Veröffentlicht: 02.02.2022. Rubrik: Lustiges
Wocheneinkauf 2 - Das Imperium schlägt zurück
Zum Titel: Ich habe mir gedacht es wäre gut für die Fortsetzung den Titel einer erfolgreichen Filmfortsetzung zu verwendenden und der passt eigentlich ganz gut, wie man gleich lesen kann. Übrigens, falls es einen dritten Teil geben wird würde der aus heutiger Sicht Wocheneikauf 3 – Tokio Drift heißen. Mahl sehen wie das wird…
Wieder einmal steht der wöchentliche Lebensmitteleinkauf an. Von jüngsten Erfolgen in meinem Selbstvertrauen bestärk, habe ich im Vorfeld meiner Freundin vorgeschlagen die Einkaufsliste aufzuteilen und getrennt auf die neuzeitliche Jagd zu gehen. „Jeder arbeitet seine Hälfte ab und dann treffen wir uns bei den Kassen“ habe ich zu ihr gesagt. Ein Satz den ich rückblickend in der Kategorie „fatales Scheitern“ gleichstellen würde mit: „Wir werden einen zweiten Todesstern bauen, mein Imperator“ oder „Wollt ihr den totalen Krieg?“.
Bereits bei der Anfahrt kündigen sich Schwierigkeiten an. Scheinbar haben die Götter des Konsums und Kapitalismus entschieden, den bestehenden Eurospar zu opfern und an seiner Stelle einen noch gewaltigeren Interspar zu beschwören. Dieser unterscheidet sich zum Vorgänger im Wesentlichen dadurch, dass er auf einer zusätzlichen Fläche, auf der bequem ein Festivalgelände Platz hätte, die gesamte Produktpalette scheinbar einfach nochmal angeboten wird. Dazu kommen noch andere Produkte jeglicher Genres, die es davor hier eben nicht zu kaufen gab. Sehr wichtig! Sollte jemals auf meinem Teil der Einkaufsliste gleichzeitig Lebensmittel, Playmobil, Erwachsenenwindeln, Feuerwerkskörper, 19-Zoll-Alufelgen und ein Jahresabbo für die Zeitschrift „Chemie in unserer Zeit“ stehen kann ich den gesamten Einkauf in diesem einen Geschäft erledigen. Vorausgesetzt, natürlich, ich habe meine Wanderschuhe, genügend Proviant und eine ausreichend detaillierte Karte der Region dabei. Überhaupt scheint es, dass das Geld für den Umbau vorwiegend aus dem EU-Fördertopf für nachhaltige Umweltzerstörung und Bodenversiegelung gekommen ist. Der gesamte Gebäude-Koloss wurde nämlich nicht an gleicher Stelle des Alten gebaut. Sondern genau dahinter, wo Wochen zuvor noch eine fruchtbare Anbaufläche, etwa vergleichbar mit dem Mekong-Delta, war. Das Vorgängergebäude wurde zur Zweidimensionalität verbannt und dient ab jetzt als Parkplatz. Ich stelle meinen Wagen relativ weit hinten auf der ehemaligen Getränkeabteilung ab. Wir steigen aus und machen uns auf den Weg zum Eingang. Der Wanderwegweiser, an dem wir nach ein paar Minuten vorbeikommen, gibt eine halbe Stunde Gehzeit an.
Wir gehen durch das Orientierungs-Invertions-Portal. Sofort wirkt meine Freundin extrem zielstrebig und einen Wimpernschlag später ist sie mit einem Einkaufswagen verschwunden. Ich brauche einen Moment, um mich zu besinnen und hebe dann langsam den Blick. Vor mir liegt der Kontinent Konsumia. Zentral ein breiter Gang, mehr eine Straße, eine Autobahn, ein breitets Tal, in dem sich Menschenmassen tummeln. Manche reisen vom Spielwarenland in Richtung Osten zum Obst-Mekka. Andere pilgern auf der Meeresfrüchte Halbinsel am Jakobsmuschelweg. Aus der Rabatte-Republik hört man ein undeutliches Stimmengewirr aus allen Sprachen. Nur etwas Schwäbisch sticht aus der Masse hervor.
