dass sie mich nicht mehr sehen will. Ich hätte echt andere Sorgen, aber diese Österreicherin verwirrt mich leider doch ziemlich, hmm. Wie kitschig: ihr Lächeln ist tatsächlich unglaublich bezaubernd, ich würd mich nur deshalb mit ihr treffen, nur: vor Nervosität wäre mir peinlicherweise fast übel geworden - und das passiert einem wie mir, einem wie MIR!

Soldaten patrouillieren auf den Straßen, der Präsident kündigt hartes Durchgreifen an, die Opferzahlen steigen weiter.

Mir ist scheißegal, wie ihr das macht, die Schweine werden das bezahlen, sie werden das bezahlen, das schwöre ich euch!

Juri hat Anna nun schon einige Male mit dem Auto von zu Hause abgeholt, eine schwarze Jaguar-Limousine mit schwarzen Ledersitzen, sehr elegant denkt sich Anna. Für ihre Eltern, die das Auto offenbar nicht bemerkt haben, trifft sich Anna nur mit Freunden und Studienkolllegen. besser so.
Sie waren auch schon gut essen, am Abend, Candlelightdinner und so. aber Juri ist eben immer der perfekte (zu perfekte) Gentleman.. Heimbringen ja, aber mehr eben nicht. Ein bisschen ärgerlich, da es Anna bisher nie notwendig hatte, die Initiative zu ergreifen. Was das betrifft war sogar immer etwas konservativ: der Mann muss bei einem hübschen Mädchen die ersten Schritte tun, ist doch klar. Also bitte, Juri, los!
Sie bestellen zu diesem Abendessen im Imperial sehr guten Wein, einen schweren Rotwein, und Anna hat vielleicht das eine Glas zu viel getrunken sie ist jetzt ein bisschen angriffslustig. Auch Juri wirkt lockerer. Man lacht viel und: Anna streichelt Juri öfter über den Arm. Und er? Na endlich, jetzt auch er!
Aber dann: Anna, ich bring Dich jetzt nach Haus, ich muss morgen sehr früh nach Russland, die Geschäfte, du weißt..
Welche Enttäuschung! Wir kommen uns (fast) näher, und bricht er den Abend einfach ab! Scheiß-Geschäfte!
Ich bring Dich noch zur Tür? Nein danke, darauf kann ich verzichten, Du Depp -- sagt sie natürlich nicht, sondern: nein danke, geht schon + Lächeln.
Anna, Hör zu, ich.. Schwul oder was ?(zum Glück hab ich das nur gedacht, ich bin ja echt beschwipst).
Er nimmt sie in die Arme und küsst sie, lang und zärtlich, Annas Herz bleibt stehen, sie spürt seines sehr rasch schlagen. Wow. Wow!
Sie sehen sich an, lächeln, küssen sich nochmal, ok wir sind die 2 glücklichsten Menschen der Welt, das ist eine objektiv zutreffende Behauptung.
Es ist - und das sagt der Erzähler, deshalb stimmt es auch - in diesem Moment wirklich zutreffend, sie sind die glücklichsten Menschen des Planeten.
Du machst mich zu einem sehr glücklichen Menschen, das könnten nun beide gesagt oder gedacht haben.
Ich muss los, sagt Juri, ich rufe Dich bald an, sehr bald. Anna haucht das 'ja' wie in einem schlechten Film, sie hat weiche Knie, ihr ist schwindlig, sie lächelt selig. Bis bald. Danke.

Wieder kein Rückruf, das gibt's nicht. Sie hat in den letzten drei Tagen gezählte acht Mal versucht, Juri zu erreichen. Er hebt nicht ab, er ruft nicht zurück. Keinerlei Reaktion. Das ist ziemlich bitter. Halten wir fest, dass Anna sich ja in einem Zustand extremer Verliebtheit befindet, da ist 'ziemlich bitter' nicht mehr als ein Hilfsausdruck, es ist einfach zum Heulen. Der wollte mich vielleicht nur ein Mal küssen? Hat festgestellt, wie mies ich küsse? ich rufe Dich bald an, sehr bald.Haha.
Am liebsten würde sie etwas zerstören, zertrümmern. Und allein sein. Sie fühlt sich gedemütigt, vielleicht lacht er ja gerade in diesem Moment mit seinen Freunden, oder noch schlimmer mit seiner Freundin über sie, ihre Gedanken haben sich schon zu oft überschlagen, zu viele Szenarien hat sie durchgespielt, aber eines komischerweise nicht: es ist ihm was passiert! Um Gottes Willen.
Ich muss jetzt trotzdem weiter meinen Weg gehen, und aus. Trotzdem weint sie sich an diesem Abend in den Schlaf - unfassbar, dass ich so verliebt bin. Fuck.
Ich bin's. Juri. Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte mich eher melden sollen, aber wir können nicht weitermachen, es ist leider aus..
Sie schreckt hoch, kennt sich nicht aus, weil das Telefon klingelt - es ist kurz nach Mitternacht - was ist Traum? Was ist echt? Geh bitte!!
Sie hebt benommen ab:
Ich bin's. Juri. Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte mich eher melden sollen, aber es ging echt nicht, glaub mir, ich war in einem verdammten Funkloch und wir hatten Probleme mit dem Flugzeug, ich konnte nicht weg - ich erkläre es Dir genauer, wenn ich zurück bin. Glaub mir, Du hast mir sicher mehr gefehlt, als ich Dir. Anna?
Anna hat keine Lust, jetzt die Beleidigte zu spielen, sie freut sich einfach nur. Sie hat sich kurz selbst fest in den Unterarm gezwickt (das macht sie seit dem zirka sechsten Lebensjahr, wenn etwas total schön ist). Jetzt ist sie hellwach.Wann kommst Du denn? (Das war jetzt zu lieb und unterwürfig zu jemandem, der sich solange nicht meldet grml.)
Morgen früh, um 6 bin ich in Schwechat. Wenn Du magst, könnten wir gemeinsam frühstücken - Anna, Du hast mir ECHT gefehlt, bitte glaub mir das.
Du mir auch, aber jetzt muss ich schlafen, wir sehen uns morgen. (Das war jetzt zu kurz angebunden und unfreundlich zu jemandem, der sich solange nicht meldet und dem ich ECHT gefehlt hab. grml.)
Und sie schläft ziemlich glücklich ein.
Und er kämpft fast mit den Tränen, weil er Angst hat, sie zu verlieren. Ich kann ihr nicht alles sagen. Das kann ich nicht! Auf gar keinen Fall.
Er hatte sich doch einen Text zurechtgelegt: Ich bin's. Juri. Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte mich eher melden sollen, aber wir können nicht weitermachen, es ist leider aus..
Doch irgendwie ging das dann nicht. Unfassbar, dass ich so verliebt bin. Fuck.

Sie treffen sich um 7 Uhr im Kaffee Wortner im 4. Bezirk. Sie sind beide glücklich, strahlen sich an, schmusen, wenn die Kellnerin gerade nicht im Raum ist, sonst ist niemand da. Die Erklärungen Juris sind plausibel, außerdem egal, wir haben uns jetzt ja wieder. Und: er wird für mindestens 10 Tage in Wien bleiben! Und noch besser: er will mich unbedingt jeden Tag sehen! Anna ist im siebenten Himmel - nichts, aber auch gar nichts könnte ihr Glück trüben - zumindest SIE ist davon fest überzeugt. Juri auch immer mehr, denn irgendwie schafft er es, sein anderes Leben auszublenden und einen schönen Traum zu leben - aber für wie lange?
Die nächsten Wochen sind die beiden unzertrennlich, einmal muss Juri kurz nach Russland, ruft aber in diesen 2 Tagen Anna mindestens 12 mal an, kommt zurück, und verkündet, dass er sich zwei Wochen frei genommen hat, um Zeit mit seiner Freundin zu verbringen. Das bin ich, das bin ich, ich bin die Freundin, Willkommen im Himmel, im 7. Himmel!

Meinen Eltern vorstellen, nein, ist noch zu früh. Wieso komm ich überhaupt auf den Gedanken? Weil es mir so ernst ist? Hmm, vielleicht.

Juri führt sie nicht nur aus in die besten Lokale der Stadt, er nimmt sie nun auch mit in sein Haus im 19. Bezirk. Dieses Haus - das zwar von außen wie eine Festung wirkt, hohe Mauer, Stacheldraht und so, ein reicher Russe muss sich wohl schützen - bietet einen der schönsten Blicke auf Wien.
Und: man schmust und kuschelt, aber: eben nicht mehr. Auch hier macht Juri (natürlich) alles richtig, er gibt Anna Zeit - ich brauch übrigens keine Zeit mehr, mit diesem Mann wär ich jetzt zu allem bereit.
Wir gehen nicht ins Detail, aber Anna hat sich sogar schon ziemlich tolle Unterwäsche für diesen Moment gekauft und ist beim Palmers einer ehemaligen Lehrerin in die Arme gelaufen, deren Blicke sowas sagten wie: Aha, haben wir noch was vor heute, oder? Voll peinlich, eigentlich, aber ist mir doch egal! Soll sie denken,was sie will.
Und nochmal: auch wenn es wirklich richtig und perfekt und blablabla ist, er soll sich jetzt keine Zeit mehr lassen, mein kleiner Schüchti! Er könnte ruhig ein bißchen mehr von einem Badboy haben, was das betrifft, nein er ist eh einfach nur perfekt, ich will eh keinen Badboy.

Denn Badboys sind oft Verbrecher.

Ok, ruf mich an, wenn Du da bist, zwei Tage ohne Dich werde ich schon überstehen - hoffe ich. Nimm mich doch mal mit nach Russland! Nein? Keine gute Idee? Entschuldige bitte, war nur so ein Gedanke. Komm einfach bitte bald heil und gesund zurück.
Heil und gesund? Er zieht ja nicht in den Krieg, oder so, naja ich hab ihn halt zu lieb.

Hoffentlich bleibt Anna heil und gesund...

Seine Stimme klingt sehr nervös, ja sogar ängstlich, nur sehr mühsam beherrscht: bitte, Anna tu einfach, was ich Dir jetzt sage: geh mit meinem Mitarbeiter mit - im Hintergrund aufgeregte Stimmen und schreien - ich erklär Dir alles, wenn ich wieder da bin. Versprich mir, dass Du mit Sergej mitgehst, bitte versprich mir das jetzt! Er schreit jetzt fast. Ja, ja ich verspreche es Dir, beruhige Dich, was ist eigentlich los? Nur eine Vorsichtsmaßnahme? Weshalb? Und außerdem bist Du dafür sehr nervös, oder? Keine Zeit, ich muss auflegen, vertraue einfach Sergej. Aufgelegt. Nun hat Anna Angst. Wirklich Angst.

Ist mir egal ob das nur die Freundin seines Sohnes ist! Das Schwein wird bezahlen! Über sie krieg ich seinen Sohn und dann ihn! Und dann wird das Schwein bezahlen! Das schwöre ich Euch!

Nächtliche Ausgangssperre in Moskau. Über 200 Tote. Ein Krieg um Macht, der eskaliert ist.

Sergej ist zirka 40. Sergej ist wie eine Maschine. Sergej würde für Juri nicht nur ohne zu zögern sterben, sondern auch durch die Hölle gehen. Er ist dieser Familie verpflichtet.

Es läutet unten an der Tür. Mein Name ist Sergej, Juri schickt mich. In sehr gebrochenem deutsch. Der Mann der zirka 30 Sekunden später vor der Tür steht, macht Anna Angst. Riesig groß und breit, Kahl geschoren, eine Narbe quer übers Gesicht, kein freundlicher Blick. Mit dem soll ich mitgehen? Bitte kommen sie. Ich muss erst packen, das dauert noch etwas. (Zeit gewinnen, vielleicht, um abzuhauen)
Keine Zeit zum packen, bitte kommen sie jetzt. Das duldet keinerlei Widerspruch. Anna fühlt sich wie ein kleines Kind, das Null Mitsprache hat. Und sie geht mit. Und sie hat ein ganz mieses Gefühl. So etwas wie eine Vorahnung, dass da etwas ganz gewaltig aus dem Ruder läuft, schon jetzt nimmt das alles Dimensionen an, die ihr zuviel werden.
Vor ihrer Haustür, mehrere ebenfalls übel aussehende Typen, denen Sergej zunickt und die in die zwei Autos hinter ihnen einsteigen. Die Fahrt geht los. Und was, wenn das gar nicht dieser Sergej ist? Panik steigt in ihr auf.
Ihr Telefon läutet. Juri. Ja, Sergej sieht furchterregend aus, das ist er auch, für unsere Feinde. - welche Feinde bitte?!
Du kannst Dich 100 prozentig auf ihn verlassen, er ist mir treu ergeben. Ja ich werde Dir alles erklären, das schwöre ich Dir! Es tut mir unglaublich leid, das ist das einzige was ich Dir jetzt sagen kann, ich hoffe Du kannst mir das je verzeihen - weint er? - Du bedeutest mir mehr als mein eigenes Leben, glaub mir das einfach. Ich bin spätestens morgen Mittag wieder in Wien und bei Dir, ich hab Dich lieb Anna. Verbindung getrennt, hat er aufgelegt?
Auf Juris Anwesen befinden sich nach Annas Schätzung um die 50 Bewaffnete.

Scheisse, jetzt kapier ich. Ich blöde Kuh. Ich blöde verliebte Kuh. Ich hätte nur 1 und 1 zusammenzählen müssen. Oh nein, bitte nicht, lass das alles ein böser Traum sein, bitte bitte! Fuck, das ist alles Realität, alles Realität, kein Traum:
Bereits 80 Tote.
Bereits zirka 100 Tote. Zahl der Verletzten unbekannt. Situation außer Kontrolle.
Das Militär wird die Polizei unterstützen müssen.
Soldaten patrouillieren auf den Straßen, der Präsident kündigt hartes Durchgreifen an, die Opferzahlen steigen weiter.
Nächtliche Ausgangssperre in Moskau. Über 200 Tote. Ein Krieg um Macht, der eskaliert ist.
Die Familien Andropov und Medwedew liefern sich einen Kampf auf Leben und Tod.

Das ist der letzte ö1 Radiobeitrag, an den Anna sich erinnert. Juri Andropov. Oh mein Gott.

Ja, das stimmt alles. Mein Vater ist einer der Capos der Familie Andropov. Auch mein Reichtum erklärt sich so. Ich selbst bin kein aktives Mitglied, mein Vater hat mich da immer rausgehalten. Und ja, ich hätte Dir das alles viel früher mitteilen sollen, das stimmt absolut. Er ist kreideweiß, redet leise und sehr ruhig und sieht unendlich unglücklich aus. Er sieht so aus, wie Anna sich fühlt: alles bricht zusammen.
Hab mich zuerst in Dich verliebt, dann hab ich's aufgeschoben und dann bin ich aus Angst Dich zu verlieren in eine Art Phantasiewelt mit Dir geflüchtet. Und habe Dir nichts gesagt. Das war der größte Fehler meines Lebens.
Und warum - ja ich weine und schreie hysterisch, ist mir scheißegal - bin ich nun hier? Warum?!
Ich fürchte - er redet nicht mehr ruhig, sondern seine Stimme zittert, Anna spürt abermals Panik in sich aufsteigen - Du bist in Gefahr.

Einfach aufstehen und gehen. Genau. Das hab ich alles nicht nötig. Ich geh jetzt.

Einfach schreien und weinen, ihn ohrfeigen und beschimpfen und dann gehen.

Ihm beistehen. Der hat mich belogen. Betrogen. Also ihm nicht beistehen?

Alles bricht zusammen. Und ich will ihm blöderweise einfach nur nahe sein - in dieser Traumwelt, die er angesprochen hat weiterleben. Ihm beistehen.

Anna, Du hast leider keine Wahl.
(Wer sagt das? Juri? Anna? Der Erzähler? Sonst irgendwer?)
Anna hat halt eben keine Wahl. Das ist ein Faktum. Die 'Gegenseite' will über sie an Juri herankommen.

O Gott! Und meine Familie?
Ist nicht in Gefahr. Aber ich hab sicherheitshalber ein Dutzend Männer dort postiert. So dass es Deine Eltern nicht merken.
Jetzt wird Anna übel. Nicht in Gefahr? Und warum zur Hölle postierst Du dann ein Dutzend von Deinen Scheiss-Verbrechern dort?!

Beruhige Dich. Wir kriegen das alles in den Griff. Du tust nun was ich sage, klar? - seine Stimme ist ruhig, hart, voller Zuneigung und: duldet keinen Widerspruch. Nicht nötig, Annas Kopf dreht sich, Tränen rinnen ihre Wangen runter, da ist kein Aufbäumen mehr gegen die Situation da.

Anna wird ihren Eltern sagen, dass sie zu einer Freundin für ein paar Tage nach Bad Ischl fährt und in Wirklichkeit mit Juri nach Russland fliegen, weil er sie auf seinem dortigen Anwesen viel besser beschützen kann. Denn dort, in der Nähe von Moskau hat Juris Familie tatsächlich eine 'uneinnehmbare' Festung.

Wenn die Sache ausgestanden ist, kann ich Dich in Ruhe lassen, wenn Du willst, Du wirst nie mehr von mir hören, wenn Du das willst. Nur bis dahin, lass mich diese Katastrophe in Ordnung bringen. Er ist kreideweiß, redet leise und sehr ruhig und sieht unendlich unglücklich aus.

Das weiß sie tatsächlich in diesem Moment, da ist sie sich sicher: Wenn die Sache ausgestanden ist, Juri, wünsche ich mir, dass Du allem Verbrecherischen den Rücken kehrst und versuchst, mit mir eine Beziehung anzufangen, eine ganz normale Beziehung. Das will ich. Eine zweite Chance für uns zwei.

Sie fallen sich in die Arme, weinen beide, klammern sich verzweifelt, wie zwei kleine Kinder aneinander. Und hoffen.

In dieser Nacht schlafen sie zum ersten Mal miteinander.

Jeder, der in seinem Leben einmal wirklich etwas sehr schlimmes durchmachen mußte, kennt es: das schlimmste Erwachen.
Du wachst auf, die ersten Sekunden schläfst Du noch halb, kriegst nichts mit, bist vielleicht sogar irgendwie glücklich, und dann - Sekunde für Sekunde wird alles klarer, Alles wird schreckliche Gewissheit, die Realität holt Dich ein, unerbittlich. Und es ist egal, dass ich vor ein paar Stunden mit dem Mann geschlafen habe, in den ich bis zum Wahnsinn verliebt bin, ich bin erwacht - und zwar in einem Alptraum.