Ich blicke auf meinen Teil der Einkaufliste. Erstes Produkt: Currypulver. Orientierungslos setze ich mich in Bewegung. An mir vorbei ziehen die verschiedensten Landschaften. Die meisten sind stark zerklüftet. Massive tektonische Aktivitäten müssen hier in so kurzer Zeit die gewaltigen Regalgebirgsketten aufgeworfen und dabei das Urmeer aus Konsumgütern mit sich in die Höhe genommen haben. Ich gelange in eine Tiefebene. Trockene, warme Luft schlägt mr hier entgegen, die Straße ist leer. Nur die Staubsaugervertreter versuchen ihre Produkte im Licht der benachbarten Beleuchtungsregion zu präsentieren. Die Schwingtür einer Ausstellungsimmobilie auf der „Saloon“ steht quietscht. Ein Ballen aus Einweg-Plastiktüten weht vorbei. Aus der Musikrepublik hört man eine einsame Mundharmonika. Einige Meilen später, ich bezweifle, dass ich mich noch in einer Region befinde, in der sich das metrische System durchgesetzt hat, weicht die Wüste langsam einem Urwald. Frei drehbare Aluminium-Mammut-Bäume bilden ein immer dichter werdendes Textilien-Blätterdach. Die Artenvielfalt hier beeindruckt mich. Dicht an dicht stehen T-Shirt-Palmen, Pullover-Bäume und Jeans-Gebüsche. Das Unterholz bilden Unterwäsche Sträucher und von Anzugästen hängen oft Krawatten Lianen. Dazwischen klettern, laufen, schwingen und kreischen eine Unzahl von kaufwütigen Primaten. Manchmal erblickt man einen Kleiderbauer. Auch ein Bambus fährt hier durch.
Als ich etwas aus dem Staunen heraus komme besinne ich mich zur Orientierung. Und tatsächlich erblicke ich am anderen Ende einer Lichtung einen Wald aus edlen Gewändern und feinen Stoffen. Und daran entlang einen Weg. Das muss die Seidenstraße sein, und die muss mich, zumindest in einer Richtung, früher oder später am Currypulver vorbeiführen. Ich wandere los und nur wenige Wochen später trägt am Ende eines anstrengenden Tagesmarsches der Ostwind orientalische Musik und den Geruch von Rindfleisch zu mir. Auch wenn ich es etwas taktlos finde, dass das Fleisch Imperium, mit seinen in Indien heiligen, hier aber vor allem toten Kühen, direkt an den Supermarkt Orient grenzt, hellt sich meine Stimmung auf. Immerhin scheine ich dem ersten Produkt meiner Liste näher zu kommen und das Wandern ist seit einiger Zeit angenehmer, weil ich über schön gewebte Perserteppiche gehe. Bald finde ich einen Basar auf dem die verschiedensten Gewürze in Mühlen, Glas, Karton und Plastik angeboten werden. Darunter auch Currypulver. Mein erstes Ziel ist erreicht. Ich nehme eine Packung als mir auf die Schulter getippt wird. Neben mir steht meine Freundin mit einem vollen Einkaufswagen. Darin sind alle Produkte, auch die meiner Listenhälfte, so sortiert, dass sie nach dem Auflegen aufs Band, nach dem Gewicht und der Stabilität der Verpackung absteigend, in die Einkaufstaschen gepackt werden können. „Ich habe den Rest schonmal besorg und dann hier auf dich gewartet, ich wusste ja das du zuerst beim Currypulver vorbeikommst“, sagt sie.
Wir gehen ein paar Schritte zu den Kassen, die Sekunden zuvor noch nicht in Sichtweite waren. Wir bezahlen und verlassen den Supermarkt durch das Orientierung-Reinvertions-Portal. Sofort beschleicht mich das Gefühl, plötzlich wieder zu wissen wo ich mich befinde und wo ich hinmuss.