5:30. Anna steht in Bad vor dem Spiegel, die Tränen rinnen ihr übers Gesicht. Sie ist hässlich. Sie sieht Juri im Spiegel, er kommt näher und nimmt sie in den Arm. Ich werde nicht - nie zulassen, dass Dir etwas passiert. Und ich werde, wenn das überstanden ist, all dem den Rücken kehren und versuchen, mit Dir eine schöne Beziehung zu führen, dafür werde ich kämpfen, alles geben, wenn Du mir diese Chance gibst, dann werde ich sie nutzen.
Seltsam, aber Anna schöpft Hoffnung, warum weiß se selbst nicht, es gibt auch keinen objektiv-logischen Grund dafür.
Formulieren wir das so: wäre Anna im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte - und Anna ist eine höchst intelligente junge Frau - dann hätte sie schon längst Kontakt mit den Behörden in Österreich aufgenommen, hätte die Polizei verständigt oder auch ihre Eltern um Hilfe gebeten.
Aber Anna ist eben nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, ganz und gar nicht. Das ist eine junge Frau die halt einfach nur unglaublich verliebt ist und gerade mit ihrer (ersten) großen Liebe geschlafen hat. Da ist momentan kein rationaler Gedanke möglich. Es sind diverse Hirnregionen ganz einfach abgeschalten.
Juri geht's übrigens genauso.
Also eigentlich sind beide doch außer Kontrolle - sehr, sehr gefährlich.

Sie brechen um 7:00 in der Früh von Juris Anwesen auf, ein Konvoi aus 4 schwarzen Jaguar Limousinen. Noch ist wenig Verkehr.
Wien Schwechat: ok, nicht nur kein Einchecken, Passkontrolle oder Ähnliches, nein, sie fahren mit hoher Geschwindigkeit direkt aufs Rollfeld, wo ein gar nicht so kleiner Jet wartet. Der Pilot grüßt Juri höflich, sie steigen sofort ein, 3 Minuten später sind sie bereits in der Luft. Anna hat die CD Kennzeichen (Diplomaten-Kennzeichen) gleich bemerkt. Aber dass das so reibungslos geht..

Sie sind in Wien ins Flugzeug gestiegen, sie müßten um zirka 10:00 in Moskau sein, und um zirka 10:30 auf der Autobahn. Da kriegen wir sie. Und wenn ich Hunderte opfern muss, scheissegal, die entkommen uns nicht. Andropov wird zahlen!

Der Konvoi wartet am Moskauer Flughafen, an die zehn Fahrzeuge. Jede Menge Bewaffnete. Anna ist übel, sie glaubt sogar kurz, erbrechen zu müssen, kann es aber unterdrücken. Die Realität ist wieder präsent, die bittere Realität, die höchst grausame Realität. Das Erbrechen hat sie unterdrückt, dass ihr Tränen über die Wangen rinnen, merkt sie gar nicht.
Juri schon. Die Realität ist grausam.
Sie fahren los, mit hoher Geschwindigkeit, die Sonne scheint, es ist trotzdem saukalt, Juri hält ihre Hand, drückt sie eigentlich zu fest, fast schmerzhaft. Die Kiefermuskel sind angespannt. Autobahn. Die Tachonadel zeigt 180 km/h. Zirka eine Viertelstunde sind sie nun unterwegs.
Anna sieht nach vorne und bemerkt zirka 200-300 Meter vor ihnen dieses helle Licht. Ganz irreal - landet da ein Ufo, oder was - dann der Knall der Explosion.
Und dann bricht die Hölle los. Das Auto neben ihnen, oder vor ihnen, keine Ahnung, befindet sich plötzlich hoch in der Luft, alles wie in Zeitlupe. Juri brüllt etwas, aber man hört seine Stimme nicht, eine Druckwelle erfasst das Auto und schleudert es auf die Seite, runter von der Strasse, wo es auf dem Dach liegen bleibt.
Alles brennt. Raus hier! Anna kriecht aus dem Auto, ihr rechtes Bein schmerzt stark. Wo ist Juri? Neben sich erkennt sie Sergej, der sie runterdrückt und zu schießen beginnt. Einen Augenblick später wird er von den Beinen gerissen und bleibt regungslos halb auf Anna liegen. Kopfschuss.
Wo ist Juri? Bitte mach, dass ihm nichts geschieht.
Anna wälzt sich unter Sergej hervor, selbst voller Blut, ist das mein eigenes?
So muss Krieg sein. Schüsse, Explosionen, Tote, Verletzte. Anna ist nun ganz ruhig. Ihr Hirn beginnt zu arbeiten. Überlebensinstinkt. Zu spät. Ein Knall in ihrem Schädel. Dann alles schwarz.

Das wird ihm nicht gefallen. Wir haben seinen Liebling.
Hoffentlich lebt sie noch... Sonst ist sie nichts wert. Aber das weiß Andropov ja nicht.
Egal, ob sie noch lebt oder nicht, sie wird sowieso nicht am Leben bleiben, das lässt der Boss nie zu.

Er würde sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf jagen, seine Gehirnerschütterung und die Schmerzen im Knie bemerkt er nicht. Er hat sie verloren, an seinen schlimmsten Feind, er konnte sie nicht beschützen.
Die Chancen, dass sie das überlebt stehen schlecht. Denn Juri kennt seinen schlimmsten Feind. Und der will Rache, um jeden Preis.

Natürlich - hallo, hier ist wieder mal der Erzähler - wird Anna nun nicht sterben. Die Protagonistin stirbt jetzt ganz sicher nicht! Ob sie bis zum Ende der Geschichte überlebt, sei dahingestellt, aber momentan geht es sogar 'in die andere Richtung': sie wacht auf:

Dieses Erwachen ist höchst unangenehm und schmerzhaft. Vor allem ihr Kopf droht zu zerspringen, und übel ist ihr auch - starker Brechreiz.
Aha, ich lieg am Boden, zusammengekrümmt, offenbar eh schon in meinem eigenen Erbrochenen. Es ist nass und stinkt. Und jetzt kommt noch was nach - sie würgt - übergibt sich noch einmal. Die Kopfschmerzen sind nun unerträglich.
Minutenlang schafft sie es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen, ihr Körper - und da vor allem ihr Kopf - lässt das nicht zu. Sie zwingt sich zu ruhigem atmen, konzentriert sich darauf und stellt als erstes fest (jetzt erst), dass sie nichts sehen kann, alles schwarz. Sie will zu den Augen greifen - geht nicht!
Was ist da los? Panik steigt in ihr auf, sie ist noch sehr benommen, verliert vielleicht sogar wieder das Bewusstsein.
Dann erwacht sie wieder, keine Ahnung, ob das Minuten oder Stunden waren.
Aber wieder alles schwarz, wieder kann sie nicht zu den Augen greifen. Wieso verdammt nochmal kann ich das nicht?! Au! Sie reißt herum - geht nicht! Es Schmerzen nur die Handgelenke.
Die Handgelenke.. Die Handgelenke, die man mir zusammengebunden hat - hinter dem Rücken. Und meine Augen - sind verbunden!
Seltsamerweise wird sie diesmal nicht panisch, sondern ist eher erleichtert, weil sie nun kapiert, was da los ist.
Ich liege am Boden, hab verbundene Augen und bin gefesselt. Hab Schmerzen so ziemlich überall. Lebe aber noch. Definitiv.
Autofahrt. Explosion. Schüsse. Dann Filmriss. Hat mich dann wer hochgehoben? Keine Ahnung. Und jetzt hier. Lebendig. Noch.
Ok. Ich bin bei Juris Feinden und die werden ihn wohl mit mir erpressen wollen, oder ihn töten wollen - jetzt ist es schwierig nicht panisch zu werden.
Hab ich an irgendeiner Körperstelle keine Schmerzen? Scheiß-Fesseln! Aua!
Eine Zeit später: sie hört Stimmen, eine Tür wird aufgerissen und sie wird brutal am Arm und an den Haaren gepackt und weggeschleift. Sie schreit laut auf vor Schmerz, hat das Gefühl, dass manI ihr die Kopfhaut ausreißt. Sie wird hart auf den Boden geworfen, aufs Gesicht. Sie atmet schwer, versucht den Schmerz zu 'verarbeiten'.
Um sie stehen mehrere Leute, die miteinander reden, nicht besonders aufgeregt, wir ihr auffällt, eher gleichgültig.
Einzelne Worte glaubt sie zu verstehen.
Dann wird ihr die Augenbinde abgenommen. Das recht Auge kann sie nicht gleich öffnen, das ist irgendwie verkrustet - Sergejs Blut? Dann hat sie beide Augen geöffnet. Sie sieht alles verschwommen. Nur langsam wird das Bild klarer.
In ihrem Blickfeld befinden sich 3 Männer und 2 Frauen. Die Frauen sehen sie an, die Männer nicht, die reden miteinander.
Die Frauen hmm sind wahrscheinlich Prostituierte, so wie sie angezogen sind. Ein Mann sitzt zwischen den 2 Prostituierten. Und der sieht sie jetzt auch an. Grinsend.
Das wohl eines der schrecklichsten Gefühle: das totale Ausgeliefert sein. Die können jetzt alles mit mir machen, und einfach nur töten ist mit Sicherheit nicht die schlimmste Variante. Oh Gott, diese Dreckschweine, ich hab doch mit Eurem Scheisskrieg nichts zu tun!! Bringt Euch von mir aus alle um, aber lasst mich da raus, ihr Tiere, ihr Abschaum!
Euch bring ich nur Verachtung entgegen und das sollt ihr auch merken, eigentlich hab ich nicht mal Angst vor Euch - ihr primitiven Kreaturen - ihr werdet mich ja wohl sowieso töten.
Sie erwidert den Blick dieses Mannes, der sie da so interessiert begutachtet. Sie hat beschlossen, dass sie diesen Leuten keine Genugtuung geben wird, sie ängstlich und weinend zu sehen. Aus Angst wird Wut und Hass.
Wir wissen, Du weißt - Anna, oder? - dass Juri sein Leben riskieren wird, um Dich zu kriegen - und dann kriegen wir ihn.
Das hat er auf deutsch gesagt und er grinst noch immer.
Dann steht er auf.
Riesig. Fast zwei Meter. Schultern und Arme wie ein Boxer - muskelbepackt, fast zu viel..
Gesicht: breit. Massiger Unterkiefer. Kurze Nase, eigentlich fast Bubenhaft. Aber nicht hübsch. Und das Grinsen - auch fast Bubenhaft. Und wasserblaue Augen. Kurzgeschorenes Haar. Blond. Mein Bubenhafter Mörder. Hmm.
Du siehst nicht wirklich herzeigbar aus. Die zwei Mädels werden Dich zur Dusche bringen und Dir frisches Gewand geben. Dir wird nichts passieren. Sieh mich nicht so wütend an, ich kann nichts dafür, dass Du Dir die falschen Freunde ausgesucht hast.
Zieht ein Messer, schneidet mir die Fesseln auf, hebt mich auf, und die zwei nehmen mich in die Mitte, Shit, ich kann kaum gehen!
Der einen greift er auf den Hintern, widerlich.
Anna merkt nun, dass sie stinkt, Schweiß und Erbrochenes. Auch das ist widerlich.
Die Dusche tut gut, auch wenn die eine, der dieser Typ auf den Hintern gegriffen hat im gleichen Raum bleibt. Es gibt sogar Shampoo. Und sie trinkt auch das Duschwasser! Herrlich! Egal, ob das Trinkwasser ist oder nicht!
Kleidung liegt auf dem Hocker neben der Dusche. Auch ein Handtuch.
Die Kleidung ist frisch gewaschen, zum Glück! Jean, fast zu eng und etwas zu lang, enges T-Shirt, Converse - sind wohl die Privatsachen dieser Prostituierten. Sie sieht mich kurz an. Trauriger Blick. Hat wohl auch kein schönes Leben.. Sie zeigt an, dass ich mich auf den Hocker setzen soll, ok. Schmerz noch da, müde - todmüde bin ich auch, und hungrig! Wie lang bin ich bitte schon hier?! (Erzähler: es sind fast 48 Stunden)
Sie kramt in ihrer Tasche und überreicht mir einen Schokoriegel. Oh danke! Danke!
Anna ist wirklich dankbar. Sie kaut ganz langsam und genussvoll. Die junge Frau lächelt sie schüchtern an und - Anna rinnen die Tränen übers Gesicht, sie kann es nicht verhindern, sie kann jetzt nicht mal mehr versuchen stark zu sein. Die Russin kommt zu ihr und nimmt sie in die Arme, streichelt sie, flüstert ihr Dinge zu, die Anna nicht versteht.
Sie wiegt Anna wie ein Kind und summt ganz leise ein Lied in Annas Ohr. Auch sie weint.
Das werd ich Dir nie vergessen, wenn wir uns je wiedersehen, und ich in der Lage dazu bin, werde ich auch für Dich da sein, das schwöre ich!
Sie hören Stimmen. Die Russin entfernt sich von Anna und gibt ihr ein Taschentuch.

Dann wird Anna in ein Zimmer gebracht. Sie legt sich auf die dortige Couch und schläft sofort ein.
Sie schreckt auf, als sie merkt, dass sich jemand zu ihr auf die Couch setzt - es ist der grinsende Typ. Anna wird panisch. Sie springt auf - Au! Das Bein! - und ist bereit zu kämpfen. Und sie hat Angst.
Keine Angst brauchst Du zu haben, Frauen schlafen nur freiwillig mit mir, entweder ich zahle dafür oder sie bitten darum. Und ich glaub nicht, dass Du an einem von Beidem interessiert bist. Und wieder grinst er. Sie hasst es, wie er sie ansieht.
Um die Wahrheit zu sagen, bist Du für mich nur Mittel zum Zweck, um den jungen Andropov zu liquidieren, mehr nicht. Du wirst wahrscheinlich schon bald wieder in Österreich sein, aber von Juri verabschiede Dich schon besser mal, der hat sich diesmal mit den Falschen angelegt. Mach Du nur was ich Dir sage, dann passiert Dir nichts. Hast Du das verstanden?
Anna nickt nur.
Er lacht heiser auf: der hat sich ja echt eine nette Hübsche geangelt! Aber egal, bin nicht eifersüchtig, einer wie ich würde ja doch nie bei Dir landen, da passt schon eher der geschniegelte Andropov. Er grinst sie wieder an, geht raus und kommt 10 Sekunden später wieder mit einem Tablett mit Schinken und Brot zurück, und Glas Wasser steht auch drauf, und sogar ein Apfel..
Guten Appetit! Mein Lieblings-Mädel, Natascha, hat Dich offenbar ins Herz geschlossen und Dir Essen gemacht. Schon bald bist Du wieder zuhause und dann vergisst Du den ganzen Scheiß. Vögel lieber mit einem aus Deinem Land. Grinsen. Anna hasst ihn. Er schließt dir Tür hinter sich und sperrt sie ab.
Das Glas Wasser entpuppt sich tatsächlich als ein Viertelliter Wodka.. Russen und Klischees.. Anna will es zuerst nicht trinken, um bei klarem Verstand zu bleiben, aber dann - Scheiß drauf.
Wodka ist sehr bekömmlich, brennt nicht wie anderer Schnaps, wohl auch aus diesem Grund gibt es in Russland so viele Alkoholiker.
Anna isst alles auf und trinkt dazu den Wodka. Nun ist sie relativ entspannt - ich kann in Wahrheit eh nix beeinflussen, wozu Angst haben..
Ebenso schnell ist die Angst wieder da, als sie an Juri denkt.
Er darf nicht wegen mir sterben, das würd ICH nicht überleben. Warum glaub ich nur diesem - wie heißt der eigentlich? - Grinse-Typen? Der will mich doch nur ruhig halten und bringt ich dann auch um.
Aber wie schon gesagt: ich kann in Wahrheit eh nix beeinflussen, wozu Angst haben..
Wie der mich ansieht. Und dieses Grinsen. So sehen also Mörder aus? Ein Vieh von einem Menschen. Aber: danke Du grinsendes Schwein, dass Du mich nicht vergewaltigt hast, ich war nämlich im ersten Moment sicher, dass Du das tun würdest..
Ach Juri, Du fehlst mir so, ich brauch Dich so sehr hmmmm..
Und dann: die Tür geht auf, und Juri steht vor ihr. Nein, wie? Was? Er redet nicht, zeigt ihr nur mit dem Finger, dass sie leise sein soll, geht auf sie zu und nimmt sie in den Arm und hält sie fest, ganz fest.
Er sieht sie an, hält sie, sie fühlt sich sicher. Die Tür geht wieder auf, der Grinser stürmt rein eine Waffe in der Hand - er zielt auf Juri!! Juri wirbelt herum reißt ebenfalls eine Waffe hoch, Schüsse! Beide wanken, stürzen, bleiben liegen, bewegen sich nicht mehr. Blut - überall. Anna schreit und schreit, wirft sich auf Juri, schreit verzweifelt und hält inne, als plötzlich ein weiterer Mann in der Tür steht - mit einer Waffe - und auf sie zielt! Anna will schreien, aber es kommt kein Ton raus, sie will weglaufen, aber ihre Füße gehorchen nicht. Sie atmet schwer, kriegt trotzdem kaum Luft, das Zimmer ist stockdunkel. Der Mörder ist weg. Juri und der Grinser auch.
Wo zum Teufel?
Es dauert eine knappe Minute (!), bis sie Traum und Realität von einander trennen kann. Sie ist nass geschwitzt. Atmet schwer.
Ich bin allein hier. Puh. Keiner da. Scheiß-Wodka. Scheiß-realistischer Traum. Mir ist zum Kotzen. Lang kann ich mich nicht mehr zusammenreißen, das schaff ich nicht, meine Reserven sind jetzt bald echt erschöpft. Ich werd aber eh versuchen, so lang wie möglich durchzuhalten. Und wenn's geht irgendwie Juris Tod verhindern. Wenn's geht.. Ich schlaf jetzt sicher nicht mehr. Sicher nicht mehr.

Und schon, liebe Anna, bist Du wieder weg - und schläfst, diesmal ohne Alpträume.
Denn die Alpträume, liebe Anna, werden leider ab morgen Realität. Und Du wirst Dich zusammenreißen, Du wirst durchhalten MÜSSEN. Du wirst schon noch Reserven aktivieren.
Aber den Tod, liebe Anna, den wirst Du nicht verhindern können, vielleicht hinauszögern, aber sicher nicht verhindern. Niemand kann den Tod verhindern. Der kommt einfach.

Laute Stimmen. Schreien. Wütendes Schreien. Die Tür fliegt auf. Ein zirka 60-jähriger fetter Mann stürmt rein. Er packt Anna grob beim Arm, reißt sie hoch, schleift sie durch den Raum, durch die Tür, in den großen Raum und schleudert sie auf den Boden.
Anna war bereits wach, bereitet sich auf diesen Angriff und auch auf ihren Tod vor. Sie weiß nur: ich werde nicht winseln, die können mich mal.
Der Aufprall auf dem Boden ist hart, aber sie gibt keinen Laut von sich. Sicher nicht. Der Fette brüllt sie auf russisch an, sie versteht kein Wort und starrt feindselig zurück. Er tritt nach ihr, erwischt sie schmerzhaft an der Hüfte. Was ist das nur für ein Ende, denkt Anna.
Der Grinser stürmt rein, stößt den Fetten zur Seite, so dass er fast umfällt und brüllt ihn auf russisch an. Der Fette brüllt zurück.
Da hört Anna zum ersten mal den Namen des Grinsers: Alexei (oder so ähnlich).
Der Fette zieht eine Pistole und legt auf Anna an. Anna bereitet sich auf den eigenen Tod vor. Sie schaut dem Fetten ins Gesicht. Die Waffe ist auf ihren Kopf gerichtet. Alexei sagt ganz ruhig, zu ruhig etwas auf russisch. Der Fette schüttelt wild den Kopf. Anna sieht wie sich sein Finger sich um den Abzug krümmt. Das ist mein Ende.
Ein Schuss. Roter Staub. Das ist Blut. Blutstaub vom Fetten. Er hat ein riesen Loch in der Brust. Ich lebe. Der Fette nicht mehr. Alexei schießt um sich. Männer fallen getroffen um. Mit Kugeln in der Brust. Alexei wird auch getroffen. Er grinst nicht.
Anna noch immer zusammengekauert am Boden. Alexei - heißt er wirklich so? - hebt sie mit einem Arm auf und stürmt mit ihr los. Mit dem anderen Arm stößt er jemanden um und feuert weiter um sich. Kugelhagel.
Mach Du nur was ich Dir sage, dann passiert Dir nichts. Hast Du das verstanden?! Gestern Nacht hat er diesen Satz gesagt, jetzt brüllt er ihn.
Dir passiert nichts!! Ist das klar?! Du bist eine Frau! Keiner Frau passiert etwas! Ist das klar?! Ihr blöden Wixer! Jetzt seid Ihr tot! Ist das besser?! Ich hab Euch ja gesagt: keiner Frau passiert was! Ihr toten Dreckschweine! Er spuckt Blut. Mit ihr auf dem Arm stürmt er in eine Garage, wirft sie (wie eine Handpuppe) in ein Auto, steigt ein, und sie rasen los. Der Blutfleck auf seinem weißen Hemd wird nun rasch größer. Anna erwartet, dass sie nun endlich aufwacht, aber sie ist die ganze Zeit wach.
Er keucht, stöhnt, atmet immer schwerer, das Auto rast los. 90,100,140,190 - auf einer Bundesstraße mit Gegenverkehr! Das wird nicht, das kann nicht gut gehen. Zudem werden sie verfolgt - 2 schwarze Limousinen, es wird wieder geschossen. Anna nimmt es (fast) gleichgültig zur Kenntnis. Als eine der Limousinen sie überholt, reißt Alexei das Fahrzeug nach Links, rammt den anderen Wagen mit voller Wucht, der mit der zweiten Schwarzen Limousine kollidiert und sich überschlägt, Alexei lacht kurz auf und spuckt dabei wieder Blut - alles wie im Film, nur kann Anna nicht den Fernseher abschalten.
Wie bitte reagiert man, wenn ein wirklich schlechter Film Realität wird, eine Art Film, die sich Papa gern am Abend ansieht. Keine Ahnung.

Fuck. Nicht ohnmächtig werden mir wird immer wieder schwarz vor Augen spür kaum mehr Schmerz ist wahrscheinlich nicht so gut alles blutgetränkt konzentrier Dich! Bring sie in die Jagd-Hütte - die kennt keiner - dort wird sie in Sicherheit sein und überleben. Ha! Ich werd sicher nicht überleben, sicher nicht, ha! Besser so, mit Sicherheit besser so. Krieg kaum Luft linke Lunge muss verletzt sein AHHH wieder Schmerz - endlich, bin doch noch nicht ganz weggetreten. Scheisse. Kurve. Zu schnell.. Das war knapp. Ich halt sicher nicht mehr lang durch das Blut rinnt ja an mir runter aha.

Sie rasen in einen Wald. Nach ein paar Kilometern biegen sie in eine geschotterte Forststrasse ein. Es ist noch keine halbe Stunde her, dass Anna in den Lauf einer Pistole geblickt hat.

Bitte fahr langsamer. Wir werden nicht mehr verfolgt. Bitte. Bitte!
Danke, Du blöder Arsch, dass Du diese Bitte ignorierst. Wir fahren durch Tiefschnee! Hast Du mich gerettet, um mich jetzt zu killen, um gegen einen Baum zu knallen? Ok, danke fürs Leben retten, aber könntest Du jetzt bitte wirklich langsamer fahren. Ich hab Angst, eine Scheißangst!
Entweder sie hat es nur gedacht, oder Alexei hört sie gar nicht mehr. Seine Vitalparameter sind im roten Bereich. Medizinisch nur schwer erklärbar, dass er noch nicht ohnmächtig ist. Sein Körper befindet sich aufgrund des Blutverlustes in einem Schockzustand. Der medizinische Schock ist absolut lebensbedrohend. Seine linke Lunge ist verletzt und wahrscheinlich kollabiert, sein Puls ist schnell und flach (147 Schläge pro Minute), seine Gesichtsfarbe ist grau, ihm rinnt der Schweiß übers Gesicht. Er versucht nach Luft zu schnappen - geht nicht mehr. So als ob er unter Wasser wäre. Er versucht es mit aller Gewalt, dann geht ein bißchen was. trotzdem hat er das Gefühl, gleich ersticken zu müssen. - da ist sie, endlich ! - Dann wird ihm schwarz vor Augen.
Es beginnt zu schneien, zunächst sind es nur einzelne Flocken, dann hebt plötzlich ein Sturm an und der Schneefall wird dichter, viel dichter.

- da ist sie, endlich ! - die Jagdhütte von Alexeis Halb-Bruder Juri (zufällige Namensgleichheit). Anna hat die Hütte zirka 200 Meter vor ihnen gesehen, als Alexei das Bewusstsein verloren hat. jetzt ist sie nicht mehr zu erkennen, sie wäre auch nicht zu erkennen, wenn sie nur 20 Meter entfernt wäre. Anna starrt in die Mauer aus Schnee, die den Wagen umgibt. Der Sturm (130 km/h) rüttelt am Auto. 5 Minuten macht sie gar nichts, regungslos sitzt sie da. dann stirbt der Motor ab, kein Benzin mehr. Auch ohne Sturm beträgt die Außentemperatur nicht mehr als - 10 Grad. Celsius. Mit Sturm ist die gefühlte Temperatur weitaus tiefer. Im Wagen wird es schnell kälter. In den 5 Minuten, die Anna benötigt um 'durchzuschnaufen' sinkt die Temperatur um Auto auf knapp über Null Grad.

Jetzt erwachen ihre Lebensgeister - und der Überlebenswille - und ?

Raus hier, raus hier. Ich leb. Der nicht mehr. Ich will weiter leben. Raus hier!

Die Hütte ist direkt vor uns. Kann man nicht verfehlen. Scheisse, der stöhnt noch, der atmet, der lebt! Ich schaffs nie bis zur Hütte, wenn ich ihn schleppen muss.. Außerdem ist er sicher tot, bis wir bei der Hütte sind.. 100 prozentig.

(Sie weiß noch gar nicht bewusst, dass es für sie außer Frage steht, jemanden zurückzulassen, der in Lebensgefahr schwebt. Da riskiert sie selber lieber alles.)

Gut. Nicht schleppen, ziehen. Raus hier. Scheisse, kalt - Kalt! Und ich im T-Shirt!
Ok jetzt Alexei - so wie im Erste Hilfe-Kurs. Aus dem Auto retten. Verdammt, der ist schwer, zu schwer, Vorsicht!

Er begräbt sie unter sich. Sie kann sich zunächst gar nicht bewegen, sein (fast) lebloser Körper drückt den Ihren in den Tiefschnee.
Sie braucht 3 ganze Minuten, um sich befreien. Außer Atem und frierend steht sie vor dem Verbrecher und Mörder dessen Leben sie retten will. Durch den Sturm gepeitschte Schneeflocken zerschneiden ihr Gesicht. Dann wird sie durch eine Böe umgerissen. Sie rappelt sich auf und beginnt Alexei die ersten Meter in Richtung Hütte zu ziehen. Der Beginn einer 20-minütigen Tortur.

Sie kriegt kaum noch Luft: Anstrengung und der schneidende Sturm.

Nein! Die Tür ist mit einem Vorhängeschloss versehen, was jetzt? Ha! Was für eine Ironie! Wir überleben das alles, um jetzt vor einer verschlossenen (Scheiß-)Hütte elendiglich zu erfrieren?!
Sie lacht hysterisch auf, fassungslos über die Absurdität der Situation.
Zwei Mal, drei Mal dagegen - AU! - nichts rührt sich, gar nichts!!

Ihre Finger spürt sie nicht mehr. Der Wind legt sogar noch zu.

1 Minute und 4 Sekunden steht sie regungslos da. Versucht sich nochmal zu sammeln.

Ok, letzte Chance: vielleicht hat er die Schlüssel, wenn nicht - ...
Sie durchsucht ihn, kann mit den steifen Fingern kaum etwas ertasten. Und dann: tatsächlich! Da ist ein einzelner Schlüssel! Raus damit! Probieren!

Sie kann den Schlüssel kaum halten, aber - Ja! Ja! Ja! Er sperrt! Gerettet! Hinein, letzte Kräfte mobilisieren, auch ihn hinein zerren, los, los - o Gott - hoffentlich lebt er noch.

Drinnen ist's finster, aber 10-15 Grad wärmer als draußen, also so um die Minus 5 Grad.
Sie lässt Alexei liegen, findet eine elektrische (offenbar Batterie-betriebene) Lampe, zündet sie an und sieht sich um. Das ist das Paradies!

Wie sieht in so einer Situation eigentlich das Paradies aus? Whirlpool? Bett? Pizza? Musik?

Das Paradies sieht so aus: es gibt Holz, eine kaminartige Feuerstelle in der Mitte der zirka 20 Quadratmeter großen Hütte, es gibt Konservendosen, sogar verschiedene Sorten (!), Decken und eine Art Bett, oder eher ein Lager - also mit einem Wort, es tatsächlich das Paradies!

Sie merkt gar nicht wie ihr vor Freude und Erleichterung die Tränen über das Gesicht laufen.

Sie zerrt Alexei auf das Möbelstück, das wie ein Bett oder Lager aussieht. Er ist mit Sicherheit schon tot, oder es dauert nicht mehr lange. Keine Ahnung, ob er atmet.

So. Was jetzt? Erste Hilfe. Der Kurs ist knappe 2 Jahre her, Anna war damals sehr interessiert, mal sehen, was hangen geblieben ist..

Atemcheck: Kopf überstrecken, mit dem Ohr zu seinem Mund, 10 Sekunden warten, ob sich was tut - hören, sehen oder fühlen, d.h. man hört es, wenn der Patient atmet, oder man sieht, wenn sich der Brustkorb beim Atmen hebt und senkt, oder man fühlt bei den empfindlichen Augenlidern den Liftzug, der durch das Ausatmen entsteht. Hören Sehen Fühlen. So hat sie es im Erste Hilfe Kurs gelernt. Es ist keine Atmung vorhanden.

Anna 'funktioniert' weiter, wie im Lehrbuch. Sie ruft sich die Inhalte des Erste Hilfe Kurses in Erinnerung:

Ist keine Atmung vorhanden, Reanimation, also Herzdruckmassage und Beatmung:


Die einfachste Form der Beatmung ist die Atemspende, die in der Laienreanimation angewandt wird. Hierunter versteht man die Beatmung mit der Ausatemluft des Helfers, also entweder die „Mund-zu-Mund-“ oder „Mund-zu-Nase-Beatmung“. Diese Technik ist jedoch begrenzt, da mit ihr keine mit Sauerstoff angereicherte Luft gegeben werden kann: Nur 16 Prozent Sauerstoffanteil können so erreicht werden; im Vergleich dazu hat Raumluft 21 Prozent Sauerstoff, Beatmungsgeräte können bis zu 100 Prozent Sauerstoff erreichen. Durch den direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten besteht bei der Mund-zu-Mund-Beatmung immer das geringe Risiko der Krankheitsübertragung, dieses kann man durch die Verwendung einer Beatmungshilfe minimieren.

Bei der Herzdruckmassage wird das Herz durch Druck auf das Brustbein in Richtung Wirbelsäule gepresst. Dabei erhöht sich der Druck im Brustkorb, und Blut wird aus dem Herzen in den Kreislauf ausgeworfen. In der Entlastungsphase füllt sich das Herz erneut mit Blut. Enorm wichtig ist die Minimierung von Unterbrechungen während der Herzdruckmassage.

Als vorbereitende Maßnahme wird der Patient flach in Rückenlage auf einer harten Fläche wie dem Boden oder einem Reanimationsbrett gelagert und sein Brustkorb freigemacht. Der Druckpunkt befindet sich in der Mitte des Brustkorbes auf dem Brustbein.

Das Brustbein wird 30-mal in Folge kurz und kräftig heruntergedrückt. Die Eindrucktiefe beträgt etwa fünf bis sechs Zentimeter. Zwischen zwei Pumpstößen soll der Brustkorb komplett entlastet werden, damit sich das Herz wieder mit Blut füllen kann. Die angestrebte Frequenz der Herzdruckmassage liegt bei mindestens 100 und maximal 120 Kompressionen pro Minute. Die richtige Körperhaltung erleichtert dem Helfer die Arbeit. Er kniet aufrecht neben dem Patienten, seine Schultern befinden sich senkrecht über dem Brustbein des Patienten. Der Helfer drückt rhythmisch mit dem Gewicht seines Oberkörpers, während seine Arme gestreckt und die Ellenbogen durchgedrückt sind. Zunehmend werden auch mechanische Reanimationshilfen eingesetzt.

Bei der Herzdruckmassage kommt es häufig, auch bei korrekter Durchführung, zu Rippenbrüchen. Diese sind normal und bergen für den Patienten keinerlei weiterreichende Gefahren. Daher sollte auch nach einem oder mehreren Rippenbrüchen die Herzdruckmassage weitergeführt werden.

Alexej atmet nicht daher beginnt Anna Mit der Reanimation wir wissen nicht wie lange sie reanimiert trotz der Kälte ist sie binnen kürzester Zeit schweißgebadet 30 mal pumpen zweimal beatmen 30 mal pumpen zweimal beatmen beim dritten Atemcheck glaubt sie leichte Atmung feststellen zu können vorher war sie nicht nervös nun wird sie es
Tatsächlich er atmet erlebt sie ist sich nicht sicher ob ihrer Wahrnehmung der Realität entspricht oder ob sie nur geträumt das ist kein Traum ich habe ihm das Leben gerettet zumindest vorerst was nun ich bin patschnass in der Hütte hat es sicher auch unter 0°. Ah da ist Holz ich muss so schnell wie möglich den Kamin heizen sonst werden wir beide erfrieren.
Das Feuer brennt. Aber nur in Deiner Fantasie, Anna. Von wegen: keine Zündhölzer, kein Feuerzeug. Alles was schiefgehen kann, geht schief, der Schweiß scheint auf ihrer Haut zu gefrieren, durchhalten weitersuchen, jetzt Alexei durchsuchen jaaaaa ein Zippo! GOTT SEI GEDANKT.

Rufen wir alle in Notsituationen nicht alle GOTT an? Auf jeden Fall ergeht es Anna so.

Das Feuer brennt, draußen tobt ein Schneesturm, es ist eiskalt (-19 Grad Celsius), eigentlich fast romantisch.
Anna hat den Inhalt einer der Dosen gegessen und kann nicht mehr. Die absolute Erschöpfung hindert sie, einen klaren Gedanken zu fassen, kann gar keinen Gedanken fassen. Nur schlafen, nur schlafen.
Sie legt sich zu Alexei, dessen Wunde sie notdürftig mit Verbänden aus dem Erste Hilfe Kastens aus dem Auto versorgt hat. Er blutet bereits durch den Verband durch. Sein Körper glüht, er atmet schwach und unregelmäßig. Trotz des Feuers wird es überhaupt nicht warm.
Sie presst ihren schmerzenden Körper gegen dieses fast tote blutende heiße Fleisch, sie deckt beide mit einer Art Plane zu und schläft augenblicklich ein.
Ihre Hand ist nass, sie lag auf der Wunde. Alles voller Blut. Es ist mitten in der Nacht.
Sie hat geträumt, mit einer Leiche im Bett zu liegen - wie krank ist das?!
Neue Wundauflage, sie legt sich auf Alexeis riesigen Körper, um mit ihrem Brustkorb Druck auf die Wunde auszuüben und so vielleicht die Blutung zu stillen. Sie sollte Ekel empfinden, tut es aber nicht.
Ich bin die Wundauflage. Deine Wundauflage. Und Du schrecklicher Mensch wirst leben. Ich werde Dich retten.

Liebe Deine Feinde.

Es ist hell. Aber nicht in der Hütte. Das Licht schimmert nur schwach durch die zugeschneiten Fenster. Es ist eiskalt in der Hütte.
Jetzt ist der Ekel da. Annas Hosen sind nass. Nicht von ihr selbst. Im Koma kontrolliert der Mensch sich nicht mehr.
Aber die Blutung ist - vorerst mal? - gestillt.
Du wirst leben. Ich schwöre Dir, dass Du leben wirst.
Sie erhitzt Wasser über dem Feuer, wäscht sich und ihn. Keine Zeit für falsche Schamgefühle.
Hunderte Dosen Bohneneintopf und so eine Art Gulasch, hunderte Holzscheite, die Straße verschneit, das Auto unter Schneemassen begraben. Wir sind unsichtbar. Niemand wird uns finden. Und Du wirst wieder... - Oh!

Tage später. Wieviele eigentlich? Durchgehend Schneesturm.

Er starrt mich an - kein Lächeln. Er sieht mich ganz ruhig an. Und schließt die Augen wieder.
Du wirst leben. Das schwör ich Dir - bei Gott.
Und ich rette Dich - und dann übergebe ich Dich der Polizei. Falls wir hier je wegkommen.
Sie lächelt - keine Ahnung warum.
Genau eine Woche sind sie da. Zwei mal hat Andrei die Augen kurz geöffnet. Sie konnte ihm eine minimale Menge Suppe einflößen.
Der Rest ist Ritual, Gewohnheit, automatisch.
Aufstehen, beide waschen, Essen machen plus heizen, hoffen, dass der Schneefall endet bzw. dass das Hüttendach nicht unter der Schneelast Zusammenbricht, Wundauflage erneuern, ihn beobachten, und irgendwann wieder schlafen gehen, bei ihm und mit ihm.
Die Welt da draußen gibt es nicht mehr. Nur noch unsere Hütte. Nur uns zwei. Du wirst leben.

Anna denkt nicht an Juri. Juri denkt an nichts anderes als Anna.

Er öffnet die Augen. Kann sich nicht rühren- zu schwach. Sie wäscht mich? Auch da? O Gott nein.

Jetzt bist Du mir ausgeliefert Alexei, denn ich rette Dich - und ja, ich wasche Dich auch an dieser Stelle. Und da. Und da auch.

Und ich liege seit 10 Tagen jede Nacht bei Dir.

Liebe Deine Feinde.

Warum?

Ich bin nicht wie Du.

Du solltest mich töten.

Ich bin nicht wie Du.

Wie lange sind wir hier?

Exakt 23 Tage. Dir geht es besser. Viel besser.

Hast Du deshalb mit mir geschlafen?

Wie kommen wir hier weg?

Warum hast Du mit mir geschlafen?

Warum ich mit ihm geschlafen hab? Keine Ahnung. Ich schäme mich nicht einmal.. Es ist nur.. Wir sind allein auf dieser Welt. Nur wir zwei. Alles andere ist gleichgültig. Ich hab ihn gerettet. Ich liebe ihn nicht. Aber es gibt sonst niemanden mehr. Ich bin sicher nicht verrückt geworden oder so.
Das ist passiert - es war am 18. Tag einfach das natürlichste der Welt. Ich kann - UND WILL - es nicht anders erklären.
Ich habe ihn gerettet. Alexei, ich hab Dein Leben gerettet.

Warum hast Du mit mir geschlafen?

Alexei, ich habe das getan, weil - ...
Wie kommen wir hier weg?

Alexei grinst nicht. Diesmal nicht.

Miteinander zu schlafen wird nun zum täglichen Ritual. Gehört zum Tagesablauf. Beide genießen es. Alexei ist zum ersten Mal in seinem Leben zu einer Frau zärtlich.
Alexei schläft zum ersten mal in seinem Leben mit einer Frau, die keine Prostituierte ist. Und Alexei versteht die Welt nicht mehr.
Und Anna? Liebe Deine Feinde? Keine Ahnung - ich schlafe täglich mit meinem Feind.
Aber er ist nicht mehr mein Feind. Ich .. ich .. er ist nicht mein Feind. Er ist ... er ist hier und jetzt mein Leben. Ich liebe ihn nicht.

Unter dem Stockholm-Syndrom versteht man ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert.

Der Begriff des Stockholm-Syndroms, das kein Syndrom im eigentlichen Sinne darstellt, ist auf die Geiselnahme am Norrmalmstorg vom 23. bis 28. August 1973 in Schweden zurückzuführen. Damals wurde Kreditbanken, eine Bank am Norrmalmstorg, im Zentrum der schwedischen Hauptstadt Stockholm, überfallen. Vier der Angestellten wurden als Geiseln genommen. Es folgten mehr als fünf Tage, in denen die Medien erstmals auch die Angst der Geiseln bei einer Geiselnahme illustrierten. Dabei zeigte sich, dass die Geiseln eine größere Angst vor der Polizei als vor ihren Geiselnehmern entwickelten.
Trotz ihrer Angst empfanden die Geiseln auch nach Beendigung der Geiselnahme keinen Hass auf die Geiselnehmer. Sie waren ihnen sogar dafür dankbar, freigelassen worden zu sein. Zudem baten die Geiseln um Gnade für die Täter und besuchten sie im Gefängnis.
Fälschlicherweise wird das Stockholm-Syndrom manchmal auch als Helsinki-Syndrom bezeichnet (z. B. in den Filmen Stirb langsam, Knockin’ on Heaven’s Door).

Hat Alexei Anna als Geisel genommen? Eigentlich nicht. Das Stockholm Syndrom liegt hier höchstwahrscheinlich nicht vor. So etwas ähnliches?
Vielleicht streift das Schicksal beider die Thematik des Stockholm Syndroms. Befindet sich Alexei nicht auch in einem großen Abhängigkeitsverhältnis von Anna? War er ihr während seines Komas aber auch danach nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert? Hat Anna ihre Machtposition ausgenutzt als sie mit Alexei geschlafen hat? Anna selbst weiß, dass das so ist. Die Initiative ging ganz eindeutig von Ihr aus.

Alexei geht’s besser. Das atmen schmerzt noch und er ist nach wie vor schwach. Und er wird sich der Unerträglichkeit der Situation bewusst - nicht einmal der Erzähler könnte sagen, ob sich Alexei in Anna verliebt hat, wie sollte es da Alexei wissen?
Seit zwei Tagen (und einem knappen Monat in dieser gottverfluchten Hütte) 'verweigert' er sich Anna.
No more Sex.
Wie von Anfang an reden sie nur wenig miteinander.

Ich werde Dich zu Deinem geliebten Juri bringen.

Anna zuckt zusammen. Sie wird blass. Hab ich mich so sehr davor gefürchtet?? Ja.
Aber dieser Moment musste kommen.
Und da ist es wieder: das Grinsen. Sie hasst ihn in diesem Moment. Das gleiche Grinsen wie bei ihrem ersten Zusammentreffen - eigentlich wie ein kleiner Bub, der etwas angestellt hat.
Wie machen wir das?
Auf dem Kasten hinter den Holzscheiten befindet sich ein altes Funkgerät. Wir werden versuchen, damit meinen Halbbruder zu kontaktieren, er kann uns helfen.
Es erweist sich als sehr viel schwieriger als gedacht, das Funkgerät vom Kasten hinunter zu heben. Alexei ist es aufgrund seiner Verletzung unmöglich, mitzuhelfen, so muss Anna das schwere Gerät selbst stemmen, beinahe stürzt sie mit samt dem sperrigen Gegenstand vom Hocker, doch dann ist es geschafft - man muss es an einen Dieselgenerator anschließen, der die Batterie betreiben soll. Zwei Tage lang versuchen sie erfolglos, Alexeis Halbbruder Juri zu erreichen, doch dann, mitten in der Nacht ertönt ein lautes knacken und Anna hört ein lautes Krächzen - und zwar auf Russisch.
Es ist tatsächlich Juri, seine Stimme klingt sehr aufgeregt. Alexei spricht ruhig und schnell mit ihm. Anna kann kaum etwas verstehen - das Gespräch dauert zirka 2 Minuten, dann trennt Alexei das Kabel, das das Funkgerät mit dem Generator verbindet mit einem Messer durch und betätigt den ein /aus Knopf - das Knistern und knattern verstummt. Wir müssen aufpassen, man versucht sicher mit allen Mitteln, uns zu orten, nur kein Risiko eingehen. Alexei sag mir bitte, was los ist, was habt ihr besprochen? Keine Angst Anna - ich denke das ist das erste Mal, dass er sie bei ihrem Namen anspricht - wir werden dich zurück zu deinem Juri bringen - seine Stimme klingt verächtlich. Zunächst verzieht er sein Gesicht fast wie im Schmerz, doch dann scheint er sich zu kontrollieren - das Grinsen ist wieder da. Anna fühlt Übelkeit in sich aufsteigen und auch schlechtes Gewissen - nun ist das schlechte Gewissen da und die Angst die Angst um Juri, die Angst um Alexei, die Angst um sich selbst. Angst. Angst. Angst.

Es ist 6:00 Uhr morgens - es ist noch stockdunkel, doch es hat nach einigen Wochen zum ersten Mal (!) zum schneien aufgehört, der Himmel ist sternenklar, beide hören gleichzeitig die Motorengeräusche. Alexei greift nach seiner Pistole. Unwillkürlich greift Anna nach seiner Hand - sofort zieht er sie zurück. Das Motorengeräusch wird nicht lauter, es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie in der Ferne das schwache Licht von Scheinwerfern sehen.

Du bleibst in der Hütte - nein ich komme auf jeden Fall mit vor die Hütte - du bleibst drinnen. bitte.

Es ist das erste Mal, dass er zu ihr bitte gesagt hat. Durch das Fenster sieht sie Alexei mit der Waffe im Anschlag. Die Scheinwerfer des Fahrzeuges, dass sich nur langsam nähert sind nun auf ihn gerichtet. Anna muss würgen - für einen Moment ist sie überzeugt, dass gleich wieder die Hölle los bricht, dass wieder geschossen wird, dass wieder Menschen sterben, dass Alexei stirbt - doch dann bleibt das Raupen-Fahrzeug stehen, ein Mann steigt aus, geht auf Alexei zu - einige Worte werden gewechselt, zuerst laut und schnell, dann ruhig und langsam dann umarmen sich die beiden Männer für einen kurzen Augenblick.

Mühsam quält sich das Raupenfahrzeug durch den Tiefschnee, mit zirka 15-20 KMH.
Ein letztes Mal hat sich Anna nach der Hütte umgedreht, in der sie fast einen Monat ihres Lebens verbracht hat.
Keiner spricht ein Wort. Alle drei schweigen. Alexei sieht gerade aus. Sein Gesicht ist ausdruckslos. Anna will etwas sagen, will sprechen, aber ihr fehlen im wahrsten Sinne des Wortes die Worte.

Und nun passiert etwas Seltsames - eigentlich wäre Trommelwirbel angebracht. Alexei setzt zum sprechen an. Er sieht Anna an, er öffnet 2 mal den Mund, um zu sprechen, aber es kommt kein Wort heraus Anna fällt auf, wie bleich er ist - diese Blässe ist nicht nur mit Alexeis Gesundheitszustand zu erklären, er sieht Anna lange an, seine Augen scheinen zu zittern, er presst die Kiefer gegeneinander.

Danke.

Ich weiß nicht was ich sonst hätte sagen sollen es gibt sonst nichts zu sagen Gefühle keine Ahnung ich werde ihr einfach helfen so wie sie mich ansieht hat sie meinen Dank verstanden wir leben in zwei unterschiedlichen Welten und werden niemals in der gleichen Welt leben können das begreift sogar jemand wie ich.
was ich nicht begreife ist das...

Anna weint, ohne ein Schluchzen rinnen die Tränen über ihr Gesicht.

In 5 Minuten sind wir da.

Dein Juri wird auch da sein.

Sie sind mittlerweile in einen alten Lada Taiga umgestiegen.

Oh Gott was ist aus mir geworden. Ich kenne mich selbst nicht mehr.

In der Tat, was ist aus der jungen Frau Anna geworden - eine junge Österreicherin, die ein sehr solides Leben führte, die eine gute Zukunft vorgezeichnet hatte. Dann verliebt sie sich – auch noch ganz normal – in einen jungen Mann. Und binnen ein paar Wochen ist Ihr Leben auf den Kopf gestellt. Nichts wird mehr so sein wie früher. Nie mehr in ihrem Leben wird sie wirklich unbeschwert sein können. Das alte Leben ist vorbei, endgültig. Wie wird sich das neue entwickeln?

Oh Gott was ist aus mir geworden. Ich kenne mich selbst nicht mehr.

In der Tat, was ist aus dem jungen Mann Alexei geworden - ein junger Russe, der kein solides Leben führte etc.

Es hat wieder leicht zu schneien begonnen. Durch das abrupte Anhalten des Wagens wird Anna aus ihren Gedanken gerissen.

Wir sind da.

Es ist alles wie im Traum. Wie im Albtraum. Sie sieht Alexei nicht mehr an, mechanisch steigt sie aus dem Lada. Sie hört auch nicht mehr die Stimme jenes Mannes, mit dem sie den letzten Monat ihres Lebens verbracht hat: leb wohl Anna, dort vorne ist dein Juri.. sie sieht IHREN Juri. Mit fünf Männern steht er circa 100 m von ihr und ihren zwei Begleitern entfernt. Er bewegt sich nicht, steht da wie eine Statue. Es ist alles wie im Traum. Wie im Traum geht sie langsam auf ihn zu. Sie geht auf einen Fremden zu. Die Hälfte der Strecke ist beinahe zurückgelegt.
Und dann wiederholt sich das Grauen: links und rechts des Parkplatzes stürmen plötzlich Bewaffnete herbei und eröffnen sofort das Feuer. Anna wirft sich zu Boden, als sie zurück blickt, sieht sie das Alexei und sein Halbbruder das Feuer erwidern. Innerhalb von Sekunden gehen beide getroffen zu Boden. Alexeis Halbbruder liegt leblos auf dem Rücken, Alexei selbst kniet schwer atmend am Boden.

Juri geht an Anna vorbei.

Es ist vorbei Schatz, Du bist in Sicherheit.

In seiner Hand hält er eine Pistole. Sein Blick ist hart.

Zwei Meter vor Alexei bleibt er stehen.

Nein bitte nicht

Er hebt den Arm.

Nein nicht

Es ist eine Hinrichtung.

Die beiden Männer sehen sich ins Gesicht.

Nein

Drei Schüsse in die Brust.

Es gibt keinen Gott

Anna springt auf. Sie stößt Juri mit aller Kraft zur Seite und wirft sich auf Alexei. Ihr Schrei hat nichts Menschliches.

Es gibt keinen Gott

Es gibt kein Leben

Es gibt keine Liebe

Es gibt keine Rettung

Wimmernd liegt sie auf Alxeis Leichnam, faucht jeden an wie ein wildes Tier, der versucht, sie von ihm wegzuziehen. Auch Juri.

Es gibt keinen Gott

Es gibt kein Leben

Es gibt keine Liebe

Es gibt keine Rettung

EPILOG.

Ein schöner Spätsommer-Nachmittag. In der Nähe von Moskau.

Russische Mafia-Familien haben Krieg beendet! Endgültige Bilanz: 400 Tote.
Politik und Polizei haben versagt!

Die Katastrophe - so benennen Yuri und Anna das Unaussprechliche - ist nun bald 3 Jahre her.

Viel Zeit ist seither vergangen.

Als Anna wieder zu Bewusstsein gekommen war, sah sie als erstes in die Gesichter ihrer Eltern, die sie voll Sorge und Liebe betrachteten. Per Ärzte-Flug-Ambulanz wurde sie drei Tage später nach Wien gebracht, wo sie stationär im Allgemeinen Krankenhaus aufgenommen wurde. Auf einer psychiatrischen Station.
Drei Wochen hat sie dort verbracht. Sie hatte Glück mit ihrer Psychiaterin, einer jungen sehr engagierten Frau, die sich beinahe aufopfernd um Anna gekümmert hat.
Dieser Frau konnte sich Anna anvertrauen, über das Erlebte sprechen, das Grauen gemeinsam verarbeiten und Trost und so etwas wie Geborgenheit finden. Niemand, auch die Psychiaterin nicht, hat je mehr über ihre Beziehung zu Alexei erfahren, als dass Anna einfach dem Stockholm-Syndrom erlegen ist, und und sich mit ihrem Geiselnehmer identifiziert hat.

Juri hat sich in Wien der Polizei gestellt und wurde wegen Mitgliedschaft bei einer kriminellen Organisationen und wegen Steuerhinterziehung zu 2 Monaten unbedingt und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Kooperation mit den Behörden erwies sich als sehr bedeutender Strafmilderungsgrund.

Nach seiner Entlassung ruft Juri bei Annas Eltern an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Als Anna von dem Gespräch erfährt, ruft sie Juri zurück. Es wird vereinbart, sich eine Zeit lang nicht zu sehen oder gar zu treffen. Dennoch bleibt Juri in Wien.
Wochen nach Annas Entlassung aus dem allgemeinen Krankenhaus vereinbart sie ein Treffen mit ihm.
Sobald sie beisammen sind, stellt Anna fest, was sie sowieso wusste. Sie liebt diesen Mann.

Juri gesteht ihr alles, seine Liebe, seine wahre Rolle in seiner Familie. Und er sagt, dass er Anna jede Zeit der Welt gibt, solange nur der Funken einer Chance besteht, sie je zurück zu gewinnen. Das sind nicht nur leere Worte, sondern Juri lässt auch Taten folgen. Erst nach einem Monat und vielen Sitzungen Annas mit ihrer Psychiaterin treffen sich die beiden wieder.

Und sie werden ihre Liebe und ihre Beziehung erneuern.

Zwei Jahre später.

Ein schöner Spätsommer-Nachmittag. In der Nähe von Moskau.

Russische Mafia-Familien haben Krieg beendet! Endgültige Bilanz: 200 Tote.
Politik und Polizei haben versagt!
Hochzeit Juri Andropovs mit Österreicherin, die damals Geisel Der Mafia war.

Anna hat ja gesagt.

Hat ihrem Juri ja gesagt. Sie wollte allerdings keine Hochzeit in Moskau. Da hat Juri sie überredet. Alle sind da. Annas Eltern, Familie und Freunde , der Andropov Klan, und auch die damals verfeindeten Familien und Klans, z.B. der Medwedew Klan. Es ist Frieden. Und diese Feier besiegelt den Frieden zwischen den Familien.

Auch Annas Psychiaterin ist eingeladen. Anna hat es geschafft. Es hat zwar viel Arbeit gekostet, viel Zeit, viele Tränen, aber Anna hat es geschafft. Sie ist glücklich.

Seit 30 Sekunden steht Anna alleine da. Zum ersten Mal während dieser Hochzeit. Juri muss ein paar wichtige Geschäftspartner begrüßen.

Fast gleichzeitig nehmen die beiden Frauen einander wahr und erkennen einander sofort.

Es ist jene Frau, die Anna damals zur Dusche gebracht hat, und ihr ihr Gewand gegeben hat. Nun sieht sie Anna an und lächelt. Es ist kein glückliches Lächeln. Anna lächelt zurück. Dann erst fällt ihr auf, dass jene Frau ein Kind an der Hand hält. Das 2-3 Jahre alte Kind reißt sich von seiner Mutter los, läuft auf Anna zu und ruft laut: Mama Mama!
Anna sieht in das Gesicht des Buben. Kurzes blondes Haar, wasserblaue Augen und ein Grinsen. Anna kennt dieses Grinsen.

Mama Mama

Sofort ist die Mutter da. Das ist nicht die Mama, ich bin die Mama.

Bitte entschuldigen Sie. Mein Sohn sagt zu vielen Mama oder Papa, er versteht noch nicht. Ich wünsche Ihnen von allem Herzen alles Gute und vor allem viel Glück in ihrem Leben.

Ihre Augen fühlen sich mit Tränen.

Dann nimmt sie ihren Sohn bei der Hand und sagt: Alexei, mein Schatz, wir müssen gehen. Auf Wiedersehen.

Anna ist wieder alleine. Zwei Tränen verlassen ihre Augen.

Alles ist wieder da. Die Vergangenheit hat sie auf grausame Weise eingeholt.

Es gibt keine Rettung.

Von hinten wird sie zärtlich umfasst, umgedreht, dann sieht sie in Juris glückliche Augen. Er küsst sie lang und voller Liebe.

counter2xhab ich gern gelesen

